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Biber Newcomer Dezember 2019

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HOCH

SENSIBEL

Ist Hochsensibilität ein Instagram-Trend, ein ernsthaftes

neurologisches Phänomen oder einfach nur

Ausrede für irrationales Verhalten? Drei junge Frauen

erzählen darüber, wie es sich anfühlt, mehr zu fühlen.

Von Jelena Colic, Fotos: Maximilian Salzer

Hochsensible fühlen mehr

als andere Menschen.

Superkraft oder Bürde?

Als ich vor der Venus von Botticelli in Florenz

gestanden bin, habe ich geweint, weil das

Gemälde so schön ist“, erzählt mir Sophie. Beim

Musik-Eignungstest für die Pädagogische Hochschule

hatte die 25-jährige Pädagogin und Fotografin ein

Blackout beim Klaviervorspielen, obwohl sie gut vorbereitet

war. Eine dort anwesende Professorin hat ihr vorgeschlagen,

sich in Hochsensibilität einzulesen – und Sophie fand endlich

eine Erklärung für ihre „Besonderheit.“ Auf ihrem Instagram

Account „ssein“ spricht sie offen darüber und will ihren über

Followern Mut machen, Hochsensibilität als Superkraft anzusehen.

Sophies Instagram-Feed besteht nicht nur aus ästhetischen

Bildern, sie geht in ihren Captions und Stories auch

offen damit um, wenn es ihr nicht gut geht. Es geht nicht

darum, die heile Instagramwelt aufrechtzuerhalten. Sondern

darum, offen zu der Verletzlichkeit zu stehen und es in einer

Art digitalem Tagebuch festzuhalten. So erzählt sie auf dem

Kanal offen darüber, dass sie als Lehrerin der Gedanke vor

dem bevorstehenden Elternabend in Panik versetzt, oder

welche Alltagssituationen sie überfordern.

Gleichzeitig teilt sie mit ihren Followern auch

fröhliche Tanz-Videos, wenn ihre Laune ein

Hoch erlebt.

Bloggerin, Autorin und Aktivistin dariadaria

tut es ihr gleich. In zahlreichen Instagramstories

erzählt sie vom Leben als Hochsensible.

Dariadaria spricht darüber, wie schwierig es

ist, als HSP (hochsensible Person) gleichzeitig

politisch engagiert und Aktivistin zu sein.

Sie ist oft mit Situationen konfrontiert, die

Unbehagen in ihr auslösen, wie vor einem

großen Publikum sprechen oder mit Menschen

zu interagieren, die weniger empathisch

sind als sie selbst. In ihren Stories erklärt sie

aber auch wissenschaftlich Hochsensibilität

und erklärt, dass erhöhte Stresshormonwerte

üblich bei HSP sind und HSP öfter an Migräne

US Forscherin und Psychologin

Elaine Aron ist Pionierin

auf dem Gebiet der

Erforschung von Hochsensibilität.

1995 erforscht sie

die „sensory processing

sensitivity“ und prägt mit

ihrem Buch „The Highly

Sensitive Person (HSP) –

How to Thrive When the

World Overwhelms you“

maßgeblich das Verständnis

von Hochsensibilität.

Aron geht davon aus, dass

15-20% der Bevölkerung

hochsensibel sind.

oder chronischer Müdigkeit leiden, als nicht hochsensible

Personen. Mit ihren informativen Stories leistet sie Aufklärungsarbeit

und möchte den Begriff Hochsensibilität entstigmatisieren.

Tatsächlich: Immer mehr Instagrammer „outen“ sich als

Hochsensibel – psychische Gesundheit wird in den letzten

Jahren zunehmend wichtiger. Psychische Erkrankungen werden

in den Alltag integriert und weniger als Krankheit oder

Abnormalität betrachtet als noch vor einer Dekade. Aber wo

ist die Grenze zwischen #selflove, #selfcare und einer ernsthaften

neurologischen Diagnose?

SUPERKRAFT ODER BÜRDE?

„Hochsensibilität ist keine Krankheit, sondern ein Wesensmerkmal.

Deshalb braucht es keine Diagnose. Hochsensible

können durch Selbstfürsorge und Selbstführung lernen,

mit der hohen Sensibilität umzugehen“, erklärt Iris Lasta,

psychologische Beraterin und Coach. In ihrer Praxis erklärt

Lasta Hochsensiblen in geschütztem Rahmen, dass sie in

Ordnung sind, so wie sie sind und stärkt

somit ihr Selbstbewusstsein. Leugner der

Hochsensibilität glauben immer noch, dass

Hochsensibilität nur ein übersteigertes Maß

an Emotionalität bedeutet und keine Berechtigung

hat. Mehrere Studien von der amerikanischen

Psychologin und Pionierin auf dem

Gebiet der Hochsensibilität Elaine Aron durch

funktionale MRT beweisen aber, dass jene

Areale im Gehirn, die für Empathie, Wahrnehmungsfähigkeit

und Handlungsplanung

verantwortlich sind, bei Hochsensiblen eine

höhere Aktivität anzeigen, als bei nicht Hochsensiblen.

Was laut dieser Erklärung eigentlich

Hochsensible zu „fähigeren“ Menschen

machen sollte, als Nicht-Hochsensible. Aber

von außen wird es oft anders betrachtet.

Wie negativ konnotiert das Wort sensi-

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/ RAMBAZAMBA / 45

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