Heft 1 1-64 - Anwaltsblatt
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§ 54 Zf. 2 RTV bestimmt: Lehnt die Gegenpartei den schriftlich<br />
geltend gemachten Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb<br />
von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs,<br />
so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei<br />
Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend<br />
gemacht wird. ...<br />
Der Antragsteller hat seine Zahlungsansprüche für September<br />
und Oktober 1998 gegenüber der Antragsgegnerin mit Schreiben<br />
vom 9.11.1998 geltend gemacht. Dieses Schreiben kann frühestens<br />
am 10.11.1998 zugegangen sein. Die zweite Stufe der tariflichen<br />
Ausschlußfrist begann somit frühestens am 25.11.1998 zu laufen<br />
und lief frühestens am Montag, dem 25.1.1999, ab. Mit seinem bereits<br />
am 20.1.1999 beim ArbG eingegangenen Antrag auf Bewilligung<br />
von Prozeßkostenhilfe hat der Antragsteller diese Frist (vorläufig)<br />
gewahrt.<br />
a) Der Antragsteller hat im Schriftsatz vom 18.1.1999 erklärt,<br />
die Klage solle erst nach Bewilligung von Prozeßkostenhilfe erhoben<br />
werden. Er hat damit eindeutig klargestellt, daß er den Klagantrag<br />
nur unter der Bedingung stellen wolle, daß ihm Prozeßkostenhilfe<br />
bewilligt werde und er zunächst lediglich eine Entscheidung<br />
über das Prozeßkostenhilfegesuch begehre. Die<br />
Zahlungsansprüche, für deren Durchsetzung der Antragsteller Bewilligung<br />
von Prozeßkostenhilfe begehrt, sind deshalb durch die<br />
Einreichung des Schrittsatzes vom 18.1.1999 am 20.1.1999 und<br />
dessen formlose Übersendung an die Antragsgegnerin zur Stellungnahme<br />
nicht rechtshängig geworden (vgl. OLG Dresden,<br />
19.9.1997, 6 W 1000/97, MDR 1998, S. 181 ; Zöller-Philippi,<br />
ZPO, 21. Aufl., 1999, § 117, Rdnr. 7 . m. w. N.).<br />
b) Die Stellung des Prozeßkostenhilfeantrags am 20.1.1999<br />
unter gleichzeitiger Einreichung der Klageschrift und vollständiger<br />
Prozeßkostenhilfeunterlagen wahrt jedoch rückwirkend die zweite<br />
Stufe der tariflichen Ausschlußfrist, sofern unverzüglich nach positiver<br />
oder negativer rechtskräftiger Entscheidung über die Prozeßkostenhilfe<br />
die Klage zugestellt wird. Dies ergibt sich aus einer<br />
verfassungskonformen Auslegung des § 270 Abs. 3 ZPO.<br />
aa) Gemäß § 270 Abs. 3 ZPO tritt die fristwahrende Wirkung<br />
der Zustellung der Klage bereits mit der Einreichung des Antrags<br />
ein, sofern die Zustellung demnächst erfolgt. Diese Vorschrift soll<br />
denjenigen begünstigen, der darauf angewiesen ist, sich der Mitwirkung<br />
der Gerichte zu bedienen, um bestimmte Fristen zu wahren<br />
(BAG, 4.11.1969, 1 AZR 141/69, AP Nr. 3 zu § 496 ZPO<br />
). Sie findet daher nicht nur bei gesetzlichen Fristen,<br />
sondern bei sämtlichen Fristen, die die gerichtliche Geltendmachung<br />
eines Anspruchs verlangen, Anwendung (vgl. Münch-<br />
Komm-Lüke, ZPO, 3. Aufl., 1992, § 270, Rdnr. 21 f.), also auch<br />
bei tariflichen Ausschlußfristen, die zur Fristwahrung die gerichtliche<br />
Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis<br />
verlangen. Lediglich bei tariflichen Ausschlußfristen, die zur Fristwahrung<br />
die mündliche oder schriftliche Geltendmachung ausreichen<br />
lassen, gilt § 270 Abs. 3 ZPO nicht (BAG, AP Nr. 3 zu § 496<br />
