MUSIK UND SPRACHE - KH-Konrath.de
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Institut für Musikwissenschaft an <strong>de</strong>r<br />
Fakultät für Kunst, Geschichteund<br />
Orientwissenschaften<br />
<strong>de</strong>r Universität<br />
Leipzig<br />
WISSENSCHAFTLICHE ARBEIT<br />
zur Erlangung <strong>de</strong>s aka<strong>de</strong>mischen<br />
Titels eines Magister Artium<br />
<strong>MUSIK</strong> <strong>UND</strong> <strong>SPRACHE</strong><br />
MANFRED BIERWISCHS ZEICHENKONZEPT.<br />
Gutachter:<br />
Prof. Dr. habil. Klaus Mehner<br />
Dr. habil. Lothar Schmidt<br />
eingereicht im Juni 2003 von<br />
cand. phil. Andreas <strong>Konrath</strong><br />
Schwarzackerstr.8<br />
04299 Leipzig<br />
Matrikelnummer: 7553480
INHALT:<br />
1. Aufgabenstellung - - - - - - - - S. 1<br />
2. Vorverständnis - - - - - - - - S. 2<br />
2.1. physikalische Aspekte - - - - - - - S. 4<br />
2.2.1. Schall - - - - - - - S. 4<br />
2.2.2. Klang - - - - - - - S. 5<br />
2.2.3. Geräusche und Laute - - - - - S. 5<br />
2.2. medizinische Aspekte - - - - - - S. 6<br />
2.2.1. organische Grundlagen - - - - - S. 6<br />
2.2.2. physiologische Grundlagen - - - - - S. 9<br />
2.3. psychologische Aspekte - - - - - - S. 14<br />
2.3.1. entwicklungspsychologische Aspekte - - - S. 14<br />
2.3.2. differentialpsychologische Aspekte - - - S. 18<br />
2.3.3. psychoanalytische Aspekte - - - - S. 21<br />
2.3.4. gestaltpsychologische Aspekte - - - - S. 22<br />
2.3.5. kognitionspsychologische Aspekte - - - S. 24<br />
2.3.5.1. <strong>de</strong>r Standpunkt von Thomas H. Stoffer - - S. 25<br />
2.3.5.2. <strong>de</strong>r Standpunkt von Helga <strong>de</strong> la Motte-Haber - S. 28<br />
2.4. soziologische Aspekte - - - - - - S. 35<br />
2.4.1. Interaktion - - - - - - S. 36<br />
2.4.2. Kommunikation - - - - - - S. 38<br />
2.4.2.1. mehrfache Kommunikation - - - S. 41<br />
2.4.2.2. nichts als Kommunikation - - - S. 42
3. Aspekte <strong>de</strong>r Sprachwissenschaft - - - - - - S. 45<br />
3.1. Voraussetzungen von Manfred Bierwisch - - - - S. 47<br />
3.2. Aussagen von Manfred Bierwisch - - - - - S. 47<br />
3.2.1. Einleiten<strong>de</strong> Bemerkungen - - - - - S. 47<br />
3.2.2. Musik, Sprache, Literatur - - - - - S. 48<br />
3.2.3. Sprache und Musik als akustische Kommunikationsformen S. 49<br />
3.2.4. Grundbedingen <strong>de</strong>r Kommunikation - - - S. 50<br />
3.2.5. Zeichen und Zeichensysteme - - - - S. 51<br />
3.2.6. Kommunikation, kognitive und emotionale Strukturen - S. 52<br />
3.2.7. Sprachkenntnis und Musikkenntnis - - - S. 53<br />
3.2.8. Zeitmuster - - - - - - S. 54<br />
3.2.9. Segmentstrukturen - - - - - S. 54<br />
3.2.10. Codierungsformen - - - - - S. 56<br />
3.2.11. logische Form als Be<strong>de</strong>utung sprachlicher Zeichen - S. 58<br />
3.2.12. gestische Form als Be<strong>de</strong>utung musikalischer Zeichen - S. 59<br />
3.2.13. Sagen und Zeigen - - - - - S. 61<br />
3.2.14. Syntax - - - - - - S. 62<br />
3.2.15. ZEICHEN <strong>UND</strong> TEXT - - - - - S. 63<br />
3.2.16. Motivierte und konventionelle syntaktische Strukturen - S. 64<br />
3.2.17. Elementarzeichen - - - - - S. 65<br />
3.2.18. Coda - - - - - - - S. 67<br />
3.3. Reaktionen auf Manfred Bierwisch - - - - - S. 68<br />
4. Zusammenfassung - - - - - - - - S. 73<br />
Literaturverzeichnis
1<br />
1. AUFGABENSTELLUNG<br />
Ziel dieser Arbeit ist es, zu ermitteln, wo Musik und Sprache als menschliche Ausdrucksformen<br />
Gemeinsamkeiten bzw. Unterschie<strong>de</strong> aufweisen. Die Problematik ist keineswegs<br />
neu und kann inzwischen von vielerlei Richtung aus in Augenschein genommen wer<strong>de</strong>n.<br />
Entwicklungs- und Lernpsychologen interessieren sich ebenso dafür wie Theater- und Literaturwissenschaftler.<br />
1 Einzelne Erkenntnisse dieser sekundären Herangehensweisen wer<strong>de</strong>n<br />
freilich zu berücksichtigen sein. In<strong>de</strong>s konzentriert sich diese Arbeit auf Aussagen <strong>de</strong>r<br />
Musikwissenschaft im Allgemeinen und <strong>de</strong>r Linguistik im Speziellen – vertreten durch <strong>de</strong>n<br />
Berliner Sprachwissenschaftler Manfred Bierwisch.<br />
1 Verwiesen sei auf <strong>de</strong>n Überblick, <strong>de</strong>n Gembris: Grundlagen bietet, sowie auf Fecker, Adolf: Sprache und<br />
Musik: Phänomenologie <strong>de</strong>r Deklamation in Oper und Lied <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts. – Hamburg: Wagner, 1984<br />
bzw. auf <strong>de</strong>n Kongreß »Musik als Text« in Freiburg 1993.
2<br />
2. VORVERSTÄNDNIS<br />
Das Nach<strong>de</strong>nken darüber, wie etwas beschrieben und erklärt wer<strong>de</strong>n kann, ist ursprünglich<br />
innerhalb <strong>de</strong>r Philosophie zuhause. Gleichsam vom Beginn <strong>de</strong>r jetzigen europäischen<br />
Kultur sind Überlegungen von Platon bzw. Aristoteles überliefert, die sich jeweils auf Gedanken<br />
über die Realitäten und Vorstellungen <strong>de</strong>r Welt konzentrieren. Ein Ergebnis <strong>de</strong>ssen<br />
war die Unterscheidung <strong>de</strong>s Kosmos in die Welt <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>en und die <strong>de</strong>r Tatsachen.<br />
Letzte war wie<strong>de</strong>rum nach einem Ordnungsprinzip – einer I<strong>de</strong>e – beschaffen. Diese I<strong>de</strong>e<br />
wird als Harmonie <strong>de</strong>r Welt gedacht und die Kunst <strong>de</strong>r Harmonien, also die Musik als beinah<br />
überirdisch empfun<strong>de</strong>n. Die Redner wie die Philosophen wur<strong>de</strong>n dagegen als genuin<br />
irdisch angesehen.<br />
Eine schwächere Polarisierung fin<strong>de</strong>t sich auch in <strong>de</strong>n septem artes liberales, <strong>de</strong>n sieben<br />
freien Künsten – <strong>de</strong>r antiken Ausbildung zum Philosophieren –, die sich in ein mathematisch-naturwissenschaftlich<br />
orientiertes Trivium und ein stärker rhetorisch-philosophisches<br />
Quadrivium teilten. Musik zählte hierbei zunächst jedoch zu <strong>de</strong>n grundlegen<strong>de</strong>n,<br />
trivialen Künsten. Als im Mittelalter die freien Künste das „Grundstudium“ für Theologie,<br />
Philosophie o<strong>de</strong>r Medizin an <strong>de</strong>n Universitäten darstellten, wur<strong>de</strong> Musik <strong>de</strong>m Quadrivium<br />
zugeordnet, worin sich das gewan<strong>de</strong>lte Verhältnis von Musik und Sprache wi<strong>de</strong>rspiegelt.<br />
Aus <strong>de</strong>n philosophischen Betrachtungen <strong>de</strong>r Welt und ihrer Inhalte stammt die Beschreibung<br />
<strong>de</strong>s Schönen, die Ästhetik. Insbeson<strong>de</strong>re Hegel hat eine bis heute relevante Lehre in<br />
diesem Bereich entworfen. Musikästhetik als ein Teilbereich <strong>de</strong>ssen hatte sich jedoch im<br />
Laufe <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>rart verselbständigt, daß sich ihm an<strong>de</strong>re Teilbereiche bald zugesellten,<br />
bis schließlich die Disziplin »Musikwissenschaft« etabliert wur<strong>de</strong>. Wenig beeindruckt von<br />
<strong>de</strong>n aka<strong>de</strong>mischen Entwicklungen fand in<strong>de</strong>s die Ausbildung <strong>de</strong>r Musiker lange Zeit ähnlich<br />
an<strong>de</strong>ren Handwerkskünsten statt, da es hierbei weniger auf das Wissen als auf das<br />
Können ankommt, insoweit nämlich die Fertigkeiten zu musizieren praktisch zu vermitteln<br />
bzw. auszuführen sind. Die philosophische Theorie war und ist bis heute <strong>de</strong>mnach im<br />
wahrsten Sinne <strong>de</strong>s Wortes ein Nach-Denken über das Sein und die Wirkung von Musik. 2<br />
Nach dieser eher flüchtigen Besinnung darauf, woher die Thematik rührt, folgt <strong>de</strong>r Aufbau<br />
<strong>de</strong>r Arbeit also <strong>de</strong>m Muster <strong>de</strong>r Freien Künste und schreitet von <strong>de</strong>n naturwissenschaftlichen<br />
Grundlagen zu <strong>de</strong>n geisteswissenschaftlichen Diskursen.<br />
2 Zur Geschichte <strong>de</strong>r Problematik siehe la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 133f.
3<br />
Die Topoi Musik und Sprache legen nahe, daß bei dieser Thematik primär die Linguistik<br />
und die Musikwissenschaft gefor<strong>de</strong>rt sind. Die Vorrangstellung <strong>de</strong>r Musik im Titel in<strong>de</strong>s<br />
markiert das Interesse daran, wo sie Gemeinsamkeiten o<strong>de</strong>r Unterschie<strong>de</strong> zur Sprache<br />
aufweist. Doch bei einer solchen musikwissenschaftlichen Arbeit steht die Thematik nicht<br />
allein auf <strong>de</strong>n Füßen historischer Untersuchungen, son<strong>de</strong>rn sie erfor<strong>de</strong>rt systematischen<br />
Weitblick, <strong>de</strong>r die geschichtlichen Aspekte <strong>de</strong>s Themas eingeordnet in ein komplexes System<br />
verschie<strong>de</strong>ner Einflußfaktoren, das sich u.a. zusammensetzt aus <strong>de</strong>n Teilgebieten<br />
Akustik, Stimm- und Gehörphysiologie, Musikpsychologie, Musiksoziologie, Musikpädagogik,<br />
Musikphilosophie sowie Musikästhetik. 3 Zur näheren Bestimmung <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n<br />
Faktoren stehen <strong>de</strong>r Musikwissenschaft aka<strong>de</strong>mische Disziplinen zur Seite, die<br />
teils weit über <strong>de</strong>n musikwissenschaftlichen Horizont hinausreichen. Im vorliegen<strong>de</strong>n Falle<br />
zählen dazu z.B. die Physik, die Medizin, die Psychologie und die Soziologie. Im<br />
Schnittpunkt dieser Wissenschaftsbereiche ist die Thematik »Musik und Sprache« positioniert,<br />
weshalb zu fragen ist, welche Erkenntnisse <strong>de</strong>r jeweilige Bereich beitragen kann<br />
zum Vorverständnis von Musik und Sprache, ehe <strong>de</strong>r Blick durch die Brille <strong>de</strong>r Musikwissenschaft<br />
auf <strong>de</strong>n Entwurf Bierwischs gerichtet wird.<br />
Zuvor ist jedoch eine Abgrenzung <strong>de</strong>r Thematik vonnöten, um bei <strong>de</strong>r Komplexität <strong>de</strong>s<br />
Themenfel<strong>de</strong>s nicht Gefahr zu laufen, sich in <strong>de</strong>r Vertiefung unzähliger Einzelproblematiken<br />
zu verlieren. So wer<strong>de</strong>n diverse Problemkreise <strong>de</strong>r Hermeneutik o<strong>de</strong>r Rhetorik keinesfalls<br />
erschöpfend erörtert, wie dies ebenso für alle Fragen <strong>de</strong>r Ästhetik unmöglich ist, aus<br />
<strong>de</strong>ren Kontext das Thema ursprünglich entstammt 4 , insofern nämlich sie jeweils von mehr<br />
o<strong>de</strong>r min<strong>de</strong>r konkreten o<strong>de</strong>r kategorischen Einzelphänomenen han<strong>de</strong>ln. Gleichfalls wird<br />
auf physiologische und psychologische Aspekte <strong>de</strong>r Wahrnehmung und <strong>de</strong>r Lautgebung<br />
nur hingewiesen wer<strong>de</strong>n sowie auf physikalische Grundlagen <strong>de</strong>r Akustik, da sie eigens<br />
Themen naturwissenschaftlicher Abhandlung sind, <strong>de</strong>ren Ergebnisse für <strong>de</strong>n Geisteswissenschaftler<br />
zwar nachvollziehbar sind, <strong>de</strong>ren Verifizierung bzw. Falsifizierung ihm aber<br />
nicht obliegt. Auch wer<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Linguistik wie aus <strong>de</strong>r Kommunikationswissenschaft<br />
generell Aussagen diskutiert, <strong>de</strong>ren Gültigkeit im Einzelnen jeweils vorausgesetzt wird.<br />
Soweit sich <strong>de</strong>r Verfasser also auf die Hilfe an<strong>de</strong>rer Fachbereiche stützt, geschieht es in<br />
<strong>de</strong>r Absicht, die Be<strong>de</strong>utung ihrer Ergebnisse für <strong>de</strong>n zu verhan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Gegenstand zu<br />
würdigen und sie im interdisziplinären Dialog als Partner zu begreifen.<br />
3 vgl. Michel, Bd. 1, S. 12<br />
4 vgl. Klemm, S. 1
4<br />
2.1. PHYSIKALISCHE ASPEKTE<br />
Dank <strong>de</strong>n Forschungen in <strong>de</strong>r Physik sind sprachliche wie musikalische Klänge meß- und<br />
i<strong>de</strong>ntifizierbar u.a. anhand <strong>de</strong>r Obertonspektren bzw. Überlagerungskurven. Auch die Bedingungen,<br />
unter <strong>de</strong>nen Schallübertragung in verschie<strong>de</strong>nen Stoffen stattfin<strong>de</strong>t, sind physikalisch<br />
bekannt wie ebenso die räumlich-zeitlichen Faktoren <strong>de</strong>r Interferenz, <strong>de</strong>r Reflexion<br />
usw. 5 Insofern sind diese akustischen Erkenntnisse von Belang, als daß sie bei je<strong>de</strong>m<br />
Akt absichtlicher Lautgebung in einem Zimmer, einem Saal, einer Halle usw. zu beachten<br />
sind. Für die vorliegen<strong>de</strong> Arbeit in<strong>de</strong>s ist primär von Interesse, ob zwischen Musik und<br />
Sprache physikalisch unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n kann.<br />
2.1.1. SCHALL<br />
Hinter <strong>de</strong>r Vokabel »Schall« verbirgt sich die Vielfalt aller akustischen Phänomene. Zur<br />
Darstellung <strong>de</strong>s physikalischen Prinzips sei daher exemplarisch eine Schwingung isoliert<br />
und näher skizziert:<br />
Die zeitliche Aus<strong>de</strong>hnung einer einzelnen<br />
Schwingung – als »Perio<strong>de</strong>« bezeichnet –<br />
ist umgekehrt proportional zu <strong>de</strong>m Begriff<br />
<strong>de</strong>r »Frequenz«, <strong>de</strong>r die Tonhöhe angibt,<br />
also wie viele Schwingungen pro Sekun<strong>de</strong><br />
erfolgen. Das Ausmaß <strong>de</strong>r Elongation alias<br />
»Amplitu<strong>de</strong>« ergibt zusammen mit <strong>de</strong>m<br />
Schalldruck und <strong>de</strong>r Schallstärke die Lautstärke.<br />
Weitere Parameter sind Volumen,<br />
Dichte und Dauer <strong>de</strong>s Schalls.<br />
< Darstellung aus Michel, Bd.1, S. 16<br />
Der Entstehungsprozeß <strong>de</strong>s Schalls verläuft <strong>de</strong>rart, daß durch Energiezufuhr eines<br />
Schwingungserregers die nächsten Moleküle <strong>de</strong>s ihn umgeben<strong>de</strong>n Stoffes – z.B. Luft –<br />
verdrängt und dadurch ebenfalls in Schwingung versetzt wer<strong>de</strong>n, welche wie<strong>de</strong>rum die<br />
Schwingung übertragen, bis das Energiepotential <strong>de</strong>r Schwingung <strong>de</strong>r Teilchen erschöpft<br />
ist. Der Schall läßt vor Ort und in seiner Ausbreitung nach.<br />
5 Einen Überblick bietet Michel, Bd. 1, S. 14ff., <strong>de</strong>r für das Kapitel 2.2. die Grundlage bil<strong>de</strong>t.
5<br />
2.1.2. KLANG<br />
Einzelnen Schwingungen sind in natura äußerst selten. Meist han<strong>de</strong>lt es sich bei einem<br />
Schallereignis um ein Konglomerat mehrerer Frequenzen, <strong>de</strong>ssen Charakteristik es als<br />
»Klang« qualifiziert, wenn die Schwingungen »harmonisch« – d.h. sie stehen in einem<br />
ganzzahligen Verhältnis zueinan<strong>de</strong>r – und »periodisch« sind. Die gegenseitigen Beeinflussungen<br />
<strong>de</strong>r Frequenzen ergeben eine Überlagerungskurve, welche die individuelle Charakteristik<br />
<strong>de</strong>s Klangs wie<strong>de</strong>rgibt. Der Schall eines Instrumentes z.B. ist stets ein solcher<br />
aufgrund seiner »Klangfarbe« i<strong>de</strong>ntifizierbarer Klang, <strong>de</strong>r auch als »Ton« angesprochen<br />
wird, obwohl physikalisch ein Ton lediglich über exakt eine Frequenz <strong>de</strong>finiert ist. Alle Töne<br />
eines Instrumentes haben in Korrespon<strong>de</strong>nz mit <strong>de</strong>ssen Resonanzverhalten etwa die<br />
gleiche Klangfarbe, d.h. ähnliche Obertonverhältnisse, auch wenn die Basisfrequenz variiert.<br />
Doch es hat sich im Laufe <strong>de</strong>r Geschichte erst spät erwiesen, daß die Töne eines<br />
Instrumentes selbst Klänge sind. So hielt sich bis heute <strong>de</strong>r Usus, von Tönen zu sprechen,<br />
wo von Klängen die Re<strong>de</strong> ist in Abgrenzung von <strong>de</strong>n Klängen, die entstehen, wenn beispielsweise<br />
mehrere Töne eines Instrumentes gleichzeitig erklingen. Letzteres sind – um<br />
<strong>de</strong>r begrifflichen Hygiene genüge zu tun – musikalische Klänge und ersteres physikalische<br />
Klänge alias musikalische Töne. Der Grenzfall <strong>de</strong>r elektronischen Musik, daß nämlich eine<br />
Frequenz ohne irgen<strong>de</strong>inen Partialton erklingen kann, sei daher konsequenterweise als<br />
ein musikalischer Ton ohne Klangfarbe begriffen.<br />
Sprache orientiert sich weit weniger als die Musik an Tonhöhen, son<strong>de</strong>rn an <strong>de</strong>n Tönen in<br />
ihrer eignen Charakteristik – nämlich an <strong>de</strong>r Klangfarbe in Abhängigkeit von <strong>de</strong>r Art <strong>de</strong>r<br />
Schallerzeugung (labial, laryngal, nasal, <strong>de</strong>ntal usw.). Ohne diese Differenzierung sind<br />
Vokale und vor allem Konsonanten wie »M« und »N« akustisch nicht unterscheidbar, auch<br />
wenn es sich dabei z.T. – im musikalischen Sinne – um Geräusche han<strong>de</strong>lt.<br />
2.1.3. GERÄUSCHE <strong>UND</strong> LAUTE<br />
Geräusch o<strong>de</strong>r Laute sind akustische Kuriosa, <strong>de</strong>nen eine gewisse Unfaßbarkeit anhaftet.<br />
Dazu zählen die Schallereignisse mit <strong>de</strong>fizitärer Form und jene von extrem kurzer Dauer,<br />
wie es beim Knall <strong>de</strong>r Fall ist. In<strong>de</strong>s »Form« sei verstan<strong>de</strong>n als eine bestimmte Basisfrequenz<br />
mit gewissen Obertonverhältnissen. Ist z.B. die Basisfrequenz zwar nicht zu<br />
bestimmen, aber dafür die Klangstruktur i<strong>de</strong>ntifizierbar, han<strong>de</strong>lt es sich musikalisch um<br />
ein Grenzphänomen – wie <strong>de</strong>m »Weißen Rauschen«. Für sprachliche Schallereignisse ist<br />
diese Erscheinung eher normal insofern, als daß die sogenannten »stimmlosen« Konsonanten<br />
ohne Basisfrequenz sehr wohl i<strong>de</strong>ntifizierbar sind aufgrund ihrer Klangstruktur.
6<br />
»Laute« hingegen sind sowohl als Klang als auch als Geräusch anzutreffen und verfügen<br />
<strong>de</strong>mnach über eine – wie auch immer geartete – Form. Die Grün<strong>de</strong> ihrer Unfaßbarkeit in<strong>de</strong>s<br />
wer<strong>de</strong>n unter 2.4.2. erörtert. Daneben fin<strong>de</strong>n sich Schallereignisse, die gleichfalls unter<br />
<strong>de</strong>n Terminus Geräusch subsummiert wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nen jedoch jedwe<strong>de</strong> erkennbare<br />
Struktur fehlt sowohl in Bezug auf Basisfrequenz als auch auf Klangfarbe und -dauer. Darauf<br />
jedoch sei hier lediglich verwiesen.<br />
Ist die Thematik »Musik und Sprache« nicht vor<strong>de</strong>rgründig im Interesse <strong>de</strong>r Physik, so<br />
liefert diese doch die dafür nötigen Meßverfahren und -instrumente, wie sich ihr generell<br />
<strong>de</strong>r gesamte Bereich <strong>de</strong>r synthetischen Klangerzeugung als auch jener <strong>de</strong>r Klangvervielfältigung<br />
per Medien verdankt. In<strong>de</strong>s eine klare Grenze zwischen Musik und Sprache läßt<br />
sich mit ihrer Methodik schwerlich ziehen. Allenfalls ten<strong>de</strong>nziell verweist <strong>de</strong>r Geräuschbzw.<br />
Klanganteil in Richtung einer <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Lautformen. Doch beson<strong>de</strong>rs melodische<br />
Sprachen z.B. o<strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rne Kompositionen relativieren <strong>de</strong>rartige Ten<strong>de</strong>nzen sofort.<br />
2.2. MEDIZINISCHE ASPEKTE<br />
Daher setzt sich die Suche nach Unterscheidungsmöglichkeiten fort bei organischen und<br />
physiologischen Grundlagen <strong>de</strong>r Wahrnehmung und <strong>de</strong>r Lauterzeugung, welche die Medizin<br />
liefert. Haben an<strong>de</strong>re Wissenschaften wie die Biologie z.B. ebenfalls ein Interesse daran,<br />
so hat die Auswahl hier in<strong>de</strong>s <strong>de</strong>n Beweggrund, daß die Medizin einerseits Erkenntnisse<br />
ihrer Nachbardisziplinen bün<strong>de</strong>lt und sie an<strong>de</strong>rerseits auf <strong>de</strong>n Schwerpunkt »Mensch«<br />
konzentriert. 6 Sowohl Musik als auch Sprache sind Leistungen dieser einer Spezies, insofern<br />
sie <strong>de</strong>ren kulturelle Errungenschaften darstellen. Walgesänge o<strong>de</strong>r akustische Signale<br />
an<strong>de</strong>re Spezies stehen außerhalb <strong>de</strong>s dieser Arbeit zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n Verständnisses<br />
von Musik und Sprache.<br />
2.2.1. ORGANISCHE GR<strong>UND</strong>LAGEN<br />
Menschen haben in <strong>de</strong>r Mehrzahl <strong>de</strong>r Fälle ein Hörvermögen und ein Lautgebungsvermögen.<br />
Die organischen Grundlagen für Musik bzw. Sprache sind das Ohr bzw. <strong>de</strong>r<br />
Stimmapparat, die bei<strong>de</strong> hier kurz skizziert wer<strong>de</strong>n sollen, da sie durchaus sowohl Musik<br />
als auch Sprache <strong>de</strong>terminieren.<br />
6 Selbst Veterinäre beziehen sich auf Humankonstitutionen, um artspezifische Beson<strong>de</strong>rheiten zu zeigen.
7<br />
Der Stimmapparat ist <strong>de</strong>m respiratorischen System zugehörig und befin<strong>de</strong>t sich im Anschluß<br />
an <strong>de</strong>n Pharynx <strong>de</strong>r Kehlkopf (Larynx): „Das am Zungenbein aufgehängte Kehlkopfskelett<br />
<strong>de</strong>s Menschen besteht aus drei unpaaren und einem paarigen Knorpel, die<br />
durch Bän<strong>de</strong>r zusammengehalten wer<strong>de</strong>n. Die Basis bil<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r siegelförmige Ringknorpel<br />
(Cartilago cricoi<strong>de</strong>a). An <strong>de</strong>r Vor<strong>de</strong>rseite liegt oberhalb <strong>de</strong>s Ringknorpels, mit diesem beweglich<br />
verbun<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r schildförmige, median abgewinkelte Schildknorpel (Cartilago thyreoida).<br />
Er umgibt als größter Kehlkopfknorpel <strong>de</strong>n stimmbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Teil <strong>de</strong>s Kehlkopfes.<br />
[…] An <strong>de</strong>r Hinterseite <strong>de</strong>s Kehlkopfes liegen über <strong>de</strong>m Ringknorpel (drehbar mit diesem<br />
verbun<strong>de</strong>n) die bei<strong>de</strong>n Stellknorpel (Cartilagines arytaenoi<strong>de</strong>ae) in Form kleiner, dreiseitiger<br />
Pyrami<strong>de</strong>n. Je ein nach vorn gerichteter Fortsatz (Processus vocalis) <strong>de</strong>r Stellknorpel<br />
dient als Stütze für die Stimmfalten (Plicae vocales) mit <strong>de</strong>n randständigen, […] aus elastischen<br />
Fasern bestehen<strong>de</strong>n<br />
Stimmbän<strong>de</strong>rn (Ligamenta vocalia),<br />
die zwischen sich die Stimmritze<br />
(Rima glottidis) als Stimmorgan<br />
(Glottis) bil<strong>de</strong>n. […] Über die<br />
Stimmfortsätze können Stellung<br />
und Spannung <strong>de</strong>r Stimm-bän<strong>de</strong>r<br />
verän<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.“ 7 Die aus <strong>de</strong>r<br />
Lunge ausströmen<strong>de</strong> Atem-luft<br />
„versetzt […] die Stimmbän<strong>de</strong>r im<br />
Kehlkopf in Schwingungen, die<br />
durch die Resonanzräume von<br />
Rachen, Mund und Nase verstärkt<br />
wer<strong>de</strong>n. Die Tonhöhe kann durch<br />
Darstellung aus Brockhaus, Bd. 11, S. 614<br />
unterschiedliches Spannen <strong>de</strong>r Stimmbän<strong>de</strong>r, die Klangfarbe durch unterschiedliche Form<br />
<strong>de</strong>r Resonanzhöhlen verän<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.“ 8 Durchschnittlich verfügt ein Mensch über einen<br />
tonlichen Stimmumfang von zwei Oktaven mit einer Lautstärke bis etwa 90 dB.<br />
Das »Ohr« ist ein ähnlich komplexes Konstrukt verschie<strong>de</strong>ner Komponenten, die zur akustischen<br />
Wahrnehmung dienen. Der Aufbau wird nach la Motte-Haber so beschrieben:<br />
„Das äußere Ohr besteht aus <strong>de</strong>r Ohrmuschel [und] <strong>de</strong>m Gehörgang, <strong>de</strong>r durch eine Membran,<br />
das sogenannte Trommelfell, abgeschlossen wird. Diese Membran wird durch auftreffen<strong>de</strong><br />
Schwingungen <strong>de</strong>r Luft ebenfalls in Schwingung versetzt und überträgt diese auf<br />
7 Brockhaus, Bd. 11, S. 613f.<br />
8 Brockhaus, Bd. 21, S. 157
8<br />
die drei nach ihrer Form als Hammer, Amboß und Steigbügel bezeichneten Knöchelchen<br />
im Mittelohr. Der Hammer ist mit <strong>de</strong>m Trommelfell verwachsen, <strong>de</strong>r Steigbügel mit einer<br />
zweiten Membran, <strong>de</strong>m ovalen Fenster, das Mittelohr und Innenohr abgrenzt; untereinan<strong>de</strong>r<br />
sind die drei Gehörknöchelchen verbun<strong>de</strong>n. Sie haben nicht nur die Aufgabe, Schwingungen<br />
zum Mittelohr weiterzuleiten, son<strong>de</strong>rn sie auch – wie aus Beschädigungen <strong>de</strong>s<br />
Mittelohres ablesbar ist – etwa im Verhältnis 1:20 zu verstärken. […] Das Innenohr (Cochlea)<br />
ist im Unterschied zum äußeren und mittleren Ohr mit Flüssigkeit gefüllt. […] Es ist in<br />
drei Kanäle (Scala tympani, Scala vestibuli und Ductus cochlearis) geteilt, die durch die<br />
Reißnersche und Basilarmembran von einan<strong>de</strong>r abgegrenzt sind; an <strong>de</strong>r Schneckenspitze<br />
sind die bei<strong>de</strong>n äußeren Kanäle durch ein kleines Loch, das Helikotrema, miteinan<strong>de</strong>r verbun<strong>de</strong>n,<br />
<strong>de</strong>ssen Funktion Druckausgleich ist. […] Der komplizierte Aufbau <strong>de</strong>s Ohres dient<br />
vor allem <strong>de</strong>r Weiterleitung von Schwingungen, die eigentlichen Sinnesrezeptoren sind<br />
die auf <strong>de</strong>r Basilarmembran liegen<strong>de</strong>n faserartigen Haarzellen (Cortisches Organ), die die<br />
Endigungen <strong>de</strong>s 8. Gehirnnervs (Nervus acusticus) darstellen [und sich unter einer Tectorialmembran<br />
befin<strong>de</strong>n.] Die Reizung <strong>de</strong>r Haarzellen führt zu einer neuronalen Erregung,<br />
die sich zum Gehörzentrum (Hechelsche Querwindung) in <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Schläfenlappen <strong>de</strong>s<br />
Großhirns fortpflanzt.“ 9 Darstellung aus la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 26<br />
Die Reizweiterleitung ist jedoch insoweit ungeklärt, als zum einen über die Grundlagen für<br />
Tonhöhenbestimmung und Ähnlichkeiten zwischen Tönen (z.B. bei Oktaven) als auch über<br />
konzentriertes Hören die anatomischen Befun<strong>de</strong> wenig aussagen. Ob also die Basilar-<br />
9 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 27f.
