Die nationale Ehre - welcker-online.de
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Gar nicht so phantastisch. Wenn sich die Theaterspekulanten die Werke von<br />
Shakespeare und Offenbach selbst herstellen anstatt die Originale zu verschan<strong>de</strong>ln,<br />
so ist ja alles in schönster Ordnung.<br />
EIN AUFGEMACHTER STRICH<br />
Wie man aus <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong> »Um Perichole« erfahren hat, war <strong>de</strong>m Leiter <strong>de</strong>r<br />
Kroll—Oper, Herrn Curjel, eine einzige <strong>de</strong>r heimlich versuchten Streichungen<br />
geglückt, nämlich die <strong>de</strong>s Namens »Kerr« aus <strong>de</strong>m Essay <strong>de</strong>r 'Frankfurter Zeitung',<br />
<strong>de</strong>n er in <strong>de</strong>n 'Blättern <strong>de</strong>r Staatsoper und <strong>de</strong>r Städtischen Oper' nachgedruckt<br />
hat. Man erinnert sich, wie mich da — bei »Pariser Leben« — <strong>de</strong>r<br />
Schil<strong>de</strong>rer meines Schreckenskabinetts <strong>de</strong>n Blick in <strong>de</strong>ssen inneres »frei geben«<br />
ließ, aber für Berlin doch ein wenig zensuriert:<br />
Da stehen sie: Schober, Bekessy und die an<strong>de</strong>rn Nummern, nicht<br />
mehr die Fein<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn Raritäten usw.<br />
<strong>Die</strong> zugkräftigste Nummer war <strong>de</strong>m Blick, <strong>de</strong>m ich angeblich solches Inventar<br />
eröffnete, abhan<strong>de</strong>n gekommen. Ich meinte nun, das Recht auf Reklamierung<br />
stehe in diesem Falle<br />
lei<strong>de</strong>r nicht <strong>de</strong>m Inhaber <strong>de</strong>s Schreckenskabinetts zu, son<strong>de</strong>rn nur<br />
<strong>de</strong>ssen Schil<strong>de</strong>rer, <strong>de</strong>r wohl auf Vollzähligkeit Wert legen und für<br />
sich die Autorrechte geltend machen wird, die man <strong>de</strong>m Urheber<br />
<strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Textes <strong>de</strong>r Perichole verkürzen wollte.<br />
Er hat mich keineswegs enttäuscht, und im Maiheft jener offiziellen Blätter<br />
(XI., 21) ist das Folgen<strong>de</strong> erschienen:<br />
Berichtigung<br />
Wir haben in Nr. 15 <strong>de</strong>s 11. Jahrgangs unserer Blätter einen Teil<br />
<strong>de</strong>s Aufsatzes »Karl Kraus« von Walter Benjamin aus <strong>de</strong>r Frankfurter<br />
Zeitung (Nr. 183, 195, 202, 205) gebracht. <strong>Die</strong> Wie<strong>de</strong>rgabe<br />
eines Satzes ist ohne Wissen <strong>de</strong>s Autors nicht vollständig erfolgt.<br />
Dem Verlangen <strong>de</strong>s Autors entsprechend geben wir <strong>de</strong>n in Frage<br />
kommen<strong>de</strong>n Satz nunmehr richtig, wie folgt, wie<strong>de</strong>r:<br />
Da stehen sie: Schober, Bekessy, Kerr und die an<strong>de</strong>rn Nummern,<br />
nicht mehr die Fein<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn Raritäten, Erbstücke<br />
aus <strong>de</strong>r Welt Offenbachs o<strong>de</strong>r Nestroys, nein, Ältere, Seltenere,<br />
Penaten <strong>de</strong>r Troglodyten, Hausgötter <strong>de</strong>r Dummheit<br />
aus vorgeschichtlichen Zeiten.<br />
Worin die Abweichung bestand, wird nicht angegeben. Aber im Vergleich <strong>de</strong>r<br />
Fassungen bei<strong>de</strong>r Programmhefte stößt <strong>de</strong>r Leser auf <strong>de</strong>n einzigen, so geringfügigen<br />
Unterschied:<br />
Kerr.<br />
Selbst dieser Versuch einer Streichung ist also <strong>de</strong>r Staatsoper am Platz <strong>de</strong>r<br />
Republik noch knapp vor Torschluß mißglückt. Der Strich mußte aufgemacht<br />
wer<strong>de</strong>n wie alle jene, die am Vormittag <strong>de</strong>s 31. März angeordnet wur<strong>de</strong>n.<br />
»Fatale Situation für Seine Hoheit!« heißt es in <strong>de</strong>r »Seufzerbrücke«, noch<br />
weit fataler als wenn diese Streichung, die sich wirklich aus theaterpraktischer<br />
Notwendigkeit empfahl, nie unternommen wor<strong>de</strong>n wäre. Ja, auf heimlichen<br />
Strichproben ruht kein Segen. Curjeleison! (auf <strong>de</strong>utsch: Kerr, erbarme<br />
dich!) mochte <strong>de</strong>r Generalmusikdirektor Klemperer ausrufen, <strong>de</strong>r viel zu katholisch<br />
orientiert ist, als daß ihm solche Dinge nicht wi<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Strich gingen.<br />
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