Heft 1 1-64 - Anwaltsblatt
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l<br />
Die Einrichtung der Satzungsversammlung mit der<br />
Kompetenz, eine Berufsordnung als Satzung zu erlassen,<br />
hat erstmals seit dem Inkrafttreten der Rechtsanwaltsordnung<br />
von 1878 die Organe anwaltlicher Selbstverwaltung<br />
vermehrt. Neben die Bundesrechtsanwaltskammer, die als<br />
Verbandskörperschaft des öffentlichen Rechts die regionalen<br />
Rechtsanwaltskammern zu ihren Mitgliedern zählt, und<br />
neben die regionalen Rechtsanwaltskammern, denen alle<br />
im jeweiligen Kammerbezirk zugelassenen Rechtsanwälte<br />
durch Pflichtmitgliedschaft angehören, tritt nunmehr die<br />
Satzungsversammlung. Die dadurch entstandene Dreigliedrigkeit<br />
anwaltlicher Selbstverwaltung wirft die Frage auf,<br />
ob die Aufgaben, die nunmehr drei Organen anwaltlicher<br />
Selbstverwaltung obliegen, richtig verteilt sind oder neu geordnet<br />
werden sollten.<br />
2. Istzustand<br />
Zur Zeit sind die den regionalen Rechtsanwaltskammern,<br />
der Bundesrechtsanwaltskammer und der Satzungsversammlung<br />
übertragenen Aufgaben wie folgt verteilt:<br />
a. Aufgaben der regionalen Rechtsanwaltskammern<br />
Den regionalen Rechtsanwaltskammern, deren Mitglieder<br />
die in ihrem Bezirk zugelassenen Rechtsanwälte sind,<br />
obliegt es, durch ihren Vorstand die Belange der Kammer<br />
zu wahren und zu fördern (§ 73 Abs. 1 BRAO) und insbesondere<br />
die in § 73 Abs. 2 BRAO genannten Aufgaben zu<br />
erfüllen. Dazu gehört insbesondere,<br />
1. die Mitglieder der Kammer in Fragen der Berufspflichten<br />
zu beraten und zu belehren;<br />
2. auf Antrag bei Streitigkeiten unter den Mitgliedern<br />
der Kammer zu vermitteln;<br />
3. auf Antrag bei Streitigkeiten zwischen Mitgliedern<br />
der Kammer und ihren Auftraggebern zu vermitteln;<br />
4. die Erfüllung der den Mitgliedern der Kammer obliegenden<br />
Pflichten zu überwachen und das Recht der Rüge<br />
zu handhaben;<br />
5. Rechtsanwälte für die Ernennung zu Mitgliedern des<br />
Anwaltsgerichts und des Anwaltsgerichtshofs vorzuschlagen;<br />
6. Vorschläge gemäß §§ 107 und 166 der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
vorzulegen;<br />
7. der Versammlung der Kammer über die Verwaltung<br />
des Vermögens jährlich Rechnung zu legen;<br />
8. Gutachten zu erstatten, die eine Landesjustizverwaltung,<br />
ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde des Landes anfordert;<br />
9. bei der Ausbildung der Referendare mitzuwirken;<br />
10. die anwaltlichen Mitglieder der juristischen Prüfungsausschüsse<br />
vorzuschlagen.<br />
In jüngster Zeit ist der Aufgabenbereich der regionalen<br />
Rechtsanwaltskammern noch erweitert worden. Gemäß<br />
§ 224a BRAO können die Landesjustizverwaltungen, denen<br />
bisher die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft oblag, diese<br />
Aufgabe den Rechtsanwaltskammern übertragen. Das ist in<br />
verschiedenen Bundesländern bereits geschehen. Dadurch<br />
wird die anwaltliche Selbstverwaltung wesentlich gestärkt.<br />
AnwBl 1/2000<br />
Aufsätze<br />
b. Aufgaben der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
Die Bundesrechtsanwaltskammer hat durch die Einrichtung<br />
der Satzungsversammlung an Bedeutung verloren.<br />
Anders als bis zu den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts<br />
