Paraplegiker 2/2010
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ericht<br />
Erforschte die Effekte<br />
einer Abmeldung vom<br />
betreuten Wohnen: Prof.<br />
Reinhard Peukert<br />
58<br />
Abmeldungen bei betreutem Wohnen:<br />
Selbstständigkeit<br />
durch Zuzahlungszwang?<br />
Die kürzlich auf einer Tagung in Fulda vorgestellten<br />
Ergebnisse einer Studie zeigen<br />
unter anderem, dass einige Menschen mit<br />
Behinderungen von einem Ausscheiden aus<br />
der Betreuung profitierten. Der Abmeldung<br />
vorangegangen war die Ankündigung, sie<br />
für die Kosten der Betreuungsleistungen<br />
künftig selbst heranzuziehen.<br />
W<br />
PARAPLEGIKER 2/10<br />
as war passiert? Der Landeswohlfahrtsverband<br />
Hessen (LWV) hatte im Jahr 2005 all<br />
jenen behinderten Klienten einen Brief geschrieben,<br />
die das Angebot des betreuten Wohnens in<br />
Anspruch nahmen. Genauer müsste es „betreutes<br />
Einzelwohnen“ heißen: Jemand wohnt in seiner eigenen<br />
Wohnung und erhält dort regelmäßig Hilfe<br />
von einer Fachkraft. Die Wohnung wird von einem<br />
Träger angemietet, aber der Betreute ist trotzdem<br />
der primäre Mieter. Doch zurück zum Brief. Den<br />
Adressaten wurde darin mitgeteilt, dass diese ab<br />
jetzt mit ihrem Einkommen und Vermögen für die<br />
Kosten der Betreuung herangezogen werden.<br />
Als Financier des betreuten Wohnens ging der LWV<br />
also sozusagen „ans Eingemachte“ seiner Leistungsempfänger,<br />
wie das unser „Sozialstaat“ auch erst mal<br />
macht, wenn jemand Hartz IV beantragt. Beim LWV<br />
handelt es sich um einen Zusammenschluss der<br />
hessischen Landkreise und kreisfreien Städte. Die<br />
Einrichtung mit Sitz in Kassel ist überörtlicher Träger<br />
der Sozialhilfe und unter anderem zuständig für<br />
die Unterstützung und Förderung von behinderten<br />
und kranken Menschen in sozialer und materieller<br />
Not. Und auch beim betreuten Wohnen geht es ja<br />
um Sozialhilfe, da die Behindertenhilfe gesetzlich<br />
in der Sozialhilfe angesiedelt ist. In den meisten<br />
anderen Bundesländern werden die Angebote für<br />
Behinderte ähnlich organisiert wie in Hessen.<br />
Als Konsequenz des besagten „blauen Briefs“ der<br />
LWV kam es zu Abmeldungen seitens der betreuten<br />
Klienten. In der Gruppe der körperlich behin-<br />
derten Menschen waren es 10,3 Prozent, die zu den<br />
vom LWV geforderten Zuzahlungen nicht bereit<br />
waren, doppelt so viele (20,7 Prozent) meldeten sich<br />
in der Gruppe der Menschen mit seelischer Behinderung<br />
ab. Etwas niedriger (zwischen 5 und knapp<br />
7 Prozent) lag die jeweilige Quote bei den übrigen<br />
Betreutengruppen: Menschen mit geistiger Behinderung,<br />
Aids- und Suchtkranke.<br />
Fragen der Wissenschaftler<br />
Sechs Monate später nahmen Wissenschaftler und<br />
Studierende der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden<br />
und der Hochschule Fulda (die einen gemeinsamen<br />
Masterstudiengang „Gemeindepsychiatrie“<br />
anbieten) den Vorgang genauer unter die Lupe: Sie<br />
wollten wissen, welche Effekte sich aus den Abmeldungen<br />
für die bisherigen Nutzer (und die Träger)<br />
des betreuten Wohnens ergeben haben. Das Forschungsprojekt<br />
unter der Leitung von Prof. Reinhard<br />
Peukert, Fachbereich Sozialwesen der Hochschule<br />
RheinMain, startete eine Fragebogenerhebung bei<br />
allen Betroffenen, von denen sich letztlich 20 Prozent<br />
(144 Abmelder) rückmeldeten – unter den gegebenen<br />
Bedingungen ist das relativ viel.<br />
Zwei Jahre später, 2008, wurde bei den Befragten<br />
noch einmal „nachgehakt“, und gegenwärtig läuft<br />
gerade die dritte Nachfrage. Für Prof. Reinhard<br />
Peukert war das „endlich mal eine naturalistische<br />
Studie“, denn als Experiment ist eine solche Untersuchung<br />
ja nicht möglich, bei der man herausfinden<br />
will, was bei Menschen eigentlich vorgeht, die heute<br />
noch eine Betreuung haben (von deren Notwendigkeit<br />
sie und auch ihre Betreuer fest überzeugt sind)<br />
und morgen auf einmal „draußen“ sind.<br />
Als Ergebnis der Interviews zeigte die Studie – Auftraggeber<br />
war der LWV, auch die Landesarbeitsgemeinschaft<br />
(LAG)-Wohnen Hessen war an der<br />
Finanzierung beteiligt – unter den Abmeldern vom<br />
betreuten Wohnen „Gewinner“ und „Verlierer“: Es<br />
mag überraschen, aber für 20 Prozent der Befragten