9<br />
membran o<strong>de</strong>r das Cortische Organ für Frequenzwahrnehmung zuständig ist und ob ein<br />
zweiter nervaler Weg vom Hirn reversiv die Hörtätigkeit selektiert nach Haupt- und Nebengeräuschen,<br />
läßt sich ebensowenig auf organischer Grundlage klären, wie die Frage,<br />
wie Sprache und Musik als akustische Phänomene voneinan<strong>de</strong>r unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n<br />
können. Das sind Fragen an die Physiologie.<br />
2.2.2. PHYSIOLOGISCHE GR<strong>UND</strong>LAGEN<br />
Die Physiologie interessiert nun nicht mehr allein Organe und Anlagen eines Organismus,<br />
son<strong>de</strong>rn die organismusinternen Vorgänge und Fähigkeiten – an dieser Stelle insbeson<strong>de</strong>re<br />
die für Musik und Sprache relevanten Wechselbeziehungen. Dafür bedarf es bezüglich<br />
<strong>de</strong>s Gehörs und seiner Funktionsweise – soweit bekannt – eines Exkurses:<br />
„Das Cortische Organ enthält in Stützzellen eingebettet die Haarzellen, die nur Stereovilli tragen<br />
und in einer Reihe von inneren Haarzellen und drei Reihen von äußeren Haarzellen angeordnet sind.<br />
Das Cortische Organ […] besitzt etwa 3.500 innere und 12.000 äußere Haarzellen. Nur die Stereovilli<br />
<strong>de</strong>r äußeren Haarzellen haben Kontakt zu <strong>de</strong>r darüberliegen<strong>de</strong>n gallertigen Tectorialmembran […].<br />
Bei Beschallung <strong>de</strong>s Ohres wer<strong>de</strong>n die Schwingungen <strong>de</strong>r Gehörknöchelchen über die Membran <strong>de</strong>s<br />
ovalen Fensters auf die Perilymphe <strong>de</strong>r Scala vestibuli übertragen. Da die Perilymphe nicht kompressibel<br />
ist, wer<strong>de</strong>n die Scalenmembranen und damit auch das Cortische Organ ausgelenkt. Über<br />
die Perilymphe <strong>de</strong>r Scala tympani wird die Schallschwingung auf die Membran <strong>de</strong>s run<strong>de</strong>n Fensters<br />
übertragen und bewirkt <strong>de</strong>ssen Vorwölbung in <strong>de</strong>r Paukenhöhle. […] Die durch <strong>de</strong>n Schall hervorgerufenen<br />
Relativbewegungen zwischen Tectorial- und Basilarmembran [führen] zu einer Scherbewegung<br />
<strong>de</strong>r Stereovilli in <strong>de</strong>r äußeren Haarzellenreihe. Obwohl die äußeren Haarzellen dreifach so<br />
häufig sind wie die inneren Haarzellen, wer<strong>de</strong>n sie nur von weniger als 10% <strong>de</strong>r im Hörnerven verlaufen<strong>de</strong>n<br />
Afferenzen versorgt. Mehr als 90% <strong>de</strong>r Afferenzen innervieren die inneren Haarzellen […]<br />
Obwohl also die Hörinformation zum größten Teil von <strong>de</strong>n inneren Haarzellen vermittelt wird, ist <strong>de</strong>r<br />
Mechanismus <strong>de</strong>r Erregung bisher unklar. Favorisiert wird z.Z. eine Hypothese, nach <strong>de</strong>r die inneren<br />
Haarzellen durch oscillieren<strong>de</strong> Längenän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r äußeren Haarzellen erregt wer<strong>de</strong>n. […] Durch<br />
das Sensorpotential [wird] die Freisetzung eines erregen<strong>de</strong>n Transmitters erhöht und dadurch die<br />
Aktivität in <strong>de</strong>n afferenten Nervenfasern moduliert. Da nur ein kleiner Teil <strong>de</strong>r Hörinformation von<br />
<strong>de</strong>n äußeren Haarzellen stammt, ist es wahrscheinlich wichtiger, daß die oscillieren<strong>de</strong>n Depolarisationen<br />
außer<strong>de</strong>m zu oscillieren<strong>de</strong>n Längenän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r äußeren Haarzellen führen. Dadurch soll<br />
die Amplitu<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>rwellen frequenzcharakteristisch und somit ortsspezifisch so stark vergrößert<br />
wer<strong>de</strong>n, daß auch die inneren Haarzellen erregt wer<strong>de</strong>n. Die frequenzselektive Verstärkerfunktion<br />
<strong>de</strong>r äußeren Haarzellen ist <strong>de</strong>mnach Voraussetzung für die frequenzspezifische Hörfähigkeit.<br />
[…] Je<strong>de</strong>r Schall versetzt die Membranen in <strong>de</strong>r Cochlea in frequenzabhängige Schwingungen, die<br />
sich auf <strong>de</strong>r Basilarmembran von <strong>de</strong>r Schneckenbasis bis zum Helicotrema fortbewegen. Diese Bewegungen<br />
gleichen wan<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Wellen an einem horizontal aufgespannten Seil und wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>shalb<br />
als Wan<strong>de</strong>rwellen bezeichnet. Die Amplitu<strong>de</strong>nhöhe <strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>rwellen auf <strong>de</strong>r Basiliarmembran<br />
wird jedoch durch die mechanischen Eigenschaften <strong>de</strong>r Membran moduliert. In <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s Stapes
10<br />
(ovales Fenster) ist die Basilarmembran<br />
schmal [100 µm] und steif; am Helicotrema<br />
wird die Membran wesentlich breiter [500<br />
µm], und ihre Steifheit nimmt erheblich ab.<br />
[…] Zwischen Stapes und Helicotrema bil<strong>de</strong>n<br />
sich Amplitu<strong>de</strong>nmaxima aus, <strong>de</strong>ren Ort<br />
auf <strong>de</strong>r Basilarmembran von <strong>de</strong>r Frequenz<br />
<strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>rwelle abhängig ist. Bei hohen<br />
Frequenzen liegt das Ortsmaximum in <strong>de</strong>r<br />
Nähe <strong>de</strong>s Stapes, während tiefe Frequenzen<br />
ihr Maximum in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s Helicotremas<br />
haben. Auf diese Weise kommt es zur Frequenz-Orts-Transformation.<br />
Da sich Schallereignisse<br />
in <strong>de</strong>r Regel aus unterschiedlichen<br />
Frequenzen zusammensetzen, gibt es<br />
auf <strong>de</strong>r Basilarmembran gleichzeitig an verschie<strong>de</strong>nen<br />
Orten maximale Auslenkungen.<br />
Die Amplitu<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>rwelle am Ortsmaximum<br />
wird durch oscillieren<strong>de</strong> Längenän<strong>de</strong>rungen<br />
<strong>de</strong>r äußeren Haarzellreihen<br />
verstärkt.<br />
Darstellung aus Engelhardt; Breves: Physiologie, S. 87<br />
Das Innenohr wird […] durch <strong>de</strong>n Nervus cochlearis, ein Teil <strong>de</strong>s VIII. Hirnnerven, innerviert und enthält<br />
neben afferenten auch efferente Nervenfasern. Neunzig Prozent <strong>de</strong>r afferenten Nervenfasern<br />
kommen […] von jeweils einer einzigen Synapse einer inneren Haarzelle, die nach <strong>de</strong>m Ortsprinzip<br />
durch eine ganz bestimmte Schallfrequenz erregt wird. Bei <strong>de</strong>r Beschallung <strong>de</strong>s Ohres wird daher<br />
auch die entsprechen<strong>de</strong> afferente Nervenfaser durch eine bestimmte Frequenz – die Bestfrequenz<br />
dieser Faser – optimal erregt. Die Bildung von Aktionspotentialen ist außer<strong>de</strong>m an die Phasenlage<br />
<strong>de</strong>r Schallschwingung gekoppelt. Durch diese Phasenkopplung entstehen Gruppen von Aktionspotentialen,<br />
die durch Pausen getrennt sind, <strong>de</strong>ren Dauer <strong>de</strong>r Frequenz umgekehrt proportional ist.<br />
Erst diese Intervallcodierung ermöglicht die genaue Wahrnehmung von Tonhöhen und erlaubt die<br />
Analyse von musikalischen Strukturen. Da einzelne Nervenfasern nur eine maximale Entladungsfrequenz<br />
von 800 Hz erreichen können, müssen bei höheren Frequenzen mehrere Fasern, die in <strong>de</strong>r<br />
gleichen Phasenlage aber zu unterschiedlichen Zeiten (auf Lücke) antworten, zusammenwirken. Der<br />
Schwellenschalldruck für die Phasenkopplung ist niedriger als für die Bestfrequenz einzelner Nervenfasern,<br />
d.h., die Phasenkopplung ist entschei<strong>de</strong>nd für die Empfindlichkeitsschwelle einer Hörnervfaser.<br />
Zunahme <strong>de</strong>r Schallintensität wird durch Steigerung <strong>de</strong>r Entladungsrate codiert. In Intensitätsbereichen<br />
über 40 dB erfolgt die Intensitätscodierung durch Rekrutierung von weiteren Fasern<br />
aus <strong>de</strong>r unmittelbaren Nachbarschaft, die bei gleicher o<strong>de</strong>r ähnlicher Bestfrequenz eine höhere<br />
Antwortschwelle besitzen.<br />
Die Zellkörper <strong>de</strong>r sensorischen Nervenfasern <strong>de</strong>s Nervus cochlearis liegen im Spiralganglion […].<br />
Teilweise wer<strong>de</strong>n schon in <strong>de</strong>n Stammhirnkernen die Zeit- o<strong>de</strong>r Intensitätsmuster <strong>de</strong>r afferenten<br />
Nervenfasern völlig umcodiert. Die im Laufe <strong>de</strong>r weiteren auditorischen Verarbeitung in verschie<strong>de</strong>-
11<br />
nen Gehirnarealen immer stärker ausgeprägte Mustererkennung nimmt hier ihren Anfang. Auf <strong>de</strong>m<br />
Weg in <strong>de</strong>n auditorischen Cortex ziehen […] die Fasern über die ipsi- o<strong>de</strong>r kontralateralen Olivenkerne<br />
in <strong>de</strong>n Lemniscus lateralis <strong>de</strong>r gleichen o<strong>de</strong>r kontralateralen Seite. In <strong>de</strong>n Nervenzellen <strong>de</strong>s Olivenkomplexes<br />
im Hirnstamm können daher bereits akustische Signale von bei<strong>de</strong>n Ohren verglichen<br />
wer<strong>de</strong>n. Auch im weiteren Verlauf steigen die Hörbahnen sowohl ipsi- als auch kontralateral auf und<br />
erreichen zunächst <strong>de</strong>n Culliculus inferior <strong>de</strong>s Mittelhirns; von dort aus ziehen sie zum Corpus geniculatum<br />
mediale <strong>de</strong>s Thalamus, um schließlich in die primäre Hörrin<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Temporallappens zu<br />
mün<strong>de</strong>n. […] Neben <strong>de</strong>n geschil<strong>de</strong>rten ascendieren<strong>de</strong>n Bahnen mit rückläufigen Kollateralen gibt es<br />
eine Vielzahl von absteigen<strong>de</strong>n efferenten Bahnsystemen, die ebenfalls häufig auf die kontralaterale<br />
Seite kreuzen und auf je<strong>de</strong>r Ebene positive und negative Rückkopplungsschleifen bil<strong>de</strong>n. Endpunkte<br />
<strong>de</strong>r efferenten Kontrolle sind die äußeren Haarzellen bzw. die afferenten Fasern <strong>de</strong>r inneren<br />
Haarzellen in <strong>de</strong>r Cochlea.“ 10<br />
Nach diesem etwas umfangreichen Exkurs ist zumin<strong>de</strong>st <strong>de</strong>utlich gewor<strong>de</strong>n, daß speziell<br />
Wahrnehmung nicht nur in eine Richtung vor sich geht, son<strong>de</strong>rn in Rückkopplung mit <strong>de</strong>n<br />
Instanzen <strong>de</strong>r Reizweiterleitung. Auch hat die Theorie <strong>de</strong>r Frequenz-Orts-Erregung die<br />
Epoche endgültig abgeschlossen, in <strong>de</strong>r Carl Stumfps Resonanztheorie 11 entstan<strong>de</strong>n war,<br />
wonach die Haarzellen wie Saiten eines Instrumentes mittels Resonanz erregt wer<strong>de</strong>n. Die<br />
Tatsache aber, daß Töne im Oktavabstand als ähnlicher empfun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n als benachbarte<br />
Töne, ist weiterhin problematisch und läßt darauf schließen, daß hier noch einiges<br />
an Forschungsarbeit zu leisten ist. Gegenüber <strong>de</strong>n Aussagen über die Vorgänge gelten die<br />
über die Fähigkeiten <strong>de</strong>s menschlichen Ohrs als gesichert. Wie anhand <strong>de</strong>r Skizze ersichtlich<br />
ist, reicht das hörbare Frequenzspektrum altersbedingt von 16 Hz bis zu 20 kHz.<br />
Bemerkenswert an <strong>de</strong>r Skizze ist in<strong>de</strong>s, daß das Hörfeld auch nach oben begrenzt wur<strong>de</strong><br />
durch die Fühlgrenze. Das<br />
verweist auf ein weiteres<br />
wichtiges Phänomen, daß<br />
nämlich im Kontext <strong>de</strong>s Hörens<br />
auch taktile Empfindungen<br />
relevant sind, insofern<br />
diverse Schwingungen<br />
über <strong>de</strong>n ganzen Körper<br />
wahrgenommen wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Fähigkeiten <strong>de</strong>r<br />
menschlichen Stimme sind<br />
in <strong>de</strong>r Skizze gleichfalls<br />
Darstellung aus Bruhn: Musikpsychologie, S. 669<br />
ange<strong>de</strong>utet, insoweit <strong>de</strong>r<br />
10 Engelhardt; Breves: Physiologie, S. 85ff.<br />
11 vgl. Stumpf, Carl: Tonpsychologie. – Leipzig, 1890
12<br />
tet, insoweit <strong>de</strong>r Sprachbereich zwischen 200 und 10.000 Hz vermerkt ist. Der musikalisch<br />
relevante Stimmumfang reicht von etwa 60 Hz bei Männern bis etwa 1400 Hz bei Frauen.<br />
Solche „musikalischen“ Töne mit bestimmbarer Basisfrequenz und ein<strong>de</strong>utigem Obertonspektrum<br />
wer<strong>de</strong>n sprachlich als Vokale begriffen, wobei die Differenzierung voneinan<strong>de</strong>r<br />
vorrangig durch Modulation <strong>de</strong>s Obertonspektrums geschieht. Doch stellt sich so die Frage,<br />
wie jene hohen Frequenzen von bis zu 10.000 Hz im Sprachbereich zustan<strong>de</strong> kommen.<br />
Zur menschlichen Lautgebung steht nämlich nicht ausschließlich <strong>de</strong>r Kehlkopf zur Verfügung,<br />
son<strong>de</strong>rn eine ganze Vielzahl von Alternativen, die unter <strong>de</strong>m Sammelbegriff <strong>de</strong>r<br />
»Bioakustik« 12 zusammengefaßt wer<strong>de</strong>n. Für die Thematik »Musik und Sprache« sind jedoch<br />
nur jene von Interesse, die in einer <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Lautformen Verwendung fin<strong>de</strong>n. Mittels<br />
<strong>de</strong>r Zunge (z.B. »T«) o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Lippen (z.B. »P«) können Laute gebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n ohne<br />
Beteiligung <strong>de</strong>r Stimmbän<strong>de</strong>r, wohl aber unter Zuhilfenahme <strong>de</strong>s respiratorischen Apparates.<br />
Eine Großzahl <strong>de</strong>r Konsonanten – je nach <strong>de</strong>r Lokalisation in <strong>de</strong>r Mundhöhle – erreicht<br />
Frequenzen, die weit oberhalb <strong>de</strong>ssen gemessen wer<strong>de</strong>n, wo <strong>de</strong>r Tonumfang <strong>de</strong>r Stimmbän<strong>de</strong>r<br />
en<strong>de</strong>t. Insbeson<strong>de</strong>re Zischlaute, die an <strong>de</strong>r Zahnreihe entstehen (Dentale, z.B.<br />
»S«), wie auch an<strong>de</strong>re stimmlose Konsonanten zeichnen sich durch ein hohes Frequenzspektrum<br />
aus, wobei ihnen eine genau bestimmbare Basisfrequenz meist fehlt (vgl. 2.1.3).<br />
Daneben kennt <strong>de</strong>r Mensch aber auch stimmhafte Konsonanten (Sonorlaute, z.B. »L« o<strong>de</strong>r<br />
»N«), die in Kombination mit <strong>de</strong>n Schwingungen <strong>de</strong>r Stimmbän<strong>de</strong>rn entstehen, während<br />
an<strong>de</strong>re ohne jene Schwingungen auskommen wie z.B. die Knacklaute (Velare wie »K«). Die<br />
Differenzierung <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Lautgebungsmöglichkeiten wird am <strong>de</strong>utlichsten an<br />
Fremdsprachen, die durch ihre Eigenarten Nuancen <strong>de</strong>utlicher hervortreten lassen als die<br />
eigene Muttersprache. Daher sei ein Schema 13 aus <strong>de</strong>m semitischen Sprachraum zur Veranschaulichung<br />
wie<strong>de</strong>rgegeben, wo Konsonanten sehr stark differenziert wer<strong>de</strong>n:<br />
(Halbvokale)<br />
Verschlußlaute stimmhaft<br />
stimmlos<br />
emphatisch<br />
Reibelaute stimmhaft<br />
stimmlos<br />
emphatisch<br />
Sonorlaute nasal<br />
lateral<br />
vibrant<br />
Lippen- (w)<br />
labial<br />
b b<br />
p p<br />
m m<br />
Zahn<strong>de</strong>ntal<br />
| alveolar<br />
d d<br />
th t<br />
t e<br />
z z<br />
s s<br />
ts x<br />
n n<br />
l l<br />
r r<br />
Gaumen- (j)<br />
palatal | velar<br />
g g<br />
k k<br />
q q<br />
sch w<br />
Kehl-Laute<br />
laryngal | glottal<br />
/ i<br />
ch c<br />
/ a<br />
h h<br />
12<br />
Exemplarisch sei auf Tembrock: Bioakustik, Musik und Sprache verwiesen.<br />
13 aus Jenni: Lehrbuch, S. 29. Weitere Nuancierungen wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>utlich auf S. 27: „Im Deutschen wird z.B. <strong>de</strong>r<br />
geschriebene stimmlose Gaumen-Reibelaut nach <strong>de</strong>n Vokalen a, o und u hart (weiter hinten [velar]),<br />
nach e, i, <strong>de</strong>n Umlauten und nach Konsonanten weich (weiter vorn [palatal]) ausgesprochen.“
13<br />
Im musikalischen Kontext wer<strong>de</strong>n weitere Geräuschquellen genutzt, die teils nie<strong>de</strong>re, teils<br />
hohe technische Anfor<strong>de</strong>rungen an die Lauterzeuger stellen. Ist Klatschen beispielsweise<br />
eine eher simple Möglichkeit <strong>de</strong>r Lautgebung, so erfor<strong>de</strong>rt das tibetanische »Obertonsingen«<br />
profiliertes Können. Die Differenzierung <strong>de</strong>r musikalischen wie sprachlichen Lautgebungen<br />
steht allerdings in starker Abhängigkeit zum akustischen Unterscheidungsvermögen<br />
<strong>de</strong>s Menschen. Daher wird insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>r Heilpädagogik angenommen,<br />
„daß Artikulation und Lautdiskrimination im verbalen Bereich eng zusammenhängen (BLANTON).<br />
Bereits Liberman hatte in seiner »Motor Theory of Speech Perception« die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s „inneren<br />
Mitsprechens“ für die Wahrnehmung von Sprache beson<strong>de</strong>rs hervorgehoben. Unbestritten bleibt<br />
die wechselseitige Abhängigkeit von motorischen und perzeptuellen Sprachfähigkeiten […].<br />
Sprachheilpädagogen und Logopä<strong>de</strong>n wissen längst, daß nur das, was differenziert gehört wird,<br />
auch richtig ausgesprochen wer<strong>de</strong>n kann; viele Sprechstörungen – insbeson<strong>de</strong>re das „Stammeln“ –<br />
lassen sich auf Schädigungen <strong>de</strong>s Gehörs zurückführen. […] Die wechselseitige Abhängigkeit von<br />
Lautsprachunterscheidung und Lauterzeugung zeigt sich nicht nur im Einfluß von Hörleistungen auf<br />
die Qualität <strong>de</strong>r Artikulation, son<strong>de</strong>rn auch umgekehrt in <strong>de</strong>r Wirkung motorischer auf sensorischer<br />
Fähigkeiten: Phoneme, die Artikulationsschwierigkeiten bereiten, wer<strong>de</strong>n beim Hören im allgemeinen<br />
schlechter von an<strong>de</strong>ren Lauten unterschie<strong>de</strong>n […].<br />
Wenn, wie oben dargestellt, sprachliches Diskriminationsvermögen eng mit <strong>de</strong>n Ausdrucks- und Artikulationsfähigkeiten<br />
im Bereich <strong>de</strong>r Sprache verknüpft ist, so wird man dies auch – o<strong>de</strong>r g e r a d e<br />
– beim musikalischen Diskriminationsvermögen erwarten. Tatsächlich fin<strong>de</strong>n sich in <strong>de</strong>r empirischen<br />
Forschung für solch einen Zusammenhang von Aussprachleistung und musikalischen Hörfähigkeiten<br />
zahlreiche Belege.“ 14<br />
So stellt – wie viele an<strong>de</strong>re pädagogische Ansätze – auch Daniela Laufer ihre »Untersuchungen<br />
zur Transferwirkung <strong>de</strong>r Musik auf die sprachlichen Leistungen von Menschen<br />
mit geistiger Behin<strong>de</strong>rung« unter die Prämisse, daß Wahrnehmung von Musik Transferwirkung<br />
u.a. auch auf die Artikulation von Sprache hat, und veranschaulicht die Referenzen<br />
von Musik auf an<strong>de</strong>re Bereiche heilpädagogischer Erziehung folgen<strong>de</strong>rmaßen:<br />
Lernverhalten<br />
hören<strong>de</strong>s<br />
Auffassen<br />
schulischer Bereich<br />
Aufmerksamkeit<br />
Denken<br />
Eindrucks- / Ausdrucksverhalten<br />
Gedächtnis<br />
Sprache<br />
<strong>MUSIK</strong><br />
Kreativität<br />
Sozialverhalten<br />
Antriebsverhalten<br />
Frustrationstoleranz<br />
emotionales Verhalten<br />
Körperfunktion: Atemfrequenz,<br />
Blutdruck, Muskeltonus, Pulsfrequenz<br />
Koordination motorischer und<br />
auditiver Aktivitäten<br />
somatischer Bereich<br />
Darstellung aus Laufer, S. 21<br />
Ursachen dafür wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r allgemeinen psychologischen Entwicklung <strong>de</strong>s Menschen<br />
vermutet und mit Befun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Neuralpsychologie untermauert.<br />
sozialer Bereich<br />
14 Klemm, S. 126ff.<br />
psychischer Bereich
14<br />
2.3. PSYCHOLOGISCHE ASPEKTE<br />
Wie die Medizin mehr Gemeinsamkeiten als Unterschie<strong>de</strong> zwischen Musik und Sprache<br />
beobachtete, stellt auch die Psychologie zwischen bei<strong>de</strong>m <strong>de</strong>utliche Verbindungen her.<br />
Einerseits beobachten Entwicklungspsychologen einen bemerkenswerten Zusammenhang,<br />
an<strong>de</strong>rerseits bieten differential-psychologische Untersuchungen wie auch weitere<br />
Ansätze Anlaß, Berührungspunkte bei<strong>de</strong>r Komponenten in <strong>de</strong>n Blick zu nehmen.<br />
2.3.1. ENTWICKLUNGSPSYCHOLOGISCHE ASPEKTE<br />
Die Entwicklungspsychologie untersucht, welche geistigen Fähigkeiten in Abhängigkeit<br />
vom Alter auftreten können. Dabei kam man nach Klemm zu folgen<strong>de</strong>r Einsicht:<br />
„Die Phänomene Musik und Sprache sind psychologisch eng aufeinan<strong>de</strong>r bezogen. Musikalische<br />
und sprachliche Verhaltensweisen haben eine gemeinsame Wurzel in <strong>de</strong>n ersten emotionsbestimmten<br />
Lautäußerungen <strong>de</strong>s Säuglings und stützen sich im Prozeß ihrer Entfaltung in hohem Maße gegenseitig.<br />
[…] Es gilt als eines <strong>de</strong>r wichtigsten Grundprinzipien <strong>de</strong>s Spracherwerbs, daß die Entwicklung<br />
auf einem Weg vom Globalen zum Spezifischen verläuft: die Produktion und Wahrnehmung<br />
von Sprache beginnt nicht mit Einzelelementen, die für sich isoliert nacheinan<strong>de</strong>r gelernt wer<strong>de</strong>n,<br />
son<strong>de</strong>rn ganzheitlich mit Mustern und Strukturen. Dies gilt – wenn auch zu einem etwas späteren<br />
Zeitpunkt <strong>de</strong>r Ontogenese – ebenso für die musikalischen Fähigkeiten: Kin<strong>de</strong>r können eher die Melodiekontur<br />
als exakte Tonhöhen erinnern und wie<strong>de</strong>rgeben. […] Das Verständnis <strong>de</strong>r Prosodie geht<br />
<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Wortbe<strong>de</strong>utungen voraus. Der frühe Umgang mit <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Mustern <strong>de</strong>r Sprachintonation<br />
ist wichtig, da er das Ent<strong>de</strong>cken und Verstehen von Einheiten auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Semantik<br />
und Syntax wie „Silbe“, „Wort“ o<strong>de</strong>r „Satz“ erleichtert und för<strong>de</strong>rt […]. Der Spracherwerb beginnt<br />
also mit einem Stadium ganzheitlich-affektiver Äußerungsformen und wird erst in späteren Phasen<br />
<strong>de</strong>r Entwicklung mehr und mehr vom Intellekt bestimmt. Die Dominanz <strong>de</strong>r „musikalischen“ Komponente<br />
<strong>de</strong>r Sprache beim Säugling und Kleinkind be<strong>de</strong>utet, daß Sprechen und Singen noch nicht<br />
ein<strong>de</strong>utig zu unterschei<strong>de</strong>n sind. […] Bei Säuglingen konnte Moog zwei Arten von Lautäußerungen<br />
beobachten: eine ständige Wie<strong>de</strong>rholung von Phonemen, die er als „Sprechlallen“, und eine Wie<strong>de</strong>rholung<br />
verschie<strong>de</strong>ner Tonhöhen, die er als „Singlallen“ bezeichnet. Die Säuglinge beginnen mit<br />
Sprechlallen, das ab <strong>de</strong>m sechsten Lebensmonat allmählich in Singlallen übergeht; erst nach Abschluß<br />
dieser bei<strong>de</strong>n Phasen mit etwa zehn Monaten wer<strong>de</strong>n dann die ersten Wörter gesprochen.<br />
Am Anfang <strong>de</strong>s gesamten Spracherwerbs interessieren sich die Kin<strong>de</strong>r vor allem für das Klangsinnliche<br />
[…]. Im Alter von zwei Jahren lernen die Kin<strong>de</strong>r allmählich, die musikalischen und sprachlichen<br />
Anteile in <strong>de</strong>r „Text-Rhythmus-Verbindung“ zu unterschei<strong>de</strong>n.“ 15<br />
Präziser ist die individuelle Entwicklung in Gembris’ »Musikpsychologie« abgehan<strong>de</strong>lt, die<br />
an dieser Stelle exkursartig vorgestellt wird, um die Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten,<br />
