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Volltext - Musiktheorie / Musikanalyse - Kunstuniversität Graz

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3.3.2. Der „strenge Satz“ der Vokalpolyphonie<br />

Webern vertrat die Meinung, dass ein geschlossener Gedanke in mehreren Stimmen<br />

dargestellt werden sollte. Erst durch die Kanontechnik wird ein Gedanke ganz zum<br />

Ausdruck gebracht. Die Beschäftigung mit Heinrich Isaac war in diesem<br />

Zusammenhang von prägender Wirkung für Webern, der sich im Rahmen seines<br />

Studiums der Musikwissenschaft ausführlich mit der Satztechnik der frankoflämischen<br />

Vokalpolyphonie auseinandersetzte. Sein Theorieunterricht basierte auf<br />

dem „strengen Satz“ der Vokalpolyphonie des 16. Jahrhunderts. Er versuchte die<br />

Eigenarten von Isaacs Polyphonie als eine „feine Gliederung im Nebeneinander der<br />

Stimmen“ zu erfassen. 52 Das Gebot dieser Gliederung betrifft sowohl die Horizontale<br />

bzw. Sukzessivität wie die Vertikale bzw. Simultaneität der Strukturellemente.<br />

Die Vorstellung musikalischer Geschlossenheit beruht laut Webern auf der<br />

Beschaffenheit eines klanglichen Gebildes aus Teilen, der Zusammengehörigkeit<br />

dieser Teile sowie deren Vollständigkeit, woraus eine Ganzheit entstehe: „Jede<br />

Stimme hat ihre eigene Entwicklung und ist ein vollständig in sich geschlossenes, aus<br />

sich heraus verständliches, wunderbar beseeltes Gebilde.“ 53 Isaacs Kunst realisierte für<br />

Webern das Ideal, die einzelnen Stimmen vollkommen selbständig zu behandeln.<br />

Das polyphone Grundprinzip kommt in den stark linear konzipierten Kanons<br />

op. 16 (1923-24, Nbsp. 38) besonders deutlich zum Vorschein. Die Musik erhält einen<br />

deutlicher konzeptuelleren Grundcharakter. Die Behandlung der Rhythmik ist<br />

regelmäßiger als bisher.<br />

Die Kanons op. 16 zeugen bereits von einer wesentlichen Erkenntnis des<br />

„konstruktiven“ Webern. Er versucht immer dichtere motivische Entsprechungen und<br />

Entwicklungen und damit eine schlüssige formale Gliederung zu finden. Diesem Ziel<br />

dienen vor allem die Pausen, die motivische Imitationen durch alle Stimmen<br />

markieren. Eine Viertelpause im ersten Kanon (T. 8 und 11) trennt jeweils die<br />

verschiedenen rhythmischen Bewegungen bzw. imitierenden Melodien voneinander,<br />

52 Zit. nach: Döhl, Weberns Beitrag, S. 358.<br />

53 Ebda., S. 359.<br />

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