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Heft 1 - Institut für Zeitgeschichte

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12 Hans Raupach<br />

frage her aufzubauen 15 , stand die Forderung Stalins nach dem forcierten Aufbau<br />

der Schwerindustrie gegenüber, deren Alimentierung das Herabdrücken des<br />

Lebensstandards auf das Existenzminimum bis zur Grenzsituation der Zwangsarbeitslager<br />

zur vorausgesehenen Folge haben mußte.<br />

Stalin als Vollstrecker dieses harten Verfahrens hatte den Primat der Außenpolitik<br />

<strong>für</strong> sich, und der von ihm propagierte „Aufbau des Sozialismus in einem<br />

Lande", die beschleunigte Industrialisierung aus eigenen Hilfsquellen also, war<br />

eine Folgerung aus seiner durch den weiteren Gang der Geschichte schließlich bestätigten<br />

Beurteilung der Weltlage. Das geschichtliche Urteil über diese Entscheidung<br />

kann auch nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß die mit der Drosselung<br />

der Leichtindustrie aufbrechende Preisschere zwischen industrieller und landwirtschaftlicher<br />

Produktion zu einem bedrohlichen Rückgang der Leistungsbereitschaft<br />

der marktbeliefernden Bauern geführt hatte. Die zwangsweise Kollektivierung<br />

wurde deshalb als Mittel eingesetzt, um eine regelmäßige Belieferung der Städte<br />

mit ländlichen Produkten ohne angemessenes Entgelt zu erzwingen, gleichzeitig<br />

die betrieblichen Grundlagen <strong>für</strong> die Einführung der landwirtschaftlichen Großmaschine<br />

amerikanischen Typs einzuführen und Arbeitskräfte <strong>für</strong> die betriebliche<br />

und räumliche Expansion der Industrie freizusetzen und planmäßig zu transferieren.<br />

Wenn A. von Haxthausen gemeint hatte, daß der russische Großgrundbesitz<br />

und damit die Leibeigenschaft im Interesse des Fortschritts nicht abgeschafft werden<br />

könne, so hat Stalin 80 Jahre später die inzwischen beseitigte Gutsuntertänigkeit<br />

wieder eingeführt, um die Bedingungen <strong>für</strong> die forcierte Kapitalakkumulation<br />

einer schnellen Industrialisierung herzustellen 16 .<br />

Die erschreckende Höhe der moralischen und sozialen Kosten der Kapitalakkumulation<br />

der Stalinepoche wurde nicht zuletzt verursacht durch den Entschluß,<br />

mehrere tausend km östlich des standortgünstigen Donezreviers neue Industriereviere<br />

zu schaffen, insbesondere die zweite Stahlbasis, das Ural-Kuznezk-Kombinat.<br />

Dieses war ohne eine vorhandene soziale Infrastruktur mit enormem Transportkostenaufwand<br />

zu errichten und zunächst zu betreiben. In offener Diskussion wurden<br />

im Jahre 1936 die strategischen Motive der Ostverlagerung der Industrie, die im<br />

Zweiten Weltkriege ihre Probe bestanden hat, als wichtigste Begründung genannt.<br />

Eine weitere war der Gedanke, den ersten Trittstein <strong>für</strong> die fortschreitende industrielle<br />

Erschließung Sibiriens zu setzen. Auch diese Begründung erscheint durch<br />

die nachfolgende Entwicklung gerechtfertigt. Die gegenwärtige Industrialisierung<br />

Kasachstans und des mittleren Sibiriens, die landwirtschaftliche Kultivierung von<br />

etwa 30 Mio ha Neuland in diesen Regionen wäre ohne den ersten, opfervollen<br />

Schritt nicht zu vollziehen gewesen. Ohne die fortschreitende Expansion nach<br />

dem an Rohstoffen und potentieller Energie reichen Osten hätte die Sowjetunion<br />

ihre gegenwärtige Machtstellung nicht gewinnen können. Die gegenwärtige<br />

und zukünftige Beurteilung der Stalinepoche kann an dieser Tatsache nicht vor-<br />

15<br />

Vgl. P. Knirsch, Die ökonomischen Anschauungen Nikolaj I. Bucharins, Berlin 1959.<br />

16<br />

Grundlegende Darstellung dieses Prozesses bei W. Hofmann, Die Arbeitsverfassung der<br />

Sowjetunion, Berlin 1956.

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