Behörden MAGAZIN - Gemischter Chor der Polizei Berlin e. V.
Behörden MAGAZIN - Gemischter Chor der Polizei Berlin e. V.
Behörden MAGAZIN - Gemischter Chor der Polizei Berlin e. V.
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Mögliche Gefährdung<br />
des Bahngüterverkehrs<br />
durch Lang-Lkw<br />
Presseinformation 10.11.2011<br />
Konkurrenz zur Schiene: Ab Januar 2012<br />
läuft in mehreren Bundeslän<strong>der</strong>n ein fünfjähriger<br />
Feldversuch für Lkw mit bis zu<br />
25,25 Metern Länge und 44 Tonnen Gewicht<br />
an. Da diese sogenannten Gigaliner<br />
deutlich wirtschaftlicher als herkömmliche<br />
Lkw sind, gefährden sie zentrale Märkte des<br />
Bahngüterverkehrs. Das Fraunhofer-Institut<br />
für System- und Innovationsforschung ISI<br />
und die K+P Transport Consultants haben<br />
im Auftrag <strong>der</strong> Gemeinschaft Europäischer<br />
Bahnen und Infrastrukturgesellschaften<br />
(CER) ermittelt, wie sich <strong>der</strong> Wettbewerb<br />
zwischen Straße und Schiene entwickeln<br />
könnte.<br />
Die Wissenschaftler des Fraunhofer ISI haben<br />
fünf europäische Güterverkehrskorridore mit<br />
einer Gesamtlänge von 5.000 Kilometern untersucht:<br />
Hamburg – Prag, Paris – Barcelona,<br />
Rotterdam – Ruhrgebiet, Ruhrgebiet – Norditalien<br />
und München – Budapest. Ihre Bilanz:<br />
„In dem Maße, in dem die Wirtschaftlichkeit<br />
im Straßengüterverkehr steigt, verschärft sich<br />
<strong>der</strong> Wettbewerb zwischen Schiene und<br />
Straße“, sagt Dr. Claus Doll, Studienleiter am<br />
Fraunhofer ISI. „Im Einzelwagenverkehr und<br />
im kombinierten Verkehr Straße-Schiene besteht<br />
eine beson<strong>der</strong>s sensible Konkurrenzsituation.“<br />
Neben den direkten Verlagerungen<br />
könne es zudem zu einer nachgelagerten Abwärtsspirale<br />
kommen: Dabei zieht eine sinkende<br />
Nachfrage nach Bahngüterverkehr<br />
eine Ausdünnung des Angebots o<strong>der</strong> steigende<br />
Preise nach sich, so dass noch mehr<br />
Gütertransport auf die Straße verlagert wird.<br />
Im Rahmen <strong>der</strong> Studie zeigten sich deutlich<br />
größere Auswirkungen für den Einzelwagenladungsverkehr<br />
als für den kombinierten Verkehr:<br />
Insbeson<strong>der</strong>e die Intensität <strong>der</strong><br />
Abwärtsspirale könnte zu teilweisem o<strong>der</strong><br />
sogar vollständigem Marktversagen in bestimmten<br />
Regionen o<strong>der</strong> Län<strong>der</strong>n führen.<br />
„Die Einführung von Lang-Lkw würde die<br />
Diskussionen über die Zukunft des Einzelwagenverkehrs,<br />
die bereits jetzt in einigen eu-<br />
ropäischen Staaten im Gange sind, noch weiter<br />
zuspitzen“, so Doll. Das größte Verlagerungspotenzial<br />
ergibt sich für Lkw mit 44<br />
Tonnen Gewicht und 25,25 Metern Länge. Inklusive<br />
<strong>der</strong> Abwärtsspirale wurden für das<br />
Jahr 2020 Verlagerungen zwischen 22 und 38<br />
Prozent <strong>der</strong> Tonnenkilometer im Einzelwagenverkehr<br />
von <strong>der</strong> Bahn auf die Straße ermittelt.<br />
Aber auch die Zukunft des kombinierten Verkehrs<br />
wird zumindest teilweise von <strong>der</strong> Einführung<br />
<strong>der</strong> Lang-Lkw abhängig sein: Dieser<br />
wird Marktanteile verlieren, da ein Teil <strong>der</strong><br />
Container-Verladeterminals 25,25 Meter<br />
lange Lkw nicht aufnehmen kann und die<br />
Verladekosten bei steigen<strong>der</strong> Kosteneffizienz<br />
des Straßengüterverkehrs immer relevanter<br />
werden. „In Anbetracht <strong>der</strong> enormen Investitionsprogramme<br />
