MUSIK UND SPRACHE - KH-Konrath.de
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37<br />
Vollstruktur: Musiker 1<br />
Musiker 2<br />
Musiker 4<br />
Musiker 3<br />
Parallel dazu wuchsen die Gruppen <strong>de</strong>r<br />
Musiker über die für eine Vollstruktur<br />
kritische Größe von zehn bis zwölf Personen<br />
hinaus, so daß ein Vorgesetzter<br />
alle Aktionspfa<strong>de</strong> in seine Person zentralisiert.<br />
Darstellung aus MGG Bd. 6; S. 1638<br />
„Freilich bringt <strong>de</strong>r Strukturwan<strong>de</strong>l, zum Zentralismus hin, seinesteils Wi<strong>de</strong>rsprüche mit<br />
sich […]. Denn auch wenn die Rolle <strong>de</strong>s Chefs, per Definitionem, seine Allgegenwart und<br />
Omnipotenz verlangt (tatsächlich gehen die Orchestermusiker davon aus, daß er die Partitur<br />
vollständig beherrscht, alles wahrnimmt – und auf alles zu reagieren weiß […]): De facto<br />
ist die Allmacht, psychisch und physisch, begrenzt. […] Begreiflich daher, daß parallel<br />
zur Entfaltung <strong>de</strong>r Vorgesetztenstruktur Bemühungen stattfin<strong>de</strong>n, komplexe Interaktion<br />
selbst wie<strong>de</strong>r in ihr Recht zu setzen. Sie führt […] in die Werkstatt, hinter die verschlossene<br />
Tür. Die Institution, die gewonnen wird, heißt Probe. […] Um einen Preis: Die Interaktion<br />
erscheint als uneigentlich, vorläufig, ästhetisch halbernst, wenn nicht irrelevant, […] sobald<br />
sie öffentlich gemacht, hebt sie sich selber auf. Sie ist Rückkopplung, Dialog, Kritik,<br />
Kompensation: aber eingefroren, geronnen, stillgestellt.“ 87<br />
Geht man von einer Determination <strong>de</strong>r Interaktion durch eine Melodie aus, ergibt sich<br />
soziologisch eine Sternstruktur. In<strong>de</strong>s sind hierbei vielmehr Wahrscheinlichkeiten<br />
prägend, wann z.B. Melismen o<strong>de</strong>r Soli zur Fortschreitung Anlaß geben, als daß die<br />
Interaktionen über einen Vorgesetzten kanalisiert wür<strong>de</strong>n. Mehr noch interessiert dabei<br />
aber die Kopplung zum Publikum, das sich fragen muß, „ob eine als >Improvisation<<br />
angemel<strong>de</strong>te Darbietung die Qualifikation verdient o<strong>de</strong>r nicht. […] Noch die Opera seria<br />
<strong>de</strong>s 18. Jahrhun<strong>de</strong>rts besaß ein famoses Konzept: Sollte ersichtlich wer<strong>de</strong>n, ob ein Sänger<br />
die Verzierungen seiner Arie frei erfun<strong>de</strong>n hatte o<strong>de</strong>r lediglich mit Hilfe eines<br />
Präparationsbüchleins auswendiggelernt, verlangte das Publikum schlicht und<br />
durchdringend Da capo. Und wehe <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r die bereits ausgelieferten Roula<strong>de</strong>n noch<br />
einmal sang. Improvisation wur<strong>de</strong> ausgetestet: durch Rückkopplung.“ 88<br />
87<br />
Ka<strong>de</strong>n: »Musiksoziologie« in MGG Bd. 6, S. 1641, weist zugleich darauf hin, daß dies bereits früher so zu<br />
beobachten sei: „Die Metapher vom Gesprächshaften <strong>de</strong>r Haus- und Kammermusik [im 17. und 18. Jahrhun<strong>de</strong>rt]<br />
– die vor allem Goethe in Umlauf brachte, mit Blick auf das Streichquartett – be<strong>de</strong>utet eine schöne,<br />
wohlmeinen<strong>de</strong> Irreleitung. […] Musizieren, modisch ausgedrückt, ein Statt-Dialog.“<br />
88 Ka<strong>de</strong>n: »Musiksoziologie« in MGG Bd. 6, S. 1643