Heft 1 1-64 - Anwaltsblatt
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Ausbildungsreform I<br />
Zu Bischof, Kilger, Streck AnwBl 1999, 595<br />
Der Diskussionsbeitrag zur Juristenausbildungsreform<br />
von Hans Helmut Bischof, Vizepräsident des Oberlandesgerichts<br />
Koblenz, stellt deutlich dar, dass der Weg zu einer<br />
Ausbildungsreform, die insbesondere auch dem Berufsbild<br />
und den Berufsanforderungen an den Anwalt gerecht wird,<br />
noch ein weiter ist. Bischof emotionalisiert und wirft der<br />
Anwaltschaft vor, mit dolus directus dem Ansehen des Berufsstandes<br />
Rechtsanwalt zu schaden durch das Schaffen<br />
von Zugangssperren zum Anwaltsberuf. Aus meiner Sicht<br />
ordnet Bischof hier die Probleme falsch.<br />
Die Ansätze Bischofs, die die Lösung der Probleme nur<br />
marginal den Regeln des Marktes überlassen wollen, richten<br />
mehr Schaden an, als die Position der Anwaltschaft die<br />
Bischof kritisiert. Der Weg von Bischof führt zwangsläufig<br />
zu einem Verlust des gesellschaftlichen Ansehens der<br />
Rechtsanwaltschaft und nimmt damit billigend in Kauf,<br />
dass der Anspruch des Bürgers auf eine kompetente anwaltliche<br />
Unterstützung verletzt wird. Dies ist ein vorsätzlicher,<br />
jedenfalls mit dolus eventualis begangener, Angriff<br />
auf die Rechtspflege.<br />
Aber im Ernst: Bischof misst mit zweierlei Maß, wenn<br />
er die Praxis des Staates, nur besonders befähigte Examenskandidaten<br />
in den Richterdienst zu berufen, offensichtlich<br />
nicht vergleichen will mit der von ihm kritisierten<br />
Zugangskontrolle durch eine Anwaltsausbildung durch die<br />
Anwaltschaft selbst. Der entscheidende Unterschied ist,<br />
dass in der Justiz ein faktisch nicht zum Richteramt Befähigter<br />
„mitgetragen“ wird, in der Rechtsanwaltschaft der<br />
Betroffene über Marktregularien wirtschaftliche Einbußen<br />
und die Anwaltschaft insgesamt massive Ansehensverluste<br />
erleiden muss.<br />
Offen gesagt ist das Dilemma der heutigen Juristenausbildung<br />
doch folgende Situation:<br />
Wer die Ausbildung durchläuft und keine andere Wahl<br />
mehr sieht, als über die freie Anwaltschaft einen juristischen<br />
Beruf auszuüben, kann für sich nicht in Anspruch<br />
nehmen, tatsächlich die Qualifikation zum Rechtsanwalt zu<br />
haben, oftmals fehlt es an der menschlichen und teils auch<br />
an der fachlichen Befähigung hierzu. Die Konsequenz ist,<br />
dass der von Bischof bemühte Markt in zunehmendem<br />
Maße das Vertrauen in die Rechtsanwaltschaft verliert. Gerade<br />
dieses Vertrauen aber ist es, was der Anwalt zur<br />
pflichtgemäßen und auch verfassungsgemäßen Erfüllung<br />
seines beruflichen Auftrages benötigt. Insbesondere die<br />
Rechtsvertretung des sog. einfachen Bürgers wird durch<br />
diesen Zustand immer mehr erschwert.<br />
Hiergegen gibt es nur ein Gegenmittel, nämlich, dass<br />
diejenigen, die die Befähigung eines jungen Juristen für<br />
das Berufsbild des Anwalts beurteilen können, insofern regelnd<br />
eingreifen. Es sind die Anwälte, die entscheiden und<br />
beurteilen können, welche Bewerber sich in fachlicher und<br />
menschlicher Hinsicht für den Anwaltsberuf eignet.<br />
In diesem Zusammenhang ist es aus meiner Sicht kontraproduktiv,<br />
wenn von dem Kollegen Kilger noch das<br />
Wunschdenken einer freien Advokatur hervorgehoben wird.<br />