ZPO; BAG, 18.1.1974, 3 AZR 3/73, AP Nr. 4 zu § 345 ZPO ; BAG, 8.3.1976, 5 AZR 361/75, AP Nr. 4 zu § 496 ZPO<br />
).<br />
bb) Eine Zustellung erfolgt i. S. d. § 270 Abs. 3 ZPO „demnächst“,<br />
wenn sie innerhalb einer nach den Umständen angemessenen,<br />
selbst längeren Frist bewirkt wird und die Partei und ihr Prozeßbevollmächtigter<br />
unter Berücksichtigung der Gesamtsituation<br />
alles Zumutbare für die alsbaldige Zustellung getan haben (BGH,<br />
21.3.1991, III ZR 94/89, NJW 1991, S. 1745 ). Auch<br />
die Verzögerung durch ein Prozeßkostenhilfeverfahren ist nach diesen<br />
Grundsätzen einer unbemittelten Partei nicht zuzurechnen,<br />
wenn bereits mit dem Antrag der Entwurf der Klageschrift eingereicht<br />
wird und dem Antrag vollständige Prozeßkostenhilfeunterlagen<br />
beigefügt sind. Dann haben die unbemittelte Partei und ihr<br />
Prozeßbevollmächtigter das ihnen Zumutbare getan, um für eine<br />
alsbaldige Zustellung Sorge zu tragen (vgl. BGH, 1.10.1986, IVa<br />
ZR 108/85, NJW 1987, S. 255 ).<br />
(1) Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG<br />
geregelten Rechtsstaatsgrundsatz gebieten eine weitgehende Angleichung<br />
der Situation der bemittelten und der unbemittelten<br />
Partei bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Der Rechtsstaatsgrundsatz<br />
verwehrt es den Parteien grundsätzlich, ihre Rechtsansprüche<br />
eigenmächtig durchzusetzen, und verweist sie auf die<br />
Inanspruchnahme der staatlichen Gerichte. Dies bedingt im Um-<br />
AnwBl 1/2000<br />
Rechtsprechung<br />
kehrschluß die Pflicht des Staates, Gerichte zur Durchsetzung privatrechtlicher<br />
Ansprüche einzurichten und den Zugang zu diesen<br />
jedermann in grundsätzlich gleicher Weise zu eröffnen. Daraus<br />
folgt, daß der Staat Vorkehrungen treffen muß, die auch unbemittelten<br />
Parteien einen weitgehend gleichen Zugang zu Gericht ermöglichen.<br />
Derartige Vorkehrungen sind durch die Möglichkeit der<br />
Gewährung von Prozeßkostenhilfe (§§ 114 ff. ZPO) getroffen.<br />
Diese Vorschriften verhindern, daß eine Partei lediglich aus wirtschaftlichen<br />
Gründen daran gehindert wird, ihr Recht vor Gericht<br />
zu suchen (BVerfG, 13.3.1930, 2 BvR 94/88 u. a., 3VerfGE 81, 344<br />
m. w. N.).<br />
(2) Die Fachgerichte, die an die Grundrechte als unmittelbar<br />
geltendes Recht gebunden sind (Art. 1 Abs. 3 GG), haben bei der<br />
Auslegung und Anwendung der Vorschriften des Zivilrechts diesen<br />
sich aus der Verfassung ergebenden Zweck der Prozeßkostenhilfe<br />
zu beachten, denn das Grundgesetz enthält in seinem Grundrechtsabschnitt<br />
verfassungsrechtliche Grundentscheidungen für alle Bereiche<br />
des Rechts, die die Fachgerichte zu wahren haben (BVerfG,<br />
15.1.1958, 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 )<br />
(3) Bei Anwendung dieser Grundsätze gebieten es Art. 3 Abs.<br />
1 in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG geregelten Rechtsstaatsgrundsatz,<br />
die Verzögerung durch ein Prozeßkostenhilfeverfahren<br />
der unbemittelten Partei, die für die Durchsetzung ihrer Ansprüche<br />
aus dem Arbeitsverhältnis infolge einer zweistufigen<br />
Ausschlußfrist auf eine gerichtliche Geltendmachung angewiesen<br />
ist, nicht zum Nachteil gereichen zu lassen. Sie kann auch im Gegensatz<br />
