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Jahrbuch des Geschichtsvereins für das Herzogtum Braunschweig ...

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Digitale Bibliothek <strong>Braunschweig</strong><br />

M. NIEBOUR<br />

so<strong>das</strong>s auch hier wieder die grossen Züge durch kleine, gebrochene Linien<br />

und Widersprüche gestört werden. - So kommen wir denn am Ende, wie<br />

am Anfange und im ganzen Verlaufe <strong>des</strong> Stückes, nicht zu einer rechten herzlichen<br />

Anteilnahme, weder <strong>für</strong> Julius, denn er ist <strong>für</strong> ein Drama zu passiv,<br />

noch <strong>für</strong> Guido, denn er tritt zu sehr zurück und wird uns nicht klar genug,<br />

noch <strong>für</strong> den alten Fürsten, denn er erhebt sich infolge von allerlei WidersprOchen<br />

l ) nicht zur vollen Würde <strong>des</strong> Richters. So ergibt denn die Analyse<br />

<strong>des</strong> Stückes <strong>das</strong>selbe, was uns schon seine Bühnengeschichte lehrte: fortreissend<br />

wirkt in dem Stück keine Person, weil der Dichter <strong>das</strong>, was er klar<br />

und verständig gedacht hat, nicht gross und überzeugend auszugestalten vermocht<br />

hat, weil seine Personen - so sorgfältig er sie von einander unterscheidet<br />

- doch nur die "Anschaulichkeit'(2) von Silhouetten haben, die sich<br />

wohl von ihrer Umgebung abheben, aber <strong>des</strong> inneren Lebens entbehren.<br />

Wenn wir bei dieser Analyse im Anschluss an Kutschera den ,,Julius von<br />

Tarent" wiederholt mit Klingers "Zwillingen" verglichen, so ist dieser Vergleich<br />

gewiss nicht unbillig, da die Geschichte die beiden Stücke der Zeitund<br />

Altersgenossen dicht nebeneinander gerückt hat; aber auch ohne diesen<br />

Vergleich mit dem Klingerschen Stücke, <strong>das</strong> - trotz sehr beträchtlicher<br />

Schwachen - doch wohl dem "Julius von Tarent" dramatisch überlegen ist,<br />

bleibt <strong>das</strong> Urteil bestehen, <strong>das</strong>s Leisewitz in seinem ersten und einzigen<br />

grossen Werke die dramatische Gestaltungskraft fehlt, <strong>das</strong>s sein Werk mehr<br />

durch verstan<strong>des</strong>gemässe Konstruktion, durch viele kleine Striche und zahl·<br />

reiche Entlehnungen geschaffen ist.<br />

Leisewitz selbst muss denn auch bald diesen Mangel bei sich empfunden<br />

haben, denn er hat nie wieder eine Tragödie versucht. Wohl aber hat er sich<br />

noch lange mit seiner Komödie beschaftigt3), und in der Tat mochte seiner<br />

Neigung zu Witz, seinem geistreich ausgefeilten Stile <strong>das</strong> feine Lustspiel<br />

naher liegen; aber man möchte fast glauben, <strong>das</strong>s ihm auch dabei vor lauter<br />

kleinen Zügen und Einfällen <strong>das</strong> grosse lneinsschauen der Personen gefehlt<br />

habe. Charakteristisch ist es jedenfalls, wie er in seinem Tagebuch die ausgearbeiteten<br />

Szenen bezeichnet. Er erwähnt "Ginettis Monolog über den<br />

Selbstmord", "Ginetti und Graffio über die Menschenkenntnis", "wie Ginetti<br />

die Medaille erfindet", "Graffios Ciceronische Rede", einen "hypochondrischen<br />

Auftritt" - immer also ist es der Gedankeninhalt der Szenen, der<br />

I) Am störendsten ist sein eigenes Schuldbewusstsein. "Guidon straf ich? - und wer<br />

liess Blanka ins Kloster bringen?" (V, 7, ähnlich V, S u. V, f). Er fühlt sich also schuldig,<br />

wie darf er richten? - Hier wird wohl kaum jemand Hennebergers Motivierung (Hennebergers<br />

<strong>Jahrbuch</strong> I S. f 3 f) gelten lassen, es sei "eine Art Trost", einem "noch Schuldigeren"<br />

als Richter gegenüber zu stehen. ') Kutschera spricht S. 87 von "treffender<br />

Anschaulichkeit" bei der Charakteristik. 8) vgl. S. 87.<br />

http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00042092

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