kurzgeschichte - SpecFlash
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<strong>kurzgeschichte</strong><br />
wenige und ihre Vorstellungskraft war zu gering<br />
um ihn noch länger am Leben zu erhalten.<br />
Denn nur dort konnte er leben. In Gedanken.<br />
Träumen. Wünschen.<br />
Seit die Menschen ihre Welt nur noch durch die<br />
Rechtecke ihrer Smartphones, Laptops und<br />
Flachbildschirme betrachteten, war er immer<br />
mehr in Vergessenheit geraten. Inzwischen war<br />
er nur noch eine lächerliche Figur aus einer<br />
Vergangenheit, die schon längst als Staub durch<br />
die Korridore der Geschichte wehte.<br />
In einer Zeit, in der die Menschen in Informationen<br />
ertranken und jede Wunscherfüllung nur<br />
noch ein Mausklick entfernt war, verschwendete<br />
kaum noch jemand einen Gedanken an den<br />
Weihnachtsmann. Man glaubte ja auch nicht<br />
daran, dass Batman die Welt rettete.<br />
Der Weihnachtsmann nahm einen weiteren<br />
Schluck von dem inzwischen nur noch lauwarmen<br />
Getränk. Aber die Kälte hatte ihre eisigen<br />
Fäden bereits wieder durch seinen mageren<br />
Körper gesponnen. Früher hatte er nicht gefroren.<br />
Noch vor wenigen Generationen war er ein<br />
richtiger Fettsack gewesen, mit einem weißen<br />
Bart und rosigen Bäckchen. Damals hatte er<br />
noch in unzähligen Geschichten gelebt, die man<br />
sich hinter vorgehaltener Hand erzählte. Heute<br />
redete niemand mehr über ihn. Dabei war er<br />
überall.<br />
Plastikattrappen standen in den Schaufenstern.<br />
Als Weihnachtmann verkleidete Doppelgänger<br />
hockten gelangweilt in den Spielzeugabteilungen<br />
der Kaufhäuser und fragten quengelnde<br />
Kinder nach ihren Wünschen, nur um sie später<br />
mit einer Hand voll ranzigen Nüssen und trockenen<br />
Spekulatius abzuspeisen. Man sang Lieder<br />
<strong>SpecFlash</strong> - das Portal in eine parallele Realität<br />
über ihn. In den Buchhandlungen stapelten sich<br />
Bücher, die ihn in Badehose und mit einem<br />
Cocktail in der Hand am Strand zeigten. Im<br />
Fernsehen gab es sogar eine eigene Casting<br />
Show für Weihnachtsmänner, in der sich vorzugsweise<br />
junge gut gebaute Männer freiwillig<br />
dem Gespött der Juroren aussetzten. Ein Computerspiel<br />
zeigte ihn als lüsternen Schwachkopf,<br />
der den Engeln nachstellte. Wie gesagt, er war<br />
überall. Aber nicht mehr in ihren Gedanken.<br />
Der Weihnachtmann trank seinen Becher aus<br />
und stellte ihn zurück auf die Theke. Für ihn<br />
würde es das letzte Weihnachtsfest sein. Er<br />
hatte schon jetzt kaum noch Kraft um die<br />
Geschenke der wenigen Menschen, die noch<br />
immer fest an ihn glaubten, rechzeitig abzuliefern.<br />
Er holte den Einkaufswagen, in dem sich<br />
seine letzten Gaben befanden, und bahnte sich<br />
mit der Geschwindigkeit einer arthritischen<br />
Schildkröte seinen Weg durch die Menschenmenge.<br />
Der alte Mann hatte es gerade bis zur nächsten<br />
Bude geschafft, in der aus einem kupfernen Topf<br />
Feuerzangenbowle geschöpft wurde, als ihm<br />
jemand schmerzhaft in die Hacken fuhr. Wütend<br />
drehte er sich um. Eine aufgetakelte Schnepfe<br />
hatte ihm ihren Kinderwagen in die Fersen<br />
gerammt. Sie kümmerte sich nicht um den<br />
Gepeinigten, sondern ließ den Buggy mit dem<br />
Kind einfach stehen und verschwand in der<br />
Menschentraube, die den Stand umlagerte.<br />
Der Weihnachtsmann beugte sich zu dem<br />
kleinen Knirps von etwa drei Jahren, der ihn aus<br />
großen Augen ansah. Augen, die noch die Wirklichkeit<br />
hinter den sichtbaren Dingen erkannten.<br />
„Weihnachtsmann!“, rief das Kind mit glockenheller<br />
Stimme aufgeregt und klatschte in die