Behörden MAGAZIN - Gemischter Chor der Polizei Berlin e. V.
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Sachsens Kummerkasten<br />
Der Petitionsausschuss<br />
im Landtag<br />
Einst fühlte sich Ingrid Biedenkopf,<br />
Frau des früheren sächsischen Regierungschefs<br />
Kurt Biedenkopf, für<br />
die Sorgen <strong>der</strong> Menschen im Freistaat<br />
zuständig. Dabei hat <strong>der</strong> Gesetzgeber<br />
eigens dafür einen<br />
Ausschuss im Parlament eingesetzt.<br />
Und <strong>der</strong> hat reichlich zu tun.<br />
Dresden (dpa/sn) - An die kürzeste Petition<br />
seiner Amtszeit kann sich <strong>der</strong> FDP-Politiker<br />
Tino Günther gut erinnern. Es war ein Hilfeschrei.<br />
Mit krakeliger Schrift hatte eine alte<br />
Frau aus einem Pflegeheim nur einen Satz<br />
geschrieben: «Ich will hier raus.» Der Petition<br />
konnte nicht mehr «abgeholfen» werden,<br />
wie es offiziell heißt. Als sich <strong>der</strong> von Günther<br />
geleitete Petitionsausschuss des sächsischen<br />
Landtages mit dem Fall befassen wollte, war<br />
die Frau schon gestorben. Solche Schicksale<br />
gehen Günther sichtlich nahe. «Das ist das<br />
Leben. Wir werden in unserer Arbeit mit dem<br />
prallen Leben konfrontiert. Und dabei kann<br />
man auch viele kleine Sachen bewegen.»<br />
Günther, von Beruf Holzspielzeugmacher,<br />
stammt aus dem Erzgebirge. Menschen aus<br />
dieser Region werden als bodenständig beschrieben.<br />
Die Arbeit im Petitionsausschuss<br />
war sein großer Wunsch. Seit 2009 leitet er<br />
den mit 28 Mitglie<strong>der</strong>n größten Parlaments-<br />
62 DAS BEHÖRDEN<strong>MAGAZIN</strong> April/2012<br />
ausschuss.Vielleicht ist es das<br />
Gremium, das sich<br />
am wenigsten mit<br />
eigentlicher Politik<br />
zu befassen hat.<br />
Dennoch scheint es<br />
für eine funktionierende<br />
Demokratie unerlässlich.<br />
Es geht bei Petitionen <strong>der</strong> Bürger<br />
nicht darum, mit einer Beschwerde Frust abzulassen.<br />
Vielmehr soll <strong>der</strong> Gesetzgeber<br />
staatliches Handeln überprüfen und bei Bedarf<br />
korrigieren. Seit 2008 könnten Petitionen<br />
auch online übermittelt werden.<br />
«Ich habe oft das Bauch- und Herzgefühl,<br />
dass Bürger von <strong>Behörden</strong> nicht anständig<br />
behandelt werden», sagt Günther. Aber nicht<br />
alles, was als Petition im Landtag ankomme,<br />
sei tatsächlich eine. «Privates wie Beschwerden<br />
über Nachbarn gehen uns nichts an»,<br />
sagt <strong>der</strong> 49 Jahre alte FDP-Politiker. Beim<br />
letzten Tag <strong>der</strong> offenen Tür im Landtag hatte<br />
er einen ganz speziellen Fall. Ein Zwölfjähriger<br />
beschwerte sich darüber, dass Mädchen<br />
und Jungen im Schulsport nach unterschiedlichen<br />
Leistungsparametern benotet werden.<br />
Außerdem verlangte er eine «Kin<strong>der</strong>fraktion»<br />
im Parlament. Günther fuhr später in<br />
die Schule des jungen Petenten und erteilte<br />
eine Lehrstunde im Petitionsrecht.<br />
«Petitionsrecht ist Je<strong>der</strong>mansrecht», sagt <strong>der</strong><br />
Liberale. Natürlich ließen sich kindliche Wünsche<br />
nach mehr Taschengeld<br />
nicht über<br />
das Parlament einklagen.<br />
Aber Günther ist<br />
froh, wenn sich viele<br />
Bürger an das Gremium<br />
wenden. In den<br />
vergangenen Jahren<br />
hat sich die Zahl <strong>der</strong><br />
Petitionen auf etwa<br />
1200 pro Jahr eingepegelt. 2010 trafen<br />
exakt 1219 Schreiben im zuständigen Referat<br />
des Landtages ein, 888 davon wurden<br />
als Petition eingestuft. «Im Zweifel für die Petition»,<br />
erläutert <strong>der</strong> Chef den Grundsatz. Der<br />
Ausschuss behandle Anschreiben großzügig,<br />
auch wenn mancher Text streng genommen<br />
keine Petition sei. In jedem Fall prüfen Juristen<br />
das Anliegen.<br />
Das kann bisweilen auch skurrile Züge annehmen.<br />
Wenn Anwohner eines Tierparkes<br />
sich über nächtliche Geräusche von Pfauen<br />
beschweren o<strong>der</strong> Häftlinge die Anstaltskost<br />
monieren: Oft wird <strong>der</strong> Ausschuss zum Kummerkasten<br />
auch für die kleinen Dinge des Lebens.<br />
Soziale Themen nehmen breiten Raum<br />
ein. Da geht es um Gebührenfreiheit für den<br />
öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Hartz-IV-Bescheide<br />
o<strong>der</strong> Kürzungen in <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- und<br />
Jugendhilfe. Häufig spielen Straßenbau, Verkehr,<br />
Lärm und Wegerecht eine Rolle. Viele<br />
Petitionen stammen aus den Gefängnissen.<br />
Günther vermutet, dass die viele Freizeit hinter<br />
Gittern die Lust und Fantasie am Verfassen<br />
von Petitionen beflügelt.<br />
Tatsächlich entsteht bei Schreiben aus Haftanstalten<br />
oft <strong>der</strong> Eindruck, als wären alle Insassen<br />
Justizopfer. Günther ärgert sich, wenn<br />
Angaben unwahr sind. «Dann fühle ich mich<br />
verarscht.» Aber auch das Gefühl, von <strong>Behörden</strong><br />
nicht ausreichend informiert zu werden,<br />
bringt ihn auf die Palme. «Dann hole ich die<br />
Folterinstrumente heraus.» Der Ausschuss<br />
könne nicht nur erweiterte Stellungnahmen<br />
und Akten anfor<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n auch Vor-Ort-