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Civilité, incivilités - Revue des sciences sociales

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Zusammenfassungen<br />

den Artikeln<br />

Zusammenfassungen<br />

178 <strong>Revue</strong> <strong>des</strong> Sciences Sociales, 2002, n° 29, civilité, <strong>incivilités</strong><br />

<strong>Revue</strong> <strong>des</strong> Sciences Sociales Nr. 29, 2002<br />

"Zivilisiertheit, Unzivilisiertheit"<br />

ALAIN BIHR<br />

Die soziale Genese<br />

<strong>des</strong> Subjektes<br />

Fetischisierte Formen<br />

<strong>des</strong> Individualismus<br />

in der modernen Sozialität<br />

Der Artikel möchte zeigen, daß im<br />

Rahmen der sozialen Beziehungen im<br />

Kapitalismus das Subjekt die fetischisierte<br />

Form der Individualität ist. Genauer<br />

gesagt, es ist die Resultante aller Fetischismen,<br />

aus denen sich die kapitalistische<br />

Sozialität zusammensetzt. Die<br />

sukzessive Untersuchung dieser Fetischismen<br />

bildet eine Art soziale Genealogie<br />

der Subjektform. Gleichzeitig zeigt<br />

diese Untersuchung die vielfachen<br />

Widersprüche auf, die diese Form durchdringen,<br />

unter anderem der zentrale<br />

Widerspruch zwischen Autonomie und<br />

Heteronomie. Über die Subjektform<br />

hinaus erscheint die Individualität letztendlich<br />

wie ein nicht reduzierbares Überbleibsel<br />

aus dem Prozeß der Verdinglichung,<br />

von dem aus die Subversion dieses<br />

Prozesses denkbar ist.<br />

ANNY BLOCH<br />

Fassaden <strong>des</strong> Ungehorsams<br />

Graffiti und Wandfresken<br />

Graffiti sind zunächst einfache Kritzeleien,<br />

Aufschriften und Signaturen an<br />

Wänden, die aber auch komplexere Formen<br />

der Schriftgraphik annehmen können.<br />

Sie stoßen in den Augen der Öffentlichkeit<br />

auf Unverständnis und scheinen<br />

ohne sichtbare Ordnung auf die Wände<br />

der Stadt geschmiert zu sein. Diese<br />

„Schmierereien“ werden als Vandalismus,<br />

als Zeichen der „Unzivilisiertheit“ angesehen<br />

und werden sehr oft mit sozialer<br />

Unordnung in Verbindung gebracht, oft<br />

sogar mit dem Zerfallsprozeß, dem die<br />

Städte unterliegen sollen. Paradox ist, daß<br />

gegenüber der kodierten Zivilisiertheit<br />

der wenig einfallsreichen Gestaltung der<br />

öffentlichen Räume neue Auffassungsarten<br />

auftauchen, die die Zivilisiertheit<br />

gewaltsam herausfordern. Nach dieser<br />

neuen Auffassungsart wäre zivilisiert der,<br />

der die verschiedenen Initiationsriten durchläuft<br />

und es schafft, seine Spur in der<br />

Stadt zu hinterlassen, an die Palisaden, die<br />

öffentlichen und privaten Wände zu<br />

malen, ohne erwischt zu werden.<br />

Sollten Graffiti nicht als markante<br />

Zeichen der Andersartigkeit, <strong>des</strong> Sich-<br />

Unterscheiden-Wollens gesehen werden,<br />

die sicherlich ausdrücken, daß sich die<br />

sozialen Beziehungen verschlechtern und<br />

daß klare politische Leitlinien nicht mehr<br />

vorhanden sind, aber auch dem Wunsch<br />

entsprechen, sich ein Territorium anzueignen,<br />

seiner Auflehnung und Identität<br />

kund zu tun, das graue Einerlei der Städte<br />

aufzumöbeln und sich neuen Zeiten<br />

zuzuwenden.<br />

PHILLIPPE BRETON<br />

Gewalt, verbale<br />

Kommunikation<br />

und Zivilisationsprozeß<br />

Dieser Artikel hat das Ziel, einige der<br />

möglichen Beziehungen zwischen Gewalt<br />

und bestimmten Phänomenen verbaler<br />

Kommunikation klarzustellen. Der Artikel<br />

geht von der Annahme aus, daß die verbale<br />

Kommunikation und ihre soziale<br />

Bedeutung, die sich aus der Tatsache<br />

ergibt, daß sie im Zentrum menschlicher<br />

Beziehungen steht, unter bestimmten<br />

Bedingungen eine Alternative zur körperlichen<br />

