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Anders als ihre minder selbstbewussten Vorgänger werden die<br />
HochLit-Prätorianer all das so unverhohlen tun, und mutig<br />
die Schlacht auf das Feld der Äußerlichkeit, des Kampfgeistes,<br />
der Selbstentfremdung und Verfremdung führen, und auf<br />
diesen scheinbar unwirtlichen literarischen Terrains ihre eigenen<br />
Anliegen aggressiv in den Vordergrund stellen.<br />
Demzufolge wird beispielsweise die erlösende Macht der<br />
Kunst auf den blutig-imperialen Trümmern Iraks bestätigt<br />
werden; vor dem Hintergrund einer polemischen Traumlogik<br />
werden Gedanken über die Melancholie des Alters und die<br />
Wiederentdeckung der Lebensbejahung in den Armen einer<br />
etwas jüngeren Frau entfaltet; und ergreifende Geschichten<br />
über Verrat in der Familie und Seitensprünge unter Akademikern<br />
werden in Außerirdischen-Invasionsszenarien angesiedelt.<br />
Einflussgeber werden alle Booker-Preisträger sein, insbesondere<br />
Ian McEwan, und ganz besonders sein Buch »Saturday«,<br />
das zum grundlegenden Werk der HochLit-Prätorianer<br />
erkoren wird.<br />
Was man sagen darf: »Große Literatur transzendiert Alltagsangelegenheiten.«<br />
Was man nicht sagen darf: »›Hochliteratur‹ ist eine Marketingschublade.«<br />
4) Noird<br />
Weird Noir, ausgesprochen ›Nward‹. Kandidaten für diese Bewegung<br />
tauchen bereits auf in Form von Kriminalromanen,<br />
speziell solchen des Hard-Boiled-Schlages, die durchdrungen<br />
sind mit fremdartigen Seltsamkeiten. Detektivgeschichten,<br />
die dem angeblich Alltäglichen gegenüber zutiefst misstrauisch<br />
sind, egal ob dabei die guten Sitten gemieden werden<br />
oder nicht.<br />
Die Einflüsse werden ziemlich offensichtlich sein. Zum einen<br />
die kraftvollen Krimis von Dashiell Hammett, Raymond<br />
Chandler, Minette Walters, Martin Cruz Smith, Sara Paretsky,<br />
Karin Slaughter, Conan Doyle und unzähliger anderer.<br />
Ebenso Filme, besonders einfarbige, ganz besonders solche<br />
mit Trenchcoats, schattenwerfenden Hüten und Händen, die<br />
rauchende Revolver halten.<br />
Das andere Einflussgebiet wird freilich das Seltsame<br />
(Weird) sein, das man sich hier nun breit gefächert vorstellen<br />
muss. Es reicht vom ausdrücklich tentakeligen Cthulhuiden,<br />
bis zum oneiroiden Slipstream. Von Lovecraft bis Murakami,<br />
von Machen bis Svankmajer, von Ligotti und C. L. Moore bis<br />
Louise Bourgeois und Stefan Grabinski. Du wirst wohl Noird<br />
lesen, wenn ein/e makelhafte/r Held/in mit Filzhut ein Tiefes<br />
Wesen mit Fragen löchert, Beweisstücke findet, die sich,<br />
nachdem sie eingetütet und etikettiert wurden, von selbst in<br />
wertlosen Schmuck rekonfigurieren, Tchotchkes und Odradeken;<br />
oder der/die Held/in erkennt, dass der Mörder ein personifizierter<br />
Albtraum einer schleierhaften Komplikation des<br />
Alltäglichen ist.<br />
Was man sagen darf: »Alle Krimigeschichten sind natürlich<br />
eigentlich Traumgeschichten.«<br />
Was man nicht sagen darf: »Ich bevorzuge Kuschelkrimis.«<br />
5) Salvagepunk<br />
Weiland der Steampunk erschöpft auf die Endpuffer zukreucht<br />
und -scheppert, mit einer wachsenden Last an Büchern<br />
hinter sich, fand die Jagd nach dem nächsten großen<br />
Irgendwas-Punk ein Ende. Die Orgie an Para-Viktoriania<br />
war beeindruckend stur, hat aber ihre Grenzen, und anstatt<br />
sich eine andere, frühere Produktionsweise anzueignen –<br />
Dampf, Staub, Stein, Diesel – wird die Punkästhetik sich besinnen<br />
auf Selbermachen, Zusammenflicken, Gegensätzlich-,<br />
Uneinheitlich- und Respektlosigkeit und damit aufmachen<br />
und abheben. Man wird nicht fiktive Abzweigungen<br />
der geschichtlichen Entwicklung unter die Lupe nehmen<br />
(und sich verständlicherweise dabei klagend unwohl mit<br />
der Vorstellung fühlen, dass diese Entwicklung tatsächlich<br />
zielgerichtet war und in welchem Verhau sie mündete),<br />
sondern man wird annehmen, dass die historische Geschichte<br />
selbst immer schon ein Flickwerk war, und was wir<br />
eigentlich damit anstellen sollen. Auch wenn das den Anschein<br />
erweckt, es würde sich dabei um apokalyptische Fiktionen<br />
handeln, wird es eigentlich nicht um implizierte Katastrophen<br />
gehen, sondern um das Zusammenkratzen von<br />
Kultur aus Abfällen (voraussetzend, dass jegliche Kultur immer<br />
schon und auch zukünftig derart zusammengepflückt<br />
wurde und wird). Es wird eine Kunst des Zusammenpfriemelns,<br />
des Werkzeuggebrauchs und Einfallsreichtums sein.<br />
Diese Fiktionen werden von militant-amnesischem Desinteresse<br />
gegenüber der Herkunft kultureller Meme und ›reiner‹,<br />
›ursprünglicher‹ ›Absichten‹ durchdrungen sein – solche<br />
Trugbilder werden die Salvagepunks spöttisch und polysemisch<br />
zu ›(P)Urabsichten‹ und ›Posen‹ umgestalten –<br />
das wird dann eine Literatur geben, welche das Wiederaneignen<br />
feiert, und/aber dabei die Vorsilbe ›wieder‹ vergisst:<br />
also, Fiktionen der Aneignung, die Tatsache missachtend,<br />
dass Ruinen ruiniert sind und jemals etwas anderes<br />
waren.<br />
Wenn (Walter) Benjamin warnt, dass die historische Geschichte<br />
ein Engel ist, der auf einen gewaltigen Schutthaufen<br />
starrt, dann ignoriert Salvagepunk den Engel und stöbert im<br />
Schutt auf der Suche nach einem Auto, das man kurzschließen<br />
kann.<br />
No. 4 • Januar 2010 andromeda extended magazine www.sfcd.eu • p. 96