Jeremias Gotthelf Spinne - GIGERs.COM
Jeremias Gotthelf Spinne - GIGERs.COM
Jeremias Gotthelf Spinne - GIGERs.COM
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Die schwarze <strong>Spinne</strong><br />
immer heisser wurden, die Gedanken immer schrecklicher, da be-<br />
gann Christine ihre Wange zu zeigen, zu fragen, was darauf zu se-<br />
hen sei, und immer von neuem frug Christine, aber niemand sah<br />
etwas, und bald mochte niemand mehr mit dem Spähen auf den<br />
Wangen die Lust sich verkürzen. Endlich konnte sie noch ein alt<br />
Weib erbitten; eben krähte der Hahn, der Morgen graute, da sah die<br />
Alte auf Christines Wange einen fast unsichtbaren Fleck. Es sei<br />
nichts, sagte die, das werde schon vergehn, und ging weiter.<br />
Und Christine wollte sich trösten, es sei nichts und werde bald ver-<br />
gehn; aber die Pein nahm nicht ab, und unmerklich wuchs der kleine<br />
Punkt, und alle sahen ihn und frugen sie, was es da Schwarzes gebe<br />
in ihrem Gesichte? Sie dachten nichts Besonderes, aber die Reden<br />
fuhren ihr wie Stiche ins Herz, weckten die schweren Gedanken wie-<br />
der auf, und immer und immer musste sie denken, dass auf den<br />
gleichen Fleck der Grüne sie geküsst, und dass die gleiche Glut, die<br />
damals wie ein Blitz durch ihr Gebein gefahren, jetzt bleibend in<br />
demselben brenne und zehre. So wich der Schlaf von ihr, das Essen<br />
schmeckte ihr wie Feuerbrand, unstet lief sie hierhin, dorthin, suchte<br />
Trost und fand keinen, denn der Schmerz wuchs immer noch, und<br />
der schwarze Punkt ward grösser und schwärzer, einzelne dunkle<br />
Streifen liefen von ihm aus, und nach dem Munde hin schien sich auf<br />
dem runden Flecke ein Höcker zu pflanzen.<br />
So litt und lief Christine manchen langen Tag und manche lange<br />
Nacht und hatte keinem Menschen die Angst ihres Herzens geoffen-<br />
baret, und was sie vom Grünen auf diese Stelle erhalten; aber wenn<br />
sie gewusst hätte, auf welche Weise sie dieser Pein loswerden könn-<br />
te, sie hätte alles im Himmel und auf Erden geopfert. Sie war von<br />
Natur ein vermessen Weib, jetzt aber erwildet in wütendem<br />
Schmerze.<br />
Da geschah es, dass wiederum ein Weib ein Kind erwartete. Diesmal<br />
war die Angst nicht gross, die Leute wohlgemut; sobald sie zu rech-<br />
ter Zeit für den Priester sorgten, meinten sie, des Grünen spotten zu<br />
45