insoweit das Vorverständnis maßgeblich darauf beruht.<br />
15 Klemm, S. 101ff.
15<br />
Gembris Darstellung 16 setzt nicht erst bei <strong>de</strong>m geborenen Menschen ein, son<strong>de</strong>rn berücksichtigt<br />
die Entwicklung bis zur Geburt gleichfalls. Pränatale Wahrnehmungsfähigkeiten<br />
beginnen damit, daß zwischen <strong>de</strong>m fünften und sechsten Monat die Nervenzellen im Ohr<br />
<strong>de</strong>s Fötus ausgebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Reaktionen auf extrauterine Reize seien ab <strong>de</strong>m siebten<br />
Monat beobachtbar, da die Schallkulisse intrauterin geringerer als erwartet sei, so daß<br />
eine generelle Wahrnehmung akustischer Reize (min<strong>de</strong>stens 65-70 dB) durchaus als<br />
wahrscheinlich angesehen wer<strong>de</strong>n könne, wobei es wegen <strong>de</strong>r stärker wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Dämpfung<br />
<strong>de</strong>r Lautstärke bei steigen<strong>de</strong>r Frequenz dazu komme, „daß keine Unterschei<strong>de</strong> zwischen<br />
Männer- und Frauenstimmen gehört wer<strong>de</strong>n können. Genau erkennbar ist jedoch<br />
die Sprachmelodie und die Prosodie“ 17 .<br />
Im Säuglingsalter, nach<strong>de</strong>m bei <strong>de</strong>r Geburt ein drastischer Wechsel <strong>de</strong>r Wahrnehmung<br />
eingetreten ist, gelten bereits als erkennbar sowohl Tondifferenzen von 1-2 % Tonhöhenunterschied<br />
bzw. 3 dB Lautstärkeän<strong>de</strong>rung als auch Tongleichheit. Signifikant für die musikalische<br />
wie sprachliche Entwicklung seien daher die frühkindlichen Vokalisationen <strong>de</strong>r<br />
Mutter-Kind-Interaktion. Diese sogenannte »Ammensprache« entspreche einem »vorlinguistischen<br />
Alphabet«, das als Vorläufer einerseits <strong>de</strong>r sprachlichen wie <strong>de</strong>r musikalischen<br />
Kompetenz an<strong>de</strong>rerseits<br />
angesehen wer<strong>de</strong>. Solche<br />
nonverbale Kommunikation,<br />
die sich per Intensität,<br />
Tonhöhe, melodische Kontur,<br />
Rhythmus, Klangfarbe<br />
und Tempo gestalte, stelle<br />
die früheste musikalische<br />
Erziehung dar. Bemerkenswert<br />
hierbei ist in<strong>de</strong>s, daß<br />
jene Mutter-Kind-Interaktion<br />
insofern interkulturell ist,<br />
als daß Forschungen ergaben,<br />
daß sie in verschie<strong>de</strong>nen<br />
Nationen vergleichbare<br />
Ausprägungen aufweist.<br />
Darstellung aus Gembris: Grundlagen, S. 311<br />
16 Bezuggenommen wird auf Gembris: Grundlagen und auf Gembris: »Musikalität« in MGG Bd. 6, S. 867ff.<br />
17 Fassben<strong>de</strong>r: Entwicklung grundlegen<strong>de</strong>r musikalischer Fähigkeiten, 1993, S. 270; zit. in MGG Bd. 6, S. 881
16<br />
Ab <strong>de</strong>m dritten Monat bereits verfügt das Kind für lange Zeit über einen Tonumfang von<br />
zwei Oktaven. Parallel zur Entwicklung <strong>de</strong>r Sprache vollzieht sich die Entwicklung <strong>de</strong>s Singens<br />
als Kontinuum und nicht – wie lange Zeit angenommen – als Stufenfolge. Dabei hat<br />
das Umfeld nach E. Gordon großen Einfluß auf <strong>de</strong>n Grad <strong>de</strong>r Entwicklung:<br />
TYP STUFE (Tabelle aus Gembris: Grundlagen, S.271)<br />
AKKULTURATION 1 ABSORPTION: Hören und auditives Sammeln<br />
von musikalischen Klängen <strong>de</strong>r Umgebung<br />
Geburt bis zum Alter von 2 ZUFÄLLIGE REAKTIONEN: Bewegungen und<br />
2 bis 4 Jahren: Betätigung »Babbeln« als Reaktionen auf musikalische<br />
mit wenig Bewußtsein <strong>de</strong>r<br />
Klänge <strong>de</strong>r Umgebung, aber ohne Bezug<br />
Umgebung<br />
zu diesen Klängen<br />
3 absichtsvolle REAKTIONEN: das Kind versucht,<br />
die Bewegungen und das »Babbeln« auf die<br />
musikalischen Klänge zu beziehen<br />
IMITATION 4 ABLEGEN DER EGOZENTRIZITÄT: Das Kind erkennt,<br />
Alter zwischen 2 bis 4 und<br />
daß Bewegungen und »Babbeln« nicht zu <strong>de</strong>n<br />
3 bis 5 Jahren: Betätigung Klängen <strong>de</strong>r Musik in <strong>de</strong>r Umgebung passen<br />
mit bewußtem Denken, 5 KNACKEN DES CODES: Nachahmen <strong>de</strong>r musikavorwiegend<br />
auf die Um-<br />
lischen Klänge <strong>de</strong>r Umgebung mit einiger<br />
gebung gerichtet<br />
Genauigkeit, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r tonalen und<br />
rhythmischen Muster<br />
ASSIMILATION 6 INTROSPEKTION: Erkennen <strong>de</strong>s Mangels an<br />
Alter zwischen 3 bis 5 und<br />
Koordination zwischen Singen, Atmen und<br />
4 bis 6 Jahren: Betätigung Bewegung<br />
mit bewußtem Denken, vorwie- 7 KOORDINATION: Koordination zwischen Singen,<br />
gend auf das Selbst gerichtet<br />
Atmen und Bewegung<br />
„Nach Gordons Theorie ist das angeborene musikalische Potential […] nicht fest und unverän<strong>de</strong>rlich,<br />
son<strong>de</strong>rn bis zum Alter von etwa neun Jahren entwicklungsfähig und daher im<br />
Positiven wie im Negativen sehr beeinflußbar.“ 18 Das musikalische Potential sei generell<br />
limitiert, doch erkenne man zunächst eine »Begabung im Entwicklungsstadium« und erst<br />
dann eine eher »stabilisierte musikalische Begabung«. „Grundlage und Basis musikalischer<br />
Begabung ist nach Gordon die Fähigkeit, Musik zu hören und zu verstehen, die nicht<br />
tatsächlich physikalisch erklingt, son<strong>de</strong>rn imaginativ vorgestellt wird. Diese Fähigkeit bezeichnet<br />
er als »Audiation« (Music Audiation).“ 19 Ein sprachliches Korrelat ist <strong>de</strong>nkbar.<br />
18 Gembris: Grundlagen, S. 267<br />
19 Gembris: Grundlagen, S. 268
17<br />
Gordon – fokussiert auf Musikalität – bestätigt damit zugleich, daß die Entwicklung musikalischer<br />
wie sprachlicher Kompetenz abhängig ist von <strong>de</strong>n Wahrnehmungsfähigkeiten,<br />
welche nun von <strong>de</strong>n ersten Lebensjahren an bis ins Schulalter näher betrachtet wer<strong>de</strong>n.<br />
Laut Piaget, <strong>de</strong>r eine grundlegen<strong>de</strong> Entwicklungstheorie vorgestellt hatte, sei erst mit <strong>de</strong>m<br />
siebten Lebensjahr die Koordination verschie<strong>de</strong>ner Wahrnehmungsaspekte möglich, d.h.,<br />
erst dann könne eine Melodie und ihr Rhythmus voneinan<strong>de</strong>r differenziert wer<strong>de</strong>n. Neuere<br />
Ergebnisse besagen jedoch, daß ab <strong>de</strong>m dritten Lebensjahr bereits inzwischen ein Unterscheidungsvermögen<br />
zeitlicher Muster »vorher-nachher« zu beobachten sei wie auch, daß<br />
Dreijährige bei Moll traurig wür<strong>de</strong>n, also <strong>de</strong>n emotionalen Ausdruck wahrnehmen könnten.<br />
„Die Fähigkeit, eigene emotionale Befindlichkeiten auszudrücken und die an<strong>de</strong>ren<br />
Personen zu verstehen, ist bereits in <strong>de</strong>n ersten Lebensmonaten festzustellen.“ 20 Doch<br />
stellt sich die Frage, wie Kin<strong>de</strong>r über ihre Wahrnehmungen Auskunft geben können, da sie<br />
in <strong>de</strong>m Alter lediglich über eine eingeschränkte begriffliche Kompetenz verfügen. Daher<br />
wur<strong>de</strong>n im Falle von Musik Untersuchung mittels graphisch-symbolhafter Repräsentation<br />
zur Erforschung <strong>de</strong>r Entwicklung<br />
<strong>de</strong>s musikalischen Denkens angestellt,<br />
wobei unlängst auch frei erfun<strong>de</strong>ne<br />
Bil<strong>de</strong>r verwen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n.<br />
Weil Vier- bis Fünfjährige aber<br />
noch nicht räumlich-graphisch<br />
zeichnen, liefern sie »figurales«<br />
Gekritzel, woraus mögliche Denkstrategien<br />
eruiert wer<strong>de</strong>n: zuerst<br />
bil<strong>de</strong>n sich sensomotorisch-egozentrische<br />
Denkschemata aus, woraus<br />
später formelles System<strong>de</strong>n-<br />
Darstellung aus Gembris: Grundlagen, S. 251<br />
ken resultiere. Die entwickelten Fähigkeiten aus <strong>de</strong>m Kind- und Vorschulalter wer<strong>de</strong>n im<br />
Schulalter weiter stabilisiert, bis die Pubertät die Adoleszenzphase eröffnet. „Die Adoleszenz<br />
ist auch hinsichtlich <strong>de</strong>s Erlebens von Musik und ihrer Funktion eine Zeit beson<strong>de</strong>rer<br />
Umbrüche, die vor allem in <strong>de</strong>r Entwicklung musikalischer Präferenzen und Einstellungen<br />
<strong>de</strong>utlich wird. […] Nach <strong>de</strong>r Jugendzeit mit <strong>de</strong>m Übergang ins Erwachsenenalter wen<strong>de</strong>t<br />
sich die Aufmerksamkeit wie<strong>de</strong>r mehr <strong>de</strong>rjenigen Musik zu, die vor <strong>de</strong>m Übergang in die<br />
Adoleszenz von Be<strong>de</strong>utung gewesen ist.“ 21 Entwicklungspsychologien en<strong>de</strong>n meist hier.<br />
20 Gembris: »Musikalität«, S. 888<br />
21 Gembris: »Musikalität«, S. 893
18<br />
2.3.2. DIFFERENTIALPSYCHOLOGISCHE ASPEKTE<br />
Dieser methodische Ansatz sucht – unabhängig vom Alter – zu unterschei<strong>de</strong>n, wie zunächst<br />
die Verarbeitung von Musik und Sprache bzw. wo im Gehirn sie stattfin<strong>de</strong>t:<br />
„Theoretisch kann davon ausgegangen wer<strong>de</strong>n, daß durch je<strong>de</strong>n Reizanfall im Gehirn ein oszillatorischer<br />
Prozeß ausgelöst wird in bestimmten Zentren, die <strong>de</strong>r Sinnesmodalität <strong>de</strong>s auftreffen<strong>de</strong>n<br />
Reizes zugeordnet sind. Oszillatorensysteme im Nervensystem besitzen die Eigenschaft, daß sie<br />
durch einen plötzlich auftreffen<strong>de</strong>n Reiz unmittelbar synchronisiert wer<strong>de</strong>n. Visuelle, taktile o<strong>de</strong>r<br />
akustische Reize führen zu periodischen Entladungen in <strong>de</strong>n stimulierten Nervennetzen, <strong>de</strong>ren Dauer<br />
sich gleicht. Damit wird ein zeitliches Raster gebil<strong>de</strong>t, innerhalb <strong>de</strong>ssen zeitliche Ereignisse aus<br />
verschie<strong>de</strong>nen Sinnessystemen aufeinan<strong>de</strong>r bezogen wer<strong>de</strong>n können. Gäbe es keine <strong>de</strong>rartige zeitliche<br />
Rasterung, dann wäre es außeror<strong>de</strong>ntlich schwierig, Informationen <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Sinnessysteme<br />
miteinan<strong>de</strong>r zu vergleichen bzw. miteinan<strong>de</strong>r in Beziehung zu bringen. Die Perio<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Oszillators<br />
liegt nun bei 30-40 ms; «… sie ist jener Grundtakt, <strong>de</strong>r unsere mentale Tätigkeit charakterisiert<br />
und als Minimalzeit <strong>de</strong>finiert wird, um einzelne Ereignisse zu i<strong>de</strong>ntifizieren o<strong>de</strong>r schnelle Entscheidungen<br />
zu treffen …» (E. Pöppel). Dieser Oszillator ist gleichsam eine Uhr im Nervensystem.“ 22<br />
Nach Pfalz sei die linke Hirnhälfte primär für Zeit, die rechte eher für Musikwahrnehmung<br />
und -erleben zuständig, da „die rechte Gehirnhälfte für bestimmte Aspekte unseres Gefühlslebens<br />
dominant ist. Die Tonhöhenmodulation ist wohl das an <strong>de</strong>r Musik, was ihr<br />
beson<strong>de</strong>re emotionale Wirkung vermittelt.“ 23 Für Sprache be<strong>de</strong>utet dies:<br />
„Nicht nur <strong>de</strong>r Inhalt einer sprachlichen Information löst beim Empfänger eine Reaktion aus, son<strong>de</strong>rn<br />
auch <strong>de</strong>ren «akustische Verpackung». Diese wird durch <strong>de</strong>n Sen<strong>de</strong>r, d.h. die Stimme <strong>de</strong>s Sprechen<strong>de</strong>n<br />
bestimmt. Es ist das sog. «Timbre», d.h. die Klangfarbe <strong>de</strong>r Stimme, welche beim Empfänger<br />
unbewußt Gefühlsregungen auslöst; positive im Sinne einer sympathischen Einstellung gegenüber<br />
<strong>de</strong>m Sprechen<strong>de</strong>n, negative im Sinne einer antipathischen, ablehnen<strong>de</strong>n Reaktion. In gleicher<br />
Weise reagiert <strong>de</strong>r Mensch auf Umweltgeräusche, die er je nach Art ihrer akustischen Verpackung<br />
als angenehm, als lästig o<strong>de</strong>r als alarmierend empfin<strong>de</strong>t. In diesem Zusammenhang muß darauf<br />
hingewiesen wer<strong>de</strong>n, daß das Ohr entwicklungsgeschichtlich ein Alarmorgan ist, <strong>de</strong>ssen Funktion<br />
einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung <strong>de</strong>r Art geleistet hat. Was für Sprache und Umweltgeräusche<br />
gilt, besitzt auch Gültigkeit für die Musik.“ 24<br />
Der interindividuellen Kommunikation vorausgegangen sei also die Funktion <strong>de</strong>s Ohres<br />
als Alarmorgan, woraus die selektive Perzeption, also das Richtungshören abzuleiten sei,<br />
das seine physiologische Grundlage in <strong>de</strong>r Hörrin<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Schläfenlappens habe. Daß nicht<br />
das Auge mit einem Informationsdurchsatz (in binäre digits pro Sekun<strong>de</strong> angegeben) von<br />
3x10 6 bit/s, son<strong>de</strong>rn das «langsamere» Ohr mit 3,5x10 4 bit/s für Kommunikation wichtig<br />
ist, liege nach Pfalz daran, daß man <strong>de</strong>mnach mehr sagen könne als zeigen.<br />
22 Pfalz, S. 14<br />
23 Pfalz, S. 15<br />
24 Pfalz, S. 4f.
19<br />
An<strong>de</strong>re Ansätze beschränken sich auf die Untersuchung am Hören beteiligter Hirnareale:<br />
„Ziel <strong>de</strong>r Arbeiten ist meist, Aufschlüsse über die Lokalisierbarkeit <strong>de</strong>r Hirnfunktionen zu gewinnen;<br />
da – wie man heute allgemein annimmt und im folgen<strong>de</strong>n näher ausgeführt wer<strong>de</strong>n soll – bei<strong>de</strong><br />
Hirnhemisphären <strong>de</strong>s Menschen Wahrnehmungsreize in unterschiedlicher Weise verarbeiten, kann<br />
man aus <strong>de</strong>n Ergebnissen aber auch Folgerungen über Analogie o<strong>de</strong>r Gegensätze in <strong>de</strong>n „Strategien“<br />
beim Hören von Musik und Sprache ableiten.“ 25<br />
Insofern sind die Ergebnisse von Belang, als daß sie Auskunft liefern, ob ein Zusammenhang<br />
zwischen bei<strong>de</strong>n Lautformen begrün<strong>de</strong>t ist. Anfangs dienten Untersuchungen an<br />
Läsionen im Hirn <strong>de</strong>m Ziel, Ausfallerscheinungen wie Aphasien bzw. Amusien zu lokalisieren,<br />
wobei beobachtet wur<strong>de</strong>, daß letzteres meist in Kombination mit ersterem eintritt,<br />
während ersteres ohne letzterem auftreten kann. 26 Aphasien wer<strong>de</strong>n auf Verletzungen <strong>de</strong>s<br />
Frontallappens <strong>de</strong>r linken Hirnhälfte zurückgeführt, während Amusien auf Läsionen bei<strong>de</strong>r<br />
Frontallappen beruhten. An<strong>de</strong>re Untersuchungen an gesun<strong>de</strong>n Proban<strong>de</strong>n ergaben, daß<br />
links Kognition und rechts Emotionen und überdies – speziell auf Sprache bezogen – links<br />
Konsonanten und rechts Vokale verarbeitet wer<strong>de</strong>n:<br />
„Die Annahme, es handle sich bei <strong>de</strong>r linken Hemisphäre um eine „auf Sprache spezialisierte“ Hirnstruktur,<br />
wäre allerdings voreilig und müßte dahingehend modifiziert wer<strong>de</strong>n, daß die sprachdominante<br />
ebenso wie die rechte Hirnhälfte weniger durch das bevorzugt verarbeiten<strong>de</strong> Material als<br />
vielmehr durch die Art und Weise <strong>de</strong>r Verarbeitung charakterisiert ist. In dieser Hinsicht läßt sich eine<br />
funktionale Asymmetrie im menschlichen Gehirn feststellen: die linke Hemisphäre verbalisiert<br />
nahezu alle Informationen nichtsprachlicher Natur; dabei wer<strong>de</strong>n ganzheitlich-simultane Wahrnehmungsinhalte<br />
in zeitlich-sequentielle Einzelereignisse zerlegt. Im Gegensatz zu dieser gleichsam<br />
diskursiven Verarbeitungsweise <strong>de</strong>r linken Hemisphäre sind die Denkprozesse <strong>de</strong>r rechten Hemisphäre<br />
intuitiv; Informationen wer<strong>de</strong>n hier auf ganzheitliche Weise verarbeitet; das globale gestalthafte<br />
Verstehen dominiert. Eine „analytisch-sequentielle“ Strategie <strong>de</strong>r linken Hemisphäre<br />
steht somit einer „synthetisch-holistischen“ Strategie <strong>de</strong>r rechten gegenüber. Die Hirnasymmetrie<br />
ist alters- und geschlechtsabhängig: sie prägt sich nach Meinung <strong>de</strong>r meisten Forscher zu Beginn<br />
<strong>de</strong>r Pubertät aus und zwar bei Mädchen mit etwa zehn Jahren, bei Jungen dagegen erst mit etwa<br />
zwölf Jahren.“ 27<br />
Eine – früher oft behauptete – These, daß Sprache links und Musik rechts, also generell<br />
getrennt von einan<strong>de</strong>r verarbeitet wür<strong>de</strong>n, läßt sich <strong>de</strong>mnach nicht mehr aufrecht erhalten,<br />
zumal weitere Untersuchungen zum Thema gleiche Ergebnisse erzielen. 28<br />
25 Klemm, S. 67f.<br />
26 vgl. Klemm, S. 73<br />
27 Klemm, S. 79f.<br />
28 vgl. Schuster, S. 51: „wonach Musiker durch ihr analytisches Musikhören eine Linkslateralisation zeigen,<br />
während Nichtmusiker die Musik eher ganzheitlich, d.h. holistisch mit <strong>de</strong>r rechten Hemisphäre verarbeiten.“
20<br />
Derzeitige Erkenntnisse<br />
über<br />
beteiligte Areale<br />
<strong>de</strong>r Sprachverarbeitung,<br />
die je<br />
nach Umgang<br />
unterschiedlich<br />
lokalisiert sind,<br />
bzw. bekannter<br />
und unbekannter<br />
Sprache lassen<br />
sich dank <strong>de</strong>s EEG<br />
veranschaulichen.<br />
Darstellung aus Brockhaus – Körper, Geist und Seele, S. 273<br />
Ein Experiment <strong>de</strong>s Max-<br />
Planck-Instituts Leipzig<br />
untersucht <strong>de</strong>rzeit, ob<br />
Musik ähnliche Areale<br />
aktiviert wie die Muttersprache,<br />
wobei sich abzeichnet,<br />
daß für musikalische<br />
und sprachliche<br />
Informationen ein und<br />
dieselbe Region zuständig<br />
ist, weil z.B. Fehler<br />
in <strong>de</strong>r Syntax gleiche<br />
Impulse im Hirn auslösen,<br />
wie Fehler in Klassischer<br />
Musik 29 .<br />
Darstellung aus Brockhaus – Körper, Geist und Seele, S. 502<br />
Hingegen im Mittelpunkt <strong>de</strong>r Untersuchungen von Köhlmann steht jene psychische Tätigkeit,<br />
die es überhaupt ermöglicht, Musik und Sprache aus <strong>de</strong>r Gesamtheit akustischer<br />
Wahrnehmung zu filtern:<br />
29 persönliche Mitteilung von einem <strong>de</strong>r Autoren Björn Helmer Schmidt
21<br />
„Ausgehend von <strong>de</strong>r Vorstellung, daß ein kontinuierliches Schallsignal vom Gehör in aufeinan<strong>de</strong>rfolgen<strong>de</strong><br />
Schallereignisse unterteilt wird, konnten mit Hilfe <strong>de</strong>r Rhythmuswahrnehmung diejenigen<br />
Zeitpunkte ermittelt wer<strong>de</strong>n, welche die Schallereignisse bezüglich <strong>de</strong>r Wahrnehmung repräsentieren.<br />
Diese Zeitpunkte wur<strong>de</strong>n Ereigniszeitpunkte genannt. Sie kennzeichnen die Segmentierung von<br />
Schallen durch das Ohr. […]<br />
Untersuchungen <strong>de</strong>r Segmentierung kontinuierlicher Schalle zeigten, daß prinzipiell je<strong>de</strong> Pegelerhöhung<br />
(> 1 dB) ein rhythmisches Ereignis auslöst, eine Pegelerniedrigung aber bestenfalls in 50 %<br />
<strong>de</strong>r Fälle. Eine überschwellige Frequenzän<strong>de</strong>rung bewirkt unabhängig von <strong>de</strong>r Richtung <strong>de</strong>r Än<strong>de</strong>rung<br />
ein Ereignis. Für die rhythmische Verschmelzungsgrenze von aufeinan<strong>de</strong>rfolgen<strong>de</strong>r Pegel- und<br />
Frequenzän<strong>de</strong>rung wur<strong>de</strong> ein Bereich zwischen 100 und 200 ms ermittelt. […]<br />
Sprache und Musik wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Versuchspersonen im wesentlichen in Zeitintervallen zwischen<br />
200 und 400 ms segmentiert. Die Zeitverhältnisse aufeinan<strong>de</strong>rfolgen<strong>de</strong>r Intervalle ergaben bei<br />
Sprache und Musik unterschiedliche Verteilungen. […] Die metrische Struktur <strong>de</strong>r Musik zeichnet<br />
sich <strong>de</strong>utlich in <strong>de</strong>r Segmentierung ab. Es konnte nachgewiesen wer<strong>de</strong>n, daß allein aufgrund dieser<br />
Struktur eine Unterscheidung von Sprache und Musik möglich ist.“ 30<br />
Ein erster Anhaltspunkt ist also gefun<strong>de</strong>n, Musik und Sprache voneinan<strong>de</strong>r zu unterschei<strong>de</strong>n,<br />
wobei die berücksichtigt wer<strong>de</strong>n sollte, ob die nur für eine bestimmte Art von Musik<br />
bzw. Sprache gilt.<br />
2.3.3. PSYCHOANALYTISCHE ASPEKTE<br />
Die bisher erwähnten medizinisch-physiologischen Abläufe bei Hör- und Lautgebungsvorgängen<br />
stellen jedoch lediglich die Überbrückung einer Distanz dar zwischen einem »Ich«<br />
und seinem »Du«, einem Ego und <strong>de</strong>ssen Alter. In<strong>de</strong>s stellt sich die Frage, ob und wie jene<br />
Vorgänge im Bewußtsein <strong>de</strong>s Individuums Wirkweisen ausbil<strong>de</strong>n. Verallgemeinernd kann<br />
man sowohl bei Sprache als auch bei Musik davon ausgehen, daß die – einmal im Hörprozeß<br />
als solche i<strong>de</strong>ntifizierten – Lautmuster in mentale Vorstellungen transformiert wer<strong>de</strong>n<br />
in Relation zum Ausmaß <strong>de</strong>r provozierten Aufmerksamkeit. Ohne dies ist die Erweiterung<br />
<strong>de</strong>s Gedächtnisbesitzes unmöglich. Für <strong>de</strong>n Fall <strong>de</strong>r Lautgebung gilt analog, daß mentale<br />
Vorstellungen transformiert wer<strong>de</strong>n in Lautmuster, um beim Gegenüber die nötige Aufmerksamkeit<br />
zu provozieren usw. Dabei kann z.B. das Maß <strong>de</strong>r Aufmerksamkeit – rein<br />
psychologisch verstan<strong>de</strong>n – differieren zwischen bewußt-konzentrierter Wahrnehmung<br />
über unbewußt-suggestiver bis hin zu keiner Wahrnehmung. Für die weiteren Ausführungen<br />
ist es daher an dieser Stelle geboten, auf jene Vorstellung näher einzugehen, die auch<br />
als Vorverständnis dieser Arbeit zugrun<strong>de</strong> liegt, daß nämlich im Diskurs um Sprache und<br />
Musik die bewußte Tätigkeit <strong>de</strong>s menschlichen Geistes von großer Be<strong>de</strong>utung ist, bei weitem<br />
aber nicht die einzige.<br />
30 Köhlmann, S. 3
22<br />
Nach Carl Gustav Jungs tiefenpsychologischen Ansatz <strong>de</strong>r »analytischen Psychologie« 31<br />
verfügt <strong>de</strong>r Mensch einerseits über ein Selbstbewußtsein mit einem subjektiven »Ich«,<br />
an<strong>de</strong>rseits über ein »individuell Unbewußtes« sowie über ein »kollektives Unbewußtes«,<br />
das man mit an<strong>de</strong>ren Menschen gemein hat und woraus – nach Jung – die Archetypen die<br />
individuelle Psyche bestimmen. Im Bild gesprochen ist <strong>de</strong>mnach die Psyche vergleichbar<br />
einem Berg, <strong>de</strong>ssen Fundament im Gebirgsmassiv zusammen mit an<strong>de</strong>ren Bergen das<br />
kollektive Unbewußte darstellt, woraus sich das individuell Unbewußte erhebt und sich<br />
von an<strong>de</strong>ren Bergen unterschei<strong>de</strong>t, aber erst <strong>de</strong>ssen schneebe<strong>de</strong>ckter Teil <strong>de</strong>m Selbstbewußtsein<br />
mit <strong>de</strong>m »Ich« als Gipfel entspricht. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, daß<br />
Musik nicht ausschließlich kognitiv, also bewußt verarbeitet wird, son<strong>de</strong>rn zugleich in<br />
Beziehung steht zu <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n unbewußten Bereichen <strong>de</strong>r menschlichen Psyche. Die Be<strong>de</strong>utung<br />
dieses Ansatzes wird so beschrieben:<br />
„Während bei psychoakustischen, -physikalischen und -physiologischen Forschungsansätzen Psychologie<br />
zunehmend zur entindividualisierten Physik <strong>de</strong>s Nervernsystems und Vegetativums wird,<br />
geht es bei psychoanalytischen Theorien um die Rettung <strong>de</strong>s Ichs. […] Da Freud allerdings – ebenso<br />
wie sein Schüler Guido Adler und sein Antipo<strong>de</strong> Carl Gustav Jung – sich primär mit Sprache als diskursivem<br />
Medium psychoanalytischer Methodik auseinan<strong>de</strong>rgesetzt und keine psychoanalytische<br />
Theorie <strong>de</strong>r Musik unternommen hat, hat sich die Psychoanalyse bis heute eher marginal mit Musik<br />
als nicht-diskursivem Kommunikationsmittel befaßt. […] Die meisten Autoren, die sich unter psychoanalytischem<br />
Blickwinkel mit Musik beschäftigt haben, stimmen darin überein, daß Musik eine<br />
Sprache sei, <strong>de</strong>ren Ursprünge in frühkindliche Wahrnehmungs- und Kommunikationsweisen zurückreichen.<br />
[…] In Abhängigkeit von <strong>de</strong>r Art <strong>de</strong>r Musik und von <strong>de</strong>r musikalischen Erfahrungsbereitschaft<br />
<strong>de</strong>s Hörers wer<strong>de</strong>n von mehr o<strong>de</strong>r weniger ausgeprägten Empfindungen begleitete archaische<br />
Funktionsweisen aktiviert. In <strong>de</strong>ren Gefolge kann es zum psychischen Rückzug aus <strong>de</strong>r Realität,<br />
zur Evokation von Phantasien, Erinnerungsresten und Wunschvorstellungen, kurz, zur Auflösung<br />
von Zeit- und Ich-Grenzen kommen. Diese […] als Regressionsmodi bezeichneten Vorgänge<br />
wer<strong>de</strong>n nicht nur zur Erklärung kreativer Aktivität herangezogen, son<strong>de</strong>rn auch zur Erklärung musiktherapeutischer<br />
Wirkungen.“ 32<br />
2.3.4. GESTALTPSYCHOLOGISCHE ASPEKTE<br />
Dieser Ansatz geht davon aus, daß ein Mensch weniger Einzelheiten wahrnimmt, als viel<br />
mehr ein sinnvolles Ganzes zu erkennen sucht. Auf Musik bezogen be<strong>de</strong>utet dies nach<br />
Stumpf, „eine Wahrnehmung entstehe nicht in einem zweiten Verarbeitungsgang, son<strong>de</strong>rn<br />
schließe sich sofort und unmittelbar an die Sinnempfindung an.“ 33 Seiner Arbeit ver-<br />
31 vgl. Jung-Merker, L. (Hg) [u.a.]: Gesammelte Werke. – 15. Aufl. – Olten: Walter, 1988<br />
32 Rösing, Helmut: »Musikpsychologie« in MGG Bd. 6, S. 1557f.<br />
33 Stumpf, Carl: Tonpsychologie, 1883, Bd. 2, S. 4; zit. nach Rösing, Helmut: »Musikpsychologie« in MGG,<br />
Bd. 6, S. 1558
23<br />
danken sich sowohl Konsonanztheorien als auch Erklärungsmo<strong>de</strong>lle von Wahrnehmungsqualitäten<br />
<strong>de</strong>r Sprachlaute und Instrumentalklänge. Ihm folgte die sogenannte Berliner<br />
Schule, <strong>de</strong>ren Vertreter für die Musikpsychologie von herausragen<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung sind.<br />
Beispielsweise Max „Wertheimer formulierte in seinen Untersuchungen zur Lehre <strong>de</strong>r Gestalt<br />
(1923) bis heute gültige Gesetze <strong>de</strong>r Gruppierung von Tonfolgen zu Verarbeitungseinheiten;<br />
Koffka befaßte sich u.a. mit <strong>de</strong>r Gruppierung von Tonfolgen zu rhythmischen<br />
Komplexen und entwickelte eine Theorie, wonach die rezipierte Gestalt abhängt von <strong>de</strong>r<br />
Be<strong>de</strong>utung, die eine Person <strong>de</strong>n wahrgenommen Reizen beimißt, also eher auf Sozialisationsphänomenen<br />
und Lernprozessen beruht, als angeboren ist.“ 34 Die Musikethnologie<br />
steht ebenfalls in diesem Kontext, wie auch die Theorien E. Kurths, <strong>de</strong>r „in seiner Musikpsychologie<br />
(1931) […] energetische Qualitäten <strong>de</strong>r Klangmaterie in das Zentrum <strong>de</strong>r Betrachtungen<br />
[stellt]. Spannungen im musikalischen Material führen zu jener psychischen<br />
Energie, aus <strong>de</strong>r sich die Wirkung von Musik erkläre.“ 35 Auf ihn geht auch die Vorstellung<br />
<strong>de</strong>r Gleichzeitigkeit musikalischer Ereignisse – die physikalisch nacheinan<strong>de</strong>r, mental in<br />
<strong>de</strong>r Psyche aber gemeinsam präsent sind – und <strong>de</strong>r Räumlichkeit <strong>de</strong>r Musik als imaginären<br />
Raum <strong>de</strong>r Psyche zurück. Der Gestaltpsychologie gegenüber etablierte sich in Leipzig die<br />
Ganzheitspsychologie, die Ausgangspunkt <strong>de</strong>r holistischen Theorien <strong>de</strong>r New-Age-<br />
Bewegung wur<strong>de</strong>. Dominierend aber ist inzwischen „die kognitive Psychologie [als] eine<br />
Weiterentwicklung phänomenologischer und gestaltpsychologischer Prinzipien“ 36 . In diesem<br />
Zusammenhang sei jedoch noch auf eine interessante Studie verwiesen:<br />
„Carol Krumhansi und <strong>de</strong>r Sprachwissenschaftler Peter Jusczyk (1990) […] untersuchten die Frage,<br />
inwieweit Säuglinge im Alter von viereinhalb und sechs Monaten für die Phrasenstruktur von Musik<br />
sensibel sind und welche musikalischen Faktoren dabei eine Rolle spielen. Der theoretische Hintergrund<br />
dieser Fragestellung ist folgen<strong>de</strong>r: Für das Verständnis <strong>de</strong>r Sprache ist es notwendig, aus<br />
<strong>de</strong>m fortlaufen<strong>de</strong>n Klangstrom aus Konsonanten und Vokalen größere Einheiten wie Silben, Wörter,<br />
Phrasen und Sätze zu erkennen und herauszufiltern (Segmentierung). Das Problem besteht darin,<br />
Beginn und En<strong>de</strong> von Silben, Wortgrenzen etc. zu erkennen, obwohl es oft keine Pausen in <strong>de</strong>n fortlaufen<strong>de</strong>n<br />
akustischen Signalen gibt. Für das korrekte Segmentieren und Erkennen von Wortgrenzen<br />
spielen wahrscheinlich Rhythmus und Intonation als Hinweisreize eine wichtige Rolle. Wie verschie<strong>de</strong>ne<br />
Experimente gezeigt haben, bevorzugen bereits sechs Monate alte Säuglinge richtig<br />
segmentierte Sprache gegenüber nicht korrekt segmentierter Sprache. Sie sind also in <strong>de</strong>r Lage, im<br />
fortlaufen<strong>de</strong>n Strom <strong>de</strong>r Sprache Strukturen zu erkennen, die zur Segmentierung dienen. In zwei<br />
raffinierten Experimenten konnten Saffran, Aslin & Newport (1996) nachweisen, daß acht Monate alte<br />
Säuglinge sogar in <strong>de</strong>r Lage sind, in einer künstlichen Nonsense-Sprache, die von einer synthetischen<br />
Frauenstimme als ein Sprachstrom ohne Pause und ohne jegliche Intonation dargeboten<br />
34 Rösing, Helmut: »Musikpsychologie« in MGG, Bd. 6, S. 1559<br />
35 Rösing, Helmut: »Musikpsychologie« in MGG, Bd. 6, S. 1559<br />
36 Rösing, Helmut: »Musikpsychologie« in MGG, Bd. 6, S. 1561
24<br />
wur<strong>de</strong>, Wortgrenzen zu erkennen und einzelne Worte zu isolieren. Dies ist dadurch möglich, daß<br />
Säuglinge offenbar eine enorme statistische Lernfähigkeit besitzen, die es ihnen erlaubt, bereits<br />
nach einer zweiminütigen Darbietung eines kontinuierlich fließen<strong>de</strong>n, intonationslosen Sprachstroms<br />
statistische Regelmäßigkeiten in <strong>de</strong>r Aufeinan<strong>de</strong>rfolge von Lauten zu erkennen. Sie können<br />
erkennen, daß bestimmte Lautfolgen bzw. Lautkombinationen häufiger vorkommen als an<strong>de</strong>re, so<br />
daß sie häufig vorkommen<strong>de</strong> Lautfolgen als Wörter interpretieren. Eine alte Streitfrage lautet, ob<br />
Säuglinge angeborene, erfahrungsunabhängige und universelle Mechanismen zum Spracherwerb<br />
besitzen – eine Position, wie sie beispielsweise von <strong>de</strong>m Sprachwissenschaftler Chomsky und<br />
jüngst von <strong>de</strong>m Kognitionswissenschaftler Steven Pinker in seiner Theorie <strong>de</strong>s Sprachinstinktes vertreten<br />
wird (s. Pinker 1996) – o<strong>de</strong>r ob die <strong>de</strong>m Spracherwerb zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n Mechanismen<br />
durch Erfahrung und Lernen erworben wer<strong>de</strong>n. Die Ergebnisse von Saffran, Aslin & Newport (1996)<br />
sprechen eher dafür, daß es erfahrungsabhängige, also erlernte Mechanismen gibt, die in sehr effektiver<br />
Weise eine Wortsegmentierung und darüber hinaus <strong>de</strong>n Spracherwerb ermöglichen. Saffran,<br />
Aslin & Newport (1996) schließen daher aus ihren Ergebnissen, daß nicht angeborenes Wissen,<br />
son<strong>de</strong>rn angeborene Mechanismen zum statistischen Lernen für die frühkindliche Sprachentwicklung<br />
eine wesentliche Rolle spielen.“ 37<br />
2.3.5. KOGNITIONSPSYCHOLOGISCHE ASPEKTE<br />
Hierbei ist von Interesse, welche Verläufe innersubjektiv Musik o<strong>de</strong>r Sprache hervorrufen<br />
