Heft 1 - Institut für Zeitgeschichte
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4 Hans Raupach<br />
nachmerkantilistischen Zeit auf einigen Vorteilen, die man ökonomisch als Differential-,<br />
vornehmlich Lage-Renten der westeuropäischen Staaten bezeichnen<br />
könnte.<br />
Diese Vorteile waren:<br />
1. Die Anhäufung von Kapital aus dem Handel mit überseeischen Kolonien;<br />
2. Die Verbindung wissenschaftlich-technischen Fortschritts mit der handwerklichen<br />
Fähigkeit und unternehmerischen Erfahrung breiter Schichten kleiner und<br />
mittlerer Unternehmer und absatzorientierter bäuerlicher Familienbetriebe;<br />
3. Die Möglichkeit, überschüssige, tatkräftige Bevölkerungsteile in koloniale<br />
Siedlungsgebiete abwandern zu lassen, wohin sie technisches Wissen und auch<br />
Kapital brachten, um schließlich mit den Mutterländern auf einer höheren Ebene<br />
des Wohlstandes und Welthandels in Leistungstausch zu treten.<br />
Den Nährboden dieser technischen Fähigkeiten und kommerzieller Erfolge bildete<br />
die bevorzugte naturgeographische Lage der nordatlantischen Volkswirtschaften<br />
im Weltganzen. Das ausgeglichene ozeanische Klima gestattete intensive<br />
Landwirtschaft bei günstiger Verteilung des Arbeitsaufwandes über das ganze Jahr.<br />
Die dadurch mögliche Verdichtung leistungsstarker Agrarbevölkerung ermöglichte<br />
seit dem Mittelalter einen ebenso dichten gewerblichen Überbau. Zu Beginn des<br />
Industriezeitalters profitierten die Gewerbe wiederum von der relativen Nähe<br />
wichtiger industrieller Rohstoffe, vor allem Kohle und Eisen. Schließlich rückte der<br />
billige Wassertransport auf Flüssen, Kanälen und Ozeanen die Stätten der Erzeugung<br />
und des Verbrauches seit altersher eng zusammen.<br />
In der Zusammenschau aller dieser Umstände eröffnet sich der Blick auf ein in<br />
der Welt einzigartiges ökonomisches Kraftfeld von naturbegünstigten Standorten<br />
der Landwirtschaft und Industrie. Es bildete eine wesentliche Grundlage <strong>für</strong> den<br />
frühen zivilisatorischen Fortschritt und den Wohlstand der westlichen Welt und<br />
<strong>für</strong> die Möglichkeit, Arbeit und Kapital in anderen Weltteilen einzusetzen, wo<br />
immer sich lohnende Chancen boten.<br />
Seitdem Rußland als ein nach Ost und West expandierendes Imperium auf den<br />
Schauplatz der Geschichte getreten ist, hatte es seine Machtgrundlage auch an der<br />
entwickelten Wirtschaftskraft des Westens zu messen. Durch schwere militärische<br />
Niederlagen im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgeschreckt, konnte es<br />
nicht umhin, zu versuchen, eine entsprechende wirtschaftliche Gegenmacht zu<br />
errichten.<br />
Diesem Bestreben standen ökonomische Auswirkungen sozialer und natürlicher<br />
Umstände entgegen, die fast in jeder Hinsicht denen der atlantischen Welt diametral<br />
entgegengesetzt waren:<br />
1. Die große Masse der arbeitenden Bevölkerung bildeten Bauern - um 1900<br />
noch 80 von Hundert -, von denen wieder der größte Teil nicht „spannfähig"<br />
war, um hier einen Ausdruck der preußischen Agrarreformen <strong>für</strong> die eigenwirtschaftliche<br />
Existenzfähigkeit anzuwenden.<br />
2. Die geringe Produktivität der Landwirtschaft als Hauptbeschäftigung setzte<br />
der Entfaltung des inneren Marktes und der Kapitalbildung durch freiwilliges