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Biber Newcomer Dezember 2019

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„Der Reizvolle

Aufritt im sexy

Sommerkleidchen“

– ein

Auszug des von

Dr. Huber* verfassten

Dienstzeugnisses

stand, kommentierte dieser unerwartet:

„Sie tragen sehr schöne Unterwäsche,

Frau Kollegin.“ Die unerfahrene Studentin

kannte diesen anzüglichen Umgangston

nicht und war eingeschüchtert. Der verheiratete

Primar pflegte zur selben Zeit

eine Affäre mit einer Studentin, womit er

öfters während der Arbeitszeit prahlte.

„Wenn du auch so lieb zu ihr bist wie ich,

darfst du vielleicht auch an ihr Höschen“,

gab er einem Studenten den ungefragten

Tipp.

Ich wollte

verhindern, dass

andere Frauen in

diese Situation

kommen.

Sie tragen

sehr schöne

Unterwäsche,

Frau Kollegin

ihren karierten Rock assoziierte er mit

einem Schulmädchenoutfit. Sandra ging

dazu über, sich an den Arbeitszeiten der

gemeinsamen Sprechstundenhilfe zu

orientieren. „Immer, wenn sie gegangen

ist, hab‘ ich auch fluchtartig versucht,

die Ordi zu verlassen, damit ich ja nie

alleine mit ihm bin. Ich dachte, wenn sie

da ist, kann ich wenigstens schreien,

wenn er sich nicht zusammenreißen

kann“, schildert sie ihren Notfallplan. Die

Ordinationshilfe bekam vom Machtspiel

des Arztes nichts mit, genauso wenig

wie die Patient*innen, vor denen sich

Dr. Huber väterlich zeigte. Der Allgemeinmediziner

genoss das Schauspiel

und war sich seiner Sache sicher. Er war

beliebt, unter Kollegen hoch angesehen

und verbrachte seine Freizeit regelmäßig

mit Frau und Kindern in einem Wiener

Tennisclub. Sandra lud er im Sommer

auch dorthin ein, sie lehnte ab.

Sexuelle Belästigung durch Ärzte

ist kein Relikt vergangener Zeiten. Das

beweist die Geschichte von Anna, Studentin

im 5. Studienjahr und ebenfalls

angehende Chirurgin. Auch sie möchte

nicht mit ihrem echten Namen genannt

werden. 2017 durfte die damals 20-Jährige

das erste Mal bei einer Operation in

einem kleinen Wiener Spital assistieren.

Der Oberarzt, der sie von Anfang an

„Schatzi“ nannte, führte sie durch das

Krankenhaus. Dort gab es einen kleinen

OP-Saal mit einer gemischten Umkleide,

in der sich die Studentin umziehen

sollte. Der Chirurg wechselte ebenfalls

seine Kleider. Als Anna halbnackt vor ihm

#METOO IM OP-SAAL

Seit 2017 hat sich durch die Me-Too-

Bewegung das Bewusstsein auch unter

MedizinerInnen verändert. Derzeit wird

an der Errichtung einer Ombudsstelle

für Opfer von Sexismus und Rassismus

gearbeitet, bestätigt Dr. Cornelia Hieber,

die Leiterin des Referates für Gendermainstreaming

und Diversity Management

in der Wiener Ärztekammer. Vorher

existierte nur das Mobbingreferat, das

sich dem Thema der sexuellen Belästigung

zu wenig widmete.

Sandra stieß 2003 auf taube Ohren,

als sie sich mit ihrem Anliegen an die

Ärztekammer wandte. Die damals

28-Jährige suchte um den Entzug der

Lehrpraxisberechtigung ihres ehemaligen

Chefs an: „Ich wollte verhindern,

dass andere Frauen in diese Situation

kommen.“ Dr. Huber kam allerdings aus

einer angesehenen Ärztefamilie und war

kurz davor, den Titel des Medizinalrats

vom damaligen Bundespräsidenten

verliehen zu bekommen. Die Ärztekammer

wollte ihren „angesehenen Kollegen

nicht diskreditieren“, erläutert Sandra.

Dabei hatte sie einen handfesten Beweis.

Schwarz auf Weiß, mit dem Stempel Dr.

Hubers versehen. Ihr Dienstzeugnis.

