Storys aus dem Deutschen Alltag 1989 - 2008 - Storyal
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Mai 1993<br />
Meine Stasi-Akte<br />
Gegen 9 Uhr steige ich heute, 13. Mai 1993, in der<br />
U-Bahnstation Magdalenenstrasse <strong>aus</strong>. Wieder fällt<br />
mir auf, dass mich die Bilder in dieser Station schon<br />
immer irritiert haben. Ein Stasi-‘Künstler‘ muss sie<br />
im Stil der Neuen Wilden auf Kacheln gemalt haben.<br />
Über den Inhalt kann man kaum etwas sagen. Aber<br />
diese Bilder wirken aufs Gemüt. Sie sindbedrohlich.<br />
Geheimnisvoll. Dunkel. Mindestens kam mir das immer<br />
und auch heute noch so vor. Warum existieren<br />
diese Kachelbilder noch heute (auch noch <strong>2008</strong>)?<br />
Das ist Stasi-Kunst, kein sozialistischer Realismus.<br />
Als ich den Stasi-Komplex betrete, habe ich auch<br />
ein bedrohliches Gefühl. Ein riesiges Gelände, jetzt<br />
„verschönt“ durch viele Firmen- und Reklameschilder.<br />
Eine Stadt in der Stadt. Die Sonne scheint,<br />
es ist hell und freundlich, das mindert diesen bedrückenden<br />
Eindruck. Ich finde das H<strong>aus</strong> 7 mit Hilfe<br />
eines Wachmannes, die es heute auch noch dort gibt.<br />
Sicherheitstüren, Ausweiskontrolle, Passierschein,<br />
Spezial<strong>aus</strong>weis, der Ausweis wird mir abgenommen.<br />
Ganz wie früher in DDR-Ministerien, nur wesentlich<br />
freundlicher.<br />
Herr Sommer bearbeitet meinen Fall. Ich warte in<br />
einem Foyer auf ihn. Er kommt schnurstraks auf<br />
mich zu und begrüsst mich mit meinem Namen. Ich<br />
bin erstaunt und frage: Er hat Insider-Wissen, natürlich<br />
befindet sich in meiner Akte auch ein Bild von<br />
mir (mit Negativ).<br />
Erst sitzen wir im Foyer, zwei Geschosse höher,<br />
dann ich alleine mit der (dünnen) Akte im Lesesaal.<br />
DDR-Interior. Polsterstühle, weisse Tische eine sehr<br />
freundliche Aufsichtsdame. Ich habe den Eindruck,<br />
dass sie die Anwesenden mit der Fürsorge und Nachsicht<br />
behandelt, die man Kranken angedeihen lässt.<br />
Es muss verhindert werden, dass hier einer schreit<br />
oder umfällt. Ich lese Blatt für Blatt und mache mir<br />
Notizen. Danach eine kurze Auswertung mit Herrn<br />
Sommer.<br />
Im Institut für Polygraphische Maschinen, Leipzig,<br />
(IPM) habe ich als Leiter der Abteilung Versuchsfeld<br />
und Vorlaufforschung Versuche zum Schweissen<br />
von Papier mit Ultraschall unternommen. Versuche<br />
im Institut von Prof. v. Ardenne, Dresden, waren erfolgversprechend.<br />
Aber wir brauchten Schweissmaschinen<br />
mit grösserer Leistung. Mit Wissen meiner<br />
Vorgesetzten und ganz offiziell hatte ich deshalb<br />
über das Aussenhandelsunternehmen DIA Elektrotechnik<br />
in Berlin am 29.10.65 mit der Fa. Lehfeld &<br />
Co Kontakt aufgenommen. Sie stellten Ultraschallschweissmaschinen<br />
her. Bei dieser Beratung sass offensichtlich<br />
schon die Stasi mit am Verhandlungstisch.<br />
Weil ich mit Lehfeld den Aust<strong>aus</strong>ch von bei uns<br />
hergestellten Proben vereinbart hatte, wurde Leipzig<br />
alarmiert: Hier will jemand DDR-Forschungsergebnisse<br />
nach Westdeutschland verraten!<br />
Zwei Überraschungen: Für mich gibt es eine IM-<br />
Vorlaufakte und es gibt kein einziges Stück Papier<br />
<strong>aus</strong> der Zeit der Heuristik, von Ratioprojekt und von<br />
meiner Zeit an der Burg Giebichenstein, Halle.<br />
Am 08.06.1966 wurde mit einem Beschluss eine IM-<br />
Vorlaufakte Reg. No. XIII 563/66, Leipzig, mit <strong>dem</strong><br />
Ziel der Anwerbung als GI eröffnet. Ich sollte als<br />
IM (inoffizieller Mitarbeiter der Stasi) angeworben<br />
werden, um eine westdeutsche Firma, Lehfeld & Co,<br />
mit der ich (unerlaubt nach Meinung dieser Herren)<br />
Kontakt aufgenommen hatte, <strong>aus</strong>zuspähen. Ich<br />
wurde einschliesslich Familie „aufgeklärt‘‘ (d.h. beobachtet),<br />
IM‘s in meiner Arbeitsstelle wurden auf<br />
mich angesetzt. Ich wurde verdächtigt, Forschungsergebnisse<br />
an das kapitalistische Ausland verraten zu<br />
haben. Aber bevor die Stasi mit mir das erste Mal<br />
Kontakt aufnehmen konnte, musste die Akte schon<br />
wieder geschlossen werden: ‚Staatliche Stellen‘ verhinderten<br />
meine Anwerbung dadurch, dass keine<br />
Genehmigung für eine Dienstreise zu dieser Firma<br />
erteilt wurde. Unerhörtes Glück gehabt.<br />
Was wäre, wenn? Eine überflüssige Frage. Aber<br />
wenn ich unterschrieben hätte, würde wahrscheinlich<br />
meine ganze Biographie anders <strong>aus</strong>sehen. Die<br />
Stasi hätte verhindert, dass ich bei Polygraph in<br />
Leipzig gekündigt hätte und schon wäre alles anders<br />
gelaufen. Hätte ich unterschrieben? Schwer zu sagen.<br />
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