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Heft 1 - Institut für Zeitgeschichte

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Die Sowjetwirtschaft als historisches Phänomen 11<br />

extremer Ertragsschwankungen zu sichern, wurde deshalb in diesem Staatsraum<br />

durch Jahrhunderte der Großbetrieb, die Gutswirtschaft mit abhängigen Arbeitskräften<br />

politisch privilegiert.<br />

Der beste europäische Sachkenner des russischen Agrarproblems um die Mitte<br />

des 19. Jahrhunderts, Alexander v. Haxthausen, bemerkte 11 : „Wenn Großgrundbesitz<br />

<strong>für</strong> den Fortschritt der Zivilisation und des nationalen Wohlergehens in<br />

Rußland erforderlich ist, was nach meiner Ansicht nicht bestritten werden kann,<br />

so kann man die Leibeigenschaft nicht abschaffen." Dabei ist an dieser Stelle<br />

offenbar nicht die juristische Form, sondern der betriebswirtschaftliche Effekt der<br />

Leibeigenschaft gemeint. Für nahezu alle russischen Sozialreformer des 19. Jahrhunderts<br />

ist das Leitbild die Produktionsgemeinschaft auf der Grundlage der vorhandenen<br />

Obscina (Periodische Umverteilung des Landes durch die Dorfgemeinde),<br />

die sozialen Fortschritt unter Beibehaltung des als überlegen erachteten Großbetriebes<br />

bringen sollte 12 .<br />

Wir haben bei der Bewertung der Ergebnisse der liberalen Agrarreformen<br />

Rußlands gesehen, daß sie zwar in einigen klimatisch bevorzugten Zonen einer<br />

marktorientierten Farmwirtschaft den Weg freigelegt, jedoch das Agrarproblem<br />

im ganzen, nämlich die Frage, wie die wachsende ländliche Überbevölkerung in<br />

industrielle Arbeit übergeführt, die da<strong>für</strong> nötige Kapitalakkumulation rechtzeitig<br />

bereitgestellt und die Ernährung der wachsenden Städte gesichert werden sollte,<br />

nur auf eine andere Ebene gehoben, aber nicht gelöst hat. Auch Lenin hinterließ<br />

im Bereich der Landwirtschaft im Grunde nichts mehr als die Restituierung<br />

des Stolypinschen Modells und die programmatische Erwartung, die Kleinbauern<br />

würden, von den Vorteilen technisch überlegener Produktionsgenossenschaften<br />

überzeugt, ihre Individualwirtschaft eines Tages freiwillig aufgeben 13 . Die Verstaatlichung<br />

der schon im Zarismus hochentwickelten Industriemonopole und<br />

Trusts schuf zunächst nur die Machtbasis <strong>für</strong> die beabsichtigte beschleunigte Erschließung<br />

der Ressourcen des Raumes. Die zentrale wirtschaftspolitische Frage,<br />

wie das da<strong>für</strong> erforderliche Kapital beschafft werden sollte, war damit noch nicht<br />

gelöst.<br />

Dieses eigentliche Dilemma der Industrialisierung des sowjetischen Raumes<br />

zeigte sich bereits in der Diskussion um die Generallinie der Wirtschaftspolitik<br />

der Jahre 1924-1928 14 . Der von Bucharin und Rykow vertretenen Idee, über eine<br />

allmähliche Wohlstandsbildung in der individual bäuerlichen Landwirtschaft und<br />

durch wachsende Arbeiterlöhne die sozialistische Großindustrie von der Endnach-<br />

11 Alexander v. Haxthausen, Studien über die inneren Zustände, das Volksleben und insbesondere<br />

die ländlichen Einrichtungen Rußlands, Hannover 1847.<br />

12 S. A. Gerschenkron, The Problem of Economic Development in Russian Intellectual<br />

History of the Nineteenth Century, in: Continuity and Change in Russian and Soviet Thought.<br />

(Sammelwerk, Hrsg. E. J. Simmons, Cambridge Mass. 1955, S. 12ff.)<br />

13 Im Jahre 1928 betrug die Zahl der Staatsgüter 1407, in Kolchosen waren nur 0,4 Mio<br />

(1959: 18,5 Mio) Bauernstellen vereinigt, (nach Statist. Jahrb. Moskau.1960 [russ.], S. 307.)<br />

14 Vgl. A. Erlich, a. a. O. (vgl. Anm. 4).

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