Heft 1 1-64 - Anwaltsblatt
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l<br />
deren Hemmungen in der Lage waren, sein erörtertes in<br />
höchstem Grade standeswidriges Verhalten zu verhindert15 .<br />
e) Wir gehen in die Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Eine<br />
Frau (B.) mit sechs Kindern, Flüchtlinge, wie so viele, hatte<br />
Unterschlupf in einer Baracke gefunden. Rechtsanwalt (A.),<br />
der B. bei gemeinsamer Kleingartennutzung kennengelernt<br />
hatte, begann mit ihr ein Verhältnis, das bald zum ersten<br />
Kind führte. Als das zweite Kind unterwegs war, scheute<br />
B. die Geburt eines zweiten unehelichen Kindes. Sie bat<br />
um Heirat. Eine solche formale Ehe wurde dann auch geschlossen.<br />
Als im Hause von A. Räume frei wurden, zog B.<br />
(gegen den heftigen Widerstand von A.) dort ein, ohne eine<br />
Hausgemeinschaft mit ihm zu begründen. Die Liebe hörte<br />
aber dennoch nicht auf, und so kam ein drittes Kind (insgesamt<br />
dann das neunte) auf die Welt. Es gab Streit über den<br />
Unterhalt und der Fall landete bei der Ehrengerichtsbarkeit.<br />
Die I. Instanz schloß A. aus der Rechtsanwaltschaft aus,<br />
letztlich, weil er B. geheiratet habe, ohne die Absicht zu haben,<br />
eine Ehe im Sinne der herrschenden Sittenordnung zu<br />
begründen. Der EGH begnügte sich mit einem Verweis und<br />
einer Geldstrafe von 500 DM und sagte:<br />
„Der Senat ist der Auffassung, daß nicht allemal und bedingungslos<br />
ein Abweichen von der Norm in den Beziehungen<br />
zwischen Mann und Frau einen Verstoß gegen das Sittengesetz<br />
und gegen die sich aus der Berufsordnung und der<br />
Standesauffassung ergebenden Pflichten darstellt. Die Auffassungen<br />
der menschlichen Gesellschaft über die Beziehungen<br />
zwischen Mann und Frau haben sich in den letzten Jahrzehnten<br />
z. T. gewandelt. Zeitumstände und insbesondere<br />
Verhältnisse sehr schwerer Not haben zwangsläufig Änderungen<br />
herbeiführen müssen. Es sind Fälle denkbar, in denen<br />
verantwortungsbewußte, lautere Menschen sich genötigt sehen,<br />
von den Geboten der Norm abzuweichen. Auch im vorliegenden<br />
Fall hat der Senat berücksichtigen zu müssen geglaubt,<br />
daß A. und die Zeugin B., die starke gegenseitige<br />
Zuneigung hatten, in eine sehr schwierige Lage gestellt waren.<br />
Der Senat meint deshalb, nicht schon aus der Tatsache,<br />
daß diese Menschen von den sonst üblichen Regeln des Verlöbnisses<br />
und der Heirat abgewichen sind, einen Vorwurf erheben<br />
zu können, zumal Frau B. zunächst selbst nicht unbedingt<br />
eine Eheschließung wünschte. Die Entwicklung des<br />
Geschehens, die schließlich zu der Eheschließung führte, ist<br />
durch Frau B. stark beeinflußt worden. Demgegenüber hat<br />
A. nicht den Mut und die Entschlußfähigkeit aufgebracht,<br />
die von jedem Menschen gefordert werden muß, wenn er<br />
einmal in eine schwierige Situation gerät; insbesondere von<br />
einem Menschen in dem Alter und in der Stellung des A.<br />
Nicht schon die Tatsache, daß er Beziehungen zu Frau B.<br />
aufgenommen hat, macht ihm der Senat zum Vorwurf, auch<br />
nicht, daß er nicht alsbald die Ehe mit ihr geschlossen hat,<br />
wohl aber, daß er, als Frau B. eine Eheschließung wünschte<br />
und er ihrem Wunsch entsprach, auf halbem Wege stehen<br />
geblieben ist; daß er also nicht den Mut bewiesen hat, zu seinem<br />
Entschluß nach innen und außen zu stehen, daß er vielmehr<br />
eine unvollkommene und unbefriedigende Lösung angestrebt<br />
hat; daß er, nachdem die Ehe geschlossen war, seine<br />
nunmehrige Ehefrau mit den Kindern in der Baracke in einer<br />
unwürdigen Unterkunft hat sitzen lassen und der Umwelt<br />
das Schauspiel gegeben hat, daß seine Frau um die Wohnung<br />
kämpfen und dann in der Wohnung sich von ihm getrennt<br />
halten mußte.<br />
Damit hat er nach außen ein häßliches Bild gegeben und<br />
Eindrücke erweckt, die nicht nur seinem persönlichen Ansehen,<br />