bzw. begleiten. „Zentrales Anliegen <strong>de</strong>r musikalischen Kognitionspsychologie ist Mo<strong>de</strong>llierung<br />
von kognitiven mentalen Systemen zur Repräsentation von psychischen Prozessen<br />
wie Gedächtnis und Wissensstrukturen, von Wahrnehmungsvorgängen, Kategorialisierungsaspekten<br />
o<strong>de</strong>r Lernprozessen. Dabei spielen auch gestaltpsychologische Ansätze<br />
<strong>de</strong>r Gruppierung und <strong>de</strong>s Figur-Hintergrund-Hörens einzelner Elemente von komplexen<br />
musikalischen Zeitgestalten eine be<strong>de</strong>utsame Rolle.“ 38 Exakt an diesem Punkt splittet sich<br />
die Schar <strong>de</strong>rer, die über Musik und Sprache nach<strong>de</strong>nken, in zwei Lager. Nach Ansicht von<br />
La Motte-Haber nämlich ist <strong>de</strong>r Konnex zwischen Musik und Sprache auf psychologischer<br />
Ebene „eine I<strong>de</strong>e mit begrenzter Reichweite“ 39 . An<strong>de</strong>rer Ansicht ist hingegen Stoffer, <strong>de</strong>r<br />
fundiert darlegt, daß Musik kognitiv wie Sprache repräsentiert wer<strong>de</strong>n kann. Unter Bezugnahme<br />
auf E. Kurth 40 differenziert er die Musikpsychologie als „Beschreibung struktureller<br />
Aspekte <strong>de</strong>r kognitiven Verarbeitung beim Hören von Musik“ 41 . Bei<strong>de</strong>, Stoffer und la<br />
Motte-Haber sollen zu Wort kommen.<br />
37<br />
Gembris: Grundlagen, S. 279<br />
38 Rösing, Helmut: »Musikpsychologie« in MGG, Bd. 6, S. 1566<br />
39 La Motte-Haber, S. 133<br />
40 Kurth, Ernst: Musikpsychologie. – Berlin: Hesse, 1931<br />
41 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 148
25<br />
2.3.5.1. DER STANDPUNKT VON THOMAS H. STOFFER<br />
Wie die Linguistik für die Sprachpsychologie, so sucht Stoffer für die Musikpsychologie<br />
nach Strukturbeschreibungen, um zu klären, welche „Aspekte kognitiver Verarbeitung<br />
beim Hören von Musik […] mit musiktheoretischen Konzepten zur Beschreibung musikalischer<br />
Struktur korrespondieren“ 42 . Eine Möglichkeit bietet für ihn Gibsons Betrachtungen<br />
<strong>de</strong>r Reizmuster, „so daß Mechanismen mo<strong>de</strong>lliert wer<strong>de</strong>n können, die mit <strong>de</strong>r Struktur <strong>de</strong>r<br />
Reizmuster in Einklang stehen.“ 43 Solche Mo<strong>de</strong>lle wür<strong>de</strong>n einerseits zur methodologischen<br />
Klarheit über die musikalische Vorlagen beitragen, dienten an<strong>de</strong>rerseits aber auch<br />
heuristisch <strong>de</strong>r Hypothesenbildung über kognitive Repräsentationen, solange sie sich sowohl<br />
durch <strong>de</strong>skriptive, als auch durch kognitive Adäquatheit auszeichnen. „Wenn z.B.<br />
das musikalische Strukturbeschreibungsmo<strong>de</strong>ll von einer hierarchischen Struktur <strong>de</strong>r Musik<br />
ausgeht (z.B. Riemann, 1905), wird die Hypothese nahegelegt, daß die kognitive Repräsentation<br />
wahrgenommener Musik eine hierarchische Struktur besitzt (z.B. Stoffer,<br />
1981). Es kann außer<strong>de</strong>m die Hypothese nahegelegt wer<strong>de</strong>n, daß diejenigen musikalischen<br />
Einheiten, die das Strukturbeschreibungsmo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>finiert, potentielle funktionelle<br />
Verarbeitungseinheiten für kognitive Prozesse darstellen (Stoffer, 1981).“ 44 In<strong>de</strong>s unterschei<strong>de</strong>t<br />
Stoffer kognitive Adäquatheit von kognitiver Realität. Strukturen müßten keineswegs<br />
gleich, son<strong>de</strong>rn entsprechend sein, wie die <strong>de</strong>skriptive Adäquatheit nicht Musik,<br />
son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Musik entsprechend sei. Ein vollständiges Verarbeitungsmo<strong>de</strong>ll ergebe sich<br />
daraus aber noch nicht, das aussage, „unter welchen Bedingungen und zu welchem Zeitpunkt<br />
eine potentiell wahrnehmbare Einheit zur funktionell wirksamen Verarbeitungseinheit<br />
wird.“ 45<br />
Anfangs verbreitete sich ein hierarchisches Mo<strong>de</strong>ll, das auf Intervallbeziehungen, rhythmischen<br />
Mustern und Harmoniefolgen basierte, bei <strong>de</strong>m zunächst aufsteigen<strong>de</strong> Prozesse<br />
(Reizweiterleitung) erklärt wer<strong>de</strong>n sollten. Aus <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>r »Künstlichen Intelligenz«<br />
stammte die Annahme eines Induktionsmusters, das „Beziehungen zwischen benachbarten<br />
Elementen eines seriellen Reizmusters mittels rationaler Konzepte auf <strong>de</strong>r untersten<br />
Ebene, anschließend auf <strong>de</strong>n übergeordneten Ebenen“ 46 erkennt, wobei die einzelnen Induktionsschritte<br />
durch Extrapolationen jeweils überprüft wür<strong>de</strong>n. In<strong>de</strong>s lei<strong>de</strong>n solche Mo<strong>de</strong>lle<br />
daran, daß die für exakte Bestimmungen notwendige Unabhängigkeit <strong>de</strong>r Bereiche<br />
Melodie, Rhythmus und Harmonie durch Interaktionen unterwan<strong>de</strong>rt wird, wie auch die –<br />
42<br />
Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 148<br />
43 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 149<br />
44 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 149<br />
45 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 150<br />
46 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 151
26<br />
theoretisch unendlich vielen – Kombinationsmöglichkeiten praktisch begrenzt sind durch<br />
musikalische Formprinzipien. „Funktionelle Aussagen über Mechanismen <strong>de</strong>r kognitiven<br />
Verarbeitung wer<strong>de</strong>n in hierarchischen Mo<strong>de</strong>llen nur insofern gemacht, als <strong>de</strong>r Aufbau<br />
einer kognitiven Repräsentation musikalischer Strukturen als aufsteigen<strong>de</strong>r Kodierungsprozeß<br />
beschrieben wird“ 47 . Dagegen „kommen viele Autoren inzwischen zu <strong>de</strong>r Hypothese<br />
einer funktionalen Dominanz <strong>de</strong>r Verarbeitung konfigurativer Merkmale sowohl für die<br />
visuelle Wahrnehmung (Cooper, 1980) als auch für die auditive Wahrnehmung (Stoffer,<br />
1981).“ 48 Mit <strong>de</strong>r Annahme von Prototypen- und Schemamo<strong>de</strong>llen könne man jene Interaktionen<br />
<strong>de</strong>r aufsteigen<strong>de</strong>n mit absteigen<strong>de</strong>n Prozessen (Voraushören) abbil<strong>de</strong>n. „Ein musikalischer<br />
Prototyp ist eine kognitive Repräsentation <strong>de</strong>rjenigen Merkmale und strukturellen<br />
Eigenschaften, die bei einer Menge musikalischer Strukturen gemeinsam anzutreffen<br />
sind. Die Fähigkeit von Hörern, zwischen verschie<strong>de</strong>nen Klassen musikalischer Strukturen<br />
zu diskriminieren o<strong>de</strong>r ein Mitglied einer Klasse als solches zu i<strong>de</strong>ntifizieren, wird durch<br />
die Annahme entsprechen<strong>de</strong>r Prototypen zu erklären versucht.“ 49 In Bezugssystemen lassen<br />
sich mittels dieser Prototypen z.B. Asymmetriebeobachtungen beim Hören von Musik<br />
darstellen. „Der Begriff »Bezugssystem« bezeichnet <strong>de</strong>n Sachverhalt, daß ein in <strong>de</strong>r<br />
Wahrnehmung gegebenes Objekt seine qualitativ und quantitativ beschreibbaren Merkmale<br />
aus <strong>de</strong>m Bezug zu Merkmalen <strong>de</strong>r Gesamtsituation gewinnt“ 50 . Als Beispiel führt<br />
Stoffer an, daß eine sehr laute Stelle in einem Violinenduett auch als »sehr laut« empfun<strong>de</strong>n<br />
wer<strong>de</strong>, obwohl eine ebenso laute Stelle in einer Wagner-Oper als weniger laut beurteilt<br />
wer<strong>de</strong>. Objekteigenschaften wer<strong>de</strong>n laut Stoffer mittels <strong>de</strong>r Prototypen analysiert,<br />
während das Bezugssystem diese gewichtet anhand <strong>de</strong>s Kontextes. „Ein Bezugssystem<br />
relativiert die Merkmale eines Objekts und beeinflußt damit die Klassifikationsgrundlage<br />
für eine eventuelle kategoriale I<strong>de</strong>ntifikation […]. Die übergeordnete Struktur, die sowohl<br />
Prototypen als auch Bezugssysteme enthält, bezeichnen wir als »Schema«.“ 51<br />
Musikschema<br />
Prototypen<br />
musikalisches<br />
Stilschema<br />
globales Klassifikationsschema<br />
Wahrnehmungsschemata<br />
und<br />
Bezugssysteme<br />
Formtypenschema<br />
Kernschema<br />
Perio<strong>de</strong>nstrukturvarianten<br />
Subschema<br />
Lied<br />
47<br />
Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 154<br />
48 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 155<br />
49 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 156<br />
50 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 158<br />
51 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 158<br />
< Darstellung aus Stoffer, S. 165
27<br />
Solche Schemata glie<strong>de</strong>rn sich ein in ein übergeordnetes System, daß für Vorgänge <strong>de</strong>s<br />
Verstehens allgemein konstitutiv ist, und stehen darüber zueinan<strong>de</strong>r in Verbindung. „Wir<br />
fassen »Verstehen von Musik« als Gefüge kognitiver Prozesse auf, in <strong>de</strong>ren Verlauf eine<br />
Konzeptstruktur aktiviert wird, die in einer kognitiven Repräsentation kategorialer Beziehungen<br />
zwischen Einheiten eines Musikstücks in Relation zu einem musikalischen Formtyp,<br />
in <strong>de</strong>r kategorialen Einordnung in verfügbares musikhistorisches Wissen sowie in <strong>de</strong>r<br />
Einordnung in ein affektiv und ästhetisch bestimmtes Bewertungssystem bestehen kann.<br />
Strukturelle Basis dieser kognitiven Prozesse ist ein Repräsentationssystem impliziten<br />
musikalischen Wissens in Form eines organisierten Netzwerkes musikalischer Konzepte<br />
(»<strong>de</strong>klaratives Wissen«, Laske 1980), das in ein operatives kognitives System (»prozedurales<br />
Wissen«, Laske 1980) eingebettet ist.“ 52 Aufsteigen<strong>de</strong> Prozesse aktivieren <strong>de</strong>mnach<br />
höhere Ebenen, welche weitere höhere, aber auch Subebenen – absteigen<strong>de</strong> Prozesse<br />
genannt – zur Präzisierung o<strong>de</strong>r Korrektur aktivieren. Mittels <strong>de</strong>r »Generativen Transformationssyntax«<br />
expliziert Stoffer die beteiligten Schemata bei Volkslie<strong>de</strong>rn, <strong>de</strong>ren Funktion<br />
die eines Parsers ist. „Als Parser bezeichnet man einen Strukturanalysemechanismus,<br />
<strong>de</strong>r für ein Wahrnehmungsobjekt eine Repräsentation seiner Konstituentenstruktur erzeugt,<br />
d.h. die Repräsentation <strong>de</strong>r vertikalen Schichtung und horizontalen Abgrenzung<br />
von Einheiten auf mehreren Strukturebenen“ 53 . Zusätzlich skizzieren sie die Prozesse <strong>de</strong>r<br />
Aufmerksamkeitsfokussierung auf einzelne Ebenen <strong>de</strong>r Repräsentation. „Das Schemamo<strong>de</strong>ll<br />
berücksichtigt gegenwärtig <strong>de</strong>n gesamten, über ein musikalisch-syntaktisches Wissen<br />
hinausgehen<strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>s semiotische, kulturhistorische und auch affektiv-ästhetische<br />
Aspekte <strong>de</strong>s Musikhörens repräsentieren<strong>de</strong>n Wissens nur unzureichend. […] Diese nicht<br />
primär auf das Erfassen musikalischer Strukturaspekte gerichteten Höreinstellungen sind<br />
im Rahmen <strong>de</strong>s Schemamo<strong>de</strong>lls Ausdruck <strong>de</strong>r Verwendung inhaltlich an<strong>de</strong>rsartiger Schemata<br />
und Prototypen. An <strong>de</strong>n beschriebenen Prinzipien sollte sich jedoch nichts än<strong>de</strong>rn,<br />
wenn eine Einheit statt durch ein strukturelle Aspekte <strong>de</strong>r Musik analysieren<strong>de</strong>s Schema<br />
durch ein z.B. affektive Qualitäten analysieren<strong>de</strong>s Schema weiterverarbeitet wird.“ 54<br />
52 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 162f.<br />
53 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 168<br />
54 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 180
28<br />
2.3.5.2. DER STANDPUNKT VON HELGA DE LA MOTTE-HABER<br />
Der Diskurs um Musik und Sprache stellt für la Motte-Haber eines <strong>de</strong>r problematischsten<br />
Kapitel <strong>de</strong>r Musikwissenschaft dar. In fast zynischer Manier skizziert sie – aber dafür sehr<br />
umfangreich – jene Entwicklung, die ihrer Meinung nach dazu geführt hat, daß aufgrund<br />
behaupteter Unverständlichkeit die »Serielle Musik« größtenteils abgelehnt wür<strong>de</strong>. Daß<br />
aber Musik nicht wie eine Sprache aufzufassen sei, begrün<strong>de</strong>t sie damit, daß von Sprache<br />
„sich Musik – selbst in <strong>de</strong>n tiefsten Nie<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Trivialsphäre – dadurch unterschei<strong>de</strong>t,<br />
daß sie nicht zur Darstellung von Sachverhalten <strong>de</strong>s Alltags gebraucht wird. Sie ist<br />
kein Medium, das normalerweise <strong>de</strong>r Verständigung über zwischenmenschliche Vorgänge<br />
dient, und sie bietet keine Hülle für die Fixierung von Wissen. […] Über die banal wirken<strong>de</strong><br />
Feststellung, daß Musik keine Sprache ist im Sinne <strong>de</strong>r Kommunikation zwischen Menschen<br />
über Dinge und Umstän<strong>de</strong> ihres Lebensraumes, sind insofern weiterreichen<strong>de</strong> Überlegungen<br />
anzustellen, als sie die I<strong>de</strong>e vom Sprachcharakter <strong>de</strong>r Musik, die uns so selbstverständlich<br />
erscheint, daß gegen die Neue Musik immer ihr Sprachzerfall eingewen<strong>de</strong>t<br />
wur<strong>de</strong>, zu einer schönen Metapher macht, die als eine inhaltlich recht unpräzise Umschreibung<br />
wirkt.“ 55 Im Gegensatz zu Stoffer also schreibt la Motte-Haber <strong>de</strong>r Musik keine<br />
kognitiven Funktionen zu. Dennoch stellt sie – nach einer ergiebigen Ausführung <strong>de</strong>r Unterschie<strong>de</strong><br />
von Musik und Sprache – sich <strong>de</strong>r Thematik unter <strong>de</strong>r Voraussetzung, „daß es<br />
gar nicht darum gehen kann, die I<strong>de</strong>e, Musik sei eine Sprache, zu belegen o<strong>de</strong>r aber zu<br />
entkräften, son<strong>de</strong>rn daß dies als ein gegebener Sachverhalt zu akzeptieren ist, <strong>de</strong>ssen<br />
Voraussetzungen reflektiert wer<strong>de</strong>n können.“ 56<br />
Zunächst weist die allgemeine Re<strong>de</strong>, daß man Musik verstehe, auf Sprachähnlichkeit hin.<br />
Nicht nur die Schönheit <strong>de</strong>r Musik, son<strong>de</strong>rn auch das zum Ausdruck Gebrachte sei Gegenstand<br />
<strong>de</strong>r Betrachtungen. Daß dies jedoch keine Argumentationskraft für la Motte-Haber<br />
entwickelt, zeigt sie daran: „Wenn jemand behauptet, etwas verstan<strong>de</strong>n zu haben, so verbin<strong>de</strong>t<br />
er damit immer ein Gefühl <strong>de</strong>r Sicherheit und Überzeugung, das sich allerdings<br />
auch dann einstellt, wenn er etwas mißverstan<strong>de</strong>n hat, er muß er nur vollkommen mißverstan<strong>de</strong>n<br />
haben. Je<strong>de</strong>s Verstehen ist damit letztlich emotional begrün<strong>de</strong>t. Je stärker die<br />
irrationale Verankerung einer Auffassung ist, um so schwerer wer<strong>de</strong>n die Wahrnehmungskategorien<br />
an die Gegebenheiten <strong>de</strong>s zu verstehen<strong>de</strong>n Objekts angepaßt. Die Wahrnehmung<br />
tendiert dazu, sich in ihrer Struktur zu erhalten, in<strong>de</strong>m sie sich, wie <strong>de</strong>formiert auch<br />
immer, Sachverhalte einverleibt“ 57 . Dies begrün<strong>de</strong>t la Motte-Haber damit, daß sich Wahrnehmung<br />
stets nur im Kontext emotional verankerter Präferenzen und Neigungen vollzie-<br />
55 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 11<br />
56 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 17<br />
57 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 18
29<br />
he. Insofern seien alle „Erklärungen <strong>de</strong>s Verstehens mit <strong>de</strong>r Unein<strong>de</strong>utigkeit <strong>de</strong>r »Zwar-<br />
Aber-Argumentation« verbun<strong>de</strong>n. Alle Verstehensbegriffe – <strong>de</strong>r philologisch-hermeneutische,<br />
<strong>de</strong>r phänomenologische, <strong>de</strong>r ontologische und <strong>de</strong>r psychologische – sind mit gleichen<br />
theoretischen Schwierigkeiten konfrontiert. […] Verstehen ist gänzlich subjektiv, und<br />
die erwähnte Verankerung im Evi<strong>de</strong>nzgefühl, das als Wahrheitskriterium dient, macht die<br />
Subjektivität, die durchaus mit richtigen Einsichten gepaart sein kann, zu einem theoretisch<br />
unauflösbaren Problem. Es ist daher auch eine utopische Hoffnung, die distanziert<br />
reflektieren<strong>de</strong> Interpretation mehr als nur graduell vom spontanen Ergriffensein abgrenzen<br />
zu wollen.“ 58 Daher schlägt la Motte-Haber folgen<strong>de</strong>s vor: „Um im Zusammenhang mit<br />
<strong>de</strong>m Thema »Musik als Sprache« eine Betrachtungsweise zu betonen, die nicht auf eine<br />
»theologisch«-existentialphilosophische Begründung ausgerichtet ist, wur<strong>de</strong>n die bei<strong>de</strong>n<br />
erkenntnistheoretischen Begriffe von Piaget, nämlich Assimilation und Akkommodation 59 ,<br />
gewählt, um – von <strong>de</strong>n psychologischen Prozessen ausgehend – Verstehen erklärbar zu<br />
machen. Die allgemeinen Probleme bleiben schwierig genug, auch wenn man sie in die<br />
konkrete Frage transformiert, wie Musik verstan<strong>de</strong>n wird. Denn damit verbin<strong>de</strong>n sich nicht<br />
nur die Untersuchungen <strong>de</strong>r […] Bedingungen und Voraussetzungen <strong>de</strong>s Verstehens, son<strong>de</strong>rn<br />
auch die Versuche, zu beantworten, was <strong>de</strong>nn eigentlich verstan<strong>de</strong>n wird, wenn ein<br />
Mensch Musik hört.“ 60<br />
Ehe sich jedoch la Motte-Haber <strong>de</strong>n Elementen musikalischen Ausdrucks zuwen<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>finiert<br />
sie in einem hirnpsychologischen Exkurs 61 : „Verstehen wird beschrieben als ein Prozeß<br />
<strong>de</strong>r anverwan<strong>de</strong>lten Assimilation von Musik und <strong>de</strong>r anpassen<strong>de</strong>n Akkommodation<br />
<strong>de</strong>r kategorialen Struktur <strong>de</strong>s Hörers. Dabei spielen immer gleichzeitig emotionale und<br />
kognitive Faktoren eine Rolle. Ihr unterschiedliches Zusammenwirken erlaubt es, zwischen<br />
verschie<strong>de</strong>nen Formen <strong>de</strong>s Verstehens zu differenzieren, im Extremfall zwischen<br />
emotionalem Ergriffensein und <strong>de</strong>m Symbolverständnis.“ 62<br />
Musikalischer Ausdruck setzt sich laut la Motte-Haber zusammen aus Tempo, Artikulation,<br />
Metrum und rhythmischen Proportionen, sowie aus Tonhöhe- und Charakteristik und<br />
eventuell <strong>de</strong>r Tonart, obwohl dafür eine immense Gedächtnisleistung erfor<strong>de</strong>rlich sei.<br />
„Die gesamte Ausdruckslehre ist seit nunmehr zweitausend Jahren, seit <strong>de</strong>r aristotelischen Physiognomie,<br />
von <strong>de</strong>m Konflikt geprägt, sowohl <strong>de</strong>r unmittelbaren Macht <strong>de</strong>s Eindrucks gerecht wer<strong>de</strong>n<br />
zu müssen als auch Möglichkeiten einer analytisch rationalen Begründung zu fin<strong>de</strong>n. So stellt die<br />
58<br />
la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 19<br />
59<br />
Assimilation integriert Erfahrungen in ein individuell etabliertes System, Akkommodation erweitert es,<br />
damit nicht-zuor<strong>de</strong>nbare Erfahrungen assimiliert wer<strong>de</strong>n können, die somit verstan<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n.<br />
60 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 21<br />
61 vgl. dazu 2.4.2.<br />
62 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 24
30<br />
Zuschreibung emotionaler Qualitäten zu einzelnen musikalischen Elementen <strong>de</strong>n Versuch dar, zu<br />
erklären, woraus eine bestimmte Wirkung resultiere. Sie ist geprägt vom Mißtrauen dagegen, daß<br />
Verstehen nur evi<strong>de</strong>nt sein solle. Aber wie an<strong>de</strong>re Symptomlehren, etwa die <strong>de</strong>s mimetischen Ausdrucks,<br />
beschreibt sie das Insgesamt einer Erscheinung höchst unzureichend, weil sie Zeichenhaftes<br />
isoliert, ohne ihm in allen seinen Interaktionen gerecht wer<strong>de</strong>n zu können. […] Eine Symptomlehre<br />
<strong>de</strong>s musikalischen Ausdrucks besitzt jedoch <strong>de</strong>n Vorzug, <strong>de</strong>n sprachähnlichen Charakter <strong>de</strong>r Musik<br />
unmittelbar plausibel zu machen, weil sie das Verstehen als »Verstehen von Etwas« begreift.<br />
Darüber hinaus allerdings gilt es zu differenzieren.“ 63<br />
Zunächst tritt aber das Phänomen <strong>de</strong>s Mitempfin<strong>de</strong>ns in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund. Musikalischer<br />
Ausdruck erschließe sich nämlich auch <strong>de</strong>r Einfühlung. „Wie<strong>de</strong>rholt taucht in <strong>de</strong>r Literatur<br />
[…] <strong>de</strong>r Gedanke einer Art grundsätzlicher Isomorphie zwischen Affekt und <strong>de</strong>m zeitlichen<br />
Verlauf (damit <strong>de</strong>r rhythmischen Struktur) <strong>de</strong>r Musik auf. Rousseau huldigte in Dictionnaire<br />
<strong>de</strong> musique (1768, S. 158ff.) dieser Auffassung, in<strong>de</strong>m er annahm, daß einige Gefühle in<br />
ihrer Natur einen rhythmischen Charakter haben. [Dies] ergänzt in jüngerer Zeit Clynes<br />
(1982) mit <strong>de</strong>m überraschen<strong>de</strong>n Befund, daß Gefühle, die kommuniziert wer<strong>de</strong>n sollen,<br />
interkulturell durch einen gleichen zeitlich-rhythmischen und dynamischen Verlauf dargestellt<br />
wer<strong>de</strong>n können. […] Nicht nur das Ausmaß an Differenzierungen zwischen seinen<br />
»Sentogrammen« ist erstaunlich, son<strong>de</strong>rn auch die Unabhängigkeit von <strong>de</strong>r ethnischen<br />
Zugehörigkeit <strong>de</strong>r ausführen<strong>de</strong>n Person. […] Obwohl die ausgeführten Bewegungen bewußt<br />
geschahen, so sind sie universell. Es gilt dies allerdings nicht für Emotionen, die<br />
nicht in erster Linie zur Kommunikation bestimmt sind: Dazu gehören Überraschung, Neid<br />
und Schuldgefühl.“ 64 Zwar haben manche solcher Empfindungsansätze auch seltsame<br />
Blüten getrieben, doch konstatiert la Motte-Haber:<br />
„Es gelingt in allen Sprachen, Be<strong>de</strong>utungen <strong>de</strong>s Schönen, Guten, Süßen, Glücklichen wie auch <strong>de</strong>s<br />
Häßlichen, Bitteren, Schlechten, Traurigen zu erkennen; es ist möglich, die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Schwäche<br />
und Stärke, <strong>de</strong>r Bewegung und Ruhe Worte zuzuordnen, <strong>de</strong>ren lexikalische Be<strong>de</strong>utung man<br />
nicht gelernt hat. Auch Musik, die in einem sprachähnlichen Sinne verstan<strong>de</strong>n sein will, bleibt an<br />
<strong>de</strong>r Darstellung eines ursprünglich unmittelbaren, gefühlshaften Ausdrucks gebun<strong>de</strong>n. Dadurch,<br />
daß sie ihn aber nur nachahmend darstellt, for<strong>de</strong>rt sie eine rationale und nicht nur einfühlen<strong>de</strong><br />
Wahrnehmung.“ 65<br />
Lösen Affekte also in <strong>de</strong>r Musik <strong>de</strong>rgleichen bei Hörern nur selten aus, so sind auch die<br />
Musiker nicht zwingend davon ergriffen 66 . Die Möglichkeit <strong>de</strong>r Konvention, <strong>de</strong>r Verabredung<br />
von musikalischem Ausdruck ist <strong>de</strong>mzufolge als dritter Aspekt bewußt zu machen.<br />
63 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 44<br />
64 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 45<br />
65 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 47<br />
66 Darauf nimmt la Motte-Haber Bezug in: Musikpsychologie, S. 61
31<br />
Welche Be<strong>de</strong>utung aber <strong>de</strong>r körperliche Aspekt für la Motte-Haber hat, zeigt sich in <strong>de</strong>m<br />
Zitat:<br />
„Grundsätzlich wird eine direkte Abhängigkeit von Musik und körperlichen Reaktionen durchkreuzt<br />
von kognitiven Variablen, von <strong>de</strong>r Vorbildung und <strong>de</strong>n ästhetischen Einstellungen einer Person. Fast<br />
alle Untersuchungen, die sich einer empfindlichen Anzeige von Mitempfindungen bedienen, fin<strong>de</strong>n<br />
sich im Unterschie<strong>de</strong> zwischen Personen mit verschie<strong>de</strong>ner musikalischer Bildung im Sinne einer<br />
höheren Reagibilität <strong>de</strong>r Vorgebil<strong>de</strong>ten. Zu<strong>de</strong>m erweist sich bei musikalischer Bildung das ästhetische<br />
Wohlgefallen als intensivieren<strong>de</strong>r Faktor, <strong>de</strong>r über die Stärke von Mitempfindungen entschei<strong>de</strong>t.<br />
[…] Die Ursache eines Gefühls sind die körperlichen Reaktionen wahrscheinlich nicht. Aber auch<br />
wenn die physische Resonanz, die individuell verschie<strong>de</strong>n ausgeprägt sein kann, auf komplizierte<br />
Weise erklärt wer<strong>de</strong>n muß, so ist sie <strong>de</strong>nnoch von unmittelbarer Relevanz, weil von ihr die Intensität<br />
<strong>de</strong>s Erlebens abhängt. Diese Erregung reagiert <strong>de</strong>r Konzertbesucher im Beifall ab.“ 67<br />
Weiterhin spielten für la Motte-Haber die Gedanken eine wesentliche Rolle, <strong>de</strong>ren Verhältnis<br />
zu <strong>de</strong>n Gefühlen im Hinblick auf <strong>de</strong>n musikalischen Ausdruck sie so beschreibt:<br />
„Daß wir an Musik Freu<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r Trauer i<strong>de</strong>ntifizieren können, ohne uns unmittelbar selbst diesem<br />
Affekt hinzugeben, zwingt nicht zur Preisgabe einer Theorie <strong>de</strong>s musikalischen Ausdrucks, <strong>de</strong>r eine<br />
Entsprechung in seinem Eindruck hat und <strong>de</strong>shalb verstehbar ist. Der Eindruck wird nur nicht verinnerlicht.<br />
Daher wird <strong>de</strong>r Hörer nicht das Objekt seiner Gefühle, son<strong>de</strong>rn tritt ihnen als Subjekt gegenüber.<br />
[…] Fast alle Theorien <strong>de</strong>s Gefühls bauen auf zwei Faktoren auf. Ohne geistige Interpretation,<br />
so wird angenommen, fehlen die spezifischen Qualitäten eines Gefühls; ohne physische Erregung<br />
mangelt es an Intensität und Wärme.“ 68<br />
Darin aber tut sich die Kluft zwischen Musik und Sprache recht <strong>de</strong>utlich auf, insofern<br />
Sprache durchaus im Stan<strong>de</strong> ist, mit neuen Ausdrücken neue Be<strong>de</strong>utungen zu entwickeln:<br />
„Ein Individuum kann jedoch grundsätzlich keine ganz neuen, noch nie im menschlichen<br />
Dasein aufgetretenen Gefühlsqualitäten ausbil<strong>de</strong>n. Daher ist <strong>de</strong>r musikalische Ausdruck<br />
nur innerhalb gesteckter Grenzen nuancierbar. Im Unterschied zu <strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rungen tonsystemlicher<br />
Ordnungen kann er von <strong>de</strong>n Komponisten nicht selbst gesetzt, höchstens<br />
getilgt wer<strong>de</strong>n.“ 69 Von hieraus spannt sich <strong>de</strong>r Bogen zur psychologischen Realität <strong>de</strong>r<br />
Grammatik, wovon Riemann bereits überzeugt war:<br />
„Riemann erhoffte von <strong>de</strong>r Psychologie in <strong>de</strong>r phänomenologischen Spielart, die Stumpf vertrat, eine<br />
Begründung dafür, daß <strong>de</strong>r menschliche Geist nur im Sinne <strong>de</strong>r von ihm aufgestellten Regeln<br />
funktionieren könne. Sehr viel später hat Chomsky im Bereich <strong>de</strong>r Sprache von <strong>de</strong>r Psychologie<br />
ebenfalls <strong>de</strong>n Nachweis eingeborener I<strong>de</strong>en verlangt, als er die psychologische Realität <strong>de</strong>r Grammatik<br />
postulierte. […] Wesentliche Stützen [dafür] waren die interkulturell gleichen formalen Strukturen<br />
<strong>de</strong>r Sprachen und <strong>de</strong>r Nachweis, daß Sprachbenutzer nicht assoziativ verstehen und re<strong>de</strong>n,<br />
son<strong>de</strong>rn eine hierarchische Struktur von Regeln anwen<strong>de</strong>n, also <strong>de</strong>r Grundi<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r transformationellen<br />
generativen Grammatik folgen. Ein gleiches gilt für Musik nicht. Ein Blick auf die Geschichte<br />
67 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 68<br />
68 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 71<br />
69 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 73
32<br />
<strong>de</strong>r Musik und ihre ethnische Vielfalt belehrt über viele Möglichkeiten tonsystemlicher Ordnungen.<br />
Er belehrt damit über viele Möglichkeiten grammatischer und logischer Regeln, <strong>de</strong>ren Gemeinsamkeiten<br />
gering sind. Diese breite Variation beeinträchtigt <strong>de</strong>n Versuch, eine tonsystemliche Ordnung<br />
als ein ähnlich gleichbleiben<strong>de</strong>s System anzusehen, wie es <strong>de</strong>r Sprache zugrun<strong>de</strong> liegt; sie beeinträchtigt<br />
damit <strong>de</strong>n Vergleich von Musik und Sprache.“ 70<br />
Für la Motte-Haber, die damit Stoffer direkt wi<strong>de</strong>rspricht, läßt sich nur feststellen, daß <strong>de</strong>r<br />
Hörer mit Beziehungen operiere, und wie er mit diesen Relationen umgehe, etwa daß er<br />
beim Bezug zu c-Moll o<strong>de</strong>r a-Moll eine je an<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung zweier akustisch gleicher Frequenzverhältnisse<br />
annimmt. Der Hörer kenne eine Regel und urteile nach ihr.<br />
Um jedoch ein solches Urteil fällen zu können, bedarf es differenzierter Wahrnehmung, die<br />
anhand <strong>de</strong>r Gestaltpsychologie erklärt wird. Die Melodie aus einem Orchestersatz zu fokussieren,<br />
verdanke sich <strong>de</strong>r Tatsache, daß sich Figuren vom Grund abheben lassen per<br />
Merkmalsdifferenzierung mittels <strong>de</strong>s Erkennens einer Tonfolge anhand ungefährer Intervallgröße<br />
und <strong>de</strong>r Intervallrichtung. Diese Vorauswahl erfahre eine Gewichtung, wie sie<br />
bei Stoffer beschrieben sei. 71 „Schemata sind jedoch nicht i<strong>de</strong>ntisch mit quasi natürlichen<br />
»Formatbegrenzungen«, vielmehr enthalten sie auch gespeichertes Wissen; sie sind damit<br />
durch Lernen verän<strong>de</strong>rbar. Sie können die Wahrnehmung um Informationen ergänzen und<br />
in ihrem Sinne transformieren. Das simpelste Beispiel dafür bietet das Zurechthören<br />
frem<strong>de</strong>r Musik, wie es <strong>de</strong>nn auch möglich ist, frem<strong>de</strong> Musik verstehen zu lernen.“ 72 Bei<br />
neuer Musik in<strong>de</strong>s scheint letzteres laut la Motte-Haber nicht möglich, wenn sie schreibt:<br />
„Elementare Leistungen gehen beim auditiven Mustererkennen offensichtlich nicht von<br />
<strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntifikation einzelner Tonhöhen aus, ein Umstand, <strong>de</strong>r Spekulationen über die<br />
Schwierigkeiten <strong>de</strong>s Hörens bei serieller Musik veranlaßt. Zwölftonwerke, die oft Töne in<br />
eine Art motivische Konstellation einbin<strong>de</strong>n sind davon betroffen.“ 73<br />
Grundsätzlich sei man imstan<strong>de</strong>, Gruppierungen und Glie<strong>de</strong>rungen vorzunehmen, da neben<br />
<strong>de</strong>r Klangfarbenähnlichkeit ein weiteres Organisationsprinzip angewen<strong>de</strong>t wür<strong>de</strong>:<br />
„Die Lokalisation einer Nachricht in einer einzigen Quelle ist an sich ein wichtiger Indikator für ihren<br />
be<strong>de</strong>utungsvollen Zusammenhang. Daß ein Mensch im chaotischen Gewirr <strong>de</strong>r Stimmen einer Party<br />
überhaupt etwas verstehen kann, verdankt er <strong>de</strong>r Möglichkeit, Schallwellen aufgrund geringer Unterschie<strong>de</strong><br />
