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Paraplegiker 2/2010

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menschen<br />

12<br />

Gülay Acar:<br />

Wenn sie redet, kann man sich ihr kaum<br />

entziehen. Ist es ihre Offenheit, ihre Direktheit,<br />

die Dinge beim Namen zu nennen?<br />

Ihre freundliche Art, anderen mit Respekt<br />

zu begegnen? Oder ist es die Kraft,<br />

die aus ihrer Stimme spricht, auch wenn<br />

diese mitunter durch die Spasmen, die ihren<br />

Körper schütteln, an Volumen verliert?<br />

PARAPLEGIKER 2/10<br />

„Die Behinderung<br />

gehört zu mir“<br />

D<br />

ie 38-Jährige türkische Psychologin<br />

Gülay Acar sitzt im Schneidersitz<br />

in ihrem Rollstuhl. Ihre Arme sind an den<br />

Armlehnen festgebunden, damit sie nicht<br />

unkontrolliert in irgendeine Richtung schießen.<br />

Anna, ihre Assistentin, reicht ihr den<br />

Milchkaffee, von dem sie ein paar Schlucke<br />

mit dem Strohhalm trinkt. Dann erzählt sie:<br />

von ihrer Kindheit in einer türkischen Familie<br />

mit traditionellen Wertvorstellungen, von ihrer<br />

schwierigen schulischen und beruflichen<br />

Entwicklung und von ihrem ständigen Kampf<br />

um Akzeptanz.<br />

Gülay wird mit einer Infantilen Cerebralparese<br />

in der Türkei geboren. Mit sechs Monaten<br />

holt der Vater, der Gastarbeiter in Deutschland<br />

ist, die Familie – seine Frau, seine zwei<br />

Töchter und seinen Sohn – nach Essen. Hier<br />

wird Gülay in der Hoffnung auf Heilung von<br />

einem Wunderheiler zum anderen gebracht.<br />

Doch Heilung gibt es nicht. „Der Gedanke der<br />

Schuld wurde zu Hause immer wieder thematisiert.<br />

Meine Eltern waren davon überzeugt,<br />

dass Behinderung etwas Schlechtes, eine Art<br />

göttliche Bestrafung sei. Als Kind habe ich mit<br />

dieser Sichtweise gehadert und es hat meine<br />

Entwicklung gebremst“, erklärt Gülay, warum<br />

es so schwierig war, ein eigenes Selbstbewusstsein<br />

aufzubauen. Am meisten habe es<br />

sie verletzt, dass die Heiler behauptet hätten,<br />

dass sie auch nichts ausrichten könnten,<br />

wenn das Kind nicht an Heilung glaube. Als<br />

sie in die Pubertät kommt, rät sie ihren Eltern:<br />

„Spart euch das Geld.“<br />

Das Mädchen wird bis zur 10. Klasse als lernbehindert<br />

eingestuft und besucht die Sonderschule<br />

in Essen. Hier lernt sie vor allem<br />

zusammen mit geistig- und lernbehinderten<br />

Kindern, erhält keine spezielle Förderung<br />

– weder in Mathematik, Deutsch noch Englisch.<br />

Sie macht zunächst den qualifizierten

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