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ICH BIN DAS KIND EINER
ARRANGIERTEN EHE
Ihre Eltern wurden als Teenager in
der Türkei arrangiert verheiratet.
biber-Stipendiatin Sueda Altinay
hat mit ihrem Vater über seine
Ehe und das „Lieben Lernen“
gesprochen.
Von Sueda Altinay, Fotos: Privat
Die Autorin (heute 21)
und ihr Vater
Mir war bewusst, dass meine Eltern beleidigt und
gekränkt wären, wenn ich mich geweigert hätte.
Die Vorstellung, mit einer Frau verheiratet zu sein,
erweckte eine Neugier in mir. Ich denke aber nicht, dass ich mir
tatsächlich bewusst war, welche Verantwortung eine Ehe mit
sich bringt. Ich war zu dem Zeitpunkt der Verlobung ja erst 16
Jahre alt“, erzählt mein Vater heute. Er kam Ende der Siebziger,
als er elf Jahre alt war, als Sohn türkischer Gastarbeiter nach
Wien. Sich an die neue Kultur zu gewöhnen, war besonders
für seine Eltern, die in einem türkischen Dorf ca. 150 Kilometer
von Istanbul entfernt aufgewachsen sind, eine Herausforderung.
Seine Eltern beschreibt er als streng und konservativ.
Um jeden Preis musste die Tradition behütet werden – auch in
Österreich. Die Kinder durften nicht vergessen, dass sie Türken
und Muslime waren. Die Erhaltung der Werte war meinen Großeltern
besonders wichtig. „Als mein Onkel damals eine österreichische
Freundin hatte, mit der er später eine Familie gründete,
wollte meine Mutter vermeiden, dass ich auch ein Verhältnis
mit einer Österreicherin anfange“ , erinnert sich mein Vater.
MAMA KUPPELT
Die Angst der Eltern, das Kind könne „gottlos“ werden oder
„vom rechten Weg abkommen“, war groß. Mein Großvater
war zu diesem Zeitpunkt 65 Jahre alt. Meine Großmutter war
bereits seine dritte Frau. Sein größter Wunsch war, die Heirat
und die Gründung einer eigenen Familie seines Sohnes miterleben
zu dürfen. „Mein Vater wollte unbedingt Enkelkinder
haben“, erzählt mein Vater. Also setzte sich meine Großmutter
das Ziel, nach einer potentiellen Ehefrau für meinen minderjährigen
Vater, damals 16 Jahre alt, zu suchen und nahm das
ganze Arrangement in die Hand – damals war es in der Türkei
nicht unüblich, dass die Mutter sozusagen die Kupplerin spielte.
Man bedenke aber, dass er zu der Zeit schon fünf Jahre in
Österreich lebte. Wie das für einen Teenager war, ein fremdes
Mädchen zu heiraten? Überhaupt als Teenager zu heiraten?
All das wollte ich von ihm wissen, und freute mich umso mehr,
dass er sich tatsächlich für ein Interview mit mir bereiterklärte.
Immerhin wurde das Thema „Zwangsheirat“ ja noch im letzten
Wahlkampf hochgekocht. Mein Vater betont aber mehrmals,
ihre Ehe sei keine Zwangsehe gewesen. Bei einer Zwangsehe
würden die Brautleute ohne Zustimmung vermählt werden,
bei einer arrangierten Ehe werden potentielle Partner einander
über Vermittlung vorgestellt. Hätte er oder meine Mutter
der Eheschließung nicht zugestimmt, hätte sie niemand dazu
gezwungen, wie er erzählt. Verspürte er aber seitens Eltern
den Druck, ihrem Wunsch folgen zu müssen? Als ich ihn das
frage, zögert er mit der Antwort, und nickt dann zustimmend.
Es war einfach der Status quo.
Die älteren Generationen in der Türkei haben sich größtenteils
nur über verwandtschaftliche Vermittlungen vermählt.
Liebesehen waren eher unkonventionell und wirtschaftlich
nicht von Vorteil. Beziehungen oder gar das „Daten“, wie wir es
heute kennen, gab es - zumindest in den ländlichen Gebieten
der Türkei – zu dieser Zeit einfach nicht. Dass die Eltern bei der
Partnerwahl ihres Kindes „mitmischen“, war mehr Regel als
Ausnahme. So war es auch bei meinen Eltern.
„ES GIBT EINEN JUNGEN MANN AUS
WIEN, DER UM DEINE HAND ANHALTEN
MÖCHTE“.
„In den Sommerferien 1985 sind wir in die Türkei gefahren.
Meine Mutter verkündete offen in der Ortschaft, dass sie nach
einer Ehefrau für mich suchen würde. Durch Freunde, Familie
und den Bekanntenkreis sind wir relativ schnell fündig geworden.“
Sie, zwei Jahre älter als er, schlank, schwarze Locken.
Meine Mutter, damals 18 Jahre alt, war eine gute Partie. Sie
arbeitete ehrenamtlich als Lehrerin – und
stammte aus demselben Dorf wie mein
Vater. Als die beiden einander vorgestellt
wurden, fand mein Vater sie hübsch
und war durchaus interessiert, wie er
sich erinnert. Meine Mama hingegen
war anfangs skeptisch. Ihr Vater, also
mein Großvater mütterlicherseits, hatte
ihr damals verkündet: „Es gibt einen
jungen Mann aus Wien, der um deine
Hand anhalten möchte. Er ist der einzige
Sohn der Familie. Es würde dir sehr
gut bei ihnen gehen.“ Dennoch war sie
unsicher. Fremder Mann, fremdes Land
– das schien alles so unsicher und weit
weg. Aber sie wusste, dass ihre Eltern es gut mit ihr meinten
und stimmte einem Treffen mit meinem Vater zu. Nach diesem
Treffen verschwand auch ihre Unsicherheit.