in <strong>de</strong>r Intensität und <strong>de</strong>r Zeit, mit <strong>de</strong>r sie auf die Basilarmembrane <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Ohren treffen,<br />
zu orten. Haben die Schallwellen eine gemeinsame Herkunft, wer<strong>de</strong>n sie als zusammengehörend<br />
interpretiert (»Cocktail-Party-Problem« von Cherry, 1953).“ 74<br />
70<br />
la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 83<br />
71 An dieser Stelle erkennt la Motte-Haber lediglich die Prototypen und Schemata von Stoffer an.<br />
72 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 97f.<br />
73 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 95<br />
74 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 99
33<br />
Die Wirksamkeit <strong>de</strong>s gestaltpsychologischen »Gesetzes <strong>de</strong>r Nähe« wer<strong>de</strong> jedoch teilweise<br />
beim Hören durch Gedächtnisleistungen erklärt. Damit überhaupt Konstruktionen gemäß<br />
<strong>de</strong>r Nähe gebil<strong>de</strong>t wür<strong>de</strong>n, müsse die einströmen<strong>de</strong> Information länger aufbewahrt wer<strong>de</strong>n,<br />
als sie tatsächlich wirkt. „Die erste gedankliche Verarbeitung, die beim Musikhören<br />
stattfin<strong>de</strong>t, scheint ein grobes Durchmustern <strong>de</strong>r akustischen Reize zu sein, und zwar<br />
nach <strong>de</strong>n Gesichtspunkten, woher sie kommen, und ob sie untereinan<strong>de</strong>r Ähnlichkeiten<br />
aufweisen. Diese Analyse ergänzt dann eine Synthese, die zu Gruppierungen führt. Noch<br />
vor diesen analysieren<strong>de</strong>n und synthetisieren<strong>de</strong>n Denkprozessen muß ein schnell vorübergehen<strong>de</strong>s,<br />
noch weitgehend passives Gedächtnis angenommen wer<strong>de</strong>n. Neisser<br />
(1974) spricht von einem ikonischen Speicher im Auge und einem ekonischen beim Ohr, in<br />
älteren Untersuchungen fin<strong>de</strong>n sich dafür Termini wie »Reizspur« o<strong>de</strong>r »primäres Gedächtnis«.“<br />
75 Solcher Nachhall könne als »Präsenzzeit« alias »psychologisches Moment«<br />
bis zu zehn Sekun<strong>de</strong>n anhalten und ist für Gestalterkennung immens wichtig. Daher interessiert<br />
ein Blick auf die I<strong>de</strong>ntifizierungszeiten von akustischen Ereignissen: Bis ein Klang<br />
mit zwei Impulsen i<strong>de</strong>ntifiziert ist, vergehen 20 ms bzw. mit drei 50 ms. Um vier Impulse<br />
zu bestimmen, bedarf es 200 ms – <strong>de</strong>m Abstand von gut verständlichen Sprachsilben. Ab<br />
einer Distanz von 600 ms wer<strong>de</strong>n Klänge als Einzelreize vernommen. In<strong>de</strong>s spielt die Zeit<br />
auch betreffs <strong>de</strong>s Tonabstands eine Rolle. Kleine Terzen wer<strong>de</strong>n nach 50 ms, kleine Nonen<br />
hingegen erst nach 150 ms als kohärent wahrgenommen. Beson<strong>de</strong>rs problematisch ist das<br />
Phänomen <strong>de</strong>r Oktavgeneralisation, welche teils als Ähnlichkeit, teils gar nicht bemerkt<br />
wer<strong>de</strong>: „Der Sprung in die Oktave selbst ist aber ein wun<strong>de</strong>rsam emphatischer Kunstgriff.<br />
Derselbe Ton und doch nicht <strong>de</strong>r gleiche macht das Einfache zum Artifiziell-<br />
Komplizierten.“ 76 Daß das kurzzeitige Gedächtnis sich zu sinnvollen Bil<strong>de</strong>rn umformt, die<br />
aber noch weitgehend sensorische Qualitäten haben, hat Relevanz für Gestalterkennung.<br />
„Diesem primären Gedächtnis entnehmen wir bereits aktiv verarbeitete Informationen: die<br />
melodische Kontur, Töne, die wir aufgrund ihrer Nachbarschaft innerhalb <strong>de</strong>s Frequenzspektrums<br />
o<strong>de</strong>r auch aufgrund <strong>de</strong>r Ähnlichkeit <strong>de</strong>r Klangfarbe und ihrer zeitlichen Nähe<br />
zusammenfassen.“ 77 Ohne eine solche Imagination wäre eine Bewegung, ein Fortschreiten<br />
nicht auszumachen. Am Beispiel schneller Folgen zeige sich durch Akzentuierung in <strong>de</strong>r<br />
Wahrnehmung das »Takt«-Empfin<strong>de</strong>n, wobei Synkopen zu Entscheidungskrisen führten,<br />
welche <strong>de</strong>r Akzente strukturbil<strong>de</strong>nd seien. Das »perceptual streaming« von akzentuiertem<br />
Vor<strong>de</strong>rgrund und permanentem Hintergrund einer Tonfolge vollziehe sich gleichfalls bei<br />
multipler Metrik innerhalb eines Stückes entsprechend. »Kippbil<strong>de</strong>r« solcher Art fin<strong>de</strong>t la<br />
75 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 104f.<br />
76 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 110<br />
77 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 111
34<br />
Motte-Haber bei <strong>de</strong>r Minimal Music, daß nach einiger Zeit ein Sättigungseffekt eintrete<br />
und die Orientierung sich an einer an<strong>de</strong>ren metrischen Schicht ausrichte, somit also das<br />
Stück in ein an<strong>de</strong>res Tempo kippe.<br />
„Wahrnehmung und Denken setzen Gedächtnis voraus, o<strong>de</strong>r aber Gedächtnis setzt Wahrnehmung<br />
und Denken voraus. Denn es han<strong>de</strong>lt sich nicht um getrennte Instanzen, son<strong>de</strong>rn um Aspekte eines<br />
mehrstufigen Prozesses <strong>de</strong>r Informationsverarbeitung, <strong>de</strong>r aus analysieren<strong>de</strong>n und synthetisieren<strong>de</strong>n,<br />
aus glie<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n und zusammenfassen<strong>de</strong>n Vorgängen besteht, die <strong>de</strong>r einströmen<strong>de</strong>n Information<br />
einen Sinn verleihen. Riemann hat dies als aktiv-synthetisches Denken bezeichnet. Die dabei<br />
gebil<strong>de</strong>ten Konstruktionen sind durchaus reizabhängig, sie sind jedoch nicht mit <strong>de</strong>r Struktur <strong>de</strong>r<br />
Reize i<strong>de</strong>ntisch. Höchsten auf <strong>de</strong>r untersten Stufe entsteht passives Abbild, jedoch noch keine<br />
Wahrnehmung. […] Transformationen zielen auf das Überschaubarmachen, <strong>de</strong>m dann die weitere<br />
Analyse dient, und es scheint, daß überhaupt nur das weiter verarbeitet wird, was bereits einer ersten<br />
groben Analyse unterworfen war. Die rein sensorische Speicherung wird nach wenigen Sekun<strong>de</strong>n<br />
gelöscht. Nur auf einer untersten Stufe ist für die i<strong>de</strong>ntifizieren<strong>de</strong> Wahrnehmung das Abbild von<br />
Be<strong>de</strong>utung. Die Wahrnehmung zielt auf die Konstruktion von Sinnbil<strong>de</strong>rn.“ 78<br />
Die gestaltbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Faktoren unterliegen in<strong>de</strong>s einem reizinduzierten Aufmerksamkeitsmechanismus,<br />
daß nämlich die Verarbeitungstiefe mit <strong>de</strong>m Maß <strong>de</strong>s Aufmerkens (Neuartigkeit)<br />
korreliert. „Eine genauere Betrachtung auch <strong>de</strong>s Figur-Grund-Problems zeigt jedoch,<br />
daß die Aufmerksamkeitszuwendung vielmehr noch von impliziten Be<strong>de</strong>utungsstrukturen<br />
gelenkt wird. […] Die Auswahl ist immer auch von Be<strong>de</strong>utungen geleitet, die<br />
aus <strong>de</strong>m bereits vorhan<strong>de</strong>nen Wissen, aus Erwartungen stammen. Diese Be<strong>de</strong>utungen<br />
können bei nie<strong>de</strong>ren Lebewesen festgelegt sein, z.B. bei Reizen, die Furcht auslösen. Wesentlicher<br />
aber sind Be<strong>de</strong>utungsstrukturen, die aus erworbenem Wissen und damit aus<br />
kognitiven Leistungen und subjektiven Wertsetzungen hervorgehen. Sie bestimmen, was<br />
auffällt.“ 79 Solche be<strong>de</strong>utungsverleihen<strong>de</strong>n Vorstellungen greifen in<strong>de</strong>s nur als Hypothesen<br />
in <strong>de</strong>n Wahrnehmungsvorgang ein, wobei eine Bestätigung dieser eher erwartet wird<br />
als eine Wi<strong>de</strong>rlegung. Sollte die Aufmerksamkeit geteilt wer<strong>de</strong>n, erfolgt die Verarbeitung<br />
im steten Wechsel zwischen <strong>de</strong>n getrennten Vorgängen.<br />
„Laien sind Musikern schon bei zweistimmigem Hören unterlegen, weil sie über weniger und nicht<br />
gut differenzierte wahrnehmungsleiten<strong>de</strong> Hypothesen verfügen, die ihnen die blitzschnelle I<strong>de</strong>ntifikation<br />
<strong>de</strong>r Tonfolge erleichtert. Es fehlen […] klare Vorstellungen als Gehilfen <strong>de</strong>r Wahrnehmung.“ 80<br />
Dies sei aber laut la Motte-Haber nicht als musikalisches Gedächtnis zu verstehen, da ihr<br />
ein <strong>de</strong>rartiges generell nicht bekannt ist. Sie hält eher ein mehrstufiges Gedächtnismo<strong>de</strong>ll<br />
(z.B. von Tulving 1972) für wahrscheinlich aus einem semantischem und einem »episodischen«<br />
Gedächtnis, da Musik nicht nur benannt, son<strong>de</strong>rn auch klanglich memoriert wer<strong>de</strong>.<br />
78 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 116<br />
79 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 118<br />
80 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 120
35<br />
„Musikverstehen meint, daß in zweierlei Weise hinter <strong>de</strong>n akustischen Strukturen Sinn<br />
entschlüsselt wird: einmal, in<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r musikalische Ausdruck nachvollzogen, und zum<br />
zweiten, in<strong>de</strong>m die grammatikalische Be<strong>de</strong>utung erkannt wird. Die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Musikverstehens<br />
ist eng verknüpft mit einem Begriff von Musik, <strong>de</strong>r – wie immer metaphorisch – ihre<br />
Sprachähnlichkeit betont. Die historische und ethnographische Reichweite dieses Musikbegriffes<br />
ist begrenzt, damit ist auch die ihm zugeordnete Forschung über die Mechanismen,<br />
die <strong>de</strong>m Verstehen zugrun<strong>de</strong> liegen, in ihrer Be<strong>de</strong>utung eingeschränkt.“ 81 Mit diesem<br />
Resümee leitet sie eine Geschichte <strong>de</strong>r Metapher »Musik als Sprache« ein, genauer: die<br />
Geschichte einer Tradition, die bereits überwun<strong>de</strong>n sei: „Die grammatische Struktur von<br />
Musik ist nur insofern eine psychologische Realität, als sie gelernt wur<strong>de</strong>. Im 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />
sind Kunstäußerungen entstan<strong>de</strong>n, die das Verstehen zum reinen kognitiven Akt <strong>de</strong>stillierten,<br />
und dieses Jahrhun<strong>de</strong>rt hat auch Formen <strong>de</strong>r Musik hervorgebracht, die nicht<br />
aufgrund kategorialer Anschauung, son<strong>de</strong>rn nur im Nachvollzug erlebt sein wollen.“ 82<br />
Die Psychologie bietet folglich divergieren<strong>de</strong> Aussagen über die Verwandtschaft von Musik<br />
und Sprache. Sind einerseits Gemeinsamkeiten erkennbar, wer<strong>de</strong>n sie als solche an<strong>de</strong>rerseits<br />
infragegestellt. Entwicklungs- und differentialpsychologisch liegen Musik und<br />
Sprache eng beieinan<strong>de</strong>r, wohingegen speziell neuere Musik – kognitionspsychologisch<br />
gesehen – diese Nähe aufzubrechen scheint.<br />
2.4. SOZIOLOGISCHE ASPEKTE<br />
Musik und Sprache sind un<strong>de</strong>nkbar ohne die Menschen, die sich mittels einer <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n<br />
Formen einan<strong>de</strong>r mitteilen. Jedwe<strong>de</strong> Botschaft steht daher in Relation nicht nur zu <strong>de</strong>n<br />
innerpsychischen Charakteristika einer Person, son<strong>de</strong>rn zugleich zu ihrem Umfeld und zu<br />
<strong>de</strong>ssen sozialer Struktur, die sowohl Voraussetzung als auch als Ziel <strong>de</strong>r Mitteilung ist. Im<br />
Falle »Musik« z.B. be<strong>de</strong>utet dies:<br />
„Soziostrukturelle Aspekte ergeben sich, wo Musik selbst soziale Beziehungen aufbaut und reproduziert:<br />
in Interaktion und Kommunikation; <strong>de</strong>ren institutioneller Verfestigung; in ökonomischen<br />
Abhängigkeiten zwischen Musikern und Hörern; in <strong>de</strong>r Ausprägung von Spezialistentum und Professionalisierung.<br />
[…] Der Gedanke, daß Menschen einan<strong>de</strong>r in Musik begegnen, und daß es ganze<br />
Menschen sind […], beschreibt mithin die grundsätzliche Relativität musikalischer Autonomie. […]<br />
Funktionen, Strukturen und Be<strong>de</strong>utungen können merklich variieren: innerhalb verschie<strong>de</strong>ner Musiziersphären,<br />
Stilbereiche, Gattungen, ja sogar historischen Epochen. Struktur-, Funktions- und<br />
Be<strong>de</strong>utungsforschung vermag also eine durchaus handgreifliche soziologische »Dechiffrierung«<br />
81 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 133<br />
82 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 144f.
36<br />
von Musik (Th. W. Adorno) zu leisten. […] Sie hält sich an verifizierbare Tatsachen: an wirklich<br />
menschliches Tun (K. Blaukopf), beobachtbares Verhalten, einschließlich seines be<strong>de</strong>utungsstiften<strong>de</strong>n<br />
Potentials.“ 83<br />
Hat die Soziologie im Laufe ihrer Geschichte zahlreiche Problemfel<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s menschlichen<br />
Miteinan<strong>de</strong>rs erkannt und erforscht, sind aber an dieser Stelle nur jene in Auswahl Ka<strong>de</strong>n<br />
vorzustellen, die sowohl auf Musik als auch auf Sprache bezogen wer<strong>de</strong>n können.<br />
2.4.1. INTERAKTION<br />
Einer Definition <strong>de</strong>s MGG zufolge bezeichnet Interaktion „<strong>de</strong>n Austausch bzw. die Übertragung<br />
von Impulsen zwischen Menschen, im elementarsten auf <strong>de</strong>r Basis stofflicher<br />
o<strong>de</strong>r energetischer Kopplungen, im >eigentlich< humanen Verhalten durch die Übermittlung<br />
von Information. Letztere, eine spezielle Art <strong>de</strong>r Interaktion, wird meist mit Kommunikation<br />
umschrieben – wobei die Vorstellung von einem Informationsaustausch nur als<br />
I<strong>de</strong>alisierung zu betrachten ist und eine sehr komplexe Abstimmung verschie<strong>de</strong>ner »Bewußtseine«<br />
(N. Lumann, 1984) zu anschlußfähigem Han<strong>de</strong>ln bezeichnet.“ 84 Dennoch ist an<br />
dieser Stelle ein kurzer Blick lohnenswert, welche Aspekte sich speziell mit <strong>de</strong>m „inter“<br />
<strong>de</strong>r Aktion verbin<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn zumin<strong>de</strong>st bedarf es dafür zweier Pole, nämlich eines »Ich«<br />
und seines »Du« – o<strong>de</strong>r wie oben (2.3.3.) bereits verwen<strong>de</strong>t: eines Ego und <strong>de</strong>ssen Alter.<br />
Sollte Ego die Einflußnahme von Alter nicht nur rezeptiv dul<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn gleichsam wechselseitig<br />
mitwirken, stellt sich die Frage, ob sie „die gegebene Impulse bestätigen – o<strong>de</strong>r<br />
aber korrigieren. Die erste Form wird kumulative Rückkopplung genannt, letzte ist kompensatorisch,<br />
von >kritisch
37<br />
Vollstruktur: Musiker 1<br />
Musiker 2<br />
Musiker 4<br />
Musiker 3<br />
Parallel dazu wuchsen die Gruppen <strong>de</strong>r<br />
Musiker über die für eine Vollstruktur<br />
kritische Größe von zehn bis zwölf Personen<br />
hinaus, so daß ein Vorgesetzter<br />
alle Aktionspfa<strong>de</strong> in seine Person zentralisiert.<br />
Darstellung aus MGG Bd. 6; S. 1638<br />
„Freilich bringt <strong>de</strong>r Strukturwan<strong>de</strong>l, zum Zentralismus hin, seinesteils Wi<strong>de</strong>rsprüche mit<br />
sich […]. Denn auch wenn die Rolle <strong>de</strong>s Chefs, per Definitionem, seine Allgegenwart und<br />
Omnipotenz verlangt (tatsächlich gehen die Orchestermusiker davon aus, daß er die Partitur<br />
vollständig beherrscht, alles wahrnimmt – und auf alles zu reagieren weiß […]): De facto<br />
ist die Allmacht, psychisch und physisch, begrenzt. […] Begreiflich daher, daß parallel<br />
zur Entfaltung <strong>de</strong>r Vorgesetztenstruktur Bemühungen stattfin<strong>de</strong>n, komplexe Interaktion<br />
selbst wie<strong>de</strong>r in ihr Recht zu setzen. Sie führt […] in die Werkstatt, hinter die verschlossene<br />
Tür. Die Institution, die gewonnen wird, heißt Probe. […] Um einen Preis: Die Interaktion<br />
erscheint als uneigentlich, vorläufig, ästhetisch halbernst, wenn nicht irrelevant, […] sobald<br />
sie öffentlich gemacht, hebt sie sich selber auf. Sie ist Rückkopplung, Dialog, Kritik,<br />
Kompensation: aber eingefroren, geronnen, stillgestellt.“ 87<br />
Geht man von einer Determination <strong>de</strong>r Interaktion durch eine Melodie aus, ergibt sich<br />
soziologisch eine Sternstruktur. In<strong>de</strong>s sind hierbei vielmehr Wahrscheinlichkeiten<br />
prägend, wann z.B. Melismen o<strong>de</strong>r Soli zur Fortschreitung Anlaß geben, als daß die<br />
Interaktionen über einen Vorgesetzten kanalisiert wür<strong>de</strong>n. Mehr noch interessiert dabei<br />
aber die Kopplung zum Publikum, das sich fragen muß, „ob eine als >Improvisation<<br />
angemel<strong>de</strong>te Darbietung die Qualifikation verdient o<strong>de</strong>r nicht. […] Noch die Opera seria<br />
<strong>de</strong>s 18. Jahrhun<strong>de</strong>rts besaß ein famoses Konzept: Sollte ersichtlich wer<strong>de</strong>n, ob ein Sänger<br />
die Verzierungen seiner Arie frei erfun<strong>de</strong>n hatte o<strong>de</strong>r lediglich mit Hilfe eines<br />
Präparationsbüchleins auswendiggelernt, verlangte das Publikum schlicht und<br />
durchdringend Da capo. Und wehe <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r die bereits ausgelieferten Roula<strong>de</strong>n noch<br />
einmal sang. Improvisation wur<strong>de</strong> ausgetestet: durch Rückkopplung.“ 88<br />
87<br />
Ka<strong>de</strong>n: »Musiksoziologie« in MGG Bd. 6, S. 1641, weist zugleich darauf hin, daß dies bereits früher so zu<br />
beobachten sei: „Die Metapher vom Gesprächshaften <strong>de</strong>r Haus- und Kammermusik [im 17. und 18. Jahrhun<strong>de</strong>rt]<br />
– die vor allem Goethe in Umlauf brachte, mit Blick auf das Streichquartett – be<strong>de</strong>utet eine schöne,<br />
wohlmeinen<strong>de</strong> Irreleitung. […] Musizieren, modisch ausgedrückt, ein Statt-Dialog.“<br />
88 Ka<strong>de</strong>n: »Musiksoziologie« in MGG Bd. 6, S. 1643
38<br />
Die Übertragung <strong>de</strong>r Kopplungssysteme auf Musiker und Nicht-Musiker ergibt gleichfalls<br />
kumulative o<strong>de</strong>r kompensatorische, geregelte o<strong>de</strong>r gesteuerte Kopplung – in <strong>de</strong>r Unterscheidung<br />
H. Besselers 89 – »Umgangsmusik« o<strong>de</strong>r »Darbietungsmusik«. Dabei ist jedoch<br />
nicht allein die Musik relevant, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>r Blickkontakt. Außereuropäische Kulturen<br />
kennen diesen Usus noch, wie er innereuropäisch ebenfalls lange Zeit überliefert war.<br />
„Bis hinein ins 19. Jh. – bei Militärmusik sogar bis zum heutigen Tag – wen<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r Dirigent<br />
nicht ab vom Publikum, son<strong>de</strong>rn diesem zu.“ Daß größtenteils jedoch Interaktionen<br />
unterdrückt wer<strong>de</strong>n, hat die Konsequenz, daß ihre Rudimente – z.B. <strong>de</strong>r Abschlußapplaus<br />
– wie Geld abstrahiert bzw. auf einer ökonomisch generalisierten Ebene gehoben wur<strong>de</strong>n.<br />
2.4.2. KOMMUNIKATION<br />
Der unter 2.4.1. gegebenen Definition zufolge, stellt Kommunikation ein »informationelle<br />
Kopplung« 90 dar, welche in Bezug auf Musik gern angezweifelt o<strong>de</strong>r gar verneint wird. Als<br />
ein Merkmal <strong>de</strong>r Kommunikation zählt weiterhin, daß sie keine stofflich-energetische<br />
Kopplung ist, son<strong>de</strong>rn eine medial vermittelte. „Dieses Medium bedarf in <strong>de</strong>r Regel einer<br />
Interpretation, <strong>de</strong>rgestalt, daß seine Zustän<strong>de</strong> als Zeichen gelten“ 91 . Daher sei an dieser<br />
Stelle ein konzentrierter Exkurs in die Semiotik gestattet:<br />
„Das Zeichen ist ein physikalisches Gebil<strong>de</strong> [= Signal], welches seine materielle Zuständlichkeit<br />
überschreitet, mehr aus sich herausholt, als in ihm selber steckt, Informationen übermittelt, Be<strong>de</strong>utungen<br />
aktiviert – und all dies wie<strong>de</strong>rholbar, in klassifikatorischer Regelmäßigkeit. Be<strong>de</strong>utung ihrersteils<br />
erwächst […] zunächst aus Verweisungszusammenhängen: aus einem Bezeichnen<strong>de</strong>n und<br />
einem Bezeichneten […]. Nicht zu verwechseln mit <strong>de</strong>m Zeichenbenutzer selbst, <strong>de</strong>m »interpreter«,<br />
markiert <strong>de</strong>r [»interpretant«] gleichwohl <strong>de</strong>ssen Erfahrungen, Assoziationen, begriffliche Verallgemeinerungen<br />
im Umgang mit Zeichen und Signifikat. […] Namentlich die gedanklichen Korrelate<br />
aber von Zeichen und Bezeichnetem bil<strong>de</strong>n häufig ganze Netze von semantischen Elementen […].<br />
Entschei<strong>de</strong>nd ist es >InformationBe<strong>de</strong>utung< usw. jeweils nicht als dingliche Entität zu fassen,<br />
son<strong>de</strong>rn als Wirkungsgefüge, als einen Wirkungszusammenhang.“ 92 Zeichen unterschei<strong>de</strong>t man<br />
nach ihrer Be<strong>de</strong>utungsarten neben appellative in <strong>de</strong>notative und klassifikatorische. „[Denotate]<br />
ordnen sich <strong>de</strong>m von ihnen Bezeichneten unter, und zwar vorsätzlich. […] Ihr Amt als Stellvertreter<br />
ist Repräsentation durch Differenz. […] Das Klassifikat ersetzt [hingegen] die Klasse, es hat an ihr<br />
teil, trägt ihre Merkmale, bezieht von ihr die I<strong>de</strong>ntität. […] Semiotische Systeme, die mit Denotationen<br />
operieren, [können] sich <strong>de</strong>n umfassen<strong>de</strong>n Be<strong>de</strong>utungshorizont, ja einen ganzen Kosmos <strong>de</strong>r<br />
Bezüglichkeiten erschließen. Bleibt <strong>de</strong>r Prozeß dagegen an Klassifizierungsleistungen hafte, verharrt<br />
er in einer »vorsemiotisch« kleineren Welt – obwohl <strong>de</strong>nnoch eine Welt <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utungen. […]<br />
Empirisch ermittelbar ist [bzgl. Musik], inwieweit Klangereignisse für einen Musik o<strong>de</strong>r Hörer die<br />
89 vgl. Hinton, S.: Gebrauchsmusik, in: Handwörterbuch <strong>de</strong>r musikalischen Terminologie. – Wiesba<strong>de</strong>n, 1988<br />
90 Ka<strong>de</strong>n: Musiksoziologie, S. 85<br />
91 Ka<strong>de</strong>n: »Musiksoziologie« in MGG Bd. 6, S. 1643<br />
92 Ka<strong>de</strong>n: »Zeichen« in MGG Bd. 9, S. 2149ff.
39<br />
entsprechen<strong>de</strong>n Qualitäten >haben< – o<strong>de</strong>r lediglich symbolisieren, signifizieren. Ersteres wäre Indiz<br />
für einen non-semiotische, letzteres für eine im engeren Sinn semiotische Motivation. […] Je<strong>de</strong>s<br />
Zeichen läßt sich also nach seiner Ähnlichkeit mit <strong>de</strong>m Bezeichneten, auf einer morphologischen<br />
Ebene, <strong>de</strong>finieren – und: nach seiner Kontingenz, <strong>de</strong>r >genetischen< Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit<br />
vom Donat, mithin zweiwertig. So gibt es ikonische und symbolische Setzungen, aber auch<br />
ikonische und symbolische Indices. […] Geht man nun freilich davon aus, daß Symbole in einem höheren<br />
Maße semiotisiert sind als Ikone (da sie vom Gegenstand ihrer Signifikation, durch Unähnlichkeit,<br />
weiter sich entfernen); be<strong>de</strong>nkt man <strong>de</strong>s weiteren, daß ein analoges Gefälle für Indices und<br />
Setzungen gilt, da letztere ungleich freier zu wählen sind als erstere, nämlich ad libitum: Dann kann<br />
man die Dimensionen <strong>de</strong>r Matrix mit semio<br />
In<strong>de</strong>x Setzung<br />
tischen Intensitätsstufen ausstatten […].“ 93<br />
Ikon Fußabdruck Piktogramm<br />
„Die semiotische Matrix [birgt] dynamische<br />
Symbol Rauch Buchstabe<br />
Verhältnisse in sich […], die Möglichkeit,<br />
<strong>de</strong>s Übergangs von Feld zu Feld. Die damit Matrix nach Ka<strong>de</strong>n: »Zeichen« in MGG Bd. 9, S. 2158<br />
verbun<strong>de</strong>ne Erhöhung o<strong>de</strong>r Erniedrigung <strong>de</strong>s Semiotizitätsgra<strong>de</strong>s aber ist ihresteils ein konstitutives<br />
Moment <strong>de</strong>s Zeichenprozesses […]. Die Semiotische Matrix besteht nicht aus Planquadraten; sie<br />
öffnet Optionen, Horizonte, ein Spannungsfeld semiotischer >Energien
40<br />
Ganzes-Beziehung aus <strong>de</strong>n eigentlich belangvollen Quellenzustän<strong>de</strong>n rekonstruieren; sie sind diesen<br />
willkürlich, arbiträr zugeordnet. […] Die Zustän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Mediums übernehmen eine Funktion, die<br />
als Repräsentation durch Setzung verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n darf.“ 95<br />
Diesen Codierungsprozessen, welche eine maßgebliche Instanz <strong>de</strong>r Gestaltung sozialer<br />
Beziehungen darstellen, entspricht <strong>de</strong>r Gehalt- bzw. Sinngrad <strong>de</strong>r Zeichen in <strong>de</strong>r Matrix.<br />
Differenziert man <strong>de</strong>n Sen<strong>de</strong>r einer Kommunikationshandlung von Quellen, die aufgrund<br />
ihrer Selbstdarstellung (<br />
) keines Mediums bedürfen, ergibt sich folgen<strong>de</strong>s Schema:<br />
Quelle 1<br />
Sen<strong>de</strong>r /Quelle<br />
Medium<br />
Empfänger<br />
Quelle 2<br />
Darstellung aus Ka<strong>de</strong>n: Musiksoziologie, S. 97<br />
Für <strong>de</strong>n Fall also, daß jemand nur von an<strong>de</strong>rem spricht und nichts über sich selbst mitteilt,<br />
wird <strong>de</strong>r Begriff Sen<strong>de</strong>r am plastischsten, auch wenn realiter die Übergänge zwischen <strong>de</strong>n<br />
Funktionen Sen<strong>de</strong>r und Quelle fließend sind. Der Empfänger hat dann – um Kenntnis von<br />
<strong>de</strong>n Quellzustän<strong>de</strong>n zu erlangen – die Codierungsmodalitäten zu i<strong>de</strong>ntifizieren und reversiv<br />
zu <strong>de</strong>-codieren. „Das Kernproblem je<strong>de</strong>r Kommunikation <strong>de</strong>finiert sich darin, daß Sen<strong>de</strong>r<br />
wie Empfänger über Deutungskonzepte verfügen – und daß diese Konzepte einan<strong>de</strong>r<br />
anzunähern, miteinan<strong>de</strong>r verträglich zu machen sind.“ 96 An dieser Stelle setzt die Debatte<br />
um die »Zeichenvorräte« ein, inwieweit I<strong>de</strong>ntität zwischen jenem <strong>de</strong>s Sen<strong>de</strong>rs und <strong>de</strong>m<br />
<strong>de</strong>s Empfängers hergestellt wer<strong>de</strong>n kann. Da bei<strong>de</strong> unterschiedliche Denotate einem Zeichen<br />
zuordnen können, bestimmt das Maß <strong>de</strong>r Kongruenz <strong>de</strong>r Zeichenvorräte über das<br />
Gelingen <strong>de</strong>r Kommunikation:<br />
Deutung 1<br />
Sen<strong>de</strong>r<br />
Denotat 1<br />
Medium<br />
Empfänger<br />
Darstellung aus Ka<strong>de</strong>n: »Musiksoziologie«<br />
< in MGG Bd. 6, S. 1647<br />
Denotat 2<br />
Deutung 2<br />
Der ungleichen Zuordnung von Be<strong>de</strong>utung in<strong>de</strong>s können weitere Unterschie<strong>de</strong> zwischen<br />
<strong>de</strong>n Kommunikanten zur Seite gestellt wer<strong>de</strong>n. Worte zu sagen bzw. zu verschweigen be<strong>de</strong>utet<br />
nämlich nicht nur zu wissen, was Kommunikation ist und was sie leistet – z.B. Ein<strong>de</strong>utigkeit<br />
–, son<strong>de</strong>rn auch, wie sie wächst – z.B. in welcher Verwendung Zeichen früher<br />
95 Ka<strong>de</strong>n: Musiksoziologie, S. 89ff.<br />
96 Ka<strong>de</strong>n: »Musiksoziologie« in MGG Bd. 6, S. 1646
41<br />
verwen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n –, um wirkliche Wissensaktualisierung 97 , eine Zustandsän<strong>de</strong>rung 98 zu<br />
ermöglichen. Neben <strong>de</strong>n handlungsorientierten Mo<strong>de</strong>llen im Sinne von »Übertragungshandlungen«<br />
zwischen Menschen ist aber auch darauf zu verweisen, daß Kommunikation<br />
weitere Facetten ausbil<strong>de</strong>t, die bisher Gesagtes teils zusammenfassen, teils ergänzen.<br />
2.4.2.1. MEHRFACHE KOMMUNIKATION<br />
Nach Schulz von Thuns „Grundlagen <strong>de</strong>r Kommunikationspsychologie“ 99 ist Kommunikation<br />
ein Prozeß auf mehreren Ebenen. Je<strong>de</strong> Mitteilung enthält „eine Sachinformation (worüber<br />
ich informiere), eine Selbstkundgabe (was ich von mir zu erkennen gebe), einen<br />
Beziehungshinweis (was ich von dir halte und wie ich zu dir stehe) [sowie] einen Appell<br />
(was ich bei dir erreichen möchte).“ 100 Das angesprochene Gegenüber hört eine solche<br />
Mitteilung entsprechend mit einem vierfachen Gehör:<br />
„Auf <strong>de</strong>r Sachebene <strong>de</strong>s Gesprächs gilt zum einen das Wahrheitskriterium wahr o<strong>de</strong>r unwahr (zutreffend<br />
/ nicht zutreffend), zum an<strong>de</strong>ren das Kriterium <strong>de</strong>r Relevanz : Sind die angeführten Sachverhalte<br />
für das anstehen<strong>de</strong> Thema von Belang / nicht von Belang? Zum Dritten erscheint das Kriterium<br />
<strong>de</strong>r Hinlänglichkeit : Sind die angeführten Sachhinweise für das Thema ausreichend, o<strong>de</strong>r muß<br />
vieles an<strong>de</strong>re auch bedacht sein? […] Ob ich will o<strong>de</strong>r nicht: Wenn ich jeman<strong>de</strong>n anspreche, gebe ich<br />
(durch Formulierung, Tonfall, Begleitmimik) auch zu erkennen, wie ich zum an<strong>de</strong>ren stehe und was<br />
ich von ihm halte – je<strong>de</strong>nfalls bezogen auf <strong>de</strong>n aktuellen Gesprächsstand. In je<strong>de</strong>r Äußerung steckt<br />
somit auch ein Beziehungshinweis, für welchen <strong>de</strong>r Empfänger oft ein beson<strong>de</strong>rs sensibles,<br />
(über)empfindliches Ohr besitzt. Aufgrund dieses Ohres wird entschie<strong>de</strong>n: Wie fühle ich mich behan<strong>de</strong>lt<br />
durch die Art, in <strong>de</strong>r du zu mir sprichst? […] Immer, wenn ich etwas von mir gebe, gebe ich<br />
auch etwas von mir (kund, preis)! Je<strong>de</strong> Äußerung enthält auch, ob ich will o<strong>de</strong>r nicht, eine Selbstkundgabe:<br />
einen Hinweis darauf, was in mir vorgeht, wie mir ums Herz ist, wofür ich stehe und wie<br />
meine Rolle auffasse. Dies kann wie<strong>de</strong>rum explizit geschehen («Ich-Botschaften») o<strong>de</strong>r implizit. […]<br />
Wenn ich das Wort ergreife und an jeman<strong>de</strong>n richte, will ich auch Einfluß nehmen; ich will <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />
nicht nur «erreichen», son<strong>de</strong>rn auch «bei ihm etwas erreichen».“ 101<br />
Zwar ist die Publikation ausdrücklich an Führungskräfte adressiert, doch hat sie beispielsweise<br />
auch die evangelische Seelsorge für sich ent<strong>de</strong>ckt. Ein Satz wie „Ich rufe vom<br />
Krankenhaus aus an.“ 102 informiert <strong>de</strong>n Seelsorger nicht nur über <strong>de</strong>n aktuellen Aufenthaltsort<br />
<strong>de</strong>r Person, son<strong>de</strong>rn möglicherweise auch darüber, daß die Person sich einsam<br />
97 vgl. dazu Grötze, Albrecht: Die Sprache <strong>de</strong>s Menschen: Ein Handbuch. – München: Kaiser, 1991<br />
98 Ka<strong>de</strong>n: Musiksoziologie, S. 87 sieht darin eine für die Kommunikations<strong>de</strong>finition wichtige Komponente.<br />
99<br />
Schulz von Thun, S. 31<br />
100<br />
Schulz von Thun, S. 33. Dieser Ansatz wird verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n Explikation <strong>de</strong>r Einteilung in klassifikatorische,<br />
<strong>de</strong>notative und appellative Deutungen einer Mitteilung nach Ka<strong>de</strong>n: »Zeichen« in MGG Bd. 9, S. 2153.<br />
101 Schulz von Thun, S. 34ff.<br />
102 Das Beispiel entstammt einer Vorlesung „Grundfragen <strong>de</strong>r Seelsorge“ bei Prof. Dr. theol. Ziemer an <strong>de</strong>r<br />
theologischen Fakultät <strong>de</strong>r Universität Leipzig.
