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Die nationale Ehre - welcker-online.de

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<strong>de</strong>m, was im Gefühlsleben <strong>de</strong>r Presse durch mich »verdrängt« ist, und ich erschließe<br />

es im beson<strong>de</strong>ren Falle daraus, daß einem Dilettanten <strong>de</strong>s Podiums,<br />

<strong>de</strong>r in Deutschland grassiert, von Salten ein Feuilleton gewidmet wur<strong>de</strong>, das<br />

ganz ähnliche Farben auftrug und so ziemlich das enthielt, was über mich in<br />

Wien geschrieben wür<strong>de</strong>, wenn es dürfte. Es ist aber auch durchaus möglich,<br />

daß mein Verdacht unberechtigt ist, daß ich die Lorbeeren, die eine rachsüchtige<br />

Literatenschaft meiner Leistung entzieht und auf die ich noch weit besser<br />

pfeifen als singen kann, ganz zu Unrecht in einen Konnex mit <strong>de</strong>m Verdienst<br />

<strong>de</strong>s Herrn Reinhold bringe, und daß ihm faktisch die Worte gebühren:<br />

Ja, das alles war einmalig und unvergeßlich. Ich glaube kein<br />

Mensch außer diesem fabelhaften Reinhold kann ein solches Panorama<br />

lebensvoller gestalten, solcherart shakespearisch vor uns<br />

entrollen.<br />

Gegen einen Glauben, <strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>r Korrektur durch Erfahrung zu erwehren<br />

weiß, ist ja nichts einzuwen<strong>de</strong>n. Aber <strong>de</strong>r Zweifel wurzelt in <strong>de</strong>m Umstand,<br />

daß keiner dieser Urteiler, in <strong>de</strong>ren Bewußtsein ein Theater <strong>de</strong>r Dichtung<br />

doch existent ist, die Gelegenheit benützt, entwe<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ssen Unzulänglichkeit<br />

zu behaupten o<strong>de</strong>r wenigstens das Geständnis abzulegen, daß es ihm unbekannt<br />

sei. Herr Liebstöckl, <strong>de</strong>r an das Walten einer höheren Gerechtigkeit<br />

glaubt, weil sein Handwerk ihn an <strong>de</strong>r irdischen verzweifeln läßt, geht einen<br />

Schritt weiter und scheut nicht die Fiktion, als sei sein Urteil bereits <strong>de</strong>r<br />

Kenntnis aller vorhan<strong>de</strong>nen Möglichkeiten, es zu bil<strong>de</strong>n, abgewonnen. Nach<br />

einer berechtigten Zurückweisung <strong>de</strong>s Beer—Hofmannschen Gelüstes, die<br />

bei<strong>de</strong>n Teile <strong>de</strong>s »Faust« zu einem Theaterabend zusammenzuziehen, betrachtet<br />

er <strong>de</strong>n Fall Reinhold, um die Überlegenheit <strong>de</strong>s Solovortrags gegenüber<br />

<strong>de</strong>m Theater zu beweisen, <strong>de</strong>ren Problem freilich nicht das Geringste mit<br />

<strong>de</strong>r dramaturgischen Frage zu schaffen hat, und gelangt zu einem Schluß, <strong>de</strong>r<br />

mit allem, was jemals außerhalb Wiens über das Theater <strong>de</strong>r Dichtung gesagt<br />

wur<strong>de</strong>, übereingeht:<br />

Ein Wun<strong>de</strong>r hat man erst kürzlich erlebt, da Herr Reinhold im<br />

Burgtheater »Richard III.« sprach. Da war außer einem gespenstig<br />

erleuchteten Tisch mit dunkelrotem Überwurf niemand an<strong>de</strong>rer<br />

sichtbar als Herr Reinhold allein. Wenn er <strong>de</strong>n Richard sprach,<br />

zog er bloß die linke Schulter höher, das war alles! Trotz<strong>de</strong>m<br />

stand die Szene lebendig im gesprochenen Wort — — Wir haben<br />

also <strong>de</strong>n Fall erlebt, daß ein einziger Mann ein einziges Drama<br />

spielt und weit und breit kein Regisseur zu sehen ist als <strong>de</strong>r Sprecher<br />

selbst! Wenn es bei uns noch einen Menschen gäbe, <strong>de</strong>r ein<br />

ähnliches Wun<strong>de</strong>r mit Goethes »Faust« bewirken könnte, ließe<br />

sich dieser ganze verkürzte, ins Prokrustesbett gezwängte<br />

»Faust« glatt ersparen. Lei<strong>de</strong>r: es gibt ihn nicht!<br />

<strong>Die</strong> glatte Ersparung wäre zwar nur dann möglich, wenn <strong>de</strong>r Vortragen<strong>de</strong> zur<br />

analogen dramaturgischen Pfuschertat entschlossen wäre, da einem ungekürzten<br />

»Faust« fünf Vortragsaben<strong>de</strong> entsprechen. Aber daß es <strong>de</strong>n Menschen<br />

nicht gibt, <strong>de</strong>r diese leisten könnte, wenn ein Auditorium mitkäme, o<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Helena—Akt und <strong>de</strong>m fünften <strong>de</strong>s zweiten Teils ohne einen an<strong>de</strong>rn<br />

Behelf als <strong>de</strong>n eines Tisches (selbst mit Nachlaß <strong>de</strong>r gespenstigen Erleuchtung)<br />

das von einer Christenseele ersehnte Wun<strong>de</strong>r bereits bewirkt hat<br />

— da müßte, wie ein Witzwort meint, <strong>de</strong>r Liebstöckl lügen, wenn er die Wahrheit<br />

sagen wollte. Er wird schon nicht. (Und mir ist, als ob er nicht hätte:<br />

<strong>de</strong>nn wenn mein Gedächtnis nicht so trügerisch ist wie sein Urteil, so hat er<br />

einst, als ungela<strong>de</strong>ner Beschauer, eben das Wun<strong>de</strong>r attestiert, das mit <strong>de</strong>m<br />

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