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Heft 1 1-64 - Anwaltsblatt

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48<br />

l<br />

das Berufungsgericht weitgehend an Feststellungen der<br />

ersten Instanz gebunden ist.<br />

Es geht jedoch nicht an, dass das Rechtsschutzsystem<br />

auf diese Weise auf Kosten der Anwaltschaft abgebaut<br />

wird. Vielmehr ist mit Nachdruck zu betonen, dass die Parteien<br />

des Zivilprozesses auf die Durchsetzung ihrer Ansprüche<br />

durch das staatliche Gewaltmonopol, und das heißt<br />

hier: durch die Gerichte, angewiesen sind. Aus diesem<br />

Grunde muss der Staat fehlerhafte Rechtsprechung entweder<br />

korrigieren oder kompensieren.<br />

Als Korrekturmöglichkeiten können nur Rechtsmittel dienen,<br />

deren Gebrauch durch die beabsichtigte Justizreform jedoch<br />

gerade eingeschränkt werden soll. Eine Kompensation<br />

ist jedoch gegenwärtig nicht gegeben, nachdem eine Amtshaftung<br />

für fehlerhafte Gerichtsentscheidungen regelmäßig<br />

durch das sogenannte Spruchrichterprivileg ausgeschlossen<br />

ist. Dieses Spruchrichterprivileg dient der Erhaltung der Unabhängigkeit<br />

der rechtsprechenden Gewalt, weshalb es auch<br />

von der Anwaltschaft für sinnvoll und notwendig erachtet<br />

wird. Es ist jedoch daran zu erinnern, dass die Freistellung<br />

des Richters von einer Haftung für pflichtwidrig gesprochene<br />

Fehlurteile erst durch § 839 Abs. 2 BGB eingeführt<br />

wurde 11 , und zwar in Kenntnis eines ausgefeilten Rechtsschutzsystems<br />

durch Berufung und Revision, durch die ein<br />

angemessener und wirkungsvoller Ausgleich für den Haftungsausschluss<br />

beider spruchrichterlichen Tätigkeit geschaffen<br />

wurde. Es besteht somit ein evidentes Regelungsgleichgewicht,<br />

dass empfindlich gestört wird, wenn der Zugang zu<br />

den Rechtsmitteln eingeschränkt wird. Aus diesem Grunde<br />

wird dann das Spruchrichterprivileg bei fahrlässig falschen<br />

Entscheidungen nicht mehr zu rechtfertigen sein.<br />

III.<br />

Zusammenfassend lässt sich deshalb feststellen, dass die<br />

Anwaltschaft bereit ist, an einer Reform mitzuarbeiten,<br />

wenn der Reformbedarf tatsächlich besteht und nachgewiesen<br />

wird, und darüber hinaus Einigkeit über das Ziel einer<br />

solchen Reform besteht, dass nur in einer Verbesserung des<br />

Rechtsschutzes für den Bürger gesehen werden kann.<br />

Eine solche Reform muss dann jedoch gemeinsam mit<br />

den Praktikern, nämlich mit der Richterschaft und der Anwaltschaft<br />

erarbeitet werden.<br />

Eine Reform jedoch, die lediglich Sparmaßnahmen in<br />

ein rechtspolitisches Deckmäntelchen einzuhüllen und von<br />

einem Abbau des Rechtsschutzsystems abzulenken versucht,<br />

wird von der Anwaltschaft abgelehnt.<br />

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Dr.<br />

Peter Kothe, Vorsitzender des Anwaltsverbandes Baden-<br />

Württemberg<br />

11 Motive zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Band II, 1896,<br />

S. 819 ff.<br />

Freie Mitarbeiter /Scheinselbständigkeit<br />

Korrektur des Korrekturgesetzes:<br />

Neues vom freien Mitarbeiter<br />

Im Januarheft 1999 hatte ich über das unmittelbar zuvor<br />

in Kraft getretene Korrekturgesetz berichtet, welches sich<br />

auch mit den Scheinselbständigen und den arbeitnehmer-<br />

AnwBl 1/2000<br />

Mitteilungen<br />

ähnlichen Selbständigen befaßt hat. Nachdem dieses Gesetz<br />

schon im April durch das 630-Mark-Gesetz geringfügig geändert<br />

worden war, setzt der Gesetzgeber uns auch für das<br />

Januarheft 2000 unter Zugzwang.<br />

Zur Erinnerung: nach etwa zweimonatiger Ladehemmung<br />

war im Frühjahr letzten Jahres über das Gesetz eine<br />

Diskussion in Politik und Wirtschaft hereingebrochen, wie<br />

sie bisher kaum ein Gesetz ausgelöst hat. Zahllose Fortbildungsveranstaltungen<br />