42<br />
fühlt, <strong>de</strong>m Seelsorger gegenüber sympathisch eingestellt ist und <strong>de</strong>shalb versucht, speziell<br />
ihn zu einem Besuch zu provozieren, auch wenn es nicht wörtlich formuliert wird.<br />
Die Unterscheidung <strong>de</strong>r Ebenen einer Mitteilung ist aber hier insofern relevant, als daß sie<br />
nicht nur auf Sprache zutrifft, son<strong>de</strong>rn gleichfalls auf Musik übertragen wer<strong>de</strong>n kann. Insbeson<strong>de</strong>re<br />
hinsichtlich <strong>de</strong>r vierten Ebene sehen sich so manche Musikfreun<strong>de</strong> vor ein Rätsel<br />
im Umgang mit neuer und neuester Musik gestellt: „Was soll ICH damit?“ Diese Suchbewegung<br />
läßt ein Defizit seitens <strong>de</strong>r Urheber auf <strong>de</strong>r Appell-Ebene vermuten, zumin<strong>de</strong>st<br />
jedoch, daß das Publikum gewohnt ist, Mitteilungen auf diese Ebene hin zu befragen.<br />
Aber auch die an<strong>de</strong>ren Ebenen sind in Musik wie<strong>de</strong>rzufin<strong>de</strong>n: Die Selbstkundgabe ist z.B.<br />
– vielleicht unbewußt – häufig Anlaß, über das musikalische Schaffen Zugang zu erhalten<br />
zur Persönlichkeit <strong>de</strong>s Komponisten o<strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>s Musikers 103 . Schwieriger hingegen ist<br />
die Beziehungsebene nachzuvollziehen, da sie sich ausschließlich <strong>de</strong>r »angesprochenen«<br />
Person erschließt. Eine Rekapitulierung historischer Kontexte und Beziehungsgefüge ist<br />
von daher müßig. Hingegen ist <strong>de</strong>r Gegenwartsmusik auf dieser Ebene einiges zu entnehmen.<br />
Die Sachebene schließlich ist jene, wo Sprache im eigentlichen Sinne anzutreffen ist.<br />
Hier fin<strong>de</strong>t vorrangig <strong>de</strong>r Diskurs über Zeichen und Syntax bzw. über Werksanalysen statt,<br />
worauf im nächsten Kapitel näher eingegangen wird.<br />
2.4.2.2. NICHTS ALS KOMMUNIKATION<br />
Gegenüber diesen psychologischen und soziologischen Perspektiven verhan<strong>de</strong>lt Niklas<br />
Luhmann Kommunikation als eigenständiges Phänomen 104 , und zwar bezugnehmend auf<br />
die Entwicklungen in <strong>de</strong>r Systemtheorie bzw. Kybernetik unter <strong>de</strong>m Aspekt <strong>de</strong>r »Autopoiesis«<br />
105 , um „einen entsprechen<strong>de</strong>n Begriff von Kommunikation vorzustellen – und zwar<br />
einen Begriff, <strong>de</strong>r je<strong>de</strong> Bezugnahme auf Bewußtsein o<strong>de</strong>r Leben, also auf an<strong>de</strong>re Ebenen<br />
<strong>de</strong>r Realisation autopoietischer Systeme streng vermei<strong>de</strong>t.“ 106 Demnach kommt Kommunikation<br />
zustan<strong>de</strong> durch Unterscheidung von Information, Mitteilung und Verstehen 107 .<br />
103 Belege dafür sind die teils sachlich, teils spekulativ verfaßten Komponisten-Viten, wie z.B.: Begegnungen<br />
mit Bach: Ausgewählte Erzählungen über Johann Sebastian Bach und seine Musik / zusammengestellt von<br />
Rolf Grunow. – 3., stark erw. Aufl. – Berlin. E.V.A., 1978, worin das Vorwort angibt: „Die letzten Beiträge <strong>de</strong>s<br />
Buches sind von Hörern seiner unvergänglichen Musik geschrieben und wollen Zeugnis ablegen von <strong>de</strong>r<br />
überwältigen<strong>de</strong>n Wirkung Bachscher Werke auf ihr Gemüt. Wenn <strong>de</strong>r Leser dazu angeregt wird, Johann Sebastian<br />
Bach selbst in seiner Musik zu sich sprechen zu lassen, dann sind diese literarischen »Begegnungen«<br />
nicht umsonst vermittelt wor<strong>de</strong>n.“ Derartige Beispiele lassen sich auch über Interpreten fin<strong>de</strong>n.<br />
104 Luhmann, S. 4: „Nur die Kommunikation kann kommunizieren.“<br />
105<br />
Darunter versteht Luhmann Systeme, welche früher als Selbstorganisation bezeichnet wor<strong>de</strong>n sind.<br />
106<br />
Luhmann, S. 5<br />
107 Luhmann, S. 6: „Keine dieser Komponenten kann für sich alleine vorkommen. Nur zusammen erzeugen<br />
sie Kommunikation. Nur zusammen – dass heisst nur dann, wenn ihre Selektivität zur Kongruenz gebracht<br />
wer<strong>de</strong>n kann. Kommunikation kommt <strong>de</strong>shalb nur zustan<strong>de</strong>, wenn zunächst einmal eine Differenz von Mitteilung<br />
und Information verstan<strong>de</strong>n wird. Das unterschei<strong>de</strong>t sie von blosser Wahrnehmung <strong>de</strong>s Verhaltens
43<br />
Wahrnehmung allein ist nicht kommunikativ, d.h. „nicht ohne weiteres anschlussfähig.<br />
Man kann das, was ein an<strong>de</strong>rer wahrgenommen hat, nicht bestätigen und nicht wi<strong>de</strong>rlegen,<br />
nicht befragen und nicht beantworten.“ 108 Erst und nur mittels <strong>de</strong>r drei Selektionsvorgänge<br />
Information, Mitteilung und Verstehen könne Kommunikation konstituiert wer<strong>de</strong>n,<br />
welche sodann – konsequent autopoietisch – auch keinen äußeren Zweck verfolgt,<br />
son<strong>de</strong>rn „zur Zuspitzung <strong>de</strong>r Frage [führt], ob die mitgeteilte und verstan<strong>de</strong>ne Information<br />
angenommen o<strong>de</strong>r abgelehnt wer<strong>de</strong>n wird. […] Kommunikation dupliziert also […] die Realität.<br />
Sie schafft zwei Versionen: die Ja-Fassung und die Nein-Fassung, und zwingt damit<br />
zur Selektion.“ 109 Am Beispiel von Wertbeziehungen in <strong>de</strong>r Kommunikation führt Luhmann<br />
aus, daß Werte nicht kommuniziert wer<strong>de</strong>n, weil bekanntlich die Option zur Ablehnung<br />
dieser Werte besteht. Sie wer<strong>de</strong>n daher implizit vorausgesetzt, so daß eine ggf. konträre<br />
Wertvorstellung ausführlich argumentiert wer<strong>de</strong>n muß, wobei unmöglich so viele Werte<br />
erörtert wer<strong>de</strong>n können, wie implizit vorausgesetzt sind.<br />
„Man diskutiert nicht über Werte, son<strong>de</strong>rn über Präferenzen, Interessen, Vorschriften, Programme.<br />
[…] Psychologisch scheinen Werte eine ausseror<strong>de</strong>ntlich labile Existenz zu führen. Sie wer<strong>de</strong>n mal<br />
benutzt, mal nicht benutzt, ohne dass man dafür eine Art psychologische Tiefenstruktur ent<strong>de</strong>cken<br />
könnte. Ihre Stabilität ist […] ein ausschliesslich kommunikatives Artefakt, und das autopoietische<br />
System <strong>de</strong>s Bewusstseins geht damit um, wie es ihm gefällt. […] Denn es gibt keinen Selbstvollzug<br />
<strong>de</strong>r Werte, und man kann alles, was sie zu for<strong>de</strong>rn scheinen, im Vollzug immer noch entgleisen lassen,<br />
im Namen von Werten natürlich.“ 110<br />
Als Konsequenz resümiert Luhmann, daß das psychologische System – auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>s<br />
Bewußtseins operierend – differenziert wer<strong>de</strong>n muß von <strong>de</strong>m soziologischen System mit<br />
<strong>de</strong>r Kommunikation als Basis. Gegenseitige Wechselwirkungen <strong>de</strong>r Systeme sind beobachtbar<br />
und <strong>de</strong>mnach vorhan<strong>de</strong>n. Doch „man muss berücksichtigen, dass die Systeme<br />
füreinan<strong>de</strong>r intransparent sind, sich also wechselseitig nicht steuern können.“ 111 Letztlich<br />
spielt nach Luhmann das Bewußtsein mit <strong>de</strong>n Worten, wie umgekehrt die Worte mit <strong>de</strong>m<br />
Bewußtsein spielen. „Die autopoietische Autonomie <strong>de</strong>s Bewusstseins wird, so kann man<br />
sagen, in <strong>de</strong>r Kommunikation durch Binarisierung [ja/nein] repräsentiert und abgerufen.<br />
[…] Die Kommunikation lässt sich, an<strong>de</strong>rs gesagt, durch Bewusstsein stören und sieht dies<br />
sogar vor; aber nur in Formen, die in <strong>de</strong>r weiteren Kommunikation anschlussfähig sind,<br />
also kommunikativ behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n können.“ 112<br />
an<strong>de</strong>rer. Im Verstehen erfasst die Kommunikation einen Unterschied zwischen <strong>de</strong>m Informationswert ihres<br />
Inhalts und <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n, aus <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Inhalt mitgeteilt wird.“<br />
108<br />
Luhmann, S. 6<br />
109 Luhmann, S. 10f.<br />
110 Luhmann, S. 12f.<br />
111 Luhmann, S. 14<br />
112 Luhmann, S. 16
44<br />
Solches Spielen <strong>de</strong>r Systeme führt zu einem letzten Punkt innerhalb <strong>de</strong>s skizzierten Vorverständnisses,<br />
<strong>de</strong>nn ist von kommunikativen Systemen die Re<strong>de</strong>, darf nicht unerwähnt<br />
bleiben, daß Codierungsvorgänge versehentlich o<strong>de</strong>r absichtlich »falsch« verlaufen können.<br />
Während erstgenannte als »Irrtümer« innerhalb <strong>de</strong>r vorgestellten Systematik durchaus<br />
enthalten sein können, bil<strong>de</strong>n letztgenannte eine bisher unerwähnte neue Realität,<br />
<strong>de</strong>nn sie vertreten keine an<strong>de</strong>re. Am Beispiel <strong>de</strong>r »Lüge« zeigt sich die performative Kompetenz<br />
kommunikativer Handlungen 113 , daß sie eigene Realitäten zu schaffen im Stan<strong>de</strong><br />
sind. »Lüge« verweist nicht nur auf ein von ihr distanziertes Denotat, sie ereignet sich als<br />
Realität. An<strong>de</strong>re Beispiele sind <strong>de</strong>r »Eid«, die »Gratulation«, das »Gebet«. Insoweit also<br />
begriffliche Exaktheit in <strong>de</strong>n bisherigen Kapiteln über das Vorverständnis angestrebt wur<strong>de</strong>,<br />
zielten sie ebenfalls auf die Konstitution einer solchen als Realität.<br />
Die Soziologie – unterstützt durch die Physik, Medizin und Psychologie – führt die Gleichwertigkeit<br />
von Musik und Sprache beson<strong>de</strong>rs in kommunikativen Kontexten vor Augen.<br />
Haben die bisherigen Beobachtungen und Ableitungen aus Sicht <strong>de</strong>r Musikwissenschaft<br />
primär eine solche Äquivalenz erwiesen, drängt sich die Frage nach <strong>de</strong>r jeweiligen I<strong>de</strong>ntität<br />
um so stärker auf. Auf <strong>de</strong>r semiotischen Ebene in<strong>de</strong>s erwächst aus <strong>de</strong>r Suche nach Be<strong>de</strong>utungen<br />
in <strong>de</strong>n Zeichen ein <strong>de</strong>utliches Spannungsfeld zwischen Musik und Sprache,<br />
daß zu bestellen mit Hilfe <strong>de</strong>r Sprachwissenschaft nun folgend in Angriff genommen wird.<br />
113 vgl. Grötze, Albrecht: Die Sprache <strong>de</strong>s Menschen: Ein Handbuch. – München: Kaiser, 1991
45<br />
3. ASPEKTE DER SPRACHWISSENSCHAFT:<br />
Die Linguistik untersucht – grob verallgemeinert – Phänomene und Zusammenhänge in<br />
Bezug auf Sprachen bis zur Ebene <strong>de</strong>r Textgestalt, wo die Literaturwissenschaft einsetzt.<br />
Als Vertreter jener Wissenschaft soll nun endlich Manfred Bierwisch zu Wort kommen.<br />
1979 erscheint im Peters-Jahrbuch sein Aufsatz, in <strong>de</strong>m er einige Gemeinsamkeiten und<br />
Unterschie<strong>de</strong> von Sprache und Musik logisch-<strong>de</strong>duktiv vorstellt. Ausgehend von <strong>de</strong>m<br />
Fachgebiet <strong>de</strong>r Linguistik erkennt er in <strong>de</strong>ren Methodik eine Möglichkeit zum fachübergreifen<strong>de</strong>n<br />
Gedankenaustausch, so daß er eine Debatte um die Berührungspunkte zweier<br />
Disziplinen anbietet 114 , die in <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Landschaft voneinan<strong>de</strong>r separat und<br />
doch in einem beson<strong>de</strong>ren Verhältnis zueinan<strong>de</strong>r stehen: Musik- und Sprachwissenschaft.<br />
Daß Manfred Bierwisch als Vertreter seines Wissensgebietes repräsentativ ist, davon ist<br />
anbetracht seiner Lehrtätigkeit und Veröffentlichungen auszugehen, zumal in <strong>de</strong>r mir erreichbaren<br />
Literatur keine gegenteiligen Anzeichen zu ent<strong>de</strong>cken waren.<br />
Prof. Dr. phil. Dr. sc. Dr. h.c. Manfred Bierwisch, geboren am 28. Juli 1930 in Halle / Saale,<br />
machte 1949 sein Abitur an einem Gymnasium in Leipzig. Seine stu<strong>de</strong>ntische Laufbahn an<br />
<strong>de</strong>r Alma Mater Lipsiensis begann 1951 etwas chaotisch. Zunächst wur<strong>de</strong> er im Fachbereich<br />
Physik immatrikuliert, wechselte aber rasch zur Germanistik. Nur ein Jahr später<br />
wur<strong>de</strong> er wegen „Boykotthetze“ zu 1 Jahr und 6 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, aber<br />
bereits nach 10 Monaten im Zuge <strong>de</strong>s „Neuen Kurses“ nach 1953 vorzeitig entlassen, so<br />
daß er sein Studium fortsetzen konnte. Außer in Germanistik war er nun bis 1956 auch in<br />
Philosophie eingeschrieben. Nach seinem Staatsexamen im Fach Germanistik übernahm<br />
er bis 1962 eine Assistenz am Institut für <strong>de</strong>utsche Sprache und Literatur an <strong>de</strong>r Deutschen<br />
Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften zu Berlin. Bierwisch selbst schreibt über jene Zeit:<br />
„Für meinen Eintritt in die Aka<strong>de</strong>mie im Jahre 1957 wur<strong>de</strong>, wie ich später erfuhr, noch vor<br />
meinem Dienstantritt die [staatliche] Überwachung geregelt, weil ich mit <strong>de</strong>r Hypothek<br />
einer politischen Vorstrafe antrat.“ 115 Dennoch promovierte er 1961 an <strong>de</strong>r Universität Leipzig<br />
zum Dr. phil. Anschließend war Bierwisch bis 1973 Mitarbeiter <strong>de</strong>r Arbeitsstelle<br />
Strukturelle Grammatik <strong>de</strong>r Deutschen Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften zu Berlin, danach<br />
bis 1980 am Zentralinstitut für Sprachwissenschaft <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften <strong>de</strong>r<br />
DDR, wo er ein Jahr später zum Dr. sc. promovierte und bis 1991 die Leitung <strong>de</strong>r Forschungsgruppe<br />
Kognitive Linguistik innehatte. Daß ihm staatlicherseits nach wie vor Aufmerksamkeit<br />
galt, begrün<strong>de</strong>t er damit, daß „bereits in <strong>de</strong>n frühen siebziger Jahren (unter<br />
<strong>de</strong>m steten Druck <strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ologischen Ängste, die <strong>de</strong>r "Prager Frühling" ausgelöst hatte)<br />
114 expressis verbis in seinem Schlußwort und in <strong>de</strong>r Vorbemerkung <strong>de</strong>s Herausgebers<br />
115 Berliner Aka<strong>de</strong>mien, S. 181
46<br />
die Bestrebungen <strong>de</strong>s Strukturalismus, die in <strong>de</strong>r Kommunistischen Partei Frankreichs<br />
sich ausbreiteten, [begannen], die sogenannten Bru<strong>de</strong>rparteien zu beunruhigen.“ 116 Ferner<br />
dürften sicherlich seine Kontakte in die USA, wo er 1979 zum Honorary Member of the Linguistic<br />
Society of America ernannt wor<strong>de</strong>n war, zum Interesse <strong>de</strong>s Staates an seiner Person<br />
beigetragen haben, zumal – wie Bierwisch schreibt – die Aka<strong>de</strong>mie zusehends politisiert<br />
und isoliert wur<strong>de</strong>. „Die durchaus interessanten Möglichkeiten, die sich aus bestimmten<br />
Momenten <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>miestruktur ergaben, wur<strong>de</strong>n unter dieser Obsession <strong>de</strong>r<br />
Reglementierung und Überwachung erstickt und zerstört. Eine beson<strong>de</strong>rs trübe und<br />
schmerzliche Spätfolge <strong>de</strong>r Isolation, die das Ergebnis all <strong>de</strong>r Bevormundungen war, ist<br />
nach <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s realen Sozialismus sichtbar gewor<strong>de</strong>n, als zahlreichen Mitarbeitern,<br />
die sich in die Umstän<strong>de</strong> gefügt hatten, die internationalen Erfahrungen und Kontakte<br />
fehlten, die sich für das Bestehen in <strong>de</strong>r community als för<strong>de</strong>rlich, ja als unerläßlich erwiesen.<br />
Nicht wenige fühlten sich <strong>de</strong>shalb zu Recht o<strong>de</strong>r zu Unrecht zum zweiten Mal bestraft.“<br />
117 . 1985 war Bierwisch Auswärtiges Wissenschaftliches Mitglied <strong>de</strong>s Max-Planck-<br />
Institutes für Psycholinguistik in Nijmegen und zugleich Professor <strong>de</strong>r Linguistik an <strong>de</strong>r<br />
Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften <strong>de</strong>r DDR, <strong>de</strong>ren Korresponieren<strong>de</strong>s Mitglied er 1990 wur<strong>de</strong><br />
– in <strong>de</strong>mselben Jahr, als man ihm die Ehrendoktorwür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Universität Jena verlieh und er<br />
Mitbegrün<strong>de</strong>r sowie Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Gesellschaft für Sprachwissenschaft war. Im folgen<strong>de</strong>n<br />
Jahr wur<strong>de</strong> er Mitglied <strong>de</strong>r Aca<strong>de</strong>mia Europaea und Fellow am Wissenschaftskolleg zu<br />
Berlin. Seit 1992 obliegt ihm die Leitung <strong>de</strong>r Max-Planck-Arbeitsgruppe „Strukturelle<br />
Grammatik“ an <strong>de</strong>r Humboldt-Universität zu Berlin. Ebenfalls in diesem Jahr wur<strong>de</strong> er<br />
nicht nur zum Honorarprofessor an die Universität Stuttgart berufen, son<strong>de</strong>rn auch Mitglied<br />
<strong>de</strong>s Goethe-Instituts. In <strong>de</strong>m Jahr darauf wur<strong>de</strong> er Präsidiumsmitglied <strong>de</strong>s Goethe-<br />
Institutes und übernahm das Amt <strong>de</strong>s Vizepräsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r Berlin-Bran<strong>de</strong>nburgischen Aka<strong>de</strong>mie<br />
<strong>de</strong>r Wissenschaften sowie die Edward-Saphir-Professur <strong>de</strong>r Linguistic Society of<br />
America am Linguistic Summer Institute.<br />
Thematisch ist Bierwisch orientiert auf die Analyse <strong>de</strong>r Struktureigenschaften natürlicher<br />
Sprachen, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Syntax und Semantik, sowie auf die Problematik <strong>de</strong>r Sprache<br />
als Teil und im Zusammenhang <strong>de</strong>r kognitiven Ausstattung <strong>de</strong>s Menschen, die auch Einzelanalysen<br />
zur Organisation lexikalischer Informationen und zu Strukturbildungsprozessen<br />
<strong>de</strong>s Menschen umfaßt. 118<br />
116 Berliner Aka<strong>de</strong>mien,S. 179f.<br />
117 Berliner Aka<strong>de</strong>mien, S. 182<br />
118 Biographie nach Jahrbuch, 1994
47<br />
3.1. VORAUSSETZUNGEN VON MANFRED BIERWISCH<br />
Neben <strong>de</strong>n kurz skizzierten biographischen Einflüssen spielten nach Angaben Bierwischs<br />
diverse Kontakte eine maßgebliche Rolle für das Erscheinen jenes Aufsatzes, <strong>de</strong>r als überarbeite<br />
Fassung zweier Rundfunkfunkvorträge aus <strong>de</strong>m Mai 1977 entstand.<br />
„Sie wur<strong>de</strong>n von Dieter Boeck in einem nicht nur formalen Sinn angeregt und betreut. Der<br />
Inhalt meiner Überlegungen ist wesentlich beeinflußt durch das, was ich in Gesprächen<br />
und Diskussionen mit zahlreichen Kollegen und Freun<strong>de</strong>n gelernt habe. Neben vielen an<strong>de</strong>ren<br />
habe ich dafür vor allem Dr. Friedhart Klix, Professor Dr. Georg Knepler, Dr. Hans<br />
Geissler, Dr. Hans Grüß, Dr. Eberhardt Klemm, Dr. Ewald Lang und Dr. Doris Stockmann zu<br />
danken. […] Was ich von meinen Gesprächspartnern gelernt habe, ist [aber] nicht immer<br />
mit <strong>de</strong>ren Auffassung i<strong>de</strong>ntisch. Dies gilt nicht für meinen Freund Klaus Baumgärtner, <strong>de</strong>r<br />
mit in nur äußerlich unterbrochenen Gesprächen verständlich gemacht hat, worauf ich<br />
hinauswollte und was dafür nötig wäre.“ 119<br />
Diese Aufzählung macht in<strong>de</strong>s <strong>de</strong>utlich, daß Bierwisch über seinen eigenen linguistischen<br />
Horizont hinaus nicht nur soziologische o<strong>de</strong>r semiotische, son<strong>de</strong>rn auch musikwissenschaftliche<br />
und -praktische Aspekte in seine Überlegungen einbezogen hat. Insbeson<strong>de</strong>re<br />
<strong>de</strong>r Rekurs auf Kneplers »Geschichte als Weg zum Musikverständnis« aus <strong>de</strong>m Jahre 1977<br />
dokumentiert die Aktualität <strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ellen Konzeption zum Zeitpunkt ihrer Ausstrahlung.<br />
Anzumerken ist, daß die Sendung in einer Zeit stattfand, als bei<strong>de</strong> <strong>de</strong>utschen Staaten politisch<br />
bereits weiter auseinan<strong>de</strong>r gerückt waren. In <strong>de</strong>r BRD hatten die »Dritten Programme«<br />
eine mediale Sparte etabliert, die Raum bot für wissenschaftliche Vorträge über die<br />
Lan<strong>de</strong>sgrenzen hinaus. Ob die Beiträge Bierwischs in diesem Kontext quasi als wissenschaftlicher<br />
Gegenschlag <strong>de</strong>r DDR zu verstehen sind, wird jedoch Spekulation bleiben.<br />
3.2. AUSSAGEN VON MANFRED BIERWISCH<br />
3.2.1. EINLEITENDE BEMERKUNGEN<br />
Zunächst steckt Bierwisch das Ziel seines Aufsatzes ab, Sprache und Musik in ihrer Wirkungsweise<br />
und ihrem Aufbau etwas genauer zu verstehen mittels eines Vergleiches mit<br />
<strong>de</strong>r Sprachwissenschaft. Gleich zu Beginn klärt Bierwisch, daß für ihn sich <strong>de</strong>r Unterschied<br />
in begrifflicher und anschaulicher Mitteilung, nämlich zwischen Sagen und Zeigen manifestiert.<br />
Sodann bemerkt Bierwisch, daß er einerseits nur Deutsch als Sprache, an<strong>de</strong>rerseits<br />
nur die europäische Musiktradition berücksichtige, weil bei<strong>de</strong> durchaus repräsentativ sind<br />
als jeweiliger wissenschaftlicher Gegenstand. Doch zugleich gibt er zu be<strong>de</strong>nken: „Musik<br />
119 Bierwisch, S. 90
48<br />
und Sprache als Zeichensysteme verschie<strong>de</strong>ner Art miteinan<strong>de</strong>r zu vergleichen, [be<strong>de</strong>utet]<br />
nicht, daß sie sich durch <strong>de</strong>n Rückgriff auf ihren Zeichencharakter in gleicher Weise erschließen<br />
lassen.“ 120 Dennoch setzt er seine Ausführungen mit direkten Vergleichen fort.<br />
3.2.2. <strong>MUSIK</strong>, <strong>SPRACHE</strong>, LITERATUR<br />
Eine Unterscheidung, wie sie zwischen Sprache und Literatur üblich ist, wer<strong>de</strong> bemerkenswerter<br />
Weise auf Musik nicht angewandt. Prinzipiell unterschei<strong>de</strong>n sich die Eigenschaften<br />
<strong>de</strong>s Mediums Sprache von <strong>de</strong>n Bedingungen seiner ästhetischen Verwendung,<br />
weshalb die Sprach- und Literaturwissenschaft – wenn auch noch gar nicht so lange und<br />
auch nicht konsequent – voneinan<strong>de</strong>r geschie<strong>de</strong>n seien. Diese Funktion fehle bei Musik<br />
gänzlich. Daß Sprache eine Vielfalt <strong>de</strong>r Verwendungsmöglichkeiten ausgebil<strong>de</strong>t habe, z.B.<br />
in Kommunikations- und Erkenntnisprozessen und dabei keineswegs Literatur sei, unterschei<strong>de</strong><br />
sie von Musik, da musikalische Gebil<strong>de</strong> ausschließlich Gegenstand <strong>de</strong>r Ästhetik<br />
seien 121 . Im Rahmen diverser Verhaltensabläufe könnten bei<strong>de</strong> diese zwar organisieren,<br />
also begleiten, glie<strong>de</strong>rn, auslösen o<strong>de</strong>r been<strong>de</strong>n, jedoch beschreiben, erläutern, darstellen<br />
usw. könne man sie nur mittels Sprache. Kurz: „Man kann mit Sprache sowohl Kunst<br />
machen wie über Kunst sprechen, mit Musik ist nur das erstere möglich.“ 122<br />
Eine zweite Unterscheidung betrifft die Spezifik <strong>de</strong>r Inhalte: mit Sprache könne je<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>nkbare Sachverhalt o<strong>de</strong>r Gegenstand charakterisiert wer<strong>de</strong>n innerhalb bestimmter<br />
Grenzen <strong>de</strong>r Genauigkeit 123 , bei Musik sei hingegen die Frage bereits fraglich, je<strong>de</strong>nfalls<br />
die Klasse <strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ntifizierbaren Sachverhalte sei weit kleiner anzunehmen, zumal die musikalische<br />
Charakterisierung generell an<strong>de</strong>rer Art sei, nämlich ein Vorführen statt ein<br />
Benennen. Die Mittel <strong>de</strong>r Sprache seien nach Bierwisch von ihren Inhalten unabhängiger<br />
als Mittel <strong>de</strong>r Musik, woraus <strong>de</strong>ren Vielfalt möglicher Verwendungsweisen resultiere.<br />
Als eine dritte Unterscheidung nennt Bierwisch die unterschiedliche Ausprägung <strong>de</strong>r Mittel:<br />
Die Feststellung, daß es einerseits unterschiedliche, aber äquivalente Sprachen gibt,<br />
<strong>de</strong>ren Gesetzmäßigkeiten ihre Gemeinsamkeiten sowie Unterschie<strong>de</strong> und damit ihren Status<br />
als wissenschaftlichen Gegenstand begrün<strong>de</strong>n, mache an<strong>de</strong>rerseits keinen Sinn bei<br />
Musik. Auch wenn historisch und geographisch verschie<strong>de</strong>ne Systeme musikalischer Mittel<br />
existieren, so sei doch eine Übersetzung unsinnig, weil musikalische Mittel – wie erwähnt<br />
– kaum von Inhalten lösbar seien. „Diese Aufzählung ist unvollständig und ganz<br />
120<br />
Bierwisch, S. 10<br />
121 Son<strong>de</strong>rsignale <strong>de</strong>r Jäger und <strong>de</strong>r Militärs sind bereits in <strong>de</strong>n Vorbemerkungen ausgeklammert wor<strong>de</strong>n.<br />
122 Bierwisch, S. 11<br />
123 Bierwisch gesteht jedoch ein, daß das Unterscheidungsvermögen bei Gesichtern o<strong>de</strong>r Stimmen größer<br />
sei, als es sich mit abstrakten sprachlichen Mitteln darstellen läßt.
