spektrum_201310.pdf (11.592 KB) - TUHH
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Forschung Fünf Fragen 47<br />
Potenziale identifiziert und Umwelteffekte analysiert. Ob durch<br />
die auch mit Hilfe unserer Expertise verbesserten Technologien<br />
und Konzepte die für 2020 angestrebten Ausbauziele erreichbar<br />
sind, ist angesichts des erheblichen Forschungs- und damit auch<br />
Mittelbedarfs eher unwahrscheinlich. Nichtsdestotrotz muss die<br />
Offshore-Windstromerzeugung entwickelt werden, da sie das Potenzial<br />
hat, einer der wichtigen Säulen der deutschen Stromversorgung<br />
zu werden.<br />
Fünf Fragen an . . .<br />
Professor Martin Kaltschmitt<br />
Windräder im Meer haben das Potenzial, sich zu einer<br />
wichtigen Säule der Stromversorgung in Deutschland zu<br />
entwickeln. Warum dies heute noch nicht der Fall ist und<br />
auch in absehbarer Zeit noch nicht sein wird, erklärt<br />
Professor Martin Kaltschmitt. Der Experte für Energiewirtschaft<br />
und Leiter des Instituts für Umwelttechnik und<br />
Energiewirtschaft an der TU Hamburg sieht in der Energiewende<br />
auch eine historische Chance für die deutsche<br />
Volkswirtschaft.<br />
Wie viel Strom wird heute aus Windkraft und speziell aus Offshore-<br />
Windparks erzeugt?<br />
Windstrom deckt heute etwa 7,7 Prozent der Nachfrage im<br />
Stromsektor in Deutschland; damit ist die Windkraft nach Biomasse,<br />
Photovoltaik und Wasserkraft die wichtigste regenerative<br />
Energie. Offshore wird aber nur zwischen ein und zwei Prozent<br />
des Windstroms erzeugt. Dies soll sich ändern: Die Bundesregierung<br />
strebt zwischen 40 und 50 Prozent an – und das bis 2020.<br />
Aufgrund langer Projekt-Entwicklungszeiten, großer technischer<br />
Herausforderungen, steigender Kosten, Verzögerungen beim<br />
Netzanschluss, anspruchsvoller Umweltauflagen und unklarer<br />
energiepolitischer Rahmenvorgaben ist es derzeit aber eher unwahrscheinlich,<br />
dass dieses Ziel bis 2020 erreicht wird.<br />
Welche Bedeutung hat die Forschung für die Umsetzung dieses energiepolitischen<br />
Ziels?<br />
Ohne eine intensivierte Forschung wird die Offshore-Windstromerzeugung<br />
kaum signifikant zunehmen. Offshore-Windkraftanlagen<br />
müssen in dem Vierteljahrhundert ihrer technischen Lebensdauer<br />
in tiefem Wasser weit vor der deutschen Nordseeküste – auch<br />
bei Eisgang – fest verankert stehen, Wind und Wetter auf lange<br />
Zeit zuverlässig trotzen und störungsfrei rund um die Uhr Strom<br />
erzeugen – und das zu möglichst geringen Kosten. Diese Anforderungen<br />
erfüllen die heute vorhandenen Anlagen nur eingeschränkt.<br />
Deshalb forscht die TU Hamburg mit Hochdruck auf<br />
diesem Gebiet; unter anderem werden Fundamente optimiert,<br />
Wartungsstrategien entwickelt, der Welleneinfluss quantifiziert,<br />
Rotorblatt-Überwachungssysteme konzipiert, Kostenreduktions-<br />
Ist die Energiewende denn überhaupt finanzierbar?<br />
Der Umbau unseres Energiesystems – und eine weitergehende<br />
Nutzung der Offshore-Windenergie ist dabei nur ein Baustein –<br />
kostet zunächst Geld. Dafür wird unser Energiesystem nachhaltiger<br />
und unsere Volkswirtschaft unabhängiger von Energie-Importen.<br />
Auf längere Sicht kann damit eine Entwicklung hin zu<br />
stabileren Energiepreisen eingeläutet werden. Dies ist bereits erkennbar;<br />
beispielsweise ist der Preis für leichtes Heizöl zwischen<br />
1991 und 2012 um etwa 340 Prozent gestiegen, der von Erdgas<br />
im gleichen Zeitraum um etwa 200 Prozent und der von Strom<br />
um etwa 170 Prozent. Die Energiewende kann damit mittel- bis<br />
langfristig zu einer Kostenbegrenzung beitragen.<br />
Welche Umwelteffekte sind damit verbunden?<br />
Die verstärkte Nutzung regenerativer Energien führt zu einer<br />
deutlichen Reduktion an Klimagas-Emissionen; dies belegen die Ergebnisse<br />
einer Vielzahl von Untersuchungen, die teilweise auch an<br />
unserem Institut durchgeführt wurden. Zusätzlich können auch<br />
andere energiebedingte Umwelt-Auswirkungen vermindert werden;<br />
dies gilt beispielsweise für Stickoxid-Emissionen aus Kohlekraftwerken,<br />
die Produktion radioaktiver Abfälle aus<br />
Kernkraftwerken und den Landverbrauch bei der Braunkohleförderung.<br />
Damit stehen die Chancen gut, dass die Energiewende zu<br />
einer nachhaltigeren Energieversorgung in Deutschland führt.<br />
Was fehlt Ihnen in der ganzen Diskussion um die Energiewende und<br />
die erneuerbaren Energien?<br />
Global hat sich die Energienachfrage in den letzten 25 Jahren verdoppelt.<br />
Diese Entwicklung wird so weitergehen. Bis 2035/40 wird<br />
die weltweite Energie-Nachfrage doppelt so hoch sein wie heute;<br />
das beispiellose Wirtschaftswachstum in China ist nur ein Grund<br />
für diese Entwicklung. Entsprechend nimmt auch die Nachfrage<br />
nach fossilen Energieträgern zu. Die Produktion der begrenzt verfügbaren<br />
Energieträger Öl, Gas und Kohle kann aber nicht beliebig<br />
ausgeweitet werden; Preissteigerungen sind zwingend die Folge.<br />
Damit werden auch die Märkte für potenzielle Alternativen – und<br />
das sind die regenerativen Energien – stark wachsen. Können wir<br />
diese internationalen Märkte mit Anlagen und Konzepten auf Basis<br />
erneuerbarer Energien „Made in Germany" bedienen, die im Rahmen<br />
der Energiewende entwickelt werden, trägt dies zur Wertschöpfung<br />
– und damit zur Arbeitsplatzsicherung – in Deutschland<br />
bei. Darum ist die Energiewende auch eine historische Chance für<br />
die traditionell vom Export lebende deutsche Volkswirtschaft. Dieser<br />
industriepolitische Aspekt sollte deshalb bei der öffentlichen<br />
Diskussion stärker akzentuiert werden.