sondern ohne Zweifel auch dem Ansehen der Gesamtheit<br />
seines Standes geschadet haben. Auch in einem kleinen<br />
AnwBl 1/2000<br />
Aufsätze<br />
Ort wird bei vielen Verständnis dafür bestehen, daß unter<br />
den besonderen Verhältnissen unserer Zeit auch Beziehungen<br />
zwischen Menschen verschiedenen Geschlechts ehrbar<br />
sein können, wenn keine Ehe besteht. Wenn aber eine Ehe<br />
besteht, dann darf es nicht nach außen hin in der unschönen<br />
Form geschehen, wie sie A. gewählt hat.<br />
A. bewies also erhebliche charakterliche Schwäche, indem<br />
er sich, ein älterer und durch Erfahrungen gereifter<br />
Mann, in den Schwierigkeiten, die ihm das Schicksal bereit<br />
hat, planlos und ohne Widerstand hat treiben lassen. Er,<br />
dem als Anwalt die Bedeutung der Ehe in sittlicher und<br />
rechtlicher Beziehung voll und ganz bewußt sein mußte,<br />
hat dem Wunsch seiner Ehefrau, die Ehe wieder zur Auflösung<br />
zu bringen, einem Wunsch, der seinen Grund in seinem<br />
eigenen Verhalten hatte, widerspruchslos nachgegeben,<br />
ihn vermutlich sogar begrüßt, ohne zu bedenken, daß sich<br />
die Frau ihm geopfert und zwei Kinder zur Welt gebracht<br />
hatte, die als seine ehelichen Kinder galten. Er hat niemals<br />
durch eigenes Handeln und durch eigene Entschlüsse in die<br />
Entwicklung der Dinge eingegriffen und hat auch nicht den<br />
Mut gefunden, sich die Beziehungen zu seiner Frau in allen<br />
Folgerungen zu überlegen und in sauberer, anständiger Weise<br />
zu versuchen, die schwierige Lage, in die er sich, die<br />
Frau und die Kinder gebracht hatte, zu überwinden. Der Senat<br />
nimmt bei ihm nicht Verwerflichkeit der Gesinnung an,<br />
stellt aber einen erheblichen Mangel an Selbstdisziplin,<br />
Entschlußfähigkeit und den Willen fest, seine charakterlichen<br />
Schwächen, deren er sich gewiß bewußt war, zu bekämpfen<br />
und zu überwinden, und damit Zuständen vorzubeugen,<br />
die geeignet waren, ihn in ein schlechtes Licht zu<br />
setzen und in Verbindung damit das Ansehen seines Standes<br />
zu beeinträchtigen“ 16 .<br />
Wir sind immerhin schon im Jahr 1954. Auch hier ist es<br />
nicht das Ergebnis (heute wäre das wohl kein Fall für die<br />
Anwaltsgerichte) und auch nicht die Art der Entscheidungsfindung<br />
(der Senat hat es sich ja nicht leicht gemacht),<br />
die erwähnenswert sind. Was uns heute stört ist das<br />
moralische Gesäusel, man ahnt im Hintergrund die Renaissance<br />
des Naturrechts und die Kuppeleientscheidung des<br />
BGH mit dem Bild der abendländischen Einehe.<br />
f) Die BRAO von 1959 kodifiziert endgültig die zentralen<br />
Elemente des äußeren Berufsbilds in den §§ 1–3. Die<br />
Amtliche Begründung sagt, warum:<br />
„Diese einleitenden Vorschriften enthalten Grundsätze,<br />
die für das überkommene Berufsbild des Rechtsanwalts wesentlich<br />
sind. Sie gehen die Gesamtheit der Rechtsanwälte<br />
an.<br />
Der ethische Gehalt dieser Grundsätze bestimmt das<br />
Wesen und den Umfang der Pflichten des Rechtsanwalts.<br />
Es gibt auch die innere Begründung dafür, daß der Beruf<br />
des Anwalts im Interesse eines gesunden Rechtslebens frei<br />
sein muß.<br />
Die Bedeutung der Grundsätze rechtfertigt es, sie in das<br />
Gesetz ausdrücklich aufzunehmen. Der Entwurf enthält damit<br />
gegenüber der Rechtsanwaltsordnung vom 1. Juli 1878<br />
eine Ergänzung, die für die Eigenart des Berufes bezeichnend<br />
ist. Es mochte im Jahre 1878 angehen, die Erkennt-<br />
15 Entscheidungen des EGH für Rechtsanwälte, Band 28 (1935) Mr. 58. Diese<br />
Entscheidung ist nur ein Beispiel. Solche Entscheidungen hat es in Hülle und<br />
Fülle gegeben, bis hin zu der mit Verweis und Geldstrafe geahnten Tatsache,<br />
daß ein Anwalt seinen jüdigen Mandanten in einem Brief mit „sehr geehrter<br />
Herr Doktor“ angeredet und mit „hochachtungsvoll“ unterschrieben hatte, Entscheidungen<br />
des EGH für Rechtsanwälte, Band 32 (1939).<br />
16 EGE I, 123 ff.