vom 14.7.1987 6 ist sie an der Bildung und<br />
Fortentwicklung des Berufsrechts nicht mehr beteiligt. Der<br />
Bundesrechtsanwaltskammer obliegt es nur noch, die ihr<br />
durch Gesetz zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen (§ 177<br />
Abs. 1 BRAO) und in einem abgestuften Verfahren in Fragen,<br />
die die Gesamtheit der Rechtsanwaltskammern angehen,<br />
an der Meinungsbildung mitzuwirken und im Wege<br />
gemeinschaftlicher Aussprache die Auffassung der Mehrheit<br />
der Rechtsanwaltskammern zu ermitteln (§ 177 Abs. 2<br />
Nr. 1 BRAO). Des Weiteren ist es Aufgabe der Bundesrechtsanwaltskammer,<br />
Richtlinien für die Fürsorgeeinrichtungen<br />
aufzustellen (§ 177 Abs. 2 Nr. 2 BRAO), in allen die<br />
Gesamtheit der Rechtsanwaltskammern berührenden Angelegenheiten<br />
ihre eigene Auffassung den zuständigen Behörden<br />
und Gerichten gegenüber zur Geltung zu bringen<br />
(§ 177 Abs. 2 Nr. 3 BRAO), die Gesamtheit der Rechtsanwaltskammern<br />
gegenüber Behörden und Organisationen zu<br />
vertreten (§ 177 Abs. 2 Nr. 4 BRAO), Gutachten zu erstatten,<br />
die eine an der Gesetzgebung beteiligte Behörde oder<br />
Körperschaft des Bundes oder ein Bundesgericht anfordert<br />
(§ 177 Abs. 2 Nr. 5) und die berufliche Fortbildung der<br />
Rechtsanwälte zu fördern (§ 177 Abs. 2 Nr. 6 BRAO).<br />
Soweit in dem Aufgabenkatalog des § 177 Abs. 2<br />
BRAO von der „Gesamtheit der Rechtsanwaltskammern“<br />
die Rede ist, meint dieser Begriff die Gesamtheit der<br />
Rechtsanwälte, soweit die Kammern ihnen gegenüber Aufgaben<br />
wahrzunehmen haben. Das folgt aus der Aufgabenregelung<br />
des § 73 Abs. 1 BRAO. Danach hat der Vorstand<br />
einer regionalen Rechtsanwaltskammer die Belange der<br />
Kammer zu wahren und zu fördern. Die Belange der<br />
Rechtsanwaltskammer sind die Belange ihrer Mitglieder im<br />
Aufgabenbereich der Kammern. Das verdeutlichen die vergleichbaren<br />
Regelungen in § 76 Abs. 1 StBerG und § 57<br />
Abs. 2 WPO 7 . Gerade die Fragen, die alle Rechtsanwälte<br />
berühren, werden aber in der Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
nicht nach demokratischen Grundsätzen<br />
gelöst. Das liegt an der Regelung des § 190 Abs. 1<br />
BRAO. Nach dieser Vorschrift hat jede Rechtsanwaltskammer<br />
in der Hauptversammlung ohne Rücksicht auf die<br />
Zahl ihrer Mitglieder nur eine Stimme. So repräsentieren<br />
15 Kammern mit 20.166 Mitgliedern nur etwa 22% aller<br />
Rechtsanwälte, die übrigen 13 Kammern mit 71.348 Mitgliedern<br />
etwa 78%. Das verdeutlicht, dass – bezogen auf<br />
die Zahl der zugelassenen Rechtsanwälte – eine Minderheit<br />
von rund 22% ihren Willen gegen eine Mehrheit von rund<br />
78% durchsetzen kann. So ist es nicht verwunderlich, dass<br />
die Anwaltschaft in der Vergangenheit durch die Bundesrechtsanwaltskammer<br />
nicht recht vertreten werden konnte<br />
und sich auch wiederholt schlecht vertreten fühlte. Das gilt<br />
z. B. für die überörtliche Anwaltssozietät und für die Anwalts-GmbH.<br />
Hätten nicht die ordentlichen Gerichte bzw.<br />
der Gesetzgeber geholfen, gäbe es nach dem Willen der<br />
Bundesrechtsanwaltskammer überörtliche Sozietäten und<br />
die Anwalts-GmbH bis heute nicht.<br />
6 BVerfGE 76, 171 = NJW 1988, 191; BVerfGE 76, 196 = NJW 1988, 193.<br />
7 Vgl. Henssler/Prütting-Hartung, § 73 Rdnr. 10.