DIENSTZEUGNIS ALS

BEWEIS

Den negativen Höhepunkt der „sechs

Höllenmonate“ bei Dr. Huber stellte ausgerechnet

das Stück Papier dar, wofür

Sandra all die Qualen in Kauf genommen

hatte. „Ich bin raus ins Auto, hab‘ dort

die Mappe mit dem Zeugnis aufgemacht

und habe schon im Auto zu heulen angefangen“,

erinnert sie sich. Alle Erinnerungen

an die ungewollten Berührungen,

obszönen Bemerkungen und Kommen-

tare über ihr Aussehen lebten wieder

auf. Der Originalwortlaut des Dienstzeugnisses

liest sich wie folgt:

Frau Dr. Schneider ist auf dem

besten Weg, eine ausgezeichnete Ärztin

zu werden – sie war für die Lehrpraxis

eine große Bereicherung, aber nicht

nur deswegen, sondern auch wegen

anderer menschlicher und persönlicher

Umstände: So übte die Lehrpraktikantin

durch ihr Wesen und ihr Äußeres

eine zunehmende Faszination auf den

Lehrpraxisleiter aus, die für ihn zu

einer persönlichen Zerreißprobe wurde,

die er nicht bestehen konnte. Absolut

ungewohnt für die Lehrpraxis war eine

(wahrscheinlich ungewollte) subtilste

Form einer sexuellen Belästigung durch

einen immer perfekten äußerlich reizvollen

Auftritt: ob als braves Schulmädchen,

als gestiefelter Kater, im kurzen

Sommerkleidchen (besonders!), als

sportlich-burschikose, als elegante Vortänzerin,

als Lady im langen Kleid oder

als cooler Jeanstyp…

Wie sicher musste sich Dr. Huber

in seiner Position fühlen, dass er die

sexuelle Belästigung an seiner Lehrpraktikantin

sogar verschriftlichte? Konnte er

sich darauf verlassen, dass Sandra nichts

unternehmen würde? Das Zeugnis endet

mit einer ungewöhnlichen Warnung:

Fr. Dr. Schneider ist für Teamarbeit

sehr geeignet, für eine Ein-Mann-

Praxis ist sie nicht zu empfehlen, da zu

gefährlich (s.o.), besonders wenn der

Praxisleiter auf das Wesen von Kind-

Frauen völlig abfährt…

„Ich hätte es am liebsten zerrissen

und ihm um die Ohren gehauen“, erzählt

Sandra wütend. Nach einem tränenreichen

Wochenende besuchte sie am

Montag darauf ihren Peiniger in seiner

Ordination und verlangte ein neues

Dr. Huber hatte ein Beuteschema: Klein und blond.

Zeugnis. Unter der Drohung, dass sie

ihn andernfalls anzeigen würde. Erneut

belächelte Dr. Huber seine nun Ex-Lehrpraktikantin,

bis er den Ernst der Lage

begriff. „Dann ist er aggressiv geworden,

hat mich in die Ecke gedrängt und

gewürgt. Er meinte, ich soll das Zeugnis

zurückgeben.“ Sandra ließ das Originaldokument

bewusst zuhause. Immerhin:

Er stellte ihr daraufhin ein neues Zeugnis

aus. Im Anschluss verließ die Jungärztin

die Praxis. Aufgrund der Unberechenbarkeit

ihres ehemaligen Lehrpraxisleiters

fürchtete sie sogar, er würde sie zuhause

aufsuchen. „Solltest du jemals irgendwo

in meiner Nähe sein, bin ich bei der Polizei“,

rief sie ihm noch zu. Dr. Huber hatte

anscheinend ein bestimmtes Beuteschema:

klein und blond. Diesem entsprach

auch ihre Nachfolgerin, die ihre Ausbildung

vorzeitig abbrach. Sandra hatte sie

gewarnt. Ohne Erfolg.

KEINE EINZELFÄLLE

Zurück zu Anna: Im Frühjahr 2019 fing

die mittlerweile 22-jährige Medizinstudentin

in einem Wiener Ordensspital

zu arbeiten an. Schnell hatte es der

dort hoch angesehene Oberarzt – der

alle Frauen „Schatzi“ nennt – auf sie

abgesehen. „Weißt du, wie man einen

Samenstrang hält?“, fragte er Anna

während einer Leisten-OP und fuhr fort:

„Nicht so grob! Bist du auch so grob zu

ANLAUFSTELLE

FÜR BETROFFENE

STUDENTINNEN

Eine Anlaufstelle für

Student*innen der Medizinischen

Universität Wien bildet „nextgendoctors“.

Dabei handelt es sich

um eine im Frühjahr 2019 unabhängige

Bewegung, die sich Themen

wie Sexismus und Rassismus

im Gesundheitssektor widmet.

Serena Madushani Kudaliyanage,

Medizinstudentin im vierten Jahr,

ist Aktivistin bei nextgendoctors

und wurde selbst Opfer von

Sexismus im Krankenhaus. Sie

ermutigt betroffene Kolleginnen,

das Schweigen zu brechen: „Wir

von nextgendoctors wollen angehende

Ärztinnen präventiv ermutigen,

sich gegen Belästigung zu

wehren. Frauen, die bereits Opfer

von Sexismus im Gesundheitssektor

wurden, wollen wir das Gefühl

geben, dass sie sich mit vollstem

Vertrauen an uns wenden können.

Sie werden auf keinen Fall im

Stich gelassen.“

Mehr Info unter

https://www.facebook.com/nextgendoctors/

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