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Volltext - Musiktheorie / Musikanalyse - Kunstuniversität Graz

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Webern erreicht hier die äußerste Grenze seines Strebens nach Konzentration und<br />

Verinnerlichung des musikalischen Gedankens. Wie dargestellt wurde die anhaltend<br />

große Dichte in den Werken vor der aphoristischen Phase zu einem Problem, das<br />

schließlich zur Fragmentierung der Form führte. „Erst im fragmentarischen, seiner<br />

selbst entäußerten Werk wird der kritische Gehalt frei.“ 39<br />

Nach Adorno lassen sich in den drei Abschnitten von Weberns op. 9,1 noch<br />

Spuren von Exposition, Durchführung und Reprise der Sonatensatzform erkennen.<br />

Insgesamt stellt er im Hinblick auf die Bagatellen fest, dass sich „hinter den Formen<br />

der Stücke traditionelle Typen […] verstecken, die von jenen gewissermaßen kritisiert<br />

werden“. 40 Wolfgang Burde spricht gleichfalls über „die verkürzten<br />

Sonatenhauptsätze“ in diesem Werk. 41 Auch Weberns Einstellung zur klassischen<br />

Form ist evident:<br />

Also das wollen wir festhalten: über die Formen der Klassiker sind wir nicht hinaus. Was später<br />

gekommen ist, war nur Veränderung, Erweiterung, Verkürzung – aber die Formen sind geblieben<br />

– auch bei Schönberg! 42<br />

Das Prinzip der musikalischen Sprache der Wiener Schule um 1910 ist laut Adorno<br />

eine komprimierte Kürze der musikalischen Form, in der viele Bestandteile innerhalb<br />

kurzer Zeit angeordnet werden. So werde ein musikalisches Gebilde erzeugt, das<br />

„Protokoll und Konstruktion in einem“ 43 sei.<br />

Die Kürze eines Stücks hat bei Webern ihr Analogon in kurzen Gesten und<br />

Einzeltönen. Sie sind zu klein, um als sebständige Gestalten erfasst bzw. begriffen<br />

werden zu können. Alles huscht von einem Ton bzw. von einer Geste zur nächsten,<br />

nichts wiederholt sich eindeutig. 44 Die elliptische Darstellung der Gedanken weist<br />

offene Stellen auf, durch welche die musikalischen Elemente leichter in Bezug zu<br />

39 Theodor W. Adorno, Philosophie der neuen Musik (Gesammelte Schriften 12), Frankfurt am Main<br />

(Suhrkamp) 1997, S. 119.<br />

40 Theodor W. Adorno, Der getreue Korrepetitor. Lehrschriften zur musikalischen Praxis, Frankfurt<br />

am Main (Fischer) 1963, S. 132.<br />

41 Wolfgang Burde: Anton von Weberns instrumentale Miniaturen, in: NZfM, 1971, S. 286.<br />

42 Anton Webern, Der Weg zur neuen Musik, hg. von Willi Reich, Wien (Universal-Edition) 1960,<br />

S. 37.<br />

43 Th. W. Adorno, Philosophie der Neuen Musik, S. 45.<br />

44 Die motivische Arbeit ist in ein Spiel mit Farben und Klängen umgewandelt: Die 2. Violine<br />

exponiert im 2. Takt der 1. Bagatelle ein Dreitonmotiv, es wird im gleichen Takt von der<br />

1. Violine in umgekehrter Bewegungsrichtung aufgenommen, das Motiv wandert im 3. Takt ins<br />

Cello, und wird dann zwei Takte später wieder von der 1. Violine aufgenommen.<br />

39

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