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KOLUMNE
Bedienungsanleitung für Integration
Kann ich ohne Angst ich selbst sein?
Robert Herbe
„Ich bin wirklich kein Rassist, aber so kann
es nicht weitergehen. Die Ressourcen in
unserem Land sind beschränkt und wir
können sie nicht altruistisch mit der ganzen
Welt teilen“, sagt mir mein Sitznachbar bei der
Weihnachtsfeier. „Ja, aber ich lebe auch hier. Ist
das ein Problem für dich?“, frage ich ihn, teils
ironisch, teils frustriert.
„Nein, überhaupt nicht. Du hast dich gut
integriert und bist mittlerweile einer von uns“,
antwortet er und klopft mir dabei auf die
Schulter. „Ich habe ein Problem mit denen, die
hierherkommen, sich gar nicht anpassen und
deren Frauen demonstrativ das Kopftuch auf der
Straße tragen“, fügt er dem Gesagten hinzu.
Das Kompliment, sehr gut integriert zu sein,
bekomme ich häufig zu hören. Selten in solch polemischen
Diskussionen, öfter von Menschen, die es gut mit mir
meinen. Ich freue mich sehr darüber, dass mir so viele
Menschen immer wieder das Gefühl geben, dazuzugehören
und willkommen zu sein. Diese Zuvorkommenheit vieler
Menschen macht Österreich langsam zu meiner neuen
Heimat. Oft aber, in Minuten der Stille, rätsle ich, was mich
„gut integriert“ macht.
Ist es, weil ich gut deutsch spreche? Oder weil ich
arbeite und keine Sozialleistungen beziehe? Oder weil ich
die Unterdrückung der Frau und patriarchalische Strukturen
ablehne? Oder aber, weil ich nicht streng religiös bin
und keinen moralischen Verstoß im Sex vor der Ehe sehe?
Vielleicht sind es aber auch ganz andere Faktoren oder
eine Kombination aller erwähnten zusammen? Ich denke
an Freunde, die hier geboren und aufgewachsen sind und
somit die vermeintliche Voraussetzung für gelungene Integration
bei Weitem besser erfüllen als ich. Aber sie werden
dennoch als Fremde gesehen, weil ihre Eltern im Ausland
geboren sind. Das verwirrt mich.
Natürlich ist das Thema viel komplexer als das Erfüllen
turjman@dasbiber.at
Jad Turjman
ist Poetry-Slammer,
Buch-Autor und
Flüchtling aus
Syrien. In seiner
Kolumne schreibt
er über sein Leben
in Österreich.
einiger Kategorien. Es gibt auch zahlreiche
wissenschaftliche Begriffserklärung für
Integration. Diese spiegeln aber mich und
mein Leben kaum wider und drücken meine
Emotionen nicht aus.
Die wesentliche Frage für mich ist: Kann ich
ohne Angst ganz ich selbst sein, mit allem, was
ich mitbringe, und trotzdem gut integriert sein?
Es ist ein Vorwurf wo und wie ich sozialisiert
wurde?
Der Wertekurs am Anfang meiner Zeit hier
war gut, konnte mir aber keine Antworten auf
meine wichtigen Fragen geben. Ich wollte wissen,
wann ich meine Familie wiedersehen kann
und was hilft, meine Albträume über Krieg und
Verfolgung loszuwerden.
HABE ICH ALS FLÜCHTLING ANSPRUCH AUF
LIEBE?
Ich wollte aber auch lernen, wie ich in einer fremden Sprache,
Kultur und mit unbekannten Sozialcodes wieder lieben
kann. Ob ich als Flüchtling überhaupt Anspruch auf Liebe
habe. Ob ich einer Frau, die immer schon in einem friedlichen
Land gelebt hat, mein Schicksal zumuten kann...
Tatsache ist, es ist immer noch schwer für mich, meinen
Charakter auf Deutsch so zu verkörpern, wie ich es
auf Arabisch tue.
Wenn mir bei meinen Auftritten gesagt wird, ich sei
„gut integriert“, bitte ich höflich darum, das Wort Integration
mit Zusammenleben zu tauschen. Denn „Zusammenleben“
passt besser. In meinem Verständnis geht es darum,
dass wir miteinander und zusammen leben, dass wir eine
Bereicherung füreinander sind und dass jeder einen Beitrag
für dieses Land und eine friedliche Welt leistet. Dass
wir unsere Individualität und Vielfalt als Chance und Stärke
sehen und niemanden in seiner Freiheit beschränken oder
niemandem Schaden zufügen.
/ MIT SCHARF / 87