Die nationale Ehre - welcker-online.de
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Auf unserer Begebenheit und unserer Begabung. Man hat <strong>de</strong>n Eindruck, daß<br />
auch <strong>de</strong>m heillosesten Zwist die volle Einigung darüber vorangeht, wie sie ihn<br />
been<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, und daß alles, was es an vitaler Wirklichkeit hinter <strong>de</strong>n kurialen<br />
Schmonzes gibt, nur um dieser willen und durch diese vorhan<strong>de</strong>n ist.<br />
Das Phänomen besteht in <strong>de</strong>r von keinem Umsturz zu erschüttern<strong>de</strong>n Denkform<br />
und eben darin, daß alle Lebensnot vermehrt wird durch <strong>de</strong>n unverän<strong>de</strong>rten<br />
Hang dieser Wür<strong>de</strong>nträger, zu konferieren, zu erklären, einan<strong>de</strong>r zu<br />
besuchen, zu erörtern, Schritte zu machen und Maß zu geben. »Es sind Gebär<strong>de</strong>n,<br />
die man spielen könnte.« Nichts dahinter, außer <strong>de</strong>r Not <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn.<br />
WIR ALTEN GEGNER<br />
Wie doch mit einem einzigen Wort gelogen wer<strong>de</strong>n kann! Das Zentralorgan<br />
<strong>de</strong>r Sozial<strong>de</strong>mokratie Deutschösterreichs weiß zu <strong>de</strong>m, was Herrn Seipel<br />
mißlungen ist, zu sagen:<br />
Es ist gescheitert an <strong>de</strong>m alten Gegensatz zwischen ihm und<br />
Schober. Es ist gescheitert vor allem daran, daß Seipel darauf bestand,<br />
<strong>de</strong>n Herrn Dr. Kienböck zum Finanzminister zu machen,<br />
und Schober es für unmöglich hielt, in dieser Zeit, in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Finanzminister<br />
die furchtbar schwere Aufgabe haben wird, die alten<br />
Finanzverbrechen <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>nkreditanstalt zu liquidieren, gera<strong>de</strong><br />
mit Herrn Dr. Kienböck, <strong>de</strong>m alten Freun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>nkreditanstalt,<br />
in eine Regierung zu gehen. Wir sind alte Gegner Schobers<br />
und wir haben mit ihm schwere und heftige Kämpfe geführt; aber<br />
es muß anerkannt wer<strong>de</strong>n, daß er diesmal, als er sich weigerte, in<br />
solcher Zeit mit Kienböck in einer Regierung zu sitzen, gera<strong>de</strong> so<br />
wie im vorigen Herbst, als er sich weigerte, <strong>de</strong>r Ernennung Strafellas<br />
zuzustimmen, und lieber <strong>de</strong>missionierte, ehe er seine Zustimmung<br />
gegeben hätte, die Sache <strong>de</strong>r einfachen bürgerlichen<br />
Ehrbarkeit gegenüber <strong>de</strong>n Anmaßungen <strong>de</strong>r Seipeloten vertreten<br />
hat.<br />
Jenseits <strong>de</strong>r Frage, ob Herr Schober Herrn Dr. Kienböck o<strong>de</strong>r dieser jenen mit<br />
größerem Recht be<strong>de</strong>nklich fin<strong>de</strong>t, ist hier die Selbstverständlichkeit, mit <strong>de</strong>r<br />
jener als Faktor <strong>de</strong>r Kabinettsbildung vorausgesetzt wird, bemerkenswert. Es<br />
klingt alles so plausibel, daß auch die Vorstellung <strong>de</strong>s Mannes, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Vorwurf<br />
<strong>de</strong>r Felonie ungesühnt ließ, als <strong>de</strong>s politischen Vertreters <strong>de</strong>r einfachen<br />
bürgerlichen Ehrbarkeit, gar nicht uneben wirkt, ja daß diese Erfüllung <strong>de</strong>s<br />
Begriffes mit <strong>de</strong>ssen Akzeptierung durch Sozial<strong>de</strong>mokraten überein geht.<br />
Wenn nun aber auch die Arbeiterschaft keine Ahnung davon haben mag, wie<br />
ein Charakterbild, das lange genug in <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>s Parteiwesens geschwankt<br />
hat, vor <strong>de</strong>m Völkerbund ein<strong>de</strong>utig und endgültig in sämtlichen<br />
Merkmalen mit <strong>de</strong>m lokalen Eindruck <strong>de</strong>s Bekessyfalles i<strong>de</strong>ntifiziert wur<strong>de</strong> —<br />
eines könnte sie, die ja die große Zeit <strong>de</strong>s Polizeikrieges nicht vergessen hat,<br />
vielleicht stutzig machen: wie glatt sich die Entwicklung vom Arbeitermör<strong>de</strong>r<br />
zum Vertreter <strong>de</strong>r bürgerlichen Ehrbarkeit vollzog und wie positiv heute die<br />
Partei zu <strong>de</strong>m Manne steht, <strong>de</strong>n sie durch Jahre mit einem Mut bekämpft hat,<br />
<strong>de</strong>r selbst die überparteiliche Vertrautheit eines Polizeipräsi<strong>de</strong>nten mit Achillesfersen<br />
nicht zu scheuen schien. Denn gibt es nichts, was in <strong>de</strong>r Politik nicht<br />
möglich wäre, wo man eben die Stirn hat, mit geschlossenem Mund nicht nur<br />
die Re<strong>de</strong> von gestern zu verleugnen, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>r Frage nach <strong>de</strong>m Motiv<br />
die Antwort zu verweigern; und gelingt es, wann man will, vor jenen zu beste-<br />
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