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„Der Reizvolle
Aufritt im sexy
Sommerkleidchen“
– ein
Auszug des von
Dr. Huber* verfassten
Dienstzeugnisses
stand, kommentierte dieser unerwartet:
„Sie tragen sehr schöne Unterwäsche,
Frau Kollegin.“ Die unerfahrene Studentin
kannte diesen anzüglichen Umgangston
nicht und war eingeschüchtert. Der verheiratete
Primar pflegte zur selben Zeit
eine Affäre mit einer Studentin, womit er
öfters während der Arbeitszeit prahlte.
„Wenn du auch so lieb zu ihr bist wie ich,
darfst du vielleicht auch an ihr Höschen“,
gab er einem Studenten den ungefragten
Tipp.
„
Ich wollte
verhindern, dass
andere Frauen in
diese Situation
kommen.
“
„
Sie tragen
sehr schöne
Unterwäsche,
Frau Kollegin
“
ihren karierten Rock assoziierte er mit
einem Schulmädchenoutfit. Sandra ging
dazu über, sich an den Arbeitszeiten der
gemeinsamen Sprechstundenhilfe zu
orientieren. „Immer, wenn sie gegangen
ist, hab‘ ich auch fluchtartig versucht,
die Ordi zu verlassen, damit ich ja nie
alleine mit ihm bin. Ich dachte, wenn sie
da ist, kann ich wenigstens schreien,
wenn er sich nicht zusammenreißen
kann“, schildert sie ihren Notfallplan. Die
Ordinationshilfe bekam vom Machtspiel
des Arztes nichts mit, genauso wenig
wie die Patient*innen, vor denen sich
Dr. Huber väterlich zeigte. Der Allgemeinmediziner
genoss das Schauspiel
und war sich seiner Sache sicher. Er war
beliebt, unter Kollegen hoch angesehen
und verbrachte seine Freizeit regelmäßig
mit Frau und Kindern in einem Wiener
Tennisclub. Sandra lud er im Sommer
auch dorthin ein, sie lehnte ab.
Sexuelle Belästigung durch Ärzte
ist kein Relikt vergangener Zeiten. Das
beweist die Geschichte von Anna, Studentin
im 5. Studienjahr und ebenfalls
angehende Chirurgin. Auch sie möchte
nicht mit ihrem echten Namen genannt
werden. 2017 durfte die damals 20-Jährige
das erste Mal bei einer Operation in
einem kleinen Wiener Spital assistieren.
Der Oberarzt, der sie von Anfang an
„Schatzi“ nannte, führte sie durch das
Krankenhaus. Dort gab es einen kleinen
OP-Saal mit einer gemischten Umkleide,
in der sich die Studentin umziehen
sollte. Der Chirurg wechselte ebenfalls
seine Kleider. Als Anna halbnackt vor ihm
#METOO IM OP-SAAL
Seit 2017 hat sich durch die Me-Too-
Bewegung das Bewusstsein auch unter
MedizinerInnen verändert. Derzeit wird
an der Errichtung einer Ombudsstelle
für Opfer von Sexismus und Rassismus
gearbeitet, bestätigt Dr. Cornelia Hieber,
die Leiterin des Referates für Gendermainstreaming
und Diversity Management
in der Wiener Ärztekammer. Vorher
existierte nur das Mobbingreferat, das
sich dem Thema der sexuellen Belästigung
zu wenig widmete.
Sandra stieß 2003 auf taube Ohren,
als sie sich mit ihrem Anliegen an die
Ärztekammer wandte. Die damals
28-Jährige suchte um den Entzug der
Lehrpraxisberechtigung ihres ehemaligen
Chefs an: „Ich wollte verhindern,
dass andere Frauen in diese Situation
kommen.“ Dr. Huber kam allerdings aus
einer angesehenen Ärztefamilie und war
kurz davor, den Titel des Medizinalrats
vom damaligen Bundespräsidenten
verliehen zu bekommen. Die Ärztekammer
wollte ihren „angesehenen Kollegen
nicht diskreditieren“, erläutert Sandra.
Dabei hatte sie einen handfesten Beweis.
Schwarz auf Weiß, mit dem Stempel Dr.
Hubers versehen. Ihr Dienstzeugnis.
