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Biber Newcomer Dezember 2019

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KOLUMNE

Bedienungsanleitung für Integration

Kann ich ohne Angst ich selbst sein?

Robert Herbe

„Ich bin wirklich kein Rassist, aber so kann

es nicht weitergehen. Die Ressourcen in

unserem Land sind beschränkt und wir

können sie nicht altruistisch mit der ganzen

Welt teilen“, sagt mir mein Sitznachbar bei der

Weihnachtsfeier. „Ja, aber ich lebe auch hier. Ist

das ein Problem für dich?“, frage ich ihn, teils

ironisch, teils frustriert.

„Nein, überhaupt nicht. Du hast dich gut

integriert und bist mittlerweile einer von uns“,

antwortet er und klopft mir dabei auf die

Schulter. „Ich habe ein Problem mit denen, die

hierherkommen, sich gar nicht anpassen und

deren Frauen demonstrativ das Kopftuch auf der

Straße tragen“, fügt er dem Gesagten hinzu.

Das Kompliment, sehr gut integriert zu sein,

bekomme ich häufig zu hören. Selten in solch polemischen

Diskussionen, öfter von Menschen, die es gut mit mir

meinen. Ich freue mich sehr darüber, dass mir so viele

Menschen immer wieder das Gefühl geben, dazuzugehören

und willkommen zu sein. Diese Zuvorkommenheit vieler

Menschen macht Österreich langsam zu meiner neuen

Heimat. Oft aber, in Minuten der Stille, rätsle ich, was mich

„gut integriert“ macht.

Ist es, weil ich gut deutsch spreche? Oder weil ich

arbeite und keine Sozialleistungen beziehe? Oder weil ich

die Unterdrückung der Frau und patriarchalische Strukturen

ablehne? Oder aber, weil ich nicht streng religiös bin

und keinen moralischen Verstoß im Sex vor der Ehe sehe?

Vielleicht sind es aber auch ganz andere Faktoren oder

eine Kombination aller erwähnten zusammen? Ich denke

an Freunde, die hier geboren und aufgewachsen sind und

somit die vermeintliche Voraussetzung für gelungene Integration

bei Weitem besser erfüllen als ich. Aber sie werden

dennoch als Fremde gesehen, weil ihre Eltern im Ausland

geboren sind. Das verwirrt mich.

Natürlich ist das Thema viel komplexer als das Erfüllen

turjman@dasbiber.at

Jad Turjman

ist Poetry-Slammer,

Buch-Autor und

Flüchtling aus

Syrien. In seiner

Kolumne schreibt

er über sein Leben

in Österreich.

einiger Kategorien. Es gibt auch zahlreiche

wissenschaftliche Begriffserklärung für

Integration. Diese spiegeln aber mich und

mein Leben kaum wider und drücken meine

Emotionen nicht aus.

Die wesentliche Frage für mich ist: Kann ich

ohne Angst ganz ich selbst sein, mit allem, was

ich mitbringe, und trotzdem gut integriert sein?

Es ist ein Vorwurf wo und wie ich sozialisiert

wurde?

Der Wertekurs am Anfang meiner Zeit hier

war gut, konnte mir aber keine Antworten auf

meine wichtigen Fragen geben. Ich wollte wissen,

wann ich meine Familie wiedersehen kann

und was hilft, meine Albträume über Krieg und

Verfolgung loszuwerden.

HABE ICH ALS FLÜCHTLING ANSPRUCH AUF

LIEBE?

Ich wollte aber auch lernen, wie ich in einer fremden Sprache,

Kultur und mit unbekannten Sozialcodes wieder lieben

kann. Ob ich als Flüchtling überhaupt Anspruch auf Liebe

habe. Ob ich einer Frau, die immer schon in einem friedlichen

Land gelebt hat, mein Schicksal zumuten kann...

Tatsache ist, es ist immer noch schwer für mich, meinen

Charakter auf Deutsch so zu verkörpern, wie ich es

auf Arabisch tue.

Wenn mir bei meinen Auftritten gesagt wird, ich sei

„gut integriert“, bitte ich höflich darum, das Wort Integration

mit Zusammenleben zu tauschen. Denn „Zusammenleben“

passt besser. In meinem Verständnis geht es darum,

dass wir miteinander und zusammen leben, dass wir eine

Bereicherung füreinander sind und dass jeder einen Beitrag

für dieses Land und eine friedliche Welt leistet. Dass

wir unsere Individualität und Vielfalt als Chance und Stärke

sehen und niemanden in seiner Freiheit beschränken oder

niemandem Schaden zufügen.

/ MIT SCHARF / 87

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