Armutsbericht 2006 - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen
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den könnte. Zweifellos bliebe also selbst <strong>bei</strong><br />
Einführung einer <strong>der</strong>artigen Regelung <strong>der</strong> Druck<br />
auf potenzielle Mindestlohnempfänger enorm<br />
hoch, denn das Mindestlohneinkommen garantiert<br />
für die Alleinlebenden nicht mehr als ein<br />
Leben am Existenzminimum. Für Alleinverdiener<br />
in einer Familie, insbeson<strong>der</strong>e in Gemeinschaften,<br />
in denen Kin<strong>der</strong> zu erziehen sind, kann ein<br />
Mindestlohn in Höhe von 7,50 Euro also nie<br />
armutsfest sein. Der materielle Druck für Paare<br />
und Familien mit Kin<strong>der</strong>n bleibt also hoch, trotz<br />
Mindestlohn. Dies macht zugleich anschaulich,<br />
dass trotz Mindestlohn, <strong>der</strong> kein Familienlohn<br />
sein wird, Paare und Familien mit Kin<strong>der</strong>n auch<br />
zukünftig hilfebedürftig sein werden. Zusätzliche<br />
kompensatorische Leistungen des Staates,<br />
etwa im Bereich <strong>der</strong> Familien-, Wohnungsbau-,<br />
und Bildungspolitik sind notwendig, um Benachteiligungen<br />
auszugleichen.<br />
Dennoch bleibt für die Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer<br />
<strong>Bremen</strong> <strong>der</strong> erste und entscheidende Schritt<br />
auf dem Weg zu einer gesetzlichen Mindestlohnregelung,<br />
dass sie dem Alleinlebenden<br />
die Überwindung von Hilfebedürftigkeit ermöglicht.<br />
Dies <strong>bei</strong>nhaltet aus unserer Sicht auch,<br />
dass <strong>der</strong> Mindestlohn seinen Bezugspunkt<br />
wie<strong>der</strong> in den Lebenshaltungskosten <strong>der</strong><br />
Erwerbstätigen haben muss. Der Vergleich<br />
<strong>Bremen</strong>/Bremerhaven zeigt, dass <strong>der</strong> Mittelbedarf<br />
für die Lebenshaltungskosten – insbeson<strong>der</strong>e<br />
aufgrund differieren<strong>der</strong> Mietkosten –<br />
regionalen Schwankungen unterworfen ist.<br />
Diese Diskrepanzen sind jedoch beherrschbar.<br />
Ein Mindestlohn, <strong>der</strong> dagegen Maß nimmt an<br />
reinen Rentabilitätskalkulationen einzelner Wirtschaftssektoren<br />
o<strong>der</strong> -branchen und die Festsetzung<br />
wie<strong>der</strong> abhängig macht vom Stand<br />
des Kräfteverhältnisses <strong>der</strong> Tarifparteien, kann<br />
aus Sicht <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer <strong>Bremen</strong><br />
das Ziel <strong>der</strong> Überwindung von Hilfebedürftigkeit<br />
nicht gewährleisten.<br />
Wenn Hilfebedürftigkeit nicht nur ›trotz‹,<br />
son<strong>der</strong>n in wachsendem Maße ›wegen‹ Ar<strong>bei</strong>t<br />
eintritt, dann ist aus Sicht <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer<br />
<strong>Bremen</strong> ein Zustand erreicht, <strong>der</strong><br />
nicht hinnehmbar ist. Politik, Gewerkschaften<br />
und Ar<strong>bei</strong>tnehmer/innen-Organisationen müssen<br />
neu in die Diskussion über soziale gesellschaftliche<br />
Standards und die Formen und<br />
Rahmenbedingungen <strong>der</strong> Erwerbstätigkeit eintreten,<br />
um Fehlentwicklungen und negative<br />
Auswirkungen nach Hartz I–IV und dem<br />
Agenda-Prozess entgegenzutreten.<br />
Aus unserer Sicht sind vor allem drei zentrale<br />
Aufgaben zu bewältigen:<br />
Es ist – entgegen allen Kürzungsüberlegungen<br />
– überfällig, die Angemessenheit des<br />
deutschen Fürsorgeniveaus zu überprüfen und<br />
anhand <strong>der</strong> Vorschläge des Europäischen<br />
Parlaments aus dem Jahre 2001 Anpassungen<br />
und Nachbesserungen <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Festlegung<br />
<strong>der</strong> Armutsgrenzen im Zuständigkeitsbereich<br />
<strong>der</strong> Bundesrepublik vorzunehmen.<br />
Alle Formen <strong>der</strong> prekären Ar<strong>bei</strong>t, wie<br />
Armuts- und Niedriglöhne, schlecht bezahlte<br />
und erzwungene Teilzeitar<strong>bei</strong>t, Mini-Jobs,<br />
Midi-Jobs, vielfach aber auch Leihar<strong>bei</strong>t,<br />
Ich-AGs und Werkvertragsar<strong>bei</strong>t üben massiven<br />
Druck auf das existierende Lohn- und<br />
Gehaltssystem und die ihm zugrunde liegende<br />
Tarifstruktur aus. Es ist dringend<br />
erfor<strong>der</strong>lich, in <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland<br />
ein unteres Lohnniveau gesetzlich verbindlich<br />
zu fixieren, damit <strong>der</strong> ›Silo-Effekt‹,<br />
dem die Einkommen <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tnehmer/innen<br />
gegenwärtig ausgesetzt sind, unterbunden<br />
werden kann. Ein gesetzlicher<br />
Mindestlohn wäre ein wichtiges und geeignete<br />
Mittel für diesen Zweck. Die positiven<br />
Erfahrungen aus vielen, die Bundesrepublik<br />
umgebenden, europäischen Partnerlän<strong>der</strong>n<br />
bekräftigen diese For<strong>der</strong>ung.<br />
Alle bislang geför<strong>der</strong>ten Kombilohn- und<br />
Kombieinkommensmodelle sind den Beweis<br />
schuldig geblieben, dass sie nachhaltig<br />
zusätzliche Ar<strong>bei</strong>tsplätze schaffen können.<br />
Die strukturelle Ar<strong>bei</strong>tslosigkeit bleibt –<br />
mit gewissen Schwankungen – auf hohem<br />
Niveau. Die Lage im Bundesland <strong>Bremen</strong><br />
macht in dieser Hinsicht keine Ausnahme.<br />
Es ist daher dringend erfor<strong>der</strong>lich, für die<br />
beson<strong>der</strong>s benachteiligten Zielgruppen des<br />
Ar<strong>bei</strong>tsmarkts – junge Menschen, Frauen,<br />
Ältere, Langzeitar<strong>bei</strong>tslose o<strong>der</strong> Migranten/innen<br />
– neue Formen und Maßnahmen<br />
<strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung und <strong>der</strong> Beschäftigung in<br />
öffentlicher Verantwortung zu finden, die ein<br />
angemessenes Einkommen und soziale<br />
Absicherung gewährleisten.<br />
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