Storys aus dem Deutschen Alltag 1989 - 2008 - Storyal
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Darf‘s auch ein Ossi sein?<br />
stil mit Klasse‘? Was sagen die Partygäste wenn sie<br />
erfahren, dass ich erst 1993 das erste Mal in der<br />
Toscana war, dass ich die Bronzetüren des Baptisteriums<br />
und seinen wahnsinnigen Fussboden vorher<br />
nur von Bildern kannte?<br />
Was werden sie zu meinem Englisch sagen? Russische<br />
Gäste, mit denen ich mich hervorragend unterhalten<br />
könnte, werden nur selten eingeladen. Sechzig Jahre<br />
bin ich schon alt, aber einen Anzug <strong>aus</strong> Kaschmir<br />
kann ich mir immer noch nicht leisten. Wie sieht<br />
das <strong>aus</strong>, ein Glencheck einfach nur <strong>aus</strong> Schurwolle!?<br />
Und sehe Sie doch Gnädigste, diese Schuhe! Natürlich<br />
keine italienische Mass- und Handarbeit.<br />
Das wäre alles noch zu ertragen und zu kaschieren.<br />
Aber absolut passen muss ich ja bei Grundbesitz im<br />
In- und Ausland. Schon ‚sehr vermögend‘ übersteigt<br />
meine Vorstellungskraft. Ich habe meinen Kindern<br />
angekündigt, dass ich ein grosses Fest gebe, wenn<br />
ich das erste Mal im Leben 5.000 DM netto im Monat<br />
verdient habe. Aber noch ist es nicht so weit.<br />
Die gegenwärtigen Aussichten auf eine Nullrunde<br />
im öffentlichen Dienst lassen die Chancen für diese<br />
Fete schwinden.<br />
Habe ich <strong>dem</strong> ‚sehr vermögend‘ nichts Gleichwertiges<br />
entgegenzusetzen, so muss ich spätestens beim<br />
Grundbesitz im In- und Ausland einsehen, dass ich<br />
hier der falsche Mann am falschen Platze bin. Zwanzig<br />
Jahre haben wir in Köpenick auf <strong>dem</strong> Grundstück<br />
gerackert und gebaut. Hinter je<strong>dem</strong> Ziegelstein<br />
und jeder Rolle Dachpappe steht eine Beschaffungs-<br />
Odyssee. Die in Klein- und Handarbeit entstandene<br />
Hütte ist als Wohnh<strong>aus</strong> zu klein, als Gartenlaube<br />
aber zu gross.<br />
Gott sei Dank hilft uns die Wende <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Dilemma:<br />
Der im Grundbuch eingetragene Eigentümer<br />
besichtigt seinen Grundbesitz, für den er in den letzten<br />
40 Jahren weder die Kaufsumme noch Steuern<br />
bezahlt hat. Er unterbreitet uns ein ultimatives Angebot,<br />
wir akzeptieren verschreckt und werden erst<br />
in 25 Jahren die Schulden wieder los sein.<br />
Im Gegensatz zu dieser Misere: Der Grundbesitz im<br />
In- und Ausland! Nie komme ich als ‚echter‘ Partner<br />
für diese vielleicht sogar sympathische Dame in<br />
Betracht. Wieviel Witz und Charme kann ein schlanken<br />
Nichtrauchers gegen ein Wassergrundstück<br />
mit Villa am Genfer See aufbringen? Aussichtslos.<br />
Sofort, wenn er sich mit seinen Grundbuch- und<br />
Konto<strong>aus</strong>zügen <strong>aus</strong>weisen muss, steht er im Regen<br />
und wird als der erkannt, der er ist: Felix Krull, der<br />
mit Charme und geistreichen Scherzen versucht, in<br />
der hoch kultivierten Welt der alten Bundesrepublik<br />
masslos glücklich zu werden.<br />
Aber die Powerfrau mit ihren intelligenten Kindern<br />
hätte ja keine Klasse, würde sie nicht sofort durchschauen,<br />
dass sich da ein viel zu hoch pokernder<br />
Ossi als Wessi verkleidet hat!<br />
Aber vielleicht gibt es doch ein Happy-End: Braucht<br />
die vielbeschäftigte Unternehmerin nicht vielleicht<br />
einen zuverlässigen Automobilisten, der sie ruhig,<br />
sicher und schnell in ihrer edlen Karosse zu den Besitztümern<br />
im In- und Ausland chauffiert?<br />
Eine aufschlussreiche Story <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> deutschen <strong>Alltag</strong>.<br />
Kaum zu glauben, wie allgegenwärtig die jüngere<br />
deutsche Geschichte ist und wie rigoros sie<br />
Deutsche von <strong>Deutschen</strong> noch auf lange Zeit trennen<br />
wird.<br />
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