Heft 1 1-64 - Anwaltsblatt
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l<br />
das Berufungsgericht weitgehend an Feststellungen der<br />
ersten Instanz gebunden ist.<br />
Es geht jedoch nicht an, dass das Rechtsschutzsystem<br />
auf diese Weise auf Kosten der Anwaltschaft abgebaut<br />
wird. Vielmehr ist mit Nachdruck zu betonen, dass die Parteien<br />
des Zivilprozesses auf die Durchsetzung ihrer Ansprüche<br />
durch das staatliche Gewaltmonopol, und das heißt<br />
hier: durch die Gerichte, angewiesen sind. Aus diesem<br />
Grunde muss der Staat fehlerhafte Rechtsprechung entweder<br />
korrigieren oder kompensieren.<br />
Als Korrekturmöglichkeiten können nur Rechtsmittel dienen,<br />
deren Gebrauch durch die beabsichtigte Justizreform jedoch<br />
gerade eingeschränkt werden soll. Eine Kompensation<br />
ist jedoch gegenwärtig nicht gegeben, nachdem eine Amtshaftung<br />
für fehlerhafte Gerichtsentscheidungen regelmäßig<br />
durch das sogenannte Spruchrichterprivileg ausgeschlossen<br />
ist. Dieses Spruchrichterprivileg dient der Erhaltung der Unabhängigkeit<br />
der rechtsprechenden Gewalt, weshalb es auch<br />
von der Anwaltschaft für sinnvoll und notwendig erachtet<br />
wird. Es ist jedoch daran zu erinnern, dass die Freistellung<br />
des Richters von einer Haftung für pflichtwidrig gesprochene<br />
Fehlurteile erst durch § 839 Abs. 2 BGB eingeführt<br />
wurde 11 , und zwar in Kenntnis eines ausgefeilten Rechtsschutzsystems<br />
durch Berufung und Revision, durch die ein<br />
angemessener und wirkungsvoller Ausgleich für den Haftungsausschluss<br />
beider spruchrichterlichen Tätigkeit geschaffen<br />
wurde. Es besteht somit ein evidentes Regelungsgleichgewicht,<br />
dass empfindlich gestört wird, wenn der Zugang zu<br />
den Rechtsmitteln eingeschränkt wird. Aus diesem Grunde<br />
wird dann das Spruchrichterprivileg bei fahrlässig falschen<br />
Entscheidungen nicht mehr zu rechtfertigen sein.<br />
III.<br />
Zusammenfassend lässt sich deshalb feststellen, dass die<br />
Anwaltschaft bereit ist, an einer Reform mitzuarbeiten,<br />
wenn der Reformbedarf tatsächlich besteht und nachgewiesen<br />
wird, und darüber hinaus Einigkeit über das Ziel einer<br />
solchen Reform besteht, dass nur in einer Verbesserung des<br />
Rechtsschutzes für den Bürger gesehen werden kann.<br />
Eine solche Reform muss dann jedoch gemeinsam mit<br />
den Praktikern, nämlich mit der Richterschaft und der Anwaltschaft<br />
erarbeitet werden.<br />
Eine Reform jedoch, die lediglich Sparmaßnahmen in<br />
ein rechtspolitisches Deckmäntelchen einzuhüllen und von<br />
einem Abbau des Rechtsschutzsystems abzulenken versucht,<br />
wird von der Anwaltschaft abgelehnt.<br />
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Dr.<br />
Peter Kothe, Vorsitzender des Anwaltsverbandes Baden-<br />
Württemberg<br />
11 Motive zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Band II, 1896,<br />
S. 819 ff.<br />
Freie Mitarbeiter /Scheinselbständigkeit<br />
Korrektur des Korrekturgesetzes:<br />
Neues vom freien Mitarbeiter<br />
Im Januarheft 1999 hatte ich über das unmittelbar zuvor<br />
in Kraft getretene Korrekturgesetz berichtet, welches sich<br />
auch mit den Scheinselbständigen und den arbeitnehmer-<br />
AnwBl 1/2000<br />
Mitteilungen<br />
ähnlichen Selbständigen befaßt hat. Nachdem dieses Gesetz<br />
schon im April durch das 630-Mark-Gesetz geringfügig geändert<br />
worden war, setzt der Gesetzgeber uns auch für das<br />
Januarheft 2000 unter Zugzwang.<br />
Zur Erinnerung: nach etwa zweimonatiger Ladehemmung<br />
