Heft 1 1-64 - Anwaltsblatt
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l<br />
der gesetzten Berufsordnung, sonst im Fundus allgemeiner<br />
Anschauungen. Freiheit wird deshalb demokratisch vermittelt,<br />
sie ist, wie jedes Recht, einem politischen Umfeld, wie<br />
es sich in der konkreten Gesellschaftsordnung darstellt, zugeordnet.<br />
Nur deshalb kann sich der Rechtsanwalt, wie es<br />
in § 43 Satz 2 BRAO formuliert ist, seiner besonderen Stellung<br />
als Rechtsanwalt „würdig“ erweisen. Nur deshalb kann<br />
§ 113 Abs. 2 noch vom „Ansehen der Rechtsanwaltschaft“<br />
sprechen. Hier ist eine Zwischenbemerkung zu machen:<br />
manch einer hat inzwischen die Treue zum Mandanten, die<br />
Ehre und die Würde, und das Ansehen des Standes als Relikte<br />
eines überholten Standesdenkens verabschiedet. Ich<br />
selbst tue mich nicht leicht damit, anerkannte moralische<br />
Grundsätze wie Treue, Ehre und Würde des Menschen, auf<br />
denen das Zusammenleben in dieser Gesellschaft beruht, in<br />
die Rumpelkammer der Geschichte zu tun, auch wenn zuzugeben<br />
ist, daß die Wortwahl gelegentlich antiquiert sein<br />
mag. Auch ist zu akzeptieren, daß das Ansehen eines Standes,<br />
wenn man den Stand als Kaste und das Ansehen als<br />
Privileg mißdeutet, keine hermeneutische Kraft mehr hat.<br />
Die um solche Begriffe geführte Auseinandersetzung ist jedoch<br />
lediglich Bestandteil eines semantischen Krieges. Sie<br />
ändert nichts daran, daß es keinen atomistischen Personenbegriff<br />
gibt und keine voraussetzungslose Gesellschaft, wie<br />
vor allem Rawls anzunehmen scheint. Geht man davon aus,<br />
daß menschliches Verhalten in einer Gesellschaft jeweils<br />
bestimmten Sphären zugeordnet werden kann, dann kommt<br />
man nicht umhin, auch die anwaltliche Berufstätigkeit mit<br />
allen ihren Rechtsregeln einer bestimmten Gesellschaftsordnung<br />
generell, und den besonderen Vorgaben der Berufsangehörigen<br />
dieses Berufsstandes in concreto zuzuordnen. Insoweit<br />
bleibt es legitim, von Ehre und Würde zu sprechen,<br />
weil damit mehrheitlich anerkannte Werte angesprochen<br />
werden, und auch vom Ansehen eines Standes, weil das die<br />
selbst bestimmte Ansehung dieses Standes durch seine Berufsangehörigen<br />
zum Ausdruck bringt. Unreglementierte<br />
Selbstbestimmung des Einzelnen ist sonach Selbstbestimmung<br />
durch die Berufsangehörigen in dem dafür vorgesehenen<br />
Verfahren, also eine demokratisch legitimierte Freiheit.<br />
Sie ist aber noch in einem ganz anderen Sinne vor isolatorischem<br />
und auch reduktionistischem Selbstverständnis zu<br />
bewahren. Freiheit ist ja den drei anderen Eckpunkten zugeordnet,<br />
ist also eine Freiheit mit vorgegebenen Zielen. Die<br />
freie und unreglementierte Selbstbestimmung erweist sich<br />
so als ein Faktor, um die Grund-Rechte und Pflichten des<br />
Rechtsanwalts mit eigenverantwortetem Freiheitsverständnis<br />
lebendig zu erhalten. Am Zugeordnetsein dieser Freiheit ändert<br />
sich aber dadurch nichts.<br />
Damit wird auch die Funktion des Freiheitsverständnisses<br />
deutlich. Die vier Eckpunkte kann man sich als Punkte<br />
eines Vierecks vorstellen. Ausgehend von einer in den 70er<br />
Jahren geführten Diskussion um die Wirtschaftsverfassung<br />
der Bundesrepublik läßt sich von einem magischen Viereck<br />
des anwaltlichen Berufsrechts sprechen, um das anwaltliche<br />
Berufsbild näher zu kennzeichnen. Den Freiheitspunkt muß<br />
man sich als eine Art Generantor vorstellen, der die vier<br />
Eckpunkte dieses Bildes in immer neue Beziehungen zueinander<br />
setzt, vom Quadrat bis zu jeder anderen Form eines<br />
Vierecks und damit im Bereich eines als solchen unverändert<br />
gegebenen Ordnungsrahmens ständig neue Verwirklichungen<br />
von Freiheit hervorbringt.<br />
3.<br />
Das innere Berufsbild ist ein Produkt des Zeitgeistes. In<br />
