Storys aus dem Deutschen Alltag 1989 - 2008 - Storyal
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Die Sieger der Geschichte<br />
Solidarität hat ihre Wurzeln in <strong>dem</strong> alten Slogan der<br />
Arbeiterbewegung: ‚Proletarier aller Länder, vereinigt<br />
Euch!‘ Für die ‚internationale Solidarität‘ wurden<br />
innerhalb des sozialistischen Lagers hohe finanzielle<br />
Mittel aufgebracht und logistische sowie personelle<br />
Unterstützung für sozialistische Länder oder Organisationen<br />
in der dritten Welt geleistet.<br />
Aber natürlich richteten sich die Missionierungsund<br />
Bekehrungsbemühungen in erster Linie auf das<br />
eigene Volk. Besonders in den ersten 10 Jahren des<br />
Bestehens der DDR wurde dabei (z.B. bei der Kollektivierung<br />
der Landwirtschaft) auch Gewalt angewendet.<br />
Später wurden die Methoden subtiler und<br />
effektiver (nicht auf die Oberschule, keine Lehrstelle<br />
und kein Studienplatz für die Kinder, eine Arbeit, die<br />
nicht der Qualifikation entsprach, Drangsalierung<br />
durch den Geheimdienst ...). Grundsätzlich blieb,<br />
solange die DDR existierte, der Anspruch der gleiche:<br />
Zur Not muss jeder auch mit Gewalt zu seinem<br />
Glück gezwungen werden. Die ideologische Intoleranz<br />
liess Opposition in keiner Spielart zu. Es galt<br />
die Devise: ‚Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns!‘<br />
Hier liegen auch die Wurzeln der Wahlfälschungen.<br />
Die sozialistische Welt war erst bei 100% in Ordnung.<br />
Die Partei akzeptierte einfach nicht, dass die Menschen<br />
von Natur <strong>aus</strong> verschieden sind. Im Gegenteil,<br />
man wollte ja gerade den ‚neuen Menschen‘ durch<br />
Erziehung und Ausbildung schaffen. Und der neue<br />
Mensch ist ‚parteilich‘, ohne Wenn und Aber für den<br />
Sozialismus und er macht bei JA sein Kreuz!<br />
Heilsgewissheit und Erlösung<br />
Die Heilsgewissheit drückt sich in solchen Sätzen<br />
<strong>aus</strong> wie: ‚Wir sind die Sieger der Geschichte!‘ oder:<br />
‚Der Marxismus ist ewig, weil er wahr ist!‘ Die ‚Wissenschaftliche<br />
Weltanschauung‘ erklärte die Welt alleine<br />
mit den Naturgesetzen und kam ohne Gott <strong>aus</strong>.<br />
Auch die Gesetze des Dialektischen Materialismus<br />
wurden als Naturgesetze interpretiert. Der Satz ‚Die<br />
Welt ist erkennbar‘, hochstilisiert zur ‚Grundfrage<br />
der Philosophie‘, wurde als Naturgesetz angesehen,<br />
obwohl auch er nur ein Glaubenssatz, höchstens<br />
eine Hypothese, ist. Aber mit solchen Sätzen wurde<br />
eine K<strong>aus</strong>alkette für den ‚unaufhaltsamen, gesetzmässigen<br />
Sieg des Sozialismus über den Kapitalismus‘<br />
konstruiert, die zwangsläufig die Heilsgewissheit<br />
einschliesst.<br />
Besonders stolz waren die Ideologen des Systems<br />
darauf, dass man den Menschen die Erlösung schon<br />
im Diesseits versprechen konnte: Mit <strong>dem</strong> Kommunismus<br />
ist das Paradies auf Erden erreicht, Geld<br />
ist überflüssig und abgeschafft, jeder kann uneingeschränkt<br />
seine Bedürfnisse <strong>aus</strong>leben.<br />
Die ‚Gesellschaftswissenschaftler‘ hielten sich sehr<br />
bedeckt, wenn es um die Frage ging, wann die kommunistische<br />
Gesellschaft erreicht und wie sie strukturiert<br />
sein sollte. Dazu konnten sie bei Marx nichts<br />
finden, er war klug genug, sich in dieser Frage sehr<br />
zurück zu halten. Tabu war die Frage, zu welcher<br />
Gesellschaftsordnung sich der Kommunismus weiterentwickeln<br />
würde. Eine völlig logische Frage,<br />
wenn sich die Gesellschaft angeblich vom Niederen<br />
zum Höheren entwickelt. Aber wer ‚spitzfindige‘<br />
Fragen dieser Art stellte, wurde als ‚gefährlich intelligent‘<br />
eingestuft. Diesen Status hatte ich mir schon<br />
als Student erworben.<br />
Positive Seiten des DDR-Sozialismus<br />
Natürlich hat jedes Gesellschaftssystem Vor- und<br />
Nachteile. Auch die bornierte und rechtgläubige<br />
DDR hatte ihre starken Seiten. An erster Stelle steht<br />
dabei die absolute soziale Sicherheit. Sie war unbestritten<br />
in der DDR für alle Bürger gegeben. Jeder<br />
hatte Arbeit, eine solide Ausbildung, jeder hatte eine<br />
Wohnung, viele eine Datsche und ein Auto. Das<br />
Preisgefüge war deutlich auf niedrige Einkommen<br />
<strong>aus</strong>gerichtet. Niemand brauchte irgendwelche Zukunftsängste<br />
zu haben. Die eigene Zukunft und die<br />
der Kinder war materiell gesichert.<br />
Für mich persönlich steht schon an zweiter Stelle die<br />
grundsätzlich rationale, naturwissenschaftlich-philosophische<br />
Grund<strong>aus</strong>richtung der DDR. Das betraf<br />
alle Bereiche der Gesellschaft (... nur nicht den der<br />
Ideologie!). Hier hat sich der Dialektische Materialismus<br />
tatsächlich <strong>aus</strong>gewirkt. Diese Sicht war einfach<br />
wohltuend. Wissenschaftliche Tatsachen, religiöse<br />
Überzeugungen und die absurdesten Behauptungen<br />
wurden im öffentlichen Leben und in den Medien<br />
nicht mit <strong>dem</strong> gleichen Stellenwert behandelt, wie<br />
das jetzt der Fall ist. Aber gerade das ist ja ein Charakteristikum<br />
des Pluralismus.<br />
Drittens sind die Bürger der DDR im täglichen<br />
Leben grundsätzlich menschenwürdiger miteinander<br />
umgegangen, als das jetzt der Fall ist. Dafür<br />
war entscheiden, dass niemand reich war und Geld<br />
kaum eine Rolle spielte. Dafür aber kamen wirklich<br />
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