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NeueChorszene 08 - Ausgabe 2/2008

Zeitschrift des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf e.V. Konzertchor der Landeshauptstadt Düsseldorf

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Konzertchor der Landeshauptstadt Düsseldorf

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Wesen und einer geradezu rührenden<br />

Zuwendung zu seiner Familie und zu<br />

Freunden. Der wenige Brieftext, dessen<br />

Kürze der angesprochenen dogmatische<br />

Problematik gar nicht angemessen<br />

ist, vermittelt den Eindruck,<br />

als wolle Brahms sich von Reinthaler<br />

nicht „belehren“ lassen; vielleicht weil<br />

ihn der kunstvolle Aufbau der einzelnen<br />

Bibelworte zu einer neuen literarischen<br />

Dimension viel Mühe gekostet hatte<br />

und er das Ergebnis nicht gefährden<br />

wollte, vielleicht aber auch, weil er dem<br />

akademischen Theologen ein dogmatisches<br />

Defizit einfach nicht eingestehen<br />

wollte.<br />

Brahms bricht die Debatte um eine<br />

Textergänzung in seinem Brief abrupt<br />

ab mit den Worten. „Aber - ich höre auf,<br />

ohne ausgesprochen zu haben.“ „Ohne<br />

‚aus gesprochen‘ zu haben“ bedeutet<br />

hier doch soviel wie: „ich habe nicht<br />

alles gesagt, was ich sagen könnte“.<br />

Schade, dass er die Textproblematik<br />

nicht zu Ende besprochen hat. Wenn<br />

dem Brieftext nebenbei auch noch zu<br />

entnehmen ist, dass Brahms die Bibelstellen<br />

nur aus musikalischen Gründen<br />

als das Werk von großen von ihm verehrten<br />

Dichtern, also als ein Teil der<br />

Weltliteratur, ausgewählt hat, dann will<br />

er Reintaler damit mitteilen, dass er<br />

nicht - wie beispielsweise Schütz oder<br />

Bach - die Absicht hatte, die Worte<br />

der Bibel als Gottes Offenbarung musikalisch<br />

zu verkündigen. Auch diese<br />

Wendung geht auf das Konto seiner<br />

Schroffheit. Dass Brahms auch anders<br />

kann, zeigen andere Stellen desselben<br />

Briefes. Dort wo er sich für eine gute<br />

Beurteilung seines Werkes bedankt<br />

oder wo es um sein Interesse an der<br />

Uraufführung in Bremen geht, hat der<br />

NC 2 / <strong>08</strong><br />

Brief einen ganz anderen, verbindlicheren<br />

Ton.<br />

Brahms hatte sicherlich eine kritische<br />

Distanz zur Institution Kirche. Aber in<br />

erster Linie wollte er wohl nicht hinter<br />

der intellektuellen Überzeugung des<br />

19. Jahrhunderts zurückstehen, das<br />

an Stelle des formalen christlichen<br />

Glaubens, der an Gottesdienst und Gemeinde<br />

gebunden ist, das persönliche<br />

Bekenntnis des einzelnen tritt, in dem<br />

sich ein individuell religiöses Gefühl mit<br />

der subjektiven Entscheidung über die<br />

Glaubensinhalte paart. 11)<br />

Auf welche Weise, wann und warum<br />

der lutherische Konfirmand Brahms<br />

zum Freigeist wurde, dafür gibt es keine<br />

konkreten Belege. In seiner Biografie<br />

finden sich bis zur Fertigstellung des<br />

Requiemtextes genügend Umstände,<br />

Niederschläge und Krisen, die den<br />

Heranwachsenden und jungen Mann<br />

so beeindruckt haben können, dass er<br />

den dogmatischen Verheißungen der<br />

christlichen Kirche nicht mehr folgen<br />

mochte, ohne dabei jedoch „gottlos“ zu<br />

werden.<br />

Wenn über den Glauben von Johannes<br />

Brahms geschrieben wird, wird<br />

immer auf ein Gespräch hingewiesen,<br />

das Brahms mit seinem Biographen<br />

Max Kalbeck im Winter 1896/1897 wenige<br />

Monate vor seinem Tode geführt<br />

hat. Bei dieser Gelegenheit sprach er<br />

aus, dass er weder „damals als er das<br />

Requiem schrieb, noch jetzt an die Unsterblichkeit<br />

der Seele“ glaube. Die<br />

Apostelstelle (1. Korinther 15, 51 und<br />

52) „Siehe ich sage Euch ein Geheimnis“<br />

mit dem Hinweis auf die leibliche<br />

Auferstehung (in Satz VI) habe ihm nur<br />

als musikalisch verwendbares Symbol<br />

tiefen Eindruck gemacht.<br />

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