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Heft 1 - Institut für Zeitgeschichte

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Polizeiakten zur Judenverfolgung vor 1938 69<br />

traler Bestandteil der Ideologie des Regimes, sofern man von einer solchen überhaupt<br />

sprechen will 4 , gelten muß.<br />

Die Motive, die die nationalsozialistische Führung veranlaßten, die beabsichtigte<br />

totale Ausschaltung der Juden aus dem Leben der Nation zeitweilig zurückzustellen<br />

und stufenförmig, nicht ohne gelegentliches Zurückweichen in Einzelpunkten, vorzugehen,<br />

sind hinreichend bekannt. Neben innenpolitischen Bedenken, die sofortigen<br />

Radikalkuren widersprachen, waren es in erster Linie außenpolitische Rücksichten,<br />

und es ließe sich umgekehrt der Zusammenhang zwischen außenpolitischen<br />

Erfolgen und der Verschärfung der antijüdischen Maßnahmen bis ins Einzelne<br />

darlegen. Goebbels hat in seiner Rede auf dem Nürnberger Parteitag am 2. September<br />

1933, also nach der im Grunde gescheiterten, weil ohne Resonanz im Volke und<br />

selbst in der NSDAP verpufften Boykottaktion, indirekt diesem Sachverhalt Ausdruck<br />

gegeben, indem er davon sprach, daß die Lösung der Judenfrage eine<br />

„schwere Vorbelastung" <strong>für</strong> den nationalsozialistischen Staat bedeute, in die er<br />

angeblich nur widerwillig hineingezwungen worden sei 5 . Neben der außenpolitischen<br />

Belastung rechnete man offensichtlich auch mit Widerständen im deutschen<br />

Volke, die sich, wenngleich zunächst schwach, namentlich in der Haltung der Kirchen<br />

abzeichneten 6 . Die Generalprobe vom 1. April mahnte angesichts der fast völlig ausbleibenden<br />

Beteiligung der Bevölkerung, zunächst den undurchsichtigeren gesetzesförmigen<br />

Weg der Ausschaltung zu gehen, der alsbald mit dem Gesetz zur Wiederherstellung<br />

des nationalen Berufsbeamtentums beschritten wurde 7 .<br />

Das stufenweise Vorgehen, in dem sich Gewaltakte und Terror mit Pseudolegalität<br />

paarten, lag jedoch ohnehin in der Linie der gewohnten Manövriertaktik der<br />

Nationalsozialisten, wie sie in der Spätphase der Weimarer Republik so erfolgreich<br />

angewandt worden war. Die Fiktion der Legalität und dessen, was man mit einiger<br />

Unverfrorenheit den „nationalen Rechtsstaat" nannte, wurde indessen durch die<br />

mutwilligen, im Grunde jedoch ziellosen Aktionen der SA- und NSDAP-Funktionäre<br />

bedenklich in Frage gestellt, und die Prestigeempfindlichkeit, die man in diesem<br />

Punkte immer wieder bewies, rief in zunehmendem Maße die Bemühungen auch<br />

der obersten Dienststellen der Partei hervor, die gewaltsamen Übergriffe gegen<br />

Juden einzuschränken 8 . Die Alternative, die in den Augen zahlreicher Parteigänger<br />

Hitlers vor dem 30. Juni 1934 zu bestehen schien, die Frage, ob die allenthalben<br />

propagierte „nationale Revolution" unter Durchbrechung der pseudorechtsstaatlichen<br />

Etikettierung der totalen Diktatur fortgeführt oder ob sie in die Kanäle einer<br />

indirekten manipulatorischen Gleichschaltung des Staatsapparats gelenkt werden<br />

sollte, bei welcher die gesellschaftlichen Widerstände durch polizeistaatliche, nicht<br />

4 Vgl. M. Broszat: Der Nationalsozialismus, Stuttgart 1960, S. 34ff.<br />

5 Dokumente der Deutschen Politik, Berlin 1937, Bd. 1, S. 183.<br />

6 Vgl. Die evangelische Kirche in Deutschland und die Judenfrage, Genf 1945, insb. S. 45ff.;<br />

Johann Neuhäusler: Kreuz und Hakenkreuz, München 1946, S. 316ff. und 377ff.<br />

7 Vgl. den Brief Hitlers an Hindenburg vom 5. 4.1933, in: Dokumente der Deutschen Politik<br />

und Geschichte Bd. IV, Berlin o. J., S. 48 ff., aus dem dieser Zusammenhang deutlich wird.<br />

8 Vgl. Anordnung des Stellvertreters des Führers Nr. 160/35 vom 2. 8. 1935 (Bd. I, S. 179).

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