Ich darf die ketzerische Fragen stellen: Entspricht es Sinn<br />
und Zweck der freien Advokatur und der Rechtsstaatspflege,<br />
AnwBl 1/2000<br />
dass auch Nicht-Befähigte Zugang zur Anwaltschaft erhalten?<br />
Wird dies dem Leistungsverständnis der Deutschen<br />
Rechtspflege gerecht?<br />
Meines Erachtens kann der Ansatzpunkt für eine umfassend<br />
verantwortungsvolle Ausbildungsreform nur der sein,<br />
dass in der Ausbildung frühzeitig auf die Befähigung zum<br />
Anwaltsberuf abgestellt wird. Die Entscheidung hierüber<br />
sollte man denen überlassen, die dies beurteilen können:<br />
Der Anwaltschaft.<br />
Dass dieses Regularium auch für Qualität bürgt, ergibt<br />
sich aus der Feststellung Bischofs, dass Geld die Welt<br />
regiert. Nur diejenigen Anwälte, die dauerhaften Erfolg<br />
haben, werden wirtschaftlich dazu in der Lage sein, junge<br />
Kollegen auszubilden. Diejenigen Kollegen, die sich<br />
„mehr schlecht als recht“ durch den Anwaltsberuf über<br />
Wasser halten, haben schon wirtschaftlich keine Möglichkeit,<br />
junge Kollegen auszubilden; ich unterstelle hierbei,<br />
dass schon die Ausbildungsvergütung dem letztendlichen<br />
Berufsziel adäquat ist.<br />
Im Übrigen wird die Ausbildung durch die Anwaltschaft<br />
mit der aus meiner Sicht notwendigen Zugangssperre des<br />
Bewerbungserfordernisses auch den Interessen der jungen<br />
Juristen gerecht. Es ist gesellschaftspolitisch meines Erachtens<br />
unverantwortlich, einen Berufsanfänger in eine mindestens<br />
5 1/2jährige Ausbildung zu schicken und ihm danach<br />
das Risiko aufzubürden, nach weiteren Jahren festzustellen,<br />
dass er für den Anwalts- wie einen anderen juristischen Beruf<br />
ungeeignet ist. Dies verletzt existenzielle Interessen des<br />
jungen Berufseinsteigers ebenso, wie es der gesellschaftlichen<br />
Verantwortung der Rechtspflege nicht gerecht wird.<br />
Es wird in der Diskussion aus meiner Sicht nämlich entscheidend<br />
vernachlässigt, welchen Schaden der Mandant<br />
hat, der an einen ungeeigneten Anwalt gerät.<br />
Ich plädiere daher für eine leistungsorientierte Anwaltsausbildung<br />
durch die Anwaltschaft im Interesse der<br />
Rechtspflege, des Marktes und vor allem: der Mandanten.<br />
Rechtsanwalt Frank Daniel Ehrsam, München<br />
Ausbildungsreform II<br />
Zu Bischof, Kilger, Streck AnwBl 1999, 595<br />
Unter der Rubrik „Meinung und Kritik“ ist eine ausführliche<br />
Stellungnahme des Vizepräsidenten des OLG<br />
Koblenz, Bischof, nebst zwei Kommentaren zum Thema<br />
veröffentlicht.<br />
Ohne ins einzelne gehen zu wollen bin ich, und spreche<br />
hier für mich alleine, der Auffasung, daß es bei der bisherigen<br />
Referendarsausbildung grundsätzlich bleiben sollte.<br />
Dies insbesondere unter dem Gesichtspunkt, daß die Kommentatoren<br />
nicht darauf eingehen, wie sie sich im einzelnen<br />
eine Ausbildungsstelle vorstellen. Welches Gehalt soll<br />
den zukünftigen Anwaltsassessoren gezahlt werden? Oder<br />
zahlen diese dem ausbildenden Anwalt ein Gehalt?<br />
Jedem Verfasser stimmt der Unterzeichner zu, daß der<br />
freie Markt das Seine leistet. Dies wird er um so mehr tun<br />
,je härter der Wettbewerb wird. Der sogenannte Closed-<br />
Shop hingegen wird weit eher zu Wettbewerbsverzerrungen<br />
führen als das, was sich derzeit abspielt.<br />
Rechtsanwalt Matthias Görgen, Koblenz