Heft 1 - Institut für Zeitgeschichte
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64 Hans Rothfels<br />
II.<br />
Die Tendenz, von der die Rede war, findet sich in versteckten Anspielungen des<br />
Vorworts, ja im Grunde schon im Titel: „Spiegelbild einer Verschwörung", man<br />
könnte auch sagen im braunen Umschlag, wie denn ein Rezensent (v. Aretin im<br />
„Münchner Merkur" v. 4./5. 11. 61) seine Besprechung mit gutem Recht (und nicht<br />
nur des Umschlags wegen) überschrieben hat: Ein Braunbuch über den 20. Juli.<br />
Aber abgesehen von solchen Anzeichen: Was würde von einem um die Wahrheit<br />
bemühten Herausgeber zu fordern sein? In erster Linie gewiß Vertrautheit oder<br />
ein Sichvertrautmachen mit dem Gegenstand. Daran fehlt es durchaus. Ein oder<br />
zwei Beispiele seien gegeben. Es finden sich in dem Buch durchaus wertvolle und objektive,<br />
d. h. nicht manipulierte Quellen, nämlich das in Anlagen gegebene beschlagnahmte,<br />
also „echte" Material. Hier wird von den wirklichen Motiven des Widerstands<br />
und der Verschwörung Zeugnis abgelegt, von ihren ethischen Grundantrieben<br />
statt von der Gestapo-Interpretation, und es wird auch der weit in die Vorkriegszeit<br />
zurückreichende Hintergrund des 20. Juli erhellt. Viel davon ist indessen schon früher<br />
publiziert worden. Davon weiß der Herausgeber offenbar nichts, sonst hätte wohl<br />
der einfachste literarische Anstand einen Hinweis darauf erfordert, auch würde er<br />
die falschen Zuschreibungen der Gestapo nicht kommentarlos übernommen haben<br />
(so etwa <strong>für</strong> die Broschüre „Das Ziel" an Kaiser statt Goerdeler).<br />
Weiter wäre sicher eine Vertrautheit mit den üblichen Editionsmethoden zu<br />
fordern. Auch daran fehlt es weitgehend. An Hand der auch an anderen Stellen verfügbaren<br />
Fotokopien vom amerikanischen Mikrofilm, auf dem (und nicht auf einem<br />
Geheimdokument im „Panzerschrank") die Publikation beruht, lassen sich - abgesehen<br />
von drei absichtlichen Auslassungen — auch andere, nicht angemerkte<br />
Lücken, falsche Datierungen, vor allem das Weglassen handschriftlicher Zusätze, der<br />
Einlaufs- und Bearbeitungsvermerke, u. ä. konstatieren 2 . Aber der Hauptvorwurf<br />
bezieht sich auf das Weglassen von kritischer Einleitung und Kommentar. Gewiß<br />
gibt es da<strong>für</strong> keine schlechthin bindenden Regeln. Und man kann allerlei Einwände<br />
haben gegen eine übertriebene Textphilologie („hier irrt Goethe") und eine Bevormundung<br />
des Lesers durch eine Häufung von erklärenden Fußnoten. Aber faustdicke<br />
Lügen sollten nicht ohne Berichtigung hingehen, und auch bei feststellbaren<br />
Irreführungen sollte man es nicht kritiklos bewenden lassen. Auf Seite 445 werden<br />
die „Gerüchte" (auch innerhalb der Wehrmacht) über Vergeltungsmaßnahmen<br />
erwähnt, wonach die Sippenhaft selbst „vor kleinen Kindern" nicht halt macht.<br />
Wäre es im Dienst der Wahrheit hier nicht geboten gewesen anzumerken, daß dies<br />
kein Gerücht, sondern brutale Tatsache war. Es muß durchaus bestritten werden,<br />
daß der durchschnittliche Leser davon weiß, daß selbst zwei- und dreijährige Kinder<br />
ihren Müttern weggenommen und unter falschem Namen in Bad Sachsa im Harz<br />
verborgen gehalten wurden.<br />
2 Einzelheiten dazu in einem Artikel von Hans-Adolf Jacobsen (Das Parlament, 8. 11. 61)<br />
und einer im Bundesarchiv gefertigten Stellungnahme von Hans Booms in der Zs. „Der Archivar",<br />
Jg. 1962, <strong>Heft</strong> 1.