war im Frühjahr letzten Jahres über das Gesetz eine<br />
Diskussion in Politik und Wirtschaft hereingebrochen, wie<br />
sie bisher kaum ein Gesetz ausgelöst hat. Zahllose Fortbildungsveranstaltungen<br />
waren angesagt. Die Spitzenorganisation<br />
der Sozialversicherungsträger sahen sich veranlaßt,<br />
sich schon früh in einem Rundschreiben vom 19. Januar<br />
1999, dann zur Jahresmitte am 16.6.1999 und in einer korrigierten<br />
Fassung am 18.8.1999 umfangreich zu äußern.<br />
Mehrere Eilverfahren beim Bundesverfassungsgericht wurden<br />
angestrengt, alle mit negativem Erfolg. Die Bundesregierung<br />
hat eine Kommission unter Führung des ehemaligen<br />
BAG-Präsidenten zur Prüfung eines Änderungsbedarfs<br />
eingesetzt. Ab Mitte Oktober wurde ein interner Entwurf<br />
des zuständigen Ministeriums bekannt. Mitte November<br />
wurde das Gesetz in dritter Lesung im Bundestag beraten.<br />
Es ist anzunehmen, daß es bei Druck dieses <strong>Heft</strong>es bereits<br />
im Bundesgesetzblatt steht.<br />
Der Gesetzgeber beschreitet den Weg feiner Ironie: er<br />
nennt sein Gesetz nämlich „Gesetz zur Förderung der<br />
Selbständigkeit“. Es erweckt bei oberflächlicher Betrachtung<br />
den Eindruck, als wäre man vor der politischen Diskussion<br />
in die Knie gegangen. In den Zeitungen konnte<br />
man deswegen auch lesen, die gesetzliche Vermutung –<br />
Hauptgegenstand aller Kritik – sei gestrichen worden. Davon<br />
kann allerdings keine Rede sein. Tatsächlich enthält<br />
das Gesetz eine Reihe von wichtigen Änderungen, von denen<br />
einige – jedenfalls aus dogmatischer Sicht – durchaus<br />
als sensationell bezeichnet werden können. Dem Tiger ist<br />
aber der Zahn nicht gezogen: es wird vielmehr notwendig<br />
sein, sich das Gesetz sehr genau anzusehen. Im Rahmen<br />
dieses kurzen Beitrages sollen nur einige Hinweise gegeben<br />
werden.<br />
Zunächst sind die sattsam bekannten vier Tatbestandsmerkmale<br />
des § 7 Abs. 4 SGB IV teilweise geändert, vor allem<br />
durch ein fünftes Merkmal ergänzt worden. Nun müssen<br />
drei davon erfüllt sein. Der Effekt wird eine geringere<br />
„Streubreite“ sein; der Ausstoßwinkel der Schrotflinte ist<br />
schmaler geworden, es werden voraussichtlich weniger Unbeteiligte<br />
getroffen. Die Getroffenen haben dann gegen die<br />
Vermutung anzukämpfen. Hier gibt es nichts Neues: Die<br />
Vermutung greift erst, wenn die im Bereich der Sozialversicherung<br />
vorgegebene Ermittlung von Amts wegen keine<br />
Klarheit erbringt. Die Vermutung kann dann Anwendung<br />
finden, wenn die „erwerbsmäßig tätige Person“ ihren Aufklärungs-<br />
und Mitteilungspflichten nicht nachkommt. Vorsicht:<br />
gemeint ist der Beschäftigte, also der freie Mitarbeiter!<br />
Diese Lösung hat der Gesetzgeber offensichtlich in<br />
letzter Minute gewählt; im vorangegangenen inoffiziellen<br />
Entwurf war noch von den Konsequenzen die Rede, die eintreten,<br />
wenn beide Teile (Auftraggeber und -nehmer) „mauern“.<br />
Jetzt kommt es allein auf den Auftragnehmer an. Ob<br />
das eine Verbesserung ist? Ich habe den Eindruck, daß die<br />
Stellung des Scheinselbständigen damit eher gestärkt ist.<br />
Als sensationell bezeichnet werden kann, was sich der<br />
Gesetzgeber im neuen § 7 a SGB IV ausgedacht hat. Dort<br />
ist nämlich der Beginn einer Versicherungspflicht erst mit<br />
dem Zeitpunkt statuiert, in welchem der Sozialversicherungsträger<br />
die entsprechende Feststellung trifft. Das heißt<br />
im Ergebnis: es sind keine Zahlungen nach „rückwärts“<br />
mehr nötig. Sozialrechtlich wäre das neu: eine Person ist