elements33 - Evonik
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SElbStlERnEnDE pRoGRammE, die einen Prozess auch dann<br />
zuverlässig steuern, wenn sich die Rahmenbedingungen plötzlich<br />
ändern, sind begehrt: in der chemischen Industrie ebenso<br />
wie etwa bei Fluggesellschaften, die damit den tatsächlichen<br />
Marktwert ihrer Flugtickets zeitnah ermitteln wollen. Noch sind<br />
solche breit einsetzbaren Programme, so genannte adaptive Softsensoren,<br />
Zukunftsmusik, doch soll sich das bald ändern. INFER,<br />
ein von der EU im 7. Forschungsrahmenprogramm gefördertes<br />
Projekt, hat zum Ziel, eine modulare Softwareplattform zu entwickeln,<br />
mit der sich adaptive Softsensoren für ein breites Anwendungsspektrum<br />
erstellen lassen. INFER steht für Computational<br />
Intelligence Platform for Evolving and Robust Predictive<br />
Systems und ist im Marie Curie IndustryAcademia Partnerships<br />
& Pathways (IAPP) Programm der EU verankert.<br />
An dem im Juli 2010 gestarteten Projekt sind drei Partner beteiligt:<br />
das Smart Technology Research Centre der Universität<br />
Bournemouth (England), das sich intensiv mit maschinellem Lernen<br />
und automatisierten intelligenten Systemen beschäftigt, die<br />
<strong>Evonik</strong> Industries AG, die über anerkannt breites Wissen in der<br />
Prozesstechnik verfügt, sowie das in Polen ansässige Research<br />
& Engineering Centre (REC), ein hochinnovatives Unternehmen<br />
im Bereich Softwareentwicklung.<br />
Vier Jahre haben die Partner Zeit, um ihr ehrgeiziges Ziel zu<br />
erreichen: Bis Juni 2014 wollen sie die Softwareplattform zur<br />
Marktreife entwickelt haben. Die damit erstellten Softsensoren<br />
sollen dann sowohl in technischen als auch kaufmännischen Geschäftsprozessen<br />
als präzise Prognosewerkzeuge zum Einsatz<br />
kommen, die Änderungen von technischen Parametern, Märkten<br />
oder menschlichem Verhalten sofort erkennen und das zu<br />
Grunde liegende Prozessmodell iterativ an die neuen Gegebenheiten<br />
anpassen. Den Projektpartnern stehen für die Entwicklung<br />
insgesamt 1,55 Millionen Euro zur Verfügung.<br />
Vorhersagen statt nachmessen<br />
Softsensoren, eine Wortschöpfung aus Software und Sensor,<br />
sind heute schon gang und gäbe. „<strong>Evonik</strong> programmiert Softsensoren<br />
beispielsweise, um chemische Verfahren zu optimieren<br />
oder die Mitarbeiter täglich bei der Prozessführung zu unterstützen“,<br />
erklärt Reinhard Dudda. Er verantwortet INFER auf<br />
Seiten von <strong>Evonik</strong>, wo er im Servicebereich Verfahrenstechnik<br />
& Engineering die Gruppe Quality Engineering leitet. Die Softsensoren<br />
messen keine physikalische Größe, sondern berechnen<br />
ihre „Messwerte“ aus allen zugänglichen Prozessdaten. Sie können<br />
so den Verlauf nicht direkt messbarer Merkmale vorhersagen,<br />
etwa die resultierende Qualität der Produkte. „Zudem liefern<br />
die Softsensoren ihre Ergebnisse in Echtzeit und machen so<br />
das stundenlange Warten auf Analysenergebnisse überflüssig“,<br />
beschreibt Dudda den Nutzen.<br />
Allerdings haben diese empirischen Prozessmodelle derzeit<br />
noch einen Nachteil. Sie „merken“ es nicht, wenn sich der zugrunde<br />
liegende Prozess ändert – etwa die Betriebspunkte einer<br />
chemischen Anlage, weil diese umgebaut wurde, oder das Buchungsverhalten<br />
von Fluggästen, weil ein anderer Anbieter<br />
plötzlich Billigangebote auf den Markt bringt. In solchen Fällen<br />
müssen sie mühsam nachtrainiert werden.<br />
Hier setzt INFER mit der Entwicklung adaptiver Softsensoren<br />
an. Zukünftig sollen diese selbstlernenden Systeme auch<br />
geänderte Rahmenbedingungen erkennen und sich selbstständig<br />
an den neuen Zustand anpassen – ein Prognosewerkzeug, das<br />
vERfahREnStEChnIk 29<br />
nicht nur die chemische Industrie oder Fluglinien zu schätzen<br />
wüssten, sondern auch zahlreiche andere Branchen wie etwa<br />
Banken oder Telekommunikationsanbieter. <strong>Evonik</strong> fällt dabei die<br />
Aufgabe zu, die zu entwickelnden Algorithmen an Prozessen zu<br />
überprüfen, die zwar gut bekannt, aber schwer vorhersagbar<br />
sind.<br />
Neuland in der Softwareentwicklung<br />
Die Projektbeteiligten betreten damit Neuland. „Bislang gibt es<br />
keine technischen Anwendungen von adaptiven Softsensoren“,<br />
bestätigt Dudda. „Es existieren zwar viele wissenschaftliche<br />
Arbeiten dazu, aber die dort beschriebenen Methoden sind sehr<br />
speziell. Sie passen immer nur auf das betrachtete System und<br />
lassen sich nicht ohne weiteres auf andere Anwendungen übertragen.<br />
Deshalb arbeiten im Moment viele Unternehmen an<br />
einer eigenen Insellösung.“ Das wollen die drei Projektpartner<br />
mit INFER ändern – durch die Bereitstellung einer modularen<br />
Softwareplattform, mit der sich schnell und flexibel adaptive<br />
Softsensoren für die jeweiligen Anwendungen entwickeln<br />
lassen.<br />
Dazu werden die rund 30 beteiligten Forscher, darunter<br />
sechs Verfahrenstechniker von <strong>Evonik</strong>, in den nächsten vier<br />
Jahren eng zusammen arbeiten, zwischen den drei Standorten<br />
Deutschland, Polen und Großbritannien pendeln und ihr Wis <br />
sen bereitwillig austauschen. Die an das Projekt geknüpften<br />
Erwartungen sind groß: „Wir versprechen uns davon eine Standardsoftware,<br />
mit der wir unsere Prozesse effizienter steuern<br />
können, und die wir vor allem auch sofort bei neuen Anlagen<br />
einsetzen können, um schnell den optimalen Betriebspunkt zu<br />
finden“, fasst Dudda zusammen. Das REC und die Universität<br />
Bournemouth planen dagegen, ein Spinoff zu gründen, um<br />
die Softwareplattform zu vermarkten. Eine Entwicklung, die<br />
<strong>Evonik</strong> begrüßen würde. „Die Vermarktung durch ein eigens<br />
gegründetes Unternehmen stellt sicher, dass die adaptiven Softsensoren<br />
auch nach dem Ende des Projekts kontinuierlich weiter<br />
entwickelt werden. Davon würden wir als Nutzer natürlich<br />
enorm profitieren“, so Dudda. 777<br />
Reinhard Dudda leitet im<br />
Servicebereich Verfah renstechnik &<br />
Engineering die Gruppe Quality<br />
Engineering und verantwortet INFER<br />
auf Seiten von <strong>Evonik</strong>.<br />
+49 2365 49-6233<br />
reinhard.dudda@evonik.com<br />
<strong>elements33</strong> Ausgabe 4|2010