Die nationale Ehre - welcker-online.de
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Sie haben Epochen<br />
Im Sturme zerbrochen,<br />
Nicht je<strong>de</strong>m, nicht allen<br />
Sind sie zu Gefallen.<br />
Sie malen Gedichte,<br />
Sie bauen an Bil<strong>de</strong>rn,<br />
<strong>Die</strong> sind nicht zu schil<strong>de</strong>rt,<br />
<strong>Die</strong> Ju<strong>de</strong>n, sie wil<strong>de</strong>rn<br />
In <strong>de</strong>utscher Kunst —<br />
Doch nimmer umsunst.<br />
Wir Blin<strong>de</strong>n, wir Tauben,<br />
Wir müssen dran glauben.<br />
Sie wissen, <strong>de</strong>m Ju<strong>de</strong>n kann nichts gescheh'n,<br />
Man wird doch, man wird doch da seh'n.<br />
»von <strong>de</strong>m Wiener Literaten Karl Kraus, <strong>de</strong>r noch lebt, stammt«.<br />
<strong>Die</strong>se Behauptung ist unwahr. Wahr ist, daß dieses Gedicht nicht<br />
von Karl Kraus stammt, son<strong>de</strong>rn daß <strong>de</strong>r »Chor <strong>de</strong>r Bacchanten«<br />
aus <strong>de</strong>r Satire »Literatur« von Karl Kraus, <strong>de</strong>r im 'Völkischen Beobachter'<br />
als Gedicht von Grillparzer verwen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>, folgen<strong>de</strong>rmaßen<br />
lautet:<br />
Wir haben Epochen<br />
im Sturme zerbrochen.<br />
Was sollen die Formen<br />
<strong>de</strong>n Neuen, Enormen!<br />
Nicht je<strong>de</strong>m, nicht allen<br />
sind wir zu Gefallen.<br />
Wir malen Gedichte,<br />
wir bauen an Bil<strong>de</strong>rn,<br />
wir haben Gesichte,<br />
die sind nicht zu schil<strong>de</strong>rn.<br />
Wohl aber zu lallen.<br />
Wir bellen, wir ballen.<br />
Wir malen, wir dichten,<br />
ohne uns zu verpflichten;<br />
die Blin<strong>de</strong>n und Tauben,<br />
die müssen dran glauben.<br />
Wir wissen, es kann uns nix gschehn.<br />
Man wird doch, man wird doch da sehn.<br />
Unsere Leser haben sicher aus <strong>de</strong>m Zusammenhang unserer Ausführungen<br />
entnommen, daß ein Gedicht von Karl Kraus als Grundlage<br />
für <strong>de</strong>n zum Zweck <strong>de</strong>r launigen Irreführung abgewan<strong>de</strong>lten<br />
Text gedient habe, <strong>de</strong>n man als antisemitischen Erguß Grillparzers<br />
ausgab, ebenso wie das Heine—Gedicht »Deutschland« als<br />
Grundlage für <strong>de</strong>n angeblichen Fund aus Grimm diente. Herr Karl<br />
Kraus legt aber anscheinend Wert darauf, daß sein Name öfter genannt<br />
wird, als <strong>de</strong>r Mehrzahl <strong>de</strong>r Leser notwendig erscheint.<br />
Ohne Verlangen nach abermaliger Wie<strong>de</strong>rgabe <strong>de</strong>s selbstverständlich<br />
fehlerhaft gesetzten richtigen Zitats — mit solchen Lappalien darf man we<strong>de</strong>r<br />
einer <strong>de</strong>utschen Redaktion noch einem Kadi kommen — ist zum Nachwort die<br />
folgen<strong>de</strong> Klarstellung erteilt wor<strong>de</strong>n. (Ähnlich wie in »Perichole«: »Aber einen<br />
Brief muß ich vorher schreiben an jeman<strong>de</strong>n.« »An wen?« »An eine alte Tante.«)<br />
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