zur Etablierung des kombinierten<br />
Verkehrs in Europa muss dieser<br />
Effekt sorgfältig beobachtet werden“, betont<br />
Doll. Ebenfalls für die 44 Tonnen/25,25<br />
Meter-Lkw ergeben sich für alle fünf untersuchten<br />
Korridore für das Jahr 2020 Verlagerungen<br />
zwischen 10 und 14 Prozent <strong>der</strong><br />
Tonnenkilometer im kombinierten Verkehr.<br />
Diese Aufkommensrückgänge können zu Einnahmeverlusten<br />
von jährlich 484 Millionen<br />
Euro im kombinierten Verkehr und 504 Millionen<br />
Euro im Einzelwagenverkehr entlang<br />
aller fünf Korridore führen. Darüber hinaus<br />
werden die Eisenbahngesellschaften mit zusätzlichen<br />
Investitionskosten zur Erweiterung<br />
von Containerterminals rechnen müssen, um<br />
diese auch für längere Fahrzeuge auszustatten.<br />
Durch den kapitalintensiven Betrieb von<br />
Anlagen des kombinierten Verkehrs können<br />
diese Kosten nur schwer kompensiert werden.<br />
Neben <strong>der</strong> Konkurrenzsituation zur Schiene<br />
untersuchten die Forscher des Fraunhofer ISI<br />
auch die externen Kosten <strong>der</strong> „Gigaliner“:<br />
Bei optimaler Auslastung ersetzen zwei Lang-<br />
Lkw drei herkömmliche Lkw und reduzieren<br />
damit Transportkosten, Kraftstoffbedarf, CO?-<br />
Emissionen und Stau. Aber die Situation ist<br />
komplizierter, als es auf den ersten Blick<br />
Titelthema - Gigaliner<br />
scheint: Bezüglich <strong>der</strong> externen Umwelt-,<br />
Klima-, Sicherheits- und Lärmkosten je transportierter<br />
Ladungstonne sind sie etwa zehn<br />
Prozent effizienter als herkömmliche Lkw, jedoch<br />
immer noch vier- bis fünfmal teurer als<br />
Transporte per Bahn. Mit <strong>der</strong> Zulassung von<br />
Lang-Lkw mit 44 Tonnen Gewicht und 25,25<br />
Metern Länge entstehen mit den ermittelten<br />
Verlagerungen von <strong>der</strong> Schiene auf die<br />
Straße zusätzliche externe Kosten des Verkehrs<br />
von 110 Millionen Euro pro Jahr entlang<br />
<strong>der</strong> fünf Korridore. Zwar wird es im<br />
Straßengüterverkehr auch Effizienzgewinne<br />
geben, diese werden jedoch durch die Verlagerung<br />
von <strong>der</strong> Bahn zu großen Teilen neutralisiert<br />
werden. Die Europäische<br />
Kommission hat im Weißbuch 2011 angekündigt,<br />
die negativen externen Effekte des Verkehrs<br />
bis 2030 drastisch zu reduzieren – mit<br />
einer generellen Zulassung von Lang-Lkw<br />
wird dieses Ziel jedoch schwerer erreichbar<br />
sein. Deshalb, so die Forscher, sollte die Einführung<br />
überlanger Lkw kritisch hinterfragt<br />
werden.<br />
Die deutsche Kurzfassung <strong>der</strong> Studie kann<br />
unter www.isi.fraunhofer.de/iside/n/download/publikationen/Megatrucks_K<br />
urzfassung.pdf heruntergeladen werden. Die<br />
englische Langfassung steht<br />
unter www.cer.be zur Verfügung.<br />
Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung<br />
ISI analysiert die Rahmenbedingungen<br />
von Innovationen. Wir<br />
erforschen die kurz- und langfristigen Entwicklungen<br />
von Innovationsprozessen und<br />
die gesellschaftlichen Auswirkungen neuer<br />
Technologien und Dienstleistungen. Auf dieser<br />
Grundlage stellen wir unseren Auftraggebern<br />
aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft<br />
Handlungsempfehlungen und Perspektiven<br />
für wichtige Entscheidungen zur Verfügung.<br />
Unsere Expertise liegt in <strong>der</strong> breiten wissenschaftlichen<br />
Kompetenz sowie einem interdisziplinären<br />
und systemischen<br />
Forschungsansatz.<br />
DAS BEHÖRDEN<strong>MAGAZIN</strong> April/2012 13