ihm amalgamisieren sich äußere und innere Einflüsse, für<br />
AnwBl 1/2000<br />
Aufsätze<br />
die Masse der Berufsangehörigen auf einheitliche Art und<br />
Weise. Die Repräsentanten eines Berufstands kommen in die<br />
damit verbundenen Positionen und Funktionen in der Regel<br />
deshalb, weil und soweit sie mit dem Zeitgeist im Einklang<br />
stehen. Was sie zum Ausdruck bringen, ist das innere Berufsbild.<br />
Damit ist eine Vielzahl von Schichtungen, Erwartungshaltungen<br />
und Wechselwirkungen verbunden, die ich hier<br />
nicht darstellen kann. Auf einige wichtige Konsequenzen einer<br />
Entwicklung des inneren Berufsbilds will ich aber hinweisen:<br />
a) Natürlich ist das innere Berufsbild historisch-kontingent.<br />
Es kann nicht mehr einbeziehen als seine Zeit. Es ist<br />
deshalb auf der einen Seite außerordentlich wohlfeil, sich<br />
über Terminologie und die Inhalte der jeweiligen Sachentscheidungen<br />
lustig zu machen, sie für gedanklich töricht zu<br />
halten und vor allem, sie moralisch zu verurteilen. Die<br />
Nachfolgegenerationen haben leicht reden, denn daß sie es<br />
anders gemacht hätten, können sie nur behaupten, nicht beweisen.<br />
Nimmt man das innere Berufsbild ernst, spricht<br />
kaum etwas dafür, das richtige Bewußtsein sei schon damals<br />
möglich gewesen. Dennoch, und das ist das Paradoxe,<br />
bleibt es unverzichtbar, sich von der Vergangenheit, dort,<br />
wo man sie heute für fehlsam hält, abzusetzen, sie zu kritisieren,<br />
und neue Maßstäbe zu setzen. Nur so kann man ja<br />
seiner Zeit gerecht werden.<br />
Das gilt es nach zwei Richtungen zu explizieren. Zeitgenössisches<br />
Bewußtsein als Zeitgeistbewußtsein ist falsches<br />
Bewußtsein, pure Ideologie. Es reflektiert die inneren und<br />
äußeren Umstände in einer Melange, die eine eigene, künstliche<br />
Welt schafft. Davon können sich auch die Genies nicht<br />
trennen: Generationen von pietätvollen Apologeten haben<br />
versucht, die Rechtfertigung der Sklaverei und des minderen<br />
Ranges der Frau durch Aristoteles schönzureden. Nach unserem<br />
Zeitgeist kann daraus aber nichts werden.<br />
Und dann: Das innere Berufsbild muß man wirklich<br />
ernst nehmen. Der Gedanke, irgend jemand, etwa der unabhängige<br />
Richter, entscheide in einer Black-Box-Situation ist<br />
längst verworfen. Wir alle sind mit unseren Bildern beladen,<br />
sie haften uns an.<br />
b) Das innere Berufsbild ist aber von seinen Umständen<br />
her gerade kein Normatives. Sonst gäbe es ja keine Geschichte<br />
des inneren Berufsbilds. Wer sich klar gemacht<br />
hat, daß sein Handeln insoweit bedingt ist, gewinnt genau<br />
durch diese Erkenntnis die erforderliche Freiheit, die wiederum<br />
zum Selbstverständnis unserer Zeit gehört. Wir können<br />
uns Gewißheit darüber verschaffen, was wir für die<br />
Grundlagen unseres Handelns halten. Die Mittel der Vernunft<br />
erlauben es, diese Unterlagen zu prüfen, zu kritisieren<br />
und zu verändern. Das innere Berufsbild hat Beharrungsvermögen,<br />
es ist aber auch veränderbar. Es ist das alte Thema<br />
von Tradition und Freiheit, das natürlich auch das Verständnis<br />
und das Selbstverständnis der Anwaltschaft bestimmt,<br />
und es gilt auch hier, die richtige Mischung zu finden:<br />
Folgten wir nur der Tradition, lebten wir immer noch in<br />
Höhlen, folgten wir nur dem Fortschritt, hätten wir die<br />
Höhlen bald wieder.<br />
c) Die Bestimmung des inneren Berufsbilds eröffnet uns<br />
folgenreiche Chancen. Die Chancen liegen im Bereich der<br />
personell bestimmten subjektiven Elemente des inneren Berufsbilds.<br />
Wir schon erwähnt geht es nicht um die Hierarchie<br />
von oben (hier: der Verfassungsnorm des Art. 12<br />
Abs. 1 GG) nach unten, in die BORA hinein. Es gibt auch<br />
eine selbstbestimmende Kraft von unten nach oben, mit der<br />
die Anwälte, jenseits aller Interessenpolitik, ihr Selbstver-