waren angesagt. Die Spitzenorganisation<br />

der Sozialversicherungsträger sahen sich veranlaßt,<br />

sich schon früh in einem Rundschreiben vom 19. Januar<br />

1999, dann zur Jahresmitte am 16.6.1999 und in einer korrigierten<br />

Fassung am 18.8.1999 umfangreich zu äußern.<br />

Mehrere Eilverfahren beim Bundesverfassungsgericht wurden<br />

angestrengt, alle mit negativem Erfolg. Die Bundesregierung<br />

hat eine Kommission unter Führung des ehemaligen<br />

BAG-Präsidenten zur Prüfung eines Änderungsbedarfs<br />

eingesetzt. Ab Mitte Oktober wurde ein interner Entwurf<br />

des zuständigen Ministeriums bekannt. Mitte November<br />

wurde das Gesetz in dritter Lesung im Bundestag beraten.<br />

Es ist anzunehmen, daß es bei Druck dieses <strong>Heft</strong>es bereits<br />

im Bundesgesetzblatt steht.<br />

Der Gesetzgeber beschreitet den Weg feiner Ironie: er<br />

nennt sein Gesetz nämlich „Gesetz zur Förderung der<br />

Selbständigkeit“. Es erweckt bei oberflächlicher Betrachtung<br />

den Eindruck, als wäre man vor der politischen Diskussion<br />

in die Knie gegangen. In den Zeitungen konnte<br />

man deswegen auch lesen, die gesetzliche Vermutung –<br />

Hauptgegenstand aller Kritik – sei gestrichen worden. Davon<br />

kann allerdings keine Rede sein. Tatsächlich enthält<br />

das Gesetz eine Reihe von wichtigen Änderungen, von denen<br />

einige – jedenfalls aus dogmatischer Sicht – durchaus<br />

als sensationell bezeichnet werden können. Dem Tiger ist<br />

aber der Zahn nicht gezogen: es wird vielmehr notwendig<br />

sein, sich das Gesetz sehr genau anzusehen. Im Rahmen<br />

dieses kurzen Beitrages sollen nur einige Hinweise gegeben<br />

werden.<br />

Zunächst sind die sattsam bekannten vier Tatbestandsmerkmale<br />

des § 7 Abs. 4 SGB IV teilweise geändert, vor allem<br />

durch ein fünftes Merkmal ergänzt worden. Nun müssen<br />

drei davon erfüllt sein. Der Effekt wird eine geringere<br />

„Streubreite“ sein; der Ausstoßwinkel der Schrotflinte ist<br />

schmaler geworden, es werden voraussichtlich weniger Unbeteiligte<br />

getroffen. Die Getroffenen haben dann gegen die<br />

Vermutung anzukämpfen. Hier gibt es nichts Neues: Die<br />

Vermutung greift erst, wenn die im Bereich der Sozialversicherung<br />

vorgegebene Ermittlung von Amts wegen keine<br />

Klarheit erbringt. Die Vermutung kann dann Anwendung<br />

finden, wenn die „erwerbsmäßig tätige Person“ ihren Aufklärungs-<br />

und Mitteilungspflichten nicht nachkommt. Vorsicht:<br />

gemeint ist der Beschäftigte, also der freie Mitarbeiter!<br />

Diese Lösung hat der Gesetzgeber offensichtlich in<br />

letzter Minute gewählt; im vorangegangenen inoffiziellen<br />

Entwurf war noch von den Konsequenzen die Rede, die eintreten,<br />

wenn beide Teile (Auftraggeber und -nehmer) „mauern“.<br />

Jetzt kommt es allein auf den Auftragnehmer an. Ob<br />

das eine Verbesserung ist? Ich habe den Eindruck, daß die<br />

Stellung des Scheinselbständigen damit eher gestärkt ist.<br />

Als sensationell bezeichnet werden kann, was sich der<br />

Gesetzgeber im neuen § 7 a SGB IV ausgedacht hat. Dort<br />

ist nämlich der Beginn einer Versicherungspflicht erst mit<br />

dem Zeitpunkt statuiert, in welchem der Sozialversicherungsträger<br />

die entsprechende Feststellung trifft. Das heißt<br />

im Ergebnis: es sind keine Zahlungen nach „rückwärts“<br />

mehr nötig. Sozialrechtlich wäre das neu: eine Person ist

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