49<br />
provisorisch, aber sie liefert Anhaltpunkte, die einen sinnvollen Vergleich von Musik und<br />
Sprache leiten können.“ 124<br />
Eine Nebenbemerkung Bierwischs zu historischen und systematischen Disziplinen <strong>de</strong>r<br />
Sprach-, Literatur- und Musikwissenschaft soll ver<strong>de</strong>utlichen, daß „<strong>de</strong>r Vergleich von Musik<br />
und Sprache unter linguistischem Gesichtspunkt nur in <strong>de</strong>m Maß sinnvoll und klärend<br />
ist, wie dabei zugleich <strong>de</strong>utlich wird, warum musikalische Mittel so funktionieren, daß sie<br />
stets Musik erzeugen, sprachliche Mittel aber nicht notwendig Literatur.“ 125<br />
3.2.3. <strong>SPRACHE</strong> <strong>UND</strong> <strong>MUSIK</strong> ALS AKUSTISCHE KOMMUNIKATIONSFORMEN<br />
Gemeinsamkeiten bestün<strong>de</strong>n nach Bierwisch sowohl in <strong>de</strong>r akustischen Erscheinung als<br />
auch darin, daß sie eine Schriftform, nämlich eine abgeleitete Repräsentation <strong>de</strong>r zur<br />
Kommunikation genutzten Zeichen hervorgebracht haben, wodurch ein externes, intersubjektives<br />
Gedächtnis bereitstehe, das wie<strong>de</strong>rum Einfluß auf die akustische Erscheinungen<br />
habe, wobei Sprache jedoch im Stan<strong>de</strong> sei, auch in <strong>de</strong>r abgeleiteten Form verstan<strong>de</strong>n<br />
zu wer<strong>de</strong>n – im Gegensatz zur Musik bzw. zur lautformabhängigen Sprache: <strong>de</strong>r Dichtung.<br />
Die Termini <strong>de</strong>r Teilüberschrift »Akustische« und »Kommunikationsprozesse« seien in<strong>de</strong>s<br />
als Lexeme in sich erklärungsbedürftig. Zunächst ereignet sich Sprache wie Musik akustisch<br />
– nämlich in <strong>de</strong>r Zeit, wodurch sie sich unterschei<strong>de</strong>n von an<strong>de</strong>ren Künsten wie <strong>de</strong>r<br />
Bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Kunst, <strong>de</strong>m Stummfilm o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Tanz. Hingegen wie die Gestaltung <strong>de</strong>r Zeit<br />
sich glie<strong>de</strong>rt und funktionell belegt ist, unterschei<strong>de</strong> die Sprache von <strong>de</strong>r Musik. Für Musik<br />
z.B. sei speziell die Synchronisierung verschie<strong>de</strong>ner Aktivitätsmuster für die Konstituierung<br />
ihres Inhaltes relevant, während Sprache dies lediglich als Begleiteffekt impliziert.<br />
Als dann ist <strong>de</strong>r Kommunikationsprozeß – vorläufig – <strong>de</strong>rart <strong>de</strong>finiert, daß jemand jeman<strong>de</strong>m<br />
etwas mitteilt. Musik wie Sprache seien jedoch nicht ausschließlich als solche Prozesse<br />
<strong>de</strong>finiert. Die Frage ist, »wer« »wem« »was« mitteilt und was »mitteilen« be<strong>de</strong>utet.<br />
Im Schema von Sen<strong>de</strong>r-Nachricht-Empfänger sei dies üblicherweise dargestellt, wobei<br />
nach Bierwisch die Nachricht die Schallwellen sind. Die Probleme dieses Schemas entstün<strong>de</strong>n<br />
aber da, wo man z.B. die Sen<strong>de</strong>r als ein Orchester o<strong>de</strong>r die Empfänger als Publikum<br />
vorstellt, weil Kollektiva hier in ihrer Vollständigkeit <strong>de</strong>r Funktion variieren. Bierwisch<br />
geht davon aus, daß je<strong>de</strong>r Hörer ein kompletter Empfänger sei, während nicht je<strong>de</strong>r Musiker<br />
im Orchester ein kompletter Sen<strong>de</strong>r sei. Nebeneffekte <strong>de</strong>r Kollektiva beeinflussen <strong>de</strong>n<br />
Vorgang <strong>de</strong>r Kommunikation nicht, son<strong>de</strong>rn gestalten ihn beson<strong>de</strong>rs aus – beson<strong>de</strong>rs im<br />
Falle, daß die Aufnahme durch das Aufzunehmen<strong>de</strong> zeitlich strukturiert wird wie bei <strong>de</strong>r<br />
124 Bierwisch, S. 12<br />
125 Bierwisch, S. 14
50<br />
Tanzmusik. Aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>s kollektiven Sen<strong>de</strong>rs sei in<strong>de</strong>s fraglich, wie die gemeinsame<br />
Botschaft formuliert wer<strong>de</strong>n muß, weshalb eine Vorbereitungsphase für solche<br />
Mitteilungen Voraussetzung ist: Planung, Aufbau und Aussendung vollziehen sich nach<br />
Bierwisch selten in einem Schritt. Betrachte man die letzte Phase <strong>de</strong>r Hörbarmachung, so<br />
sei für die Musik bezeichnend, daß ein singulärer Sen<strong>de</strong>r und Empfänger einen Son<strong>de</strong>rfall,<br />
bei Sprache dagegen <strong>de</strong>n Grundtyp darstelle. Die Erklärung hierfür fin<strong>de</strong> sich in <strong>de</strong>r Diskrepanz<br />
zwischen Zweck und Funktion bzw. primär zwischen Struktur und Inhalt, die wie<strong>de</strong>rum<br />
von <strong>de</strong>r letzten Phase aus entwickelt wür<strong>de</strong>n.<br />
3.2.4. GR<strong>UND</strong>BEDINGEN DER KOMMUNIKATION<br />
Laut Bierwisch gehören Schall und Mitteilung zwingend zusammen in diesem Kontext.<br />
Mittels einer logischen Ableitung von Thesen und Bedingungen von Ereignissen, Absichten,<br />
Wirkungen, Hörern und Sen<strong>de</strong>rn resümiert Bierwisch, daß „gleichgültig, ob H [<strong>de</strong>r<br />
Hörer] die Mahnung befolgt o<strong>de</strong>r nicht: Wenn er das Klopfen als Mahnung verstan<strong>de</strong>n hat<br />
– und nur dann –, ist eine echte Mitteilung zustan<strong>de</strong> gekommen. […] Sen<strong>de</strong>r und Empfänger<br />
sehen bei<strong>de</strong> das Signal als Auslöser für die Wirkung an, wegen dieser Wirkung wird es<br />
produziert, und es wirkt auch nur, weil es um dieser Wirkung willen produziert wird.“ 126<br />
Freilich könne ein Signal mehrere Be<strong>de</strong>utungen tragen: eine kommunikative W(k) und<br />
eine extrakommunikative W(n), wobei Musik zumeist über die letztere die erstere maßgeblich<br />
motiviere, während Sprache beinahe gänzlich ohne W(n) funktioniere. W(k) hingegen<br />
stellt nach Bierwisch einen Komplex mehrerer Komponenten dar, die unterschiedlich<br />
stark in Erscheinung treten. Daß W(k) in beabsichtigter Form zustan<strong>de</strong> kommt, sei u.U. <strong>de</strong>r<br />
Tatsache geschul<strong>de</strong>t, daß bei<strong>de</strong> Parteien einen gemeinsamen Zeichenvorrat benutzen. Die<br />
teils vorausgesetzte Äquivalenz <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung mit <strong>de</strong>r Mitteilung hingegen ist – so Bierwisch<br />
– falsch, insofern sich zwischen diesen ggf. eine große Diskrepanz ergibt. Daß die<br />
Wirkung an Signale gebun<strong>de</strong>n ist, be<strong>de</strong>utet für ihn zugleich, daß Signale mit ihrer Wirkung<br />
i<strong>de</strong>ntisch (Primärsituation) bzw. situationsabhängig (konventionelle Prinzipien) sein können.<br />
»Chamäleonhafte Zeichen« ohne Primärsituation o<strong>de</strong>r Gebil<strong>de</strong> ohne konventionelle<br />
Prinzipien verleiten Bierwisch zu <strong>de</strong>r Annahme, „daß durch die Bezugnahme auf einen<br />
Zeichenvorrat mehrere Stufen <strong>de</strong>s ‚Verstehens’ einer kommunikativen Äußerung entstehen“<br />
127 , nämlich von Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Zeichen bis zur beabsichtigten Mitteilung. Bei Musik<br />
stelle sich die Sachlage genauso dar – mit <strong>de</strong>m Unterschied, daß nicht klar sei, was Be<strong>de</strong>utungen<br />
und Mitteilungen sind. „Ein zentrales Problem ist dabei die Tatsache, daß<br />
126 Bierwisch, S. 19<br />
127 Bierwisch, S. 22
51<br />
Sprache und Musik nicht nur erlauben, mit <strong>de</strong>n [jeweils] gleichen Zeichen ggf. viele verschie<strong>de</strong>ne<br />
Mitteilungen zu kommunizieren, son<strong>de</strong>rn vor allem auch nach Bedarf neue<br />
komplexe Zeichen zu bil<strong>de</strong>n.“ 128<br />
3.2.5. ZEICHEN <strong>UND</strong> ZEICHENSYSTEME<br />
Zeichen sind nach Bierwisch zunächst eine beson<strong>de</strong>re Form von Kenntnissen <strong>de</strong>r Partner,<br />
die sich auf Signalereignisse beziehen. Zeichen Z haben – um eine Beziehung zwischen<br />
<strong>de</strong>m Ereignis und <strong>de</strong>r Wirkung herzustellen – zwei Aspekte: eine Form F und eine Be<strong>de</strong>utung<br />
B. Erstere reguliere als Muster die Artikulation bzw. die I<strong>de</strong>ntifizierung <strong>de</strong>s Signals<br />
als solches. „Die Beziehung zwischen Ereignis und Zeichenform kommt für <strong>de</strong>n Hörer also<br />
aufgrund <strong>de</strong>r Mechanismen zustan<strong>de</strong>, die allgemein die ordnen<strong>de</strong> Wahrnehmung <strong>de</strong>r<br />
Umwelt tragen.“ 129 Letztere hingegen sei mit W(k) verbun<strong>de</strong>n und konkretisiere die Zeichen<br />
situationsspezifisch. Ihre Grenzen und ihren Wert – so Bierwisch – legen Zeichen innerhalb<br />
von Systemen fest, so daß sowohl Formen als auch Be<strong>de</strong>utungen zu Elementen<br />
eines eigens strukturierten Bereichs wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r durch ein bestimmtes Zuordnungsmuster<br />
von F und B charakterisiert ist: Z=F ? B. „Die Zuordnung <strong>de</strong>r hier gefor<strong>de</strong>rten Art, die<br />
zwei strukturierte Mengen so aufeinan<strong>de</strong>r abbil<strong>de</strong>t, daß die Elemente <strong>de</strong>r einen die <strong>de</strong>r<br />
an<strong>de</strong>ren repräsentieren können, heißt üblicherweise Co<strong>de</strong>.“ 130 Dabei unterschei<strong>de</strong>t Bierwisch<br />
Co<strong>de</strong>s mit geschlossenem Umfang (Morse) von jenen, die über Regeln verfügen,<br />
„mit <strong>de</strong>ren Hilfe beliebige komplexe Formen gebil<strong>de</strong>t und ihnen Be<strong>de</strong>utungen zugeordnet<br />
wer<strong>de</strong>n können.“ 131 Zeichenvorräte seien daher als »Systeme zur Zeichenbildung« zu verstehen.<br />
Deren Struktur setzt sich nach Bierwisch zusammen aus:<br />
(a) <strong>de</strong>r Struktur von F, da sich geglie<strong>de</strong>rte Lautmuster bei Sprache wie Musik fin<strong>de</strong>n, und<br />
(b) <strong>de</strong>r Struktur von B. Hier verweist Bierwisch darauf, daß sich diese bei Sprache mittels<br />
gedanklicher Strukturen konstruieren läßt, die aus <strong>de</strong>r Realität abstrahiert wur<strong>de</strong>n. Für<br />
Musik ergebe sich diese Struktur aus <strong>de</strong>r Struktur <strong>de</strong>r Gesten. Ihr Konnex ergebe sich aus<br />
(c) <strong>de</strong>r Beziehung bei<strong>de</strong>r Bereiche, daß eine be<strong>de</strong>utungsbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Syntax die Zeichenverknüpfung<br />
bei Sprache regelt. Bei Musik hingegen sorgt – so Bierwisch – <strong>de</strong>r analoge Aufbau<br />
von Zeichen und Be<strong>de</strong>utung für <strong>de</strong>ren Relation.<br />
In einem Randvermerk geht Bierwisch auf Symbole ein, welche nach Hjelmslev Formen<br />
sind, die ohne Be<strong>de</strong>utungsstruktur auf Mitteilungen bezogen wer<strong>de</strong>n können. Dem Gedanken,<br />
ob Musik <strong>de</strong>mnach als Symbolsystem zu verstehen sei, geht Bierwisch aber nicht<br />
128 Bierwisch, S. 23<br />
129 Bierwisch, S. 24<br />
130 Bierwisch, S. 26<br />
131 Bierwisch, S. 27
52<br />
nach, son<strong>de</strong>rn formuliert die These, daß Form und Be<strong>de</strong>utung in <strong>de</strong>r Musik keine separaten<br />
Bereiche bil<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn eher Interpretationen ein und <strong>de</strong>rselben Struktur sind. Darin<br />
erkennt er <strong>de</strong>n Grund dafür, „daß in <strong>de</strong>r Musik die Be<strong>de</strong>utung nicht wirklich von ihren formalen<br />
Mitteln angehoben wer<strong>de</strong>n kann.“ 132<br />
3.2.6. KOMMUNIKATION, KOGNITIVE <strong>UND</strong> EMOTIONALE STRUKTUREN<br />
Der Erwerb und Gebrauch von Sprache sind laut Bierwisch wichtige Elemente <strong>de</strong>s menschlichen<br />
Sozialisationsprozesses. Vermutlich gelte dies für fundamentale musikalische Verfahren<br />
auch. 133 Ausgangspunkt für bei<strong>de</strong> akustische Kommunikationsformen dürfte die<br />
vormenschliche Lautgebung sein als Ausdruck interner Zustän<strong>de</strong> bzw. zur Verhaltensregulation.<br />
Daraus folgt, „daß die Produktion und Perzeption sprachlicher Signale auf eigenen,<br />
spezialisierten Mechanismen beruht, <strong>de</strong>ren Wirkungsweise sich von <strong>de</strong>nen für an<strong>de</strong>re<br />
akustische Signale <strong>de</strong>utlich unterschei<strong>de</strong>n läßt.“ 134 Die weitere Entwicklung habe verschie<strong>de</strong>ne<br />
Verarbeitungssysteme <strong>de</strong>r Lautformen hervorgebracht mit unterschiedlichen<br />
Arten <strong>de</strong>r Strukturbildung. Hinsichtlich <strong>de</strong>r Verschie<strong>de</strong>nartigkeit <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utungsbereiche<br />
sei Sprache als Verbindung von kommunikativen und kognitiven Strukturen zu charakterisieren,<br />
wodurch bei<strong>de</strong>n Struktursystemen prinzipiell neue Leistungsfähigkeiten eröffnet<br />
wür<strong>de</strong>n durch die Loslösung <strong>de</strong>r Kommunikation von <strong>de</strong>r originären Lautgebungssituation<br />
und <strong>de</strong>r Kognition hinsichtlich neuer Situationszusammenhänge. Motivationale Bindungen<br />
können – müssen aber nicht – bei Sprache erhalten bleiben: Die Art <strong>de</strong>r Signalproduktion<br />
kann auch verbal codiert wer<strong>de</strong>n, so Bierwisch. Da Musik hingegen keine begrifflichen<br />
Strukturen codiere, also kein Zeichensystem für kognitive Be<strong>de</strong>utungen sei 135 , son<strong>de</strong>rn<br />
jene Komponenten verfügbar mache, „die durch die Sprache von <strong>de</strong>r festen Bindung<br />
an klassifikatorische Merkmale freigesetzt wer<strong>de</strong>n“ 136 , hat sie eine an<strong>de</strong>re Funktion, nämlich<br />
emotionale statt kognitive Prozesse sozial zugänglich zu machen und also gesellschaftlich<br />
wirksam wer<strong>de</strong>n zu lassen. Nebenbei weist Bierwisch darauf hin, daß die mit<br />
bei<strong>de</strong>n Zeichenformen vermittelbaren Wirkungen aber nicht nur Gedanken o<strong>de</strong>r Gefühle<br />
seien! Gera<strong>de</strong> die verbale Unschärfe – beson<strong>de</strong>res bei Musik – läßt ihn hoffen.<br />
132 Bierwisch, S. 28<br />
133<br />
Unmusikalität versteht Bierwisch als Produkt bestimmter soziokultureller Bedingungen, welche die vorhan<strong>de</strong>ne<br />
Disposition hemmen.<br />
134 Bierwisch, S. 28, Bierwisch bemerkt dazu, daß die angeborene Disposition zu Sprache auch bei motorischer<br />
Aphasie vorauszusetzen ist.<br />
135 Hier wi<strong>de</strong>rspricht Bierwisch <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e Kneplers, Musik könne semantisiert wer<strong>de</strong>n.<br />
136 Bierwisch, S. 30
53<br />
3.2.7. SPRACHKENNTNIS <strong>UND</strong> <strong>MUSIK</strong>KENNTNIS<br />
Produktion und Perzeption musikalischer wie sprachlicher Co<strong>de</strong>s beruhen laut Bierwisch<br />
auf dafür notwendigen Kenntnissen und Fähigkeiten, worunter in<strong>de</strong>s nicht Sachwissen<br />
o<strong>de</strong>r Fertigkeiten zu verstehen seien. Die Zeichenbildungsverfahren bei<strong>de</strong>r Lautformen<br />
erfor<strong>de</strong>rn abrufbare Grun<strong>de</strong>lemente und darauf anwendbare kombinatorische Regeln.<br />
„Die Gesamtheit <strong>de</strong>r Mittel, die die Form und Be<strong>de</strong>utung aller möglichen Ausdrücke zugänglich<br />
machen, [wird für Sprache] durch die Grammatik beschrieben.“ 137 Bei Musik sei<br />
eine solche Regulierung (noch) nicht beschrieben wor<strong>de</strong>n, weshalb von Bierwisch <strong>de</strong>r<br />
Terminus „musikalischer Co<strong>de</strong>“ bemüht wird.<br />
Die Herkunft dieses Gedächtnisbesitzes ist nach Bierwisch einerseits in <strong>de</strong>r phylogenetischen<br />
Ausstattung <strong>de</strong>s Organismus und an<strong>de</strong>rerseits in <strong>de</strong>r individuellen Erfahrung zu<br />
suchen. Einerseits seien nämlich physiologisch nur bestimmte Lautstrukturen möglich<br />
sowie rational nur bestimmte konzeptionelle Strukturen als auch psychologisch nur bestimmte<br />
Mechanismen emotiver Prozesse mit Bindungen an physiologische Vorgänge und<br />
logisch nur bestimmte Grundschemata kombinatorischer Operationen. An<strong>de</strong>rerseits rege<br />
die Konfrontation mit konkreten Lautgebil<strong>de</strong>n die Aktivierung <strong>de</strong>r Ausbildung von Gedächtnisstrukturen<br />
an. So erworbene und weitergebene Kenntnisse machen Sprache wie<br />
Musik zu gesellschaftlichen Erscheinungen. Aus <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>r Kenntnissysteme<br />
„geht die Verschie<strong>de</strong>nartigkeit <strong>de</strong>r Idiome hervor, während die genetisch verankerten<br />
Vorgaben ihre gemeinsamen Grundzüge bedingen.“ 138<br />
Bierwisch faßt also zusammen: Die für alle Sprachen gleichermaßen gültige Strukturprinzipien<br />
sind phylogenetisch entstan<strong>de</strong>n. Die individuellen Erfahrungen bestimmen die –<br />
ontogenetisch erworbene – einzelsprachliche Grammatik, welche die Zeichenstruktur <strong>de</strong>r<br />
einzelnen Äußerung <strong>de</strong>terminiert, damit sie in einer konkreten Situation – aktualgenetisch<br />
– artikuliert und verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n kann. Diese Stufen sind laut Bierwisch in <strong>de</strong>r Musik<br />
<strong>de</strong>shalb zu unterschei<strong>de</strong>n, wenn auch die Ausprägung einzelner Stufen an<strong>de</strong>rs ausfällt.<br />
In einer Nebenbemerkung äußert Bierwisch die Vermutung, daß exotische Musik mit höherer<br />
Wahrscheinlichkeit zu verstehen sei als exotische Sprache, wodurch für ihn die Annahme<br />
provoziert wird, daß Zusammenhänge in <strong>de</strong>r Musik wirksam sind, die nicht vorher<br />
erlernt wer<strong>de</strong>n müssen. Dieser Unterschied korrespondiert wahrscheinlich mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r<br />
Kenntnissysteme selber, weshalb „sprachliche Äußerungen aus einer Sprache in eine an<strong>de</strong>re<br />
übersetzbar sind, was in <strong>de</strong>r Musik keine Parallele hat.“ 139<br />
137 Bierwisch, S. 32<br />
138 Bierwisch, S. 33<br />
139 Bierwisch, S. 34
54<br />
3.2.8. ZEITMUSTER<br />
Linguistische Unversalien bestehen laut Bierwisch sowohl bei Musik wie auch bei Sprache<br />
aus mehreren Ebenen, die zueinan<strong>de</strong>r in systematischen Beziehungen stehen:<br />
(i) Inventar von Grun<strong>de</strong>inheiten / Elementen einer Ebene<br />
(ii) System von Verknüpfungs- / Transformationsoperationen für Komplexe<br />
(iii) System von Eigenschaften / Relationen zur Unterscheidung <strong>de</strong>r Ebenen<br />
Letztes als Dimensionen <strong>de</strong>r Komplexe verstan<strong>de</strong>n, ist bei Sprache vorrangig binär und bei<br />
Musik eher graduell geglie<strong>de</strong>rt. Die bei<strong>de</strong>n ersten Bereiche beziehen sich auf die Lautgebung<br />
in ihrer psychologischen Präposition.<br />
Nach Bierwisch korrespondiert zunächst die Glie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Zeitablaufs, also die Wertung<br />
<strong>de</strong>r Proportionen mit <strong>de</strong>n Zeitmustern an<strong>de</strong>rer organischer Abläufe. Auch Sprache habe in<br />
diesem Sinne Takt, jedoch ohne eigenständigen Charakter. Vielmehr spiele die Wortbildungskonvention<br />
eine zu große Rolle, als daß Zeitmuster ein Strukturaspekt <strong>de</strong>r Sprache<br />
sein könnten. Doch könne Rhythmus <strong>de</strong>n sprachlichen Äußerungen eine zusätzliche<br />
Struktur verleihen, nämlich die <strong>de</strong>r Poesie. In <strong>de</strong>rart metrisch gebun<strong>de</strong>ner Sprache wer<strong>de</strong>n<br />
– als eigener Co<strong>de</strong> – die Gewichtungen bestimmt nach diversen zeitlichen Regeln, „die<br />
sich auf sprachliche Einheiten beziehen, aber nicht zum sprachlichen Co<strong>de</strong> gehören.“ 140<br />
Eine zweite Möglichkeit, wie die Zeit auf sprachliche Äußerungen wirksam wer<strong>de</strong>n kann,<br />
sei <strong>de</strong>r Ausdruck <strong>de</strong>s allgemeinen Aktivitätszustan<strong>de</strong>s bzw. <strong>de</strong>s emotionalen Status mittels<br />
Sprechtempo. Musik strukturiere Zeit diffiziler, weil die hier eine dominante Rolle<br />
spielt. Feste Grundwerte seien exakt unterteilbar, aber auch kontinuierlich variabel. Durch<br />
Sequenzierung entstün<strong>de</strong>n Perio<strong>de</strong>n bzw. Takte, <strong>de</strong>ren Sequenzierung Rhythmen ergeben.<br />
Dazu merkt Bierwisch an, daß bei <strong>de</strong>r Synthese bei<strong>de</strong>r Lautgebungen im Gesang die<br />
sprachliche wie die musikalische Codierung miteinan<strong>de</strong>r interagiert, wobei die Musik <strong>de</strong>n<br />
Ausdruck <strong>de</strong>s emotionalen Status absorbiere und nach ihren Regeln organisiere. Ebenso<br />
erzeuge die Adaption musikalischer Codierung in rein sprachlichen Äußerungen Poesie.<br />
3.2.9. SEGMENTSTRUKTUREN<br />
Als eine zweite Strukturebene neben <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Zeitmusters nennt Bierwisch die <strong>de</strong>r Segmentstrukturen.<br />
Die Materie <strong>de</strong>r Zeitstrukturierung bestehe aus akustischen Möglichkeiten,<br />
welche in Elemente und Muster unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Generell unterliegen sie aber<br />
alle <strong>de</strong>n Bedingungen <strong>de</strong>r Materie: Schallerzeugung, -übertragung und -wahrnehmung.<br />
Grun<strong>de</strong>inheiten dieser Ebene sind für Bierwisch Segmente, welche als kleinste Merkmals-<br />
140 Bierwisch, S. 36
55<br />
träger jeweils i<strong>de</strong>ntifizierbar sind: die Buchstaben als sprachliche Elemente und die Noten<br />
als musikalische. In <strong>de</strong>r Musik bestehe eine starke Affinität zwischen diesen Segmenten<br />
und <strong>de</strong>n Grun<strong>de</strong>lementen <strong>de</strong>r Zeitstruktur, „weshalb Noten meist gleichzeitig das segmentale<br />
Merkmal <strong>de</strong>r Tonhöhe wie <strong>de</strong>n Stellenwert im Zeitmuster darstellen. In <strong>de</strong>r Sprache<br />
besteht diese Kopplung nicht.“ 141 Silben nämlich als metrische Grun<strong>de</strong>inheiten bestehen<br />
aus mehreren Segmenten: einem Vokal-Kern und nichtvokalischen Satelliten. Merkmale<br />
dieser Segmente sind die einzelnen Determinationen eines Signalereignisses: Töne, Laute,<br />
Geräusche, welche wie<strong>de</strong>rum zusammengesetzt sind aus Tonhöhe, Farbe, Artikulation<br />
usw. – auch bei Musik. „Je<strong>de</strong>s Segment wird durch seine Merkmale in verschie<strong>de</strong>ne Dimensionen<br />
eingeordnet und so zu an<strong>de</strong>ren Segmenten in Beziehung gesetzt. So gesehen<br />
sind die Segmente Knotenpunkte jeweils verschie<strong>de</strong>ner Dimensionen, […] die diese Eigenschaften<br />
auf die organisierten Plätze <strong>de</strong>r Zeitmuster verteilen.“ 142<br />
Die Merkmalsunterscheidung erfolge bei <strong>de</strong>r Sprache binär, auch wenn die Lautgebung –<br />
innerhalb enger Frequenz- und Lautstärkespektren – recht komplex ist. Während laut<br />
Bierwisch entwicklungsgeschichtlich bedingt die Sprachen durch die Wahrnehmungs- und<br />
Artikulationsmöglichkeiten beschränkt und gesetzmäßig strukturiert sind, gilt in Bezug<br />
auf <strong>de</strong>n „Ausschnitt, <strong>de</strong>r für musikalische Lautmuster zur Disposition steht, […] daß im<br />
Prinzip <strong>de</strong>r gesamte Bereich <strong>de</strong>s Frequenz- und Lautstärkespektrums in die musikalische<br />
Strukturbildung einbezogen wer<strong>de</strong>n kann.“ 143 Zu<strong>de</strong>m seien diese primären Distinktionen<br />
graduell geglie<strong>de</strong>rt und variabel statt binär, wodurch die Merkmalsanzahl <strong>de</strong>r Distinktionen<br />
größer sei als bei Sprachen, obwohl die Musik nicht so viele feste Dimensionen habe.<br />
Aus <strong>de</strong>n Segmenten wer<strong>de</strong>n laut Bierwisch generell Muster gebil<strong>de</strong>t: Laute – Silben – Wörter<br />
– Phrasen – Sätze gemäß speziellen phonologischen und syntaktischen Regeln, wobei<br />
letztere bereits eine neue Strukturebene bil<strong>de</strong>n. Das könne Musik nicht, weil sie kein Analogon<br />
zum Wort und <strong>de</strong>ssen Verknüpfungsbedingungen kennt – schon gar nicht das »Motiv«,<br />
weil es nicht jedwe<strong>de</strong>r musikalischen Äußerung zugrun<strong>de</strong> liege. Verschie<strong>de</strong>ne, aber<br />
auf einan<strong>de</strong>r bezogene Zusammenhänge können in <strong>de</strong>r Musik <strong>de</strong>nnoch hergestellt wer<strong>de</strong>n:<br />
per Tonhöhen als Melodie, per Lautstärkenuancierung und Akzentuierung, per Klangfarbe<br />
und Geräuschmerkmale. Schließlich kenne die Musik als Kombinationsmöglichkeit<br />
auch das Prinzip <strong>de</strong>r Gleichzeitigkeit, wonach mehrere simultane Segmentfolgen die<br />
Mehrstimmigkeit ergeben, welche als regelmäßige Beziehung <strong>de</strong>r Tonhöhen als Harmonik<br />
141 Bierwisch, S. 37<br />
142 Bierwisch, S. 38, bemerkt dazu: Formal kann in <strong>de</strong>r Musik wie in <strong>de</strong>r Sprache die Dauer ein Merkmal sein.<br />
Dann wäre das Bild aber zerstört.<br />
143 Bierwisch, S. 39
56<br />
organisiert wird 144 . Generell sind für Bierwisch also die Prinzipien <strong>de</strong>r musikalischen Lautmuster<br />
verschie<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r sprachlichen Lautmuster, was zumin<strong>de</strong>st seitens <strong>de</strong>r<br />
linguistischen Phonologie bereits verifizierbar gemacht wur<strong>de</strong>.<br />
3.2.10. CODIERUNGSFORMEN<br />
Die nach oben genannten Prinzipien möglichen Lautmuster bedürfen laut Bierwisch einer<br />
Be<strong>de</strong>utung, ehe sie als Zeichen fungieren können, weshalb ihre Form eine Codierung von<br />
Be<strong>de</strong>utungen sein müsse. Auch hierin unterschei<strong>de</strong>n sich Musik und Sprache, wie sich<br />
Codierungen überhaupt verschie<strong>de</strong>n realisieren lassen.<br />
Motivierte Codierung liegt <strong>de</strong>mnach vor, wenn die Be<strong>de</strong>utung B eines Zeichens Z aus <strong>de</strong>ssen<br />
Form F aufgrund eines Prinzips P abgeleitet wer<strong>de</strong>n kann, also eine Beziehung zwischen<br />
Form und Be<strong>de</strong>utung besteht. Das Gegenteil davon sind unmotivierte alias arbiträre<br />
Zeichen: Morsen, Flaggen, Ziffern etc. sind abgesprochene, also konventionelle Zeichen.<br />
Unterteilt man motivierte Zeichen nach ihren Prinzipien, so ergeben sich daraus in<strong>de</strong>xikalische<br />
und ikonische Zeichen, wovon erstere als Symptome <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung und letztere als<br />
Strukturähnlichkeiten begriffen wer<strong>de</strong>n. Die Gesamtheit <strong>de</strong>r Erfahrungen mit <strong>de</strong>n Kausalzusammenhängen<br />
zwischen Signal und Be<strong>de</strong>utung ist einerseits ein – nicht nur kommunikative<br />
Zeichen bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s – Motivierungsprinzip mit Auswirkung auf die extrakommunikative<br />
Wirkung W(n), während an<strong>de</strong>rerseits das Prinzip in <strong>de</strong>n Korrespon<strong>de</strong>nzen <strong>de</strong>r strukturellen<br />
Eigenschaften von Signal und Be<strong>de</strong>utung besteht – so Bierwisch. Onomatopoetische<br />
Wörter wie „Summen“ o<strong>de</strong>r „Quaken“ zählen hierunter. „Kuckuck“ in<strong>de</strong>s sei eine<br />
Mischform aus bei<strong>de</strong>n, insofern <strong>de</strong>ssen Lautstruktur ein ikonisches Zeichen ist, das selbst<br />
in<strong>de</strong>xikalisch motiviert ist.<br />
Analoge und digitale Codierung unterschei<strong>de</strong>n sich in<strong>de</strong>s laut Bierwisch darin, daß sie<br />
motiviert graduiert bzw. arbiträr diskret strukturiert ist, wobei analog auch kontinuierlich<br />
codiert sein kann. Unterschiedliche Codierungen müssen sich einan<strong>de</strong>r nicht ausschließen,<br />
Kombinationen seien gar häufig: in<strong>de</strong>xikalisch und ikonisch bei Sonnenuhren o<strong>de</strong>r<br />
motiviert und arbiträr bei Schriften mit verschie<strong>de</strong>ner Richtung o<strong>de</strong>r bei Noten. Aber auch<br />
das Nebeneinan<strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>ner Codierungen binnen eines Zeichensystems ist möglich,<br />
wie die römischen Zahlen belegen: I, II, III als ikonische und V, X, L als arbiträre Zeichen. 145<br />
144<br />
An dieser Stelle stellt sich für Bierwisch die Frage, ob es sich bei Akkor<strong>de</strong>n um nur ein Segment han<strong>de</strong>lt<br />
o<strong>de</strong>r um viele verknüpfte Segmente. Bierwisch fragt überhaupt, welche universelle Bedingungen <strong>de</strong>n Aufbau<br />
musikalischer Lautmuster begrenzen, welche Arten von Regeln in jeweils speziellen Musiksystemen<br />
ausgebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n können. vgl. Bierwisch, S. 41<br />
