MUSIK UND SPRACHE - KH-Konrath.de
MUSIK UND SPRACHE - KH-Konrath.de
MUSIK UND SPRACHE - KH-Konrath.de
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
31<br />
Welche Be<strong>de</strong>utung aber <strong>de</strong>r körperliche Aspekt für la Motte-Haber hat, zeigt sich in <strong>de</strong>m<br />
Zitat:<br />
„Grundsätzlich wird eine direkte Abhängigkeit von Musik und körperlichen Reaktionen durchkreuzt<br />
von kognitiven Variablen, von <strong>de</strong>r Vorbildung und <strong>de</strong>n ästhetischen Einstellungen einer Person. Fast<br />
alle Untersuchungen, die sich einer empfindlichen Anzeige von Mitempfindungen bedienen, fin<strong>de</strong>n<br />
sich im Unterschie<strong>de</strong> zwischen Personen mit verschie<strong>de</strong>ner musikalischer Bildung im Sinne einer<br />
höheren Reagibilität <strong>de</strong>r Vorgebil<strong>de</strong>ten. Zu<strong>de</strong>m erweist sich bei musikalischer Bildung das ästhetische<br />
Wohlgefallen als intensivieren<strong>de</strong>r Faktor, <strong>de</strong>r über die Stärke von Mitempfindungen entschei<strong>de</strong>t.<br />
[…] Die Ursache eines Gefühls sind die körperlichen Reaktionen wahrscheinlich nicht. Aber auch<br />
wenn die physische Resonanz, die individuell verschie<strong>de</strong>n ausgeprägt sein kann, auf komplizierte<br />
Weise erklärt wer<strong>de</strong>n muß, so ist sie <strong>de</strong>nnoch von unmittelbarer Relevanz, weil von ihr die Intensität<br />
<strong>de</strong>s Erlebens abhängt. Diese Erregung reagiert <strong>de</strong>r Konzertbesucher im Beifall ab.“ 67<br />
Weiterhin spielten für la Motte-Haber die Gedanken eine wesentliche Rolle, <strong>de</strong>ren Verhältnis<br />
zu <strong>de</strong>n Gefühlen im Hinblick auf <strong>de</strong>n musikalischen Ausdruck sie so beschreibt:<br />
„Daß wir an Musik Freu<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r Trauer i<strong>de</strong>ntifizieren können, ohne uns unmittelbar selbst diesem<br />
Affekt hinzugeben, zwingt nicht zur Preisgabe einer Theorie <strong>de</strong>s musikalischen Ausdrucks, <strong>de</strong>r eine<br />
Entsprechung in seinem Eindruck hat und <strong>de</strong>shalb verstehbar ist. Der Eindruck wird nur nicht verinnerlicht.<br />
Daher wird <strong>de</strong>r Hörer nicht das Objekt seiner Gefühle, son<strong>de</strong>rn tritt ihnen als Subjekt gegenüber.<br />
[…] Fast alle Theorien <strong>de</strong>s Gefühls bauen auf zwei Faktoren auf. Ohne geistige Interpretation,<br />
so wird angenommen, fehlen die spezifischen Qualitäten eines Gefühls; ohne physische Erregung<br />
mangelt es an Intensität und Wärme.“ 68<br />
Darin aber tut sich die Kluft zwischen Musik und Sprache recht <strong>de</strong>utlich auf, insofern<br />
Sprache durchaus im Stan<strong>de</strong> ist, mit neuen Ausdrücken neue Be<strong>de</strong>utungen zu entwickeln:<br />
„Ein Individuum kann jedoch grundsätzlich keine ganz neuen, noch nie im menschlichen<br />
Dasein aufgetretenen Gefühlsqualitäten ausbil<strong>de</strong>n. Daher ist <strong>de</strong>r musikalische Ausdruck<br />
nur innerhalb gesteckter Grenzen nuancierbar. Im Unterschied zu <strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rungen tonsystemlicher<br />
Ordnungen kann er von <strong>de</strong>n Komponisten nicht selbst gesetzt, höchstens<br />
getilgt wer<strong>de</strong>n.“ 69 Von hieraus spannt sich <strong>de</strong>r Bogen zur psychologischen Realität <strong>de</strong>r<br />
Grammatik, wovon Riemann bereits überzeugt war:<br />
„Riemann erhoffte von <strong>de</strong>r Psychologie in <strong>de</strong>r phänomenologischen Spielart, die Stumpf vertrat, eine<br />
Begründung dafür, daß <strong>de</strong>r menschliche Geist nur im Sinne <strong>de</strong>r von ihm aufgestellten Regeln<br />
funktionieren könne. Sehr viel später hat Chomsky im Bereich <strong>de</strong>r Sprache von <strong>de</strong>r Psychologie<br />
ebenfalls <strong>de</strong>n Nachweis eingeborener I<strong>de</strong>en verlangt, als er die psychologische Realität <strong>de</strong>r Grammatik<br />
postulierte. […] Wesentliche Stützen [dafür] waren die interkulturell gleichen formalen Strukturen<br />
<strong>de</strong>r Sprachen und <strong>de</strong>r Nachweis, daß Sprachbenutzer nicht assoziativ verstehen und re<strong>de</strong>n,<br />
son<strong>de</strong>rn eine hierarchische Struktur von Regeln anwen<strong>de</strong>n, also <strong>de</strong>r Grundi<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r transformationellen<br />
generativen Grammatik folgen. Ein gleiches gilt für Musik nicht. Ein Blick auf die Geschichte<br />
67 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 68<br />
68 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 71<br />
69 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 73