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Heft 1 - Institut für Zeitgeschichte

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Zerrspiegel des 20. Juli 65<br />

Noch einschneidender ist das Fehlen einer quellenkritischen Einleitung. Der<br />

Herausgeber hält dem entgegen, ein Kommentar könne nicht frei von subjektiven<br />

Wertungen sein, der Inhalt der Dokumente solle <strong>für</strong> sich selbst sprechen. Das hört<br />

sich ganz gut an. Wir wissen heute z. B., daß in den Anmerkungen zur Aktenausgabe<br />

der „Großen Politik" manche apologetische Interpretation steckt, die jetzt im<br />

Gange befindliche Publikation vermeidet das aufs strengste. Aber Akten sind nicht<br />

gleich Akten und Inhalt nicht gleich Inhalt. Das Gegenständliche allein schon ist<br />

auf dem Gebiet der <strong>Zeitgeschichte</strong> häufig genug von einer Art, daß es einer streng<br />

wissenschaftlichen Einführung bedarf. Mit Recht würde man das <strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Zeitgeschichte</strong><br />

schwer getadelt haben, wenn es etwa die Aufzeichnungen des Kommandanten<br />

von Auschwitz veröffentlicht hätte, ohne ihren Erkenntniswert, der allerdings<br />

sehr groß ist, genau zu bezeichnen und zu begrenzen. In Analogie wäre hier<br />

zu sagen gewesen, daß zum mindesten teilweise der Erkenntniswert der Kaltenbrunner-Berichte<br />

eher in Aufschlüssen über die Methoden der Gestapo und ihre<br />

Mentalität als in Aufschlüssen über den 20. Juli beruht. Vor allem aber bedurfte die<br />

Natur der Quellen einer kritischen Erörterung. Es muß, um auf vorhin Gesagtes<br />

zurückzugreifen, durchaus bestritten werden, daß sie <strong>für</strong> den Normalleser ohne<br />

weiteres erkennbar sein kann. Sehr wider Willen ist der Rezensent in „Christ und<br />

Welt" selbst ein Zeuge da<strong>für</strong>, indem er von „Protokollen" schreibt. Protokolle sind<br />

die Berichte nun eben nicht, was immer auch über deren Quellenwert unter den<br />

gegebenen Umständen anzumerken wäre. Es finden sich einige Wiedergaben von<br />

Aussagen mit mehr oder weniger deutlichem Anspruch auf Wörtlichkeit. So etwa<br />

<strong>für</strong> eine Randfigur wie den Kaplan Wehrle (S. 321 ff.) oder - ebenso am Rande - <strong>für</strong><br />

Goerdelers Fluchtweg (S. 217ff.). Auch die - übrigens interessanten - Auszüge aus<br />

den Vernehmungen des Russen Kaulbars gehören hierher. Im übrigen aber spricht<br />

die Gestapo (und zwar durch die Feder mehrerer Beamter der Sonderkomission,<br />

nicht nur des im Vorwort genannten Obersturmbannführers v. Kielpinski). Sie faßt<br />

ihre Beobachtungen und Analysen zusammen. Und auf welche Umstände und<br />

Methoden griff sie dabei zurück? Der Herausgeber weiß zwar von dem Erlaß des<br />

Chefs der Geheimen Staatspolizei über „verschärfte Vernehmungen" vom 12. 6.<br />

1942. Aber in diesem Fall wird der Kiesel-Bericht nicht zitiert, in dem zu lesen<br />

steht, daß Hitler selbst die „verschärften Vernehmungen" anbefahl und daß in der<br />

Sonderkommission „Schläger" waren, im Sadismus geschult. Statt dessen stellt das<br />

Vorwort eine „bemerkenswerte Aussagefreudigkeit" fest und fährt fort: „Obwohl<br />

der psychologische Druck auf die Angeklagten nach dem Scheitern des Attentats<br />

nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, wird doch im einzelnen noch zu untersuchen<br />

sein, in welchen Fällen ... verschärfte Vernehmungen ... angewendet wurden.<br />

Wie im einzelnen auch das Ergebnis dieser Untersuchung ausfallen mag, der<br />

historische Erkenntnis- und Beweiswert [!] dieser Berichte wird in ihrer Gesamtheit<br />

davon nicht wesentlich beeinträchtigt werden."<br />

Das wird nicht mehr als Naivität, sondern nur als absichtliche Irreführung zu<br />

charakterisieren sein. Die Leser - darunter junge Menschen, die von den Umständen<br />

jener Zeit nicht ohne weiteres Kenntnis haben — erfahren nichts über die Folter-<br />

Vierteljahrshefte 5/1

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