DIENSTZEUGNIS ALS
BEWEIS
Den negativen Höhepunkt der „sechs
Höllenmonate“ bei Dr. Huber stellte ausgerechnet
das Stück Papier dar, wofür
Sandra all die Qualen in Kauf genommen
hatte. „Ich bin raus ins Auto, hab‘ dort
die Mappe mit dem Zeugnis aufgemacht
und habe schon im Auto zu heulen angefangen“,
erinnert sie sich. Alle Erinnerungen
an die ungewollten Berührungen,
obszönen Bemerkungen und Kommen-
tare über ihr Aussehen lebten wieder
auf. Der Originalwortlaut des Dienstzeugnisses
liest sich wie folgt:
Frau Dr. Schneider ist auf dem
besten Weg, eine ausgezeichnete Ärztin
zu werden – sie war für die Lehrpraxis
eine große Bereicherung, aber nicht
nur deswegen, sondern auch wegen
anderer menschlicher und persönlicher
Umstände: So übte die Lehrpraktikantin
durch ihr Wesen und ihr Äußeres
eine zunehmende Faszination auf den
Lehrpraxisleiter aus, die für ihn zu
einer persönlichen Zerreißprobe wurde,
die er nicht bestehen konnte. Absolut
ungewohnt für die Lehrpraxis war eine
(wahrscheinlich ungewollte) subtilste
Form einer sexuellen Belästigung durch
einen immer perfekten äußerlich reizvollen
Auftritt: ob als braves Schulmädchen,
als gestiefelter Kater, im kurzen
Sommerkleidchen (besonders!), als
sportlich-burschikose, als elegante Vortänzerin,
als Lady im langen Kleid oder
als cooler Jeanstyp…
Wie sicher musste sich Dr. Huber
in seiner Position fühlen, dass er die
sexuelle Belästigung an seiner Lehrpraktikantin
sogar verschriftlichte? Konnte er
sich darauf verlassen, dass Sandra nichts
unternehmen würde? Das Zeugnis endet
mit einer ungewöhnlichen Warnung:
Fr. Dr. Schneider ist für Teamarbeit
sehr geeignet, für eine Ein-Mann-
Praxis ist sie nicht zu empfehlen, da zu
gefährlich (s.o.), besonders wenn der
Praxisleiter auf das Wesen von Kind-
Frauen völlig abfährt…
„Ich hätte es am liebsten zerrissen
und ihm um die Ohren gehauen“, erzählt
Sandra wütend. Nach einem tränenreichen
Wochenende besuchte sie am
Montag darauf ihren Peiniger in seiner
Ordination und verlangte ein neues
Dr. Huber hatte ein Beuteschema: Klein und blond.
Zeugnis. Unter der Drohung, dass sie
ihn andernfalls anzeigen würde. Erneut
belächelte Dr. Huber seine nun Ex-Lehrpraktikantin,
bis er den Ernst der Lage
begriff. „Dann ist er aggressiv geworden,
hat mich in die Ecke gedrängt und
gewürgt. Er meinte, ich soll das Zeugnis
zurückgeben.“ Sandra ließ das Originaldokument
bewusst zuhause. Immerhin:
Er stellte ihr daraufhin ein neues Zeugnis
aus. Im Anschluss verließ die Jungärztin
die Praxis. Aufgrund der Unberechenbarkeit
ihres ehemaligen Lehrpraxisleiters
fürchtete sie sogar, er würde sie zuhause
aufsuchen. „Solltest du jemals irgendwo
in meiner Nähe sein, bin ich bei der Polizei“,
rief sie ihm noch zu. Dr. Huber hatte
anscheinend ein bestimmtes Beuteschema:
klein und blond. Diesem entsprach
auch ihre Nachfolgerin, die ihre Ausbildung
vorzeitig abbrach. Sandra hatte sie
gewarnt. Ohne Erfolg.
KEINE EINZELFÄLLE
Zurück zu Anna: Im Frühjahr 2019 fing
die mittlerweile 22-jährige Medizinstudentin
in einem Wiener Ordensspital
zu arbeiten an. Schnell hatte es der
dort hoch angesehene Oberarzt – der
alle Frauen „Schatzi“ nennt – auf sie
abgesehen. „Weißt du, wie man einen
Samenstrang hält?“, fragte er Anna
während einer Leisten-OP und fuhr fort:
„Nicht so grob! Bist du auch so grob zu
ANLAUFSTELLE
FÜR BETROFFENE
STUDENTINNEN
Eine Anlaufstelle für
Student*innen der Medizinischen
Universität Wien bildet „nextgendoctors“.
Dabei handelt es sich
um eine im Frühjahr 2019 unabhängige
Bewegung, die sich Themen
wie Sexismus und Rassismus
im Gesundheitssektor widmet.
Serena Madushani Kudaliyanage,
Medizinstudentin im vierten Jahr,
ist Aktivistin bei nextgendoctors
und wurde selbst Opfer von
Sexismus im Krankenhaus. Sie
ermutigt betroffene Kolleginnen,
das Schweigen zu brechen: „Wir
von nextgendoctors wollen angehende
Ärztinnen präventiv ermutigen,
sich gegen Belästigung zu
wehren. Frauen, die bereits Opfer
von Sexismus im Gesundheitssektor
wurden, wollen wir das Gefühl
geben, dass sie sich mit vollstem
Vertrauen an uns wenden können.
Sie werden auf keinen Fall im
Stich gelassen.“
Mehr Info unter
https://www.facebook.com/nextgendoctors/
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