Heft 1 1-64 - Anwaltsblatt
Heft 1 1-64 - Anwaltsblatt
Heft 1 1-64 - Anwaltsblatt
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
4<br />
l<br />
vorliegt. Es darf nicht die Meinung aufkommen, es habe<br />
der Richter seine amtlichen Handlungen durch Annahme<br />
einer Herausforderung zu vertreten. Auch der Rechtsanwalt<br />
ist Organ der Rechtspflege und berufen, eine unabhängige<br />
Rechtspflege zu fördern, namentlich auch dadurch, daß er<br />
die Achtung von den Trägern der richterlichen Gewalt und<br />
das Vertrauen, daß ihm gegen Unbilden des einzelnen Richters<br />
die Vorgesetzten desselben ausreichend Genugthung<br />
gewähren werden, nicht aus dem Auge setzt. Der Angeschuldigte<br />
hat aber der Rechtspflege einen sehr schlechten<br />
Dienst erwiesen, indem er wegen eines mit durch sein Verhalten<br />
herbeifügten Vorgangs, in welchem er nicht einmal<br />
nothwendig eine Beleidigung finden mußte, den Weg der<br />
Herausforderung wählte, und dadurch die Herausforderung<br />
zum Duell, welche im gewöhnlichen sozialen Leben eine<br />
gewisse Entschuldigung finden mag, auf ein Gebiet übertrug,<br />
auf welchem dieselbe völlig unberechtigt ist“.<br />
Offiziersehre, Richterehre, Anwaltsehre, es sind die<br />
komplexen Verhaltensregeln einer ständischen Gesellschaft,<br />
in deren Rahmen das Bild des Rechtsanwalts gezwängt<br />
wird, wobei der heutige Betrachter das Ergebnis leicht zu<br />
billigen vermag, obwohl ihm die zugrundeliegenden Ehrencodices<br />
ganz fremd erscheinen.<br />
c) Wir springen in die Zeit nach dem 1.Weltkrieg. Was<br />
tangierte das Selbstverständnis? Damals tauchte das Problem<br />
der Spezialisierung auf. In einer Sitzung des Berliner<br />
Anwaltsvereins vom 13.3.1919 führte Görres aus: „Die politische<br />
Neuordnung erschließt weite Neugebiete des materiellen<br />
und prozessualen Rechts unter gleichzeitiger Schaffung<br />
zahlreicher neuer Gerichtshöfe. Vornehmlich von der<br />
Entwicklung erfaßt werden wird voraussichtlich das Arbeitsrecht,<br />
Enteignungs-, Verwaltungs- und Steuerrecht.<br />
Der Rechtsanwalt darf dieser Entwicklung nicht tatenlos<br />
zusehen, schon im Interesse von Staat und Gesellschaft<br />
nicht, da eine freie Anwaltschaft den besten Schutz gegen<br />
Verkürzung der Einzelrechte durch den allmächtigen Staatsgott<br />
gewährleistet“ 4 .<br />
Das Thema wurde dann 1920 auf dem XXII. Deutschen<br />
Anwaltstag in Leipzig von den Berichterstattern Kallir und<br />
Schenck zustimmend aufgegriffen5 .<br />
Die allgemeine Stimmung entsprach dem, blieb aber folgenlos,<br />
weil der EGH als „herrschende Auffassung zur<br />
Standesehre“ im Jahr 1923 formulierte: „Der Rechtsanwalt<br />
darf Titel und Amtsbezeichnungen aus seiner früheren Stellung<br />
als Staatsbeamter weiter führen, er darf sich jedoch<br />
nicht als Spezialist auf irgendeinem Rechtsgebiet bezeichnen.<br />
Es ist unzulässig, daß sich ein Rechtsanwalt als „Steueranwalt“<br />
bezeichnet“ 6 .<br />
Zu einem weiteren wichtigen Punkt wird die Gleichstellung<br />
der Frau. Art. 109 Abs. 2 WRV hatte zwar statuiert:<br />
„Männer und Frauen haben grundsätzlich die selben staatsbürgerlichen<br />
Rechte und Pflichten“. Was darunter zu verstehen<br />
war, war jedoch umstritten. Reichs-Justizminister<br />
Schiffer hatte mit Schreiben vom 5.10.1921 den DAV um<br />
seine Meinung zu einem Gleichstellungs-Gesetzesentwurf<br />
gebeten, insbesondere, ob es hinsichtlich der Eignung der<br />
Frau einen Unterscheid bei den einzelnen Gebieten der<br />
Rechtspflege gebe und ob etwa durch die Zulassung von<br />
Frauen eine unerwünschte Benachteiligung männlicher Anwärter<br />
erfolgen werde. Die 14. Vertreterversammlung vom<br />
28./29.1.1922 beschäftigte sich infolgedessen mit diesem<br />
Thema7 . Berichterstatter Bieber hielt die uneingeschränkte<br />
Zulassung von Frauen für ein Gebot der Gerechtigkeit. Der<br />
