26.12.2013 Aufrufe

Heft 1 - Institut für Zeitgeschichte

Heft 1 - Institut für Zeitgeschichte

Heft 1 - Institut für Zeitgeschichte

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

2 Hans Raupach<br />

theorie, die den Weg der Menschheit zum kommunistischen Wohlfahrtsstaat als<br />

gesetzmäßige Gewißheit prognostiziert. Die Auseinandersetzung mit dem historischen<br />

Charakter des sowjetischen Wirtschaftssystems ist demnach von aktueller,<br />

allgemeiner [Bedeutung; sie ist nicht mehr ein interner Richtungsstreit unter<br />

Marxisten, wie dies in den Anfängen der bolschewistischen Revolution anzunehmen<br />

noch möglich war.<br />

Es geht hier nicht darum, den geschichtsphilosophischen Gehalt des Marxismus<br />

und Leninismus zu erörtern. Im folgenden soll nur einigen wirtschaftlichen Bedingungen<br />

grundsätzlicher politischer Entscheidungen der Sowjetmacht nachgegangen<br />

und versucht werden, Alternativen, die in bestimmten geschichtlichen Situationen<br />

der politischen Führung gestellt waren, nachträglich in das Kalkül volkswirtschaftlicher<br />

Ratio zu fassen. Danach wird erwogen werden, ob auf der so gebotenen<br />

Grundlage auch ein Ansatzpunkt <strong>für</strong> eine Kritik des geschichtsphilosophisch begründeten<br />

Anspruchs des sowjetischen Kommunismus auf die führende Rolle in<br />

der sozialen Weltentwicklung gefunden werden könnte.<br />

W. W. Rostow, Wirtschaftshistoriker am <strong>Institut</strong> of Technology in Massachusetts<br />

(USA), hat in seinem jüngst erschienenen höchst anregenden Essay „The Stages of<br />

Economic Growth" - „a non-Communist-Manifesto" den Versuch unternommen,<br />

das bekannte Stufenschema des historischen Materialismus in die Kategorien der<br />

modernen wirtschaftshistorischen Erfahrungen zu übersetzen. Er kommt zu dem<br />

Ergebnis, daß Marx in seiner Sequenz von geschichtlichen Klassengesellschaften<br />

in der Stufe des „Kapitalismus" nichts anderes beschrieben habe als die sozialen<br />

Determinanten und technologischen Bedingungen der Verwandlung jeder traditionellen<br />

Agrargesellschaft in eine zum industriellen Wohlfahrtsstaat aufsteigende<br />

Gesellschaftsformation, und daß man sich in der Deutung des Prozesses von ihm<br />

nur durch die Erklärung der Motivation der gesellschaftlichen Handlungen zu<br />

unterscheiden brauche. Rostow hat damit die heute wohl zunehmende Einsicht<br />

präzisiert, daß die von den Bolschewiki eingeleitete umwälzende Verwandlung der<br />

russischen Gesellschaft nicht, wie ihre Ideologen meinen, die Realisierung der<br />

„höheren sozialistischen" Stufe der Menschheitsentwicklung darstelle, sondern<br />

eine regionale, wenn auch bedeutsame Sonderform der mit zwingender Entwicklungsgesetzlichkeit<br />

sich vollziehenden Industrialisierung der ganzen Welt.<br />

Wenn man diese Auffassung zu teilen bereit ist, kann man nun einen Schritt<br />

weitergehen und die Frage stellen, warum die Initiatoren und Lenker des sowjetischen<br />

Industrialisierungsprozesses Methoden gewählt haben, die zu einer spezifischen<br />

Form zentralgelenkter Verwaltungswirtschaft geführt haben. Die hier versuchte<br />

Antwort auf diese Frage bedient sich nur ökonomisch-rationaler Erwägungen.<br />

Eine ausschließlich wirtschaftliche Bestimmtheit des Geschichtsverlaufes soll<br />

damit nicht behauptet werden.<br />

Die ökonomische Erklärung geschichtlicher Zusammenhänge ordnet die Fülle<br />

der Tatsachen unter zunächst vereinfachenden theoretischen Annahmen; mit fortschreitender<br />

Annäherung an die Wirklichkeit ergeben sich Modifikationen. Im<br />

Rahmen dieses Versuchs kann nur der erste Schritt getan werden. Es wird dabei

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!