Gewalt ist, nämlich dort, wo<br />

diese nicht erwünscht ist. Wenn auch das<br />

Begriffspaar „zivilisiert/ unzivilisiert“,<br />

um das es hier geht, nicht in allen Aspekten<br />

dem Begriffspaar „Gewalt/ verbale<br />

Kommunikation“ gleichzusetzen ist (denn<br />

es gibt viele andere Formen der Gewalt als<br />

die, die sich aus dem „Unzivilisiertsein“<br />

ergeben, und es gibt viele andere Formen<br />

<strong>des</strong> Zivilisiertseins als die verbale Kommunikation),<br />

ist es doch möglich, eine<br />

Parallele zwischen diesen beiden Arten<br />

der Realität zu ziehen.<br />

Gewalt und verbale Kommunikation<br />

sind einer der Angelpunkte <strong>des</strong> von Norbert<br />

Elias beschriebenen „Zivilisationsprozesses“.<br />

Die effektive Intensivierung<br />

dieses Prozesses, insbesondere in der<br />

heutigen Zeit, wird jedoch durch die<br />

ständige Konfrontation mit Gewaltphänomenen<br />

wieder eingeholt, die sich<br />

immer mehr in unser tägliches Leben einschleichen.<br />

Zwei Arten alltäglicher<br />

Gewalt werden hier analysiert, einerseits<br />

die „Angst vor den Anderen“, ein neuer<br />

und dominanter Zug moderner Gesellschaften,<br />

und andererseits die zerstörerische<br />

Gewalt gegenüber Institutionen,<br />

Gütern und Personen, die oft krimineller<br />

Natur ist. Diese beiden Formen der<br />

Gewalt werden hier in ihren Beziehungen<br />

zum Zivilisationsprozeß analysiert.<br />

MARIE-CLAIRE CALOZ-TSCHOPP<br />

Über Zivilisiertheit,<br />

Sicherheit und Ungleichheit<br />

Der Artikel will ein neues Verständnis<br />

für die Frage der Zivilisiertheit wecken,<br />

die er denen entgegensetzt, die sich auf<br />

die Prinzipien Sicherheit, Toleranz und<br />

Gleichheit berufen. Die Debatte über die<br />

Sicherheitspolitik im Rahmen <strong>des</strong> Schengener<br />

Abkommens wie auch über die<br />

Stellung, die in der Politik Menschen<br />

ohne Aufenthaltsgenehmigung („les sanspapiers“)<br />

eingeräumt wird, dient hier als<br />

Laboratorium dafür, die logischen<br />

Widersprüche dieser Debatte aufzuzeigen.<br />

Die „Toleranz“, die als eines der Kennzeichen<br />

„zivilisierten Verhaltens“ gilt,<br />

schafft in Wirklichkeit eine ungleiche<br />

Beziehung zwischen dem, der toleriert<br />

und dem, der toleriert wird. Im Namen der<br />

„Sicherheit“, die sich auf einen Unterbau<br />

unbewußter Ängste stützt, bedient sich die<br />

politische Debatte dem Prinzip der „Toleranz“,<br />

um de Fakto die „Zivilisiertheit“<br />

aus der Politik zu verbannen und diese in<br />

einen Raum einzugrenzen, in dem sich die<br />

Hinwendung zu den Rechts- und Staatenlosen<br />

nur auf Polizeigewalt oder auf<br />

humanitäre Aktionen begrenzt.<br />

ALAIN ERCKER<br />

Das Böse wird<br />

gesellschaftsfähig, oder wie die<br />

Jugendlichen der „Banlieue“*<br />

zur Zivilisation kamen<br />

Das unzivilisierte Verhalten von<br />

Jugendlichen ist alltäglich geworden,<br />

macht zu Anfang eines jeden Schuljahres<br />

Schlagzeilen in den Zeitungen,<br />

nimmt Zeit und Kraft der Erzieher in<br />

Anspruch und wird zum Sinnbild einer<br />

„bestimmten Jugend“.<br />

Es wäre jedoch verfrüht und unsachlich,<br />

diese Bevölkerungsgruppen, die<br />

sowieso schon in hohem Maße stigmatisiert<br />

sind, einfach mit einem Bann belegen<br />

zu wollen. Bei dem Versuch, über diese<br />

vordergründige Ebene hinaus zu denken,<br />

Vorurteile und Klischees hinter sich zu lassen,<br />

die willkürliche Vermischung der<br />

Begriffe „Banlieue“, Gewalt und Ausländer<br />

zu lösen, erscheint dem Betrachter eine<br />

äußerst komplexe Realität, die der dominanten,<br />

etablierten Gesellschaft eine spezifische<br />

„Zivilisiertheit“ entgegensetzt,<br />

ein subtiles feinmaschiges Gewebe der<br />

Soziabilität, eine eigene Lebensweise mit<br />

eigenem Kodex in Sachen Kleidung,<br />

Sprache und Ehre.<br />

Aufgrund <strong>des</strong> Verhaltens dieser<br />

Jugendlichen stellt sich, allgemein ausgedrückt,<br />

für die Gastgesellschaft die<br />

Frage nach einer andersartigen Kultur, die<br />

nicht die gleiche Geschichte hat wie sie,<br />

wie auch die Frage der Entstehung einer<br />

sozio-kulturellen Zweiggesellschaft innerhalb<br />

der Gesellschaft – der unsrigen, die<br />

aber auch die ihre ist – die sich mit der<br />

vorgelebten Psyche nicht identifizieren<br />

kann oder will und diese nicht annehmen<br />

kann oder will.<br />

*Vorstadtviertel von Großstädten in<br />

Frankreich<br />

ESTELLE FERRARESE<br />

Öffentlichkeit und Zivilisiertheit<br />

Ursprung einer normativen<br />

Beziehung<br />

Die Angliederung <strong>des</strong> Prinzips der<br />

Zivilisiertheit an das der Öffentlichkeit<br />

ist normativer Natur: die Zivilisiertheit<br />

ist nicht nur Bedingung, sondern auch<br />

Prinzip in ihrer Beziehung zur Öffentlichkeit.<br />

Es handelt sich um das von<br />

dem öffentlichen Bereich der Aufklärung<br />

getragene Modell, entstanden<br />

einerseits aus der gesellschaftlichen<br />

Meinung, die auf einer Soziabilität mit<br />

Polizeiüberwachung beruht, und andererseits<br />

der Diskussion der Gelehrten<br />

und Intellektuellen (République <strong>des</strong><br />

Lettres), die gemeinsam auf der Suche<br />

nach der Wahrheit sind. Die Zivilisiertheit<br />

offenbart sich hier als etwas, das<br />

ein Versprechen in sich trägt, als ob sie<br />

am Fortschritt beteiligt wäre. Und dieser<br />

Hintergrund spielt, wenn er auch<br />

selten angenommen wird, in den heuti-<br />

Zusammenfassungen den Artikeln<br />

gen normativen Theorien der Öffentlichkeit<br />

ständig mit, wo die Zivilisiertheit<br />

Bedingung <strong>des</strong> angemessenen Funktionierens<br />

der Öffentlichkeit ist, und gleichzeitig<br />

ein Zusammengehörigkeitsmodell<br />

mit sich trägt, das durch Distanz<br />

und falschen Gebrauch gekennzeichnet<br />

ist.<br />

CHRISTINE FONTANINI<br />

Mädchen und Jungen<br />

an den Elitehochschulen<br />

(école d'ingénieurs)<br />

Schulisch-sozialer Werdegang<br />

der Studierenden<br />

an der Hochschule für<br />

Telekommunikation INT<br />

Diese Untersuchung wurde bei angehenden<br />

Ingenieuren der Hochschule für<br />

Telekommunikation durchgeführt. Ziel<br />

der Untersuchung ist, einen Vergleich<br />

zwischen weiblichen und männlichen<br />

Studierenden durchzuführen erstens hinsichtlich<br />

der Faktoren, die zur Entscheidung<br />

zu dieser technischen Ausbildung<br />

geführt haben und zweitens zu den Gründen<br />

für die Entscheidung zu gerade dieser<br />

Technischen Hochschule.<br />

Die Ergebnisse der Studie zeigen, daß<br />

weibliche Anwärter immer noch bessere<br />

schulische und soziale Leistungen vorweisen<br />

müssen als ihre männlichen<br />

Kommilitonen. Im Gegensatz dazu unterscheiden<br />

sich die Entscheidungsgründe<br />

weiblichen für diese technische Ausbildung<br />

an der INT jedoch nicht von denen<br />

der männlichen Studenten.<br />

PASCAL HINTERMEYER<br />

Gewalt unter Jugendlichen<br />

Jüngere Untersuchungen unter<br />

Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren<br />

zeigen die unterschiedlichen Gewaltformen<br />

auf, denen sie im täglichen Leben<br />

begegnen: Gewalt gegen die anderen und<br />

gegen Eigentum, Gewalt innerhalb der<br />

Gruppe der Gleichaltrigen und Gewalt<br />

gegen sich selbst. Diese Untersuchungen<br />

lassen Schlüsse auf die Bedeutung zu,<br />

die sie dem Gebrauch dieser Gewalt beimessen.<br />

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