Mit-Berichterstatter Ebertsheim kam dagegen zum Ergeb-<br />
AnwBl 1/2000<br />
Aufsätze<br />
nis, daß sich Frauen zum Justizberuf nicht eignen 8 : Ihre<br />
körperliche und psychologische Verfassung geht dahin, daß<br />
sie Kinder ernähren und aufziehen kann. Das rein Mütterliche<br />
ist das Charakteristische der Frau und das gibt ihr die<br />
überwiegenden Gefühlsmomente, was wir als schönen<br />
Schmuck bei ihr schätzen und anerkennen .... Das ist aber<br />
gerade das, was der Jurist nicht oder nicht in dem Maße haben<br />
darf. „Er spricht dann von der Verwirrtheit der Frau<br />
während der Menstruation und zitiert den Psychologen Möbius<br />
mit den Worten: „Die modernen Närrinnen sind<br />
schlechte Gebärerinnen und schlechte Mütter“ 9 . Beide Redner<br />
erhielten „lebhaften Beifall“. Schließlich wurde mit 45<br />
gegen 22 Stimmen im Sinne des Antrags Ebertsheim beschlossen:<br />
„Die Frau eignet sich nicht zur Rechtsanwaltschaft<br />
oder zum Richteramt. Ihre Zulassung würde daher<br />
zu einer Schädigung der Rechtspflege führen und ist aus<br />
diesem Grunde abzulehnen“. Die Anwaltschaft hat aber<br />
den Reichstag nicht aufgehalten. Nur kurze Zeit später, am<br />
11.7.1922 erging das Gesetz über die Zulassung der Frauen<br />
zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege (RGBl. I<br />
573). In seinem Art. 1 war bestimmt: „Die Fähigkeit zum<br />
Richteramte kann auch von Frauen erworben werden.<br />
Ebenso können Frauen zu Handelsrichtern, Rechtsanwälten,<br />
Gerichtsschreibern und Gerichtsvollziehern ernannt werden“.<br />
Die Vernunft hatte sich durchgesetzt.<br />
d) Wir gehen noch 10 Jahre weiter in Friedlaenders<br />
1930 erschienene 3. Auflage zu § 28 RAO. Friedlaender,<br />
dessen Buch auch heute noch zu den Meilensteinen in der<br />
Entwicklung des anwaltlichen Berufsrechts gehört, kommentiert<br />
dort: „Die Pflicht zur Wahrung der Standeswürde.<br />
1. Der Rechtsanwalt darf selbstverständlich innerhalb<br />
und außerhalb seines Berufes nichts tun, was jedes anständigen<br />
und gebildeten Menschen unwürdig wäre. Ergibt er<br />
sich dem Trunke, erregt durch unsittliche Handlungen Ärgernis,<br />
mißhandelt er seine Ehefrau, so verletzt er seine<br />
Menschenwürde und damit zugleich die Würde seines Standes.“<br />
10<br />
Es ist hübsch zu sehen, wie gering damals die political<br />
correctness entwickelt war. Wenn der Rechtsanwalt seine<br />
Ehefrau mißhandelt, verletzt er nicht etwa deren Menschenwürde,<br />
sondern seine eigene! Friedlaender fährt dann fort,<br />
und manche dieser Überlegungen gelten – dem Grunde<br />
nach – vielen auch heute noch als selbstverständlich (so daß<br />
man sagen kann: Gesetze kommen und gehen, Überzeugungen<br />
bleiben bestehen): „Aber der Rechtsanwalt hat auch<br />
eine spezielle, seinem Berufe eigentümliche Würde zu wahren.<br />
Er muß stets vor Augen haben, daß er kein Gewerbe<br />
ausübt, sondern einen vornehmen hohen Beruf im Dienste<br />
des Rechts. Er muß daher die Interessen, die ihm anvertraut<br />
sind, höher halten als seine eigenen wirtschaftlichen Interessen.<br />
Er darf seine Dienst nicht werbend anbieten wie ein<br />
Kaufmann, darf nicht auf Kosten seiner Aufgabe als Organ<br />
der Rechtspflege einen Konkurrenzkampf führen usw. Auch<br />
bei Verfolgung seiner materiellen Interessen, die ihm natürlich<br />
nicht verwehrt ist, muß er den vornehmen Charakter<br />
4 Görres, Alsberg u. Flechtheim, Das Spezialistentum in Rechtswissenschaft und<br />
Rechtsanwaltschaft, JW 1919, 279.<br />
5 JW 1921, 921 ff.<br />
6 JW 1921, 609 mit Anmerkung von Friedlaender.<br />
7 JZ 1922, 1241 (1247 ff.).<br />
8 JW 1922, 1241 (1250).<br />
9 Das alles ist gerade 70 Jahre her. Welche Teile unserer zeitgenössischen Auseinandersetzungen<br />
mögen vergleichbares „Niveau“ haben?<br />
10 Friedlaender, RAO, 3. Aufl. 1930, Rdnr. 10 zu § 28 RAO.