Heft 1 - Institut für Zeitgeschichte
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20 Hildegard Brenner<br />
öffentlichen Diskussion noch relativ weit hielt, einer oppositionellen Strömung<br />
Raum, die - die Priorität der machtpolitischen Lage verkennend - wähnte, die<br />
kunstpolitische Linie der Zukunft noch beeinflussen zu können. Als selbst führende<br />
Kreise des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes diese Hoffnungen<br />
teilten, zu Wortführern der Opposition wurden und diese in Form einer Revolte in<br />
die Öffentlichkeit trugen, waren grundsätzliche Entscheidungen herausgefordert.<br />
Hitler beendete die Diskussion autoritativ; nur das Stichwort zu seiner Kritik<br />
an den Völkischen übernahm er aus ihr. Der Kampf um die künstlerische Moderne<br />
wurde als Episode abgetan. Und das blieb er auch, <strong>für</strong> sich gesehen. Daneben aber<br />
kommt ihm eine weitere, aufklärende Bedeutung zu: Die Auseinandersetzung um<br />
den deutschen Expressionismus und den italienischen Futurismus zeigt nämlich,<br />
wie Gleichschaltung, Aufbau der Kontrollen usw. quasi von innen her sich vollziehen,<br />
als ein dynamischer Vorgang, voller Widersprüche, zeit- und machtbedingter<br />
Rücksichten, taktischer Haltungen. Sie zeigt ferner, wie in den Rivalitätskämpfen<br />
der hohen Parteiführer der Umbau des Sektors Kunstpolitik vorgenommen wird;<br />
wie jene Spannungen schließlich zu Faktoren der neuen Herrschaftsformen werden.<br />
Gerade die Tatsache, daß die Kunstdiskussion „nur" eine Rolle in diesem übergreifenden<br />
(kunst-)politischen Klärungsprozeß spielte, was sie als Ereignis abgrenzt<br />
und überschaubar macht, gestattet um so differenziertere Einblicke in die Empirie<br />
politisch-totalitärer Machtintegration, wie sie der Schritt von der Eroberung der<br />
Macht zu ihrer Ausübung mit sich bringt.<br />
I<br />
Es bleibt die Frage offen, warum eine kunstpolitische Opposition sich<br />
gerade auf dem Gebiet der bildenden Kunst formierte und überdies unter den<br />
Künsten die einzige blieb, der in jener noch frühen Phase politischer und geistiger<br />
Gleichschaltung ein Durchbruch in die Öffentlichkeit gelang.<br />
Die ersten Vorwürfe wurden laut, als nach dem 30. Januar 1933 die Kampfbund-<br />
Truppen Alfred Rosenbergs ihre Initiative breit entfalteten, als die Praktiken der<br />
thüringisch-nationalsozialistischen Kunstpolitik zum Regulativ der täglich anfallenden<br />
Entscheidungen zu werden drohten. In den Metropolen sprach man von „reaktionärer<br />
Kunstpolitik", von „Ausschreitungen in der Provinz". Nachrichten<br />
trafen ein, daß Politische Kommissare bereits Bestände und Verwaltungen der<br />
staatlichen Museen „reinigten". Unerwünschte Lehrer an Kunsthochschulen wurden<br />
boykottiert, private Aussteller bedroht, moderne Kunstwerke an öffentlichen<br />
Gebäuden zerstört. Die Museen Karlsruhe, Halle und Mannheim richteten die<br />
ersten sogenannten Schreckenskammern ein 8 : Nicht-öffentliche Bestände und in<br />
privaten Ateliers beschlagnahmte erotische Blätter wurden der Öffentlichkeit als<br />
kostspielige Museumserwerbungen vorgestellt. Der Vandalismus fand Resonanz in<br />
einem getäuschten Publikum.<br />
8<br />
Rave, Paul Ortwin: Kunstdiktatur im Dritten Reich. Hbg. 1949. S. 24f.