Nach einem Monat Kennenlernphase fand die Verlobung
statt. Noch im selben Sommer. In einem großen Saal, mit
Gästen und allem Drum und Dran. Als verlobter junger Mann
kehrte mein Vater nach den Sommerferien nach Wien zurück
und ging hier noch zwei Jahre lang zur Berufsschule. „Meine
Klassenkameraden wussten nichts von meiner Verlobung. Ich
hatte auch keine Freunde, mit denen ich darüber geredet habe.
Ich war ein sehr braver Junge, wenn ich nach 21 Uhr nach
Hause kam, hatte ich mit Schwierigkeiten zu rechnen.“ Meine
Mutter blieb in der Türkei.
Der schmale Grat zwischen arrangierter und Zwangsehe
Ayse Aktuna, Obfrau der Frauenvereinigung ‚Miteinander Lernen – birlikte Ögrenelim‘
„Viele junge Frauen und Männer werden überredet, eine
Ehe zu schließen. Wenn der Druck so stark ist, dass man
sich nicht klar und deutlich weigern kann, dann ist das auch
eine Art von Zwangsehe“, sagt Mag. Ayse Aktuna, Obfrau
der Wiener Frauenvereinigung ‚Miteinander Lernen – birlikte
Ögrenelim‘ . Außerdem, so Aktuna, seien Männer genauso
davon betroffen wie Frauen. Männer aber hätten im Gegensatz
zu Frauen keine großen Schwierigkeiten, ihre Freiheiten
GUT ZU WISSEN:
Arrangierte Ehe vs. Zwangsheirat
Arrangierte Ehe ist eine von den Eltern
bzw. den Verwandten initiierte Heirat,
in welcher der Ehepartner als Mitglied
einer bestimmten strategisch wertvollen
Verwandtschaftsgruppe oder sozialen
Schicht ausgewählt wird. Beide Eheleute
müssen der Ehe zustimmen. Bei
fehlender Zustimmung einer oder beider
Seiten spricht man von einer Zwangsheirat.
„WIR HATTEN JA KEIN INTERNET“
Ein ganzes Jahr über schrieben meine Eltern sich Briefe und
lernten sich so besser kennen. „Es hat zwischen uns von
Anfang an gefunkt“, erinnert sich mein Vater. „Diese Kennenlernphase
aber war sehr wichtig. Auch wenn man sich das
heute nur schwer vorstellen kann, aber so lernten wir uns nach
und nach kennen und irgendwann auch lieben.“
Dennoch meint mein Vater, dass es keine Liebe auf den
ersten Blick war. Diese entwickelte sich erst mit der Zeit. Nach
einem Jahr Briefkontakt fand dann die Hochzeit statt, wieder in
den Sommerferien, wieder in der Türkei. Nach der Hochzeit zog
meine Mama zu meinem Vater und seinen Eltern, also ihren
Schwiegereltern, nach Wien – in eine Wohnung im zweiten
Bezirk. Mein Vater hat zu der Zeit eine Lehre als Automechaniker
gemacht, sie war vorerst Hausfrau. Als meine ältere
Schwester geboren wurde, zogen meine
Eltern, damals 20 und 22 Jahre alt, in
eine eigene Wohnung. Dort führten sie
ein ganz normales Familienleben – und
lernten sich nach und nach lieben, wie
mein Vater nochmals betont.
So blieben sie 28 Jahre verheiratet,
bekamen drei Kinder und kamen gut miteinander
aus – bis sie sich irgendwann
einfach auseinanderlebten und trennten.
Ich selbst hatte nie den Eindruck,
dass die Tatsache, dass meine Eltern
arrangiert verheiratet wurden, negative
Auswirkungen auf meine Kindheit hatte.
Ich hatte das Glück, in einer liebevollen
und glücklichen Familie aufzuwachsen. Zudem waren arrangierte
Ehen in der türkischen Community einfach lange Zeit
gängig. Bloß die Reaktionen meiner österreichischen Klassenkameraden
auf die Ehe meiner Eltern zeigten mir, dass es
etwas Unübliches war. Fragen wie „Wurden sie gezwungen?“
und dann das gleich darauf folgende „Trägt deine Mutter
Kopftuch?“ habe ich mit einem Augenverdrehen beantwortet.
Meine Eltern haben sich nie in das Liebesleben ihrer Kinder
eingemischt – uns wird bei der Partnerwahl nicht reingeredet.
„Ich würde das bei meinen Kindern nie machen, außerdem
wäre das ja auch gar nicht mehr zeitgemäß. Ich vertraue schon
darauf, dass meine Kinder selbst die Entscheidung treffen können,
wen sie in Zukunft einmal heiraten wollen.“ ●
auszuleben. Da sie nicht unter strenger Kontrolle wie die
weiblichen Familienmitglieder stehen, hätten viele von ihnen
auch Beziehungen mit Frauen außerhalb der Community.
Wenn diese „verbotenen“ Beziehungen dann ans Licht kommen,
schreitet laut Aktuna oft die Familie ein: Sie fordert eine
sofortige Trennung des Paares und arrangiert eine Ehe für
den Sohn oder die Tochter. Allein an den Verein haben sich
letztes Jahr 49 Betroffene gewandt.
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