zur Auffassung des ArbG nicht darauf verwiesen werden,<br />
den Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe so frühzeitig zu<br />
stellen, daß unter normalen Umständen mit seiner Bescheidung vor<br />
Ablauf der Ausschlußfrist zu rechnen ist. Dies würde zum einen<br />
die tarifliche Ausschlußfrist für den unbemittelten Arbeitnehmer<br />
verkürzen, während ein bemittelter Arbeitnehmer die Frist bis zum<br />
letzten Tag ausnutzen könnte. Zum anderen bestünde die Gefahr,<br />
daß der Arbeitgeber, der bereits durch das Gericht einen Schriftsatz,<br />
mit dem Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für eine Zahlungsklage<br />
begehrt wird, zur Stellungnahme zugeleitet bekommt,<br />
nicht mehr freiwillig zahlt, sondern es auf eine gerichtliche Klärung<br />
ankommen läßt. Der unbemittelte Arbeitnehmer wäre also einem<br />
erhöhten Risiko ausgesetzt, sein Recht gerichtlich durchsetzen<br />
zu müssen. Schließlich erlegt diese Auffassung dem unbemittelten<br />
Arbeitnehmer ein erhebliches Risiko auf. Er muß prognostizieren,<br />
innerhalb welcher Frist unter normalen Umständen mit einer Bescheidung<br />
seines Antrags zu rechnen ist, und muß befürchten, daß<br />
sich seine Prognose nachträglich als falsch erweist und die Frist<br />
daher versäumt ist. Diese unverhältnismäßige Erschwerung der<br />
Durchsetzung der Ansprüche des unbemittelten Arbeitnehmers aus<br />
dem Arbeitsverhältnis widerspricht dem Sinn und Zweck der Prozeßkostenhilfe.<br />
Auch dem unbemittelten Arbeitnehmer muß es<br />
daher möglich sein, die tarifliche Ausschlußfrist bis zum letzten<br />
Tag auszunutzen (vgl. BGH, 19.1.1978, II ZR 124/76, MDR 1978,<br />
S. 472 ; BGH, NJW 1987, S. 255 ).<br />
Der unbemittelte Arbeitnehmer kann auch nicht darauf verwiesen<br />
werden, vor dem ArbG unter Zuhilfenahme der Rechtsantragsstelle<br />
kostenfrei Klage zu erheben und bei mangelnder Erfolgsaussicht<br />
nach rechtlichem Hinweis vor Eintritt in die streitige Verhandlung<br />
kostenfrei die Klage zurückzunehmen (so aber LAG<br />
Köln, 8.10.1997, 2 Sa 587/97, LAGE Nr. 45 zu § 4 TVG – Ausschlußfristen).<br />
Angesichts des zunehmend komplizierter werdenden<br />
Arbeitsrechts, das zudem ständigen Änderungen durch Rechtsprechung<br />
und Gesetzgebung unterworfen ist, sind zahlreiche Fälle<br />
denkbar, in denen einem Arbeitnehmer nur unter Hinzuziehung eines<br />
Rechtsanwalts eine aussichtsreiche gerichtliche Durchsetzung<br />
seiner Ansprüche möglich ist. Dabei ist auch zu beachten, daß vor<br />
den Arbeitsgerichten die Dispositionsmaxime gilt, so daß die Bedeutung<br />
der Vertretung durch einen Rechtsanwalt anders als in Verfahren<br />
mit Offizialmaxime nicht zurücktritt (vgl. dazu BVerfG,<br />
22.1.1959, 1 BvR 154/55, BVerfGE 9, 124 ). Bei Rücknahme<br />
der Klage vor streitiger Verhandlung entfallen jedoch nur die Gerichtskosten,<br />
der Gebührenanspruch des vom Arbeitnehmer beauftragten<br />
Rechtsanwalts bleibt davon unberührt. Aus Gründen der<br />
Rechtssicherheit ist aber eine Differenzierung zwischen einfachen<br />
Fällen, in denen ein durchschnittlicher Arbeitnehmer ohne Hinzuziehung<br />
eines Rechtsanwalts seinen Zahlungsanspruch selbst vor<br />
Gericht durchsetzen kann, also eine Verzögerung durch ein Prozeßkostenhilfeverfahren<br />
ihm zum Nachteil gereicht, und schwierigen