145 In solchen Fällen fragt Bierwisch, ob eine Codierung dominant bzw. wie die Unterordnung geregelt ist.
57<br />
Die Mannigfaltigkeit <strong>de</strong>r mittels eines Zeichensystems unterscheidbaren Be<strong>de</strong>utungen<br />
korreliert nach Bierwisch mit <strong>de</strong>r Vielfalt <strong>de</strong>r unterscheidbaren Formen <strong>de</strong>r Zeichen. Der<br />
Strukturfaktor habe also auch Auswirkung auf <strong>de</strong>n Be<strong>de</strong>utungsbereich, wie die Be<strong>de</strong>utungen<br />
die Zeichen bedingen. Während die Dimensionen motivierter Zeichen <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utungen<br />
entsprechen müssen, können arbiträre Zeichen Be<strong>de</strong>utungen beliebiger Komplexität<br />
erfassen, so „daß alles überhaupt Denkbare in <strong>de</strong>r natürlichen Sprache ausgedrückt<br />
wer<strong>de</strong>n kann […]. Der Preis liegt in <strong>de</strong>r Diskretheit <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utungen: Arbiträre Zeichen<br />
können keine kontinuierlichen Übergänge codieren, ohne ihnen zunächst ein Raster<br />
diskontinuierlicher Distinktionen aufzuprägen. Sie sind <strong>de</strong>shalb in einem ganz speziellen<br />
Sinn notwendigerweise abstrakt.“ 146 Während die Be<strong>de</strong>utungen konventioneller Zeichen<br />
erlernt wer<strong>de</strong>n müsse, seien motivierte Zeichen eigenevi<strong>de</strong>nt. In<strong>de</strong>s ist – so Bierwisch –<br />
hierbei lernnotwendig, auf welche Dimensionen motivierter Zeichen sich die Korrespon<strong>de</strong>nzen<br />
zwischen Form und Be<strong>de</strong>utung beziehen, da diese konventioneller Art sind, damit<br />
nicht je<strong>de</strong>s Zeichen, son<strong>de</strong>rn eine ganze Klasse beherrschbar wird. Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite<br />
müssen aber auch genuin arbiträre Systeme die Chance zur Erschließung neuer Inhalte<br />
bieten, wenn natürliche Sprachen in ihrer Individualität konventionell, aber in ihrem Repertoire<br />
nicht abgeschlossen sind. Bisher von Bierwisch unerwähnt blieb nämlich das<br />
Prinzip <strong>de</strong>r Syntax, „daß auch bei rein konventioneller Codierung durch das Mittel <strong>de</strong>r regelhaften<br />
Kombination Zeichen erzeugt wer<strong>de</strong>n können, <strong>de</strong>ren Be<strong>de</strong>utung nicht einzeln<br />
erlernt wer<strong>de</strong>n muß.“ 147 Zusammenfassend schreibt Bierwisch: Sprache ist prinzipiell ein<br />
arbiträres Zeichensystem mit diversen motivierten Elementen, weil sowohl die Grundzeichen<br />
wie die Kombinationsstrukturen konventionell sind. Musik kennt auch konventionelle<br />
Komponenten und Regeln, jedoch keine Grun<strong>de</strong>lemente o<strong>de</strong>r gar Möglichkeiten, neue<br />
Be<strong>de</strong>utungen per <strong>de</strong>finitionem einzuführen. Gelten universelle Regularien für alle Sprachen,<br />
wodurch sie übersetzbar sind, bleibt Musik in<strong>de</strong>s individuell. „Die Musik beruht als<br />
Zeichensystem auf <strong>de</strong>m Prinzip <strong>de</strong>r Analog-Codierung, wobei die Merkmalsdimensionen<br />
<strong>de</strong>r Zeichenformen auf bestimmte Weise <strong>de</strong>n Dimensionen <strong>de</strong>s Be<strong>de</strong>utungsbereichs zugeordnet<br />
sind. Diese Zuordnung ist teils ikonischer, teils in<strong>de</strong>xikalischer Natur und unterliegt<br />
konventionellen Eingrenzungen o<strong>de</strong>r Spezialisierungen.“ 148<br />
146 Bierwisch, S. 47<br />
147 Bierwisch, S. 48<br />
148 Bierwisch, S. 49
58<br />
3.2.11. LOGISCHE FORM ALS BEDEUTUNG SPRACHLICHER ZEICHEN<br />
Neben <strong>de</strong>n Zeit- und Segmentstrukturen existiert nach Bierwisch eine dritte Strukturebene<br />
<strong>de</strong>s Be<strong>de</strong>utungsbereiches, welcher bei Sprache durch kognitive Operationen – bei Musik<br />
durch emotionale Prozesse – konstituiert wird und auf <strong>de</strong>n strukturellen Aufbau <strong>de</strong>r Zeichensysteme<br />
zu beziehen sei, wofür es z.B. für Sprache einer logischen Form bedürfe.<br />
1. Innerhalb <strong>de</strong>r komplexen Gesamtheit kognitiver Vorgänge und Strukturen sei eine Verarbeitungsstufe<br />
<strong>de</strong>r Sinneseindrücke zentral, welche die Ebene <strong>de</strong>r begrifflichen Repräsentation<br />
bil<strong>de</strong>t, „in <strong>de</strong>r die Resultate kognitiver Prozesse sprachlich fixiert wer<strong>de</strong>n […].<br />
Auf sie beziehen sich logische Zusammenhänge und Operationen, durch die auf rein gedanklichem<br />
Weg neue Erkenntnisse gewonnen wer<strong>de</strong>n können.“ 149 Den Strukturen dieser<br />
Ebene wer<strong>de</strong> durch sprachliche Codierung eine zweite Repräsentation, die lautliche und<br />
grammatische Form zugeordnet, so daß sie zur logischen Form sprachlicher Zeichen wird.<br />
2. Die Proposition als eine wesentliche Kategorie dieser logischen Form ist „eine strukturierte<br />
Verbindung <strong>de</strong>r Repräsentationen von Dingen und Eigenschaften“ 150 alias Terme und<br />
Prädikate, welche zugleich auch Kategorien darstellen. Diese drei Kategorien greifen ineinan<strong>de</strong>r<br />
gemäß einem Elementarschema, so daß Sachverhalte von beliebiger komplexer<br />
Struktur repräsentiert wer<strong>de</strong>n könnten. Die Grun<strong>de</strong>lemente dieser Kombinatorik sind wie<strong>de</strong>rum<br />
– <strong>de</strong>r Lautstruktur ähnlich – in Dimensionen geordnet.<br />
3. „Eine Proposition ist <strong>de</strong>mnach in einem sehr abstrakten Sinn ein Abbild eines möglichen<br />
Sachverhalts [bzw.] eine komplizierte Anweisung, wie <strong>de</strong>r fragliche Sachverhalt zu<br />
i<strong>de</strong>ntifizieren ist. […] Der Propositionstyp gehört zur logischen Form, weil er die Art bestimmt,<br />
in <strong>de</strong>r eine Proposition sich auf einen Sachverhalt bezieht. Die darin beschlossene<br />
Möglichkeit, eine Sachverhaltsdarstellung verschie<strong>de</strong>ne Funktionen zu geben, ist für die<br />
Sprache wesentlich“ 151 .<br />
4. Die Struktur abstrakter Abbil<strong>de</strong>r von Sachverhalten sei sowohl durch die Sachverhalte<br />
selber (Ähnlichkeit) als auch durch die Form <strong>de</strong>r Verarbeitung <strong>de</strong>s Abzubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n (Abstraktion)<br />
bestimmt. So repräsentieren laut Bierwisch Propositionen verschie<strong>de</strong>nartige<br />
Sachverhalte unabhängig aller Dimensionen immer als logische Form, die sich unterschiedlich<br />
manifestieren könne. „Die uns interessieren<strong>de</strong> Manifestation ist die sprachliche<br />
Codierung, die die logische Form zur Be<strong>de</strong>utung sprachlicher Zeichen macht“ 152 . Teile von<br />
Propositionen fin<strong>de</strong>n sich <strong>de</strong>mnach jeweils in <strong>de</strong>n Grundzeichen, welche durch die formalgrammatischen<br />
Beziehungen verbun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n entsprechend <strong>de</strong>r logischen Struktur <strong>de</strong>r<br />
149 Bierwisch, S. 50<br />
150 Bierwisch, S. 50<br />
151 Bierwisch, S. 51<br />
152 Bierwisch, S. 52
59<br />
Propositionen, wobei diese Komplexbildung <strong>de</strong>r Dimensionslosigkeit <strong>de</strong>r Logik entsprechen<br />
müsse mittels arbiträrer, also konventioneller Codierung, wodurch die logische Form<br />
stets verhüllt begegne.<br />
3.2.12. GESTISCHE FORM ALS BEDEUTUNG <strong>MUSIK</strong>ALISCHER ZEICHEN<br />
Wie logische Formen zu kognitiven Vorgängen und Strukturen verhalte sich die gestische<br />
Form zur Gesamtheit <strong>de</strong>r emotionalen, affektiven und motivalen Zustän<strong>de</strong> und Prozesse.<br />
1. Zwar beruhen – so Bierwisch – kognitive und emotionale Abläufe auf unterschiedlichen<br />
organismischen Grundlagen, doch bil<strong>de</strong>n sie eine funktionale Einheit, in<strong>de</strong>m sie sich gegenseitig<br />
provozieren bzw. bedingen. „Die emotionale Einstellung macht <strong>de</strong>n Modus aus,<br />
in <strong>de</strong>m Informationen gesucht und verarbeitet wer<strong>de</strong>n.“ 153 Welche Verbindungen dabei<br />
entstehen, ergibt sich we<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r logischen Struktur <strong>de</strong>r Gedanken noch aus <strong>de</strong>m Charakter<br />
<strong>de</strong>r Emotionen.<br />
2. Die Orientierung <strong>de</strong>r kognitiven Vorgänge auf bestimmte Sachverhalte sei durch emotionale<br />
Faktoren als subjektive Einstellung organisiert. Organismusintern bestimmen sie<br />
<strong>de</strong>n Status und das Aktivitätsniveau. Organismusextern regulieren sie <strong>de</strong>n Emotionsausdruck,<br />
wofür artspezifische Muster etabliert seien, welche zwar lernabhängig modifiziert<br />
o<strong>de</strong>r unterdrückt wer<strong>de</strong>n könnten, doch aber generell zur intersubjektiven, sozialen Zugänglichkeit<br />
führen. „Auf diesem Ausdrucksaspekt beruht eine für Emotionen charakteristische<br />
Form <strong>de</strong>r Übermittlung, die als Übertragung o<strong>de</strong>r Ansteckung bezeichnet wird und<br />
von <strong>de</strong>r Kommunikation durch intendierten Zeichengebrauch zu unterschei<strong>de</strong>n ist.“ 154<br />
3. Somit ist für Bierwisch <strong>de</strong>r Weg frei für systematische Analysen und Beschreibungen:<br />
(a) Emotionsdifferenzierung: auf neurophysiologischer Grundlage lassen sich distinkte<br />
Grundfaktoren eruieren, die „als Dimensionen eines »emotionalen Raumes« […] jeweils<br />
kontinuierliche Ausprägungsstärken aufweisen können.“ 155<br />
(b) Wechselwirkung von Emotionen: fundamentale Emotionen sind in sich geglie<strong>de</strong>rt in<br />
eine neurale Grundlage, eine expressive Seite und einen variablen Erfahrungsinhalt,<br />
weswegen Emotionen sich in verschie<strong>de</strong>ner Weise bedingen o<strong>de</strong>r überlagern können.<br />
(c) emotionale Musterbildung: die komplexen Kombinationen und Übergänge von Grundkomponenten,<br />
welche sich in emotionalen Zustän<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Abläufen äußern, konstituieren<br />
die Glie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Vielfalt emotionaler Erscheinungen in emotionale Muster.<br />
153 Bierwisch, S. 53, verweist darauf, daß Simonov Emotion als Ergebnis <strong>de</strong>r Wechselwirkung von Bedürfnis<br />
und <strong>de</strong>r für die Zielerreichung nötigen Information <strong>de</strong>finiert.<br />
154 Bierwisch, S. 54<br />
155 Bierwisch, S. 54
60<br />
Musikalische Codierung bezieht sich also – so Bierwisch – auf <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Emotionen,<br />
„in<strong>de</strong>m sie einen Aspekt fixiert, <strong>de</strong>r als gestische Form zur Be<strong>de</strong>utung musikalischer Zeichen<br />
wird – so wie die logische Form <strong>de</strong>n sprachlich codierbaren Aspekt kognitiver Prozesse<br />
darstellt. Die gestische Form hat damit [auch] zwei Bezüge“ 156 , nämlich als »Aspekt«<br />
zu emotionalen Prozessen sowie als »Be<strong>de</strong>utung« zu einem Typ von Zeichen. Der Proposition<br />
entsprechend sei <strong>de</strong>r Gestus die zentrale Kategorie <strong>de</strong>r gestische Form. Der Gestus<br />
als Struktur eines kohärenten emotionalen Musters „ist gewissermaßen <strong>de</strong>r emotionale<br />
Sinn eines Komplexes physiologischer Zustän<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r Prozesse, […] <strong>de</strong>r strukturell i<strong>de</strong>ntifizierbare<br />
Aspekt eines solchen Komplexes.“ 157 Dies erläutert Bierwisch näher:<br />
1. Der Gestus sei prinzipiell zeitlicher Natur im Gegensatz zur Proposition, weil er selbst<br />
ein zeitlich strukturiertes Gebil<strong>de</strong> sei und als solches nie zeitlose Permanenz haben kann.<br />
„Die gestische Form muß genau die Dimensionen aufweisen, innerhalb <strong>de</strong>ren emotionale<br />
Muster strukturiert sein können.“ 158 2. Der Proposition ähnlich könne ein Gestus in sich<br />
geglie<strong>de</strong>rt bzw. mittels diverser »ineinan<strong>de</strong>r eingebetteter« Gesten – jedoch in <strong>de</strong>r Dimension<br />
<strong>de</strong>r Zeit – arrangiert sein. Demnach seien Propositionen logisch, Gesten hingegen<br />
zeitlich verknüpft. 3. Als Grundprinzip für die Etablierung <strong>de</strong>r gestischen Form als Be<strong>de</strong>utung<br />
musikalischer Zeichen fungiere das Prinzip <strong>de</strong>r Analogcodierung mit teils diskreter,<br />
teils kontinuierlicher Codierung <strong>de</strong>r Ausprägungsgra<strong>de</strong>, wobei Bierwisch sich fragt, ob<br />
relative Intensität, emotionale Bewegung in Tonhöhen usw. systematisch zu analysieren<br />
seien. 4. „Die Motivationsbasis für die skizzierte Analogcodierung ist vornehmlich in<strong>de</strong>xikalischer<br />
Natur, schließt aber ikonische Faktoren ein.“ 159 Zu<strong>de</strong>m trete hierbei W(n) zu Tage:<br />
„Rasche Bewegung in musikalischen Lautmustern ist nicht nur Symptom etwa von<br />
Erregtheit und ikonische Repräsentation ihrer physischen Effekte, sie löst auch unwillkürlich<br />
Erregtheit aus. […] Allerdings ist auch diese elementare Motivierungsform bestimmten<br />
konventionellen Rahmensetzungen und damit gewissen lernabhängigen Eingrenzungen<br />
unterworfen.“ 160 5. Maßgeblich für die Beziehung zwischen <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung musikalischer<br />
Zeichen und außermusikalischen Faktoren sei, daß <strong>de</strong>r musikalisch codierte Gestus in<br />
Bezug steht zu einem variablen, aber nicht beliebigen Erfahrungsinhalt kognitiver Natur.<br />
So ließe ein Text mehrere adäquate Vertonungen zu, wenn auch nicht je<strong>de</strong>. „Einer musikalischen<br />
Gestalt entspricht nicht ein einzelnes kognitives Korrelat, son<strong>de</strong>rn eine Klasse Korrelate<br />
kognitiver Natur.“ 161 Die Form eines musikalischen Zeichens entspricht <strong>de</strong>mnach<br />
156<br />
Bierwisch, S. 55<br />
157<br />
Bierwisch, S. 55<br />
158 Bierwisch, S. 56<br />
159 Bierwisch, S. 56<br />
160 Bierwisch, S. 57<br />
161 Bierwisch, S. 57
61<br />
laut Bierwisch <strong>de</strong>r Codierung eines Gestus, <strong>de</strong>ssen Struktur die eines emotionalen Musters<br />
ist, welches <strong>de</strong>n Konnex zu einem variablen Erfahrungsinhalt darstellt. Entsprechend<br />
<strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Stufen kognitiver Repräsentation könne laut Bierwisch die Musik auf<br />
Sprache bezogen wer<strong>de</strong>n, da im Falle (a), daß <strong>de</strong>r kognitive Bezug fixiert sei, bei<strong>de</strong> durch<br />
ein Signalereignis realisiert wer<strong>de</strong>n könnten (Lied) 162 , im Falle (b), daß <strong>de</strong>r kognitive Bezug<br />
nicht sprachlich fixiert, aber i<strong>de</strong>ntifizierbar sei, die Musik parallele bzw. verweisen<strong>de</strong><br />
Funktion übernehmen könnte (Film- bzw. Programmusik), und im Falle (c), daß <strong>de</strong>r kognitive<br />
Bezug nicht auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r logischen Form repräsentiert wür<strong>de</strong>n, die Musik mit <strong>de</strong>r<br />
allgemeinen Einstellung korrespondiere. „Musikalische Zeichen haben stets eine inhärente<br />
Affinität zu begrifflichen o<strong>de</strong>r Vorstellungsstrukturen.“ 163<br />
3.2.13. SAGEN <strong>UND</strong> ZEIGEN<br />
Sagen be<strong>de</strong>utet für Bierwisch einen Kommunikationsakt in drei Stufen: zunächst einen<br />
Sachverhalt benennen, ihn dann i<strong>de</strong>ntifizieren und schließlich beschreiben. „Etwas sagen<br />
heißt <strong>de</strong>mnach, ein sprachliches Zeichen äußern, <strong>de</strong>ssen Be<strong>de</strong>utung eine Proposition ist<br />
und das durch seinen Propositionstyp die Geltungsart <strong>de</strong>s Gesagten bestimmt.“ 164<br />
Zeigen be<strong>de</strong>utet für Bierwisch, daß in einem Schritt entwe<strong>de</strong>r ein Gegenstand als Objekt<br />
o<strong>de</strong>r ein Vorgang als Darstellung gezeigt wird, wobei Strukturgemeinsamkeiten aufgezeigt<br />
wür<strong>de</strong>n, da sonst keine Mitteilung zustan<strong>de</strong> käme, so daß es eines analogen, also strukturell<br />
motivierten Co<strong>de</strong>s bedarf. Wenn aber Zeigen auf »Wahrnehmung« beruht, kann nach<br />
Bierwisch auch akustisch etwas gezeigt wer<strong>de</strong>n. „Musikalische Zeichen zeigen die in ihnen<br />
codierte gestische Form, sie machen emotionale Muster wahrnehmbar, in<strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>ren<br />
gestische Struktur zeigen. […] Die Sprache sagt, die Musik zeigt, was sie mitteilt.“ 165<br />
Anschließend kommentiert Bierwisch diese Feststellung:<br />
1. Zwischen bei<strong>de</strong>n Polen liege ein Spektrum von Übergangsformen <strong>de</strong>r Konventionalität.<br />
2. „In je<strong>de</strong>m konventionellen Zeichensystem ist eine zeigen<strong>de</strong> Basis enthalten.“ 166 Diese<br />
Voraussetzung für Konventionalität sei nötig, weil die Beziehung zwischen differenzierten<br />
Gegenstän<strong>de</strong>n und abstrakten Be<strong>de</strong>utungen stets strukturell motiviert sei. 167<br />
162 Hierzu merkt Bierwisch an, daß Musik und Text die Defizite <strong>de</strong>s jeweils an<strong>de</strong>ren zur Bindung aller Merkmale<br />
<strong>de</strong>s Signals nutzten.<br />
163<br />
Bierwisch, S. 58<br />
164<br />
Bierwisch, S. 59<br />
165 Bierwisch, S. 59f.<br />
166 Bierwisch, S. 60<br />
167 Hierzu verweist Bierwisch auf Wittgensteins „I<strong>de</strong>alsprache“, wo die logische Form direkt in <strong>de</strong>r Zeichengestalt<br />
– ohne Proposition – enthalten, also Sagen und Zeigen vereint sei.
62<br />
3. Musik kann zeigen, was Sprache nicht sagen kann, wie ein Bild abbil<strong>de</strong>t statt beschreibt,<br />
weil Sprache logisch reduziert sei, damit sie alles mitteilen kann.<br />
4. Eine gedankliche Vergegenwärtigung eines Sachverhaltes durch Sagen ist weit weniger<br />
real als eine sinnliche Vergegenwärtigung durch Zeigen, weil hierbei ihr Zeitaspekt berücksichtigt<br />
wur<strong>de</strong>, wodurch die Wirkung W(n) insgesamt wichtig sei.<br />
5. Damit ist nach Bierwisch die ästhetische Dimension beschrieben als <strong>de</strong>r »Als-ob-<br />
Charakter« einer Mitteilung, wobei dieser nur »stellvertretend« zu verstehen sei 168 .<br />
6. Sind Be<strong>de</strong>utung und Form bei Sprache konventionell bezogen, so ist Musik strukturanalog<br />
laut Bierwisch, <strong>de</strong>r davon in<strong>de</strong>s die Auswahl <strong>de</strong>r Bereiche von Gesten und Rahmen <strong>de</strong>r<br />
Codierungsmittel ausnimmt. Daher sei Logik hierbei unnötig und Semantik nur an gestischen<br />
Strukturen möglich anstatt als Relation zur Logik, weshalb Übersetzungen generell<br />
in Musik ausgeschlossen seien.<br />
7. Da bei Musik Be<strong>de</strong>utung und Form strukturell isomorph sei, könne ihre »Logik« nicht<br />
nur ohne „Begriff und Urteil sein, son<strong>de</strong>rn sie ist […] die Logik <strong>de</strong>r musikalischen Form<br />
selbst.“ 169<br />
3.2.14. SYNTAX<br />
Grundlage für komplexe Zeichen-, also für die syntaktische Strukturbildung ist laut Bierwisch<br />
die organismische Fähigkeit zur Kombinatorik, wie sie bereits bei <strong>de</strong>n besprochenen<br />
Strukturebenen jeweils als Verknüpfungsprinzip erwähnt wur<strong>de</strong>. Zur eigentlichen Syntax<br />
zählen in<strong>de</strong>s „solche Verknüpfungsoperatoren, die <strong>de</strong>n Be<strong>de</strong>utungszusammenhang in <strong>de</strong>n<br />
resultieren<strong>de</strong>n komplexen Einheiten <strong>de</strong>terminieren.“ 170 Dazu eine logische Ableitung:<br />
So: „[Der Komplex] K hat bezüglich <strong>de</strong>r Einheiten E(1), E(2), …, E(n) die Struktur R dann<br />
und nur dann, wenn die E(i) (für i = 1,2, …, n) Teile von K sind und K durch die E(i) und R<br />
vollständig <strong>de</strong>terminiert ist.“ 171 Als Beispiele dienen Wortformen und Töne eines Themas.<br />
S1: „R ist die syntaktische Struktur von K bezüglich A, wenn A die Gesamtheit <strong>de</strong>r Eigenschaften<br />
von K ist, die durch R auf Grund entsprechen<strong>de</strong>r Eigenschaften A(i) <strong>de</strong>r Bestandteile<br />
E(i) von K <strong>de</strong>terminiert wird.“ 172 Wörter können <strong>de</strong>mnach zu Sätzen verknüpft wer<strong>de</strong>n.<br />
168<br />
Bierwisch ver<strong>de</strong>utlicht dies, daß, wenn akustische Signale die Stellvertretercharakteristik verlieren, sie<br />
nicht ästhetisch seien, an <strong>de</strong>m Beispiel <strong>de</strong>s Weckrufs.<br />
169 Bierwisch, S. 64<br />
170 Bierwisch, S. 65<br />
171 Bierwisch, S. 66<br />
172 Bierwisch, S. 66
63<br />
S2: „Ein komplexes Gebil<strong>de</strong> K ist hierarchisch strukturiert, wenn min<strong>de</strong>stens eins seiner<br />
Teile ein Komplex K’ ist, so daß die Struktur R’ von K’ Teil <strong>de</strong>r umfassen<strong>de</strong>n Struktur R von<br />
K ist.“ 173 Phrasen innerhalb von Sätzen bil<strong>de</strong>n zusammen eine Struktur.<br />
K(1) K(2) K(3)<br />
K(4)<br />
K(5)<br />
K(6)<br />
S3: „Ein komplexes Gebil<strong>de</strong> K ist linear bezüglich [<strong>de</strong>s Linearitätprinzips] D, wenn die<br />
durch die Struktur R verknüpften Teile von K in bezug auf D geordnet sind.“ 174<br />
Daraus ergebe sich eine Differenz zwischen Sprache und Musik, obwohl jeweils zwar Netzo<strong>de</strong>r<br />
Baumstrukturen (S2) nachweisbar sind, aber auf <strong>de</strong>r Zeitachse (S3) einerseits im<br />
Falle Sprache nur ein Element in einem Intervall auf D projiziert wer<strong>de</strong>n kann, aber an<strong>de</strong>rerseits<br />
im Falle Musik mehrere. Deutlicher wür<strong>de</strong>n die Unterschie<strong>de</strong> zwischen Sagen und<br />
Zeigen und ihren Codierungsarten, wenn man nach <strong>de</strong>r unteren Grenze (Elementareinheiten;<br />
Wort bei Sprache) bzw. <strong>de</strong>r oberen Grenze (Text) bzw. nach <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utungsintegration<br />
<strong>de</strong>r Relationsgefüge fragt.<br />
3.2.15. ZEICHEN <strong>UND</strong> TEXT<br />
Auf Musik wie Sprache trifft laut Bierwisch <strong>de</strong>r Satz zu, die Summe sei mehr als die Einzelteile.<br />
Die Möglichkeit bei<strong>de</strong>r zu immer größerer Komplexbildung per Linearisierung und<br />
Hierarchisierung stoße jedoch an Grenzen, da innersprachliche Regeln wie die Grammatik<br />
Textbildung nämlich nicht einschließen. Statt <strong>de</strong>ssen seien Prinzipien anzunehmen, „die<br />
universell für alle Sprachen gelten, aber <strong>de</strong>shalb nicht weniger die syntaktische Strukturbildung<br />
<strong>de</strong>terminieren als die einzelsprachlichen Regeln, die innerhalb <strong>de</strong>s Satzes gelten.<br />
[…] Die Form eines Satzes legt seine Be<strong>de</strong>utung fest, nicht aber seine volle, sinngemäße<br />
Einordnung in <strong>de</strong>n Kontext.“ 175 Für Musik dagegen müsse man keine Regeln lernen, welche<br />
einer Grammatik entsprächen, nach <strong>de</strong>nen die Teile eines Musikstückes verknüpft<br />
sind. Doch auch wenn Musik keine Sätze in <strong>de</strong>r oben genannten Form kennt, so sei sie auf<br />
die Beziehungen im Ablauf <strong>de</strong>r gezeigten gestischen Strukturen verwiesen. Weil die artikulierten<br />
gestischen Strukturen – so Bierwisch – die Be<strong>de</strong>utung musikalischer Zeichen<br />
konstituieren, sei die I<strong>de</strong>ntifizierung <strong>de</strong>rartiger Beziehungen als Sinn zugleich ein kognitiver<br />
Prozeß. „In <strong>de</strong>r Sprache ist die Geltung <strong>de</strong>r Funktionalität <strong>de</strong>r Syntax in Länge und Tie-<br />
173 Bierwisch, S. 67<br />
174 Bierwisch, S. 68<br />
175 Bierwisch, S. 71
64<br />
fe begrenzt, in <strong>de</strong>r Musik nur in <strong>de</strong>r Tiefe. Die hinter <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung liegen<strong>de</strong>n Sinnzusammenhänge<br />
sind in <strong>de</strong>r Sprache die kontextuellen und allgemeinen Sachbezüge, in die<br />
Propositionen eingeordnet wer<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>r Musik sind es die Bezüge und Prozesse, in die<br />
die gestischen Strukturen integriert wer<strong>de</strong>n.“ 176<br />
3.2.16. MOTIVIERTE <strong>UND</strong> KONVENTIONELLE SYNTAKTISCHE STRUKTUREN<br />
Der Charakter eines Codierungssystems wirke sich in <strong>de</strong>ssen Syntax aus. Der Morse-Co<strong>de</strong><br />
und die Zifferdarstellung <strong>de</strong>r Zahlen belegen laut Bierwisch, daß sowohl analoge wie konventionelle<br />
Interpretation mit <strong>de</strong>r gleichen formalen, nämlich linearen Verknüpfung <strong>de</strong>r<br />
Grundzeichen (S1) verbun<strong>de</strong>n sein könne. Parallel verhalte es sich bei hierarchischen<br />
Strukturen (S2) wie Musik und Sprache, <strong>de</strong>ren Syntax einerseits analog an<strong>de</strong>rerseits konventionell<br />
interpretiert wird. Bei Musik sind hinsichtlich <strong>de</strong>r Art, wie syntaktische Strukturen<br />
die Be<strong>de</strong>utungen <strong>de</strong>r komplexen Zeichen organisieren, zwei Prinzipien zu erkennen:<br />
„(R1) Glie<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>r Form musikalischer Zeichen entsprechen gleichen Glie<strong>de</strong>rungen<br />
in <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung. (R2) Der Zeitstruktur <strong>de</strong>r Form musikalischer Zeichen entspricht die<br />
Zeitstruktur ihrer Be<strong>de</strong>utung.“ 177<br />
Mit (R1) wird das Hierarchieprinzip (S2) und mit (R2) das Linearprinzip (S1) interpretiert.<br />
Kompositionstechniken seien das in<strong>de</strong>s nicht, son<strong>de</strong>rn lediglich Aussagen über die Verbindungen<br />
von komplexen Strukturen mit ihren Inhalten. Bei Sprache hingegen <strong>de</strong>terminieren<br />
nach Bierwisch konventionell entstan<strong>de</strong>ne Regeln die Be<strong>de</strong>utung – ohne Analogprinzipien<br />
wie (R1) und (R2). Zu<strong>de</strong>m seien die Verbindungen bei Sprache mit unterschiedlichen<br />
Funktionen versehen, je nach <strong>de</strong>m, welche Einheiten sie verknüpfen, so „daß syntaktische<br />
Strukturen in <strong>de</strong>r Sprache die Be<strong>de</strong>utung in sehr viel differenzierter Weise <strong>de</strong>terminieren<br />
als dies die Prinzipien (R1) und (R2) in <strong>de</strong>r Musik tun.“ 178 Das Kategoriensystem,<br />
wodurch alle elementaren und komplexen Zeichen <strong>de</strong>r Sprache klassifiziert wür<strong>de</strong>n,<br />
lege die unterschiedlichen Umgangsweisen vor, wobei jene Regeln für <strong>de</strong>n formalen Aufbau<br />
komplexer Zeichen nicht i<strong>de</strong>ntisch seien mit <strong>de</strong>n Prinzipien <strong>de</strong>r inhaltlichen Determination<br />
<strong>de</strong>r Zeichen. Darin sind sich Sprache und Musik wie<strong>de</strong>r einig, so Bierwisch. Nur sei<br />
bei Sprache die Funktion <strong>de</strong>s formalen Aufbaus komplexer Zeichen für <strong>de</strong>ren Be<strong>de</strong>utung<br />
nicht analog motiviert, son<strong>de</strong>rn maßgeblich konventionsbedingt. Demnach ergibt sich für<br />
Bierwisch folgen<strong>de</strong>r Rahmen be<strong>de</strong>utungsorganisieren<strong>de</strong>r Syntax:<br />
176 Bierwisch, S. 73<br />
177 Bierwisch, S. 74<br />
178 Bierwisch, S. 75
65<br />
„Erstens: Je<strong>de</strong> Grammatik und je<strong>de</strong>r musikalische Co<strong>de</strong> enthält ein System von Regeln zur Bildung<br />
komplexer Zeichenformen. Diese Regeln sind Verknüpfungsoperationen, die linear geordnete, hierarchisch<br />
geglie<strong>de</strong>rte Strukturen erzeugen, o<strong>de</strong>r Transformationen, die solche Strukturen modifizieren.<br />
Die Klasse <strong>de</strong>r Operationen, die für solche Regeln genutzt wer<strong>de</strong>n, ist für Musik und Sprache<br />
sehr unterschiedlich. (Für Sprache gibt es Ansätze zu ihrer systematischen Bestimmung [vgl.<br />
Chomsky, 1965], für Musik steht ein solcher Versuch noch aus.) […]<br />
Zweitens: Die so erzeugten strukturellen Beziehungen <strong>de</strong>terminieren die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r resultieren<strong>de</strong>n<br />
komplexen Zeichen. […] Für die Musik ergibt sich aus (R1) und (R2) die Isomorphie <strong>de</strong>r formalen<br />
und <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utungsstruktur, die Sprache dagegen ist durch eine charakteristische Strukturverschie<strong>de</strong>nheit<br />
von Form und Be<strong>de</strong>utung gekennzeichnet.“<br />
Drittens: […] das durch (R1) und (R2) umschriebene Verfahren <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utungs<strong>de</strong>termination erstreckt<br />
sich in <strong>de</strong>r Musik allemal auf <strong>de</strong>n gesamten zusammenhängen<strong>de</strong>n »Text«, die Be<strong>de</strong>utungs<strong>de</strong>termination<br />
<strong>de</strong>r Sprache dagegen nur auf die Sätze. Deren lineare Abfolge hat keinen syntaktischen<br />
Charakter im Sinn <strong>de</strong>r Bedingung (S1) mehr. Zusammenhänge zwischen Sätzen wer<strong>de</strong>n nicht<br />
als Be<strong>de</strong>utungs-, son<strong>de</strong>rn als Sinnbezüge […] konstituiert.“ 179<br />
3.2.17. ELEMENTARZEICHEN<br />
„Grund- o<strong>de</strong>r Elementarzeichen sind die kleinsten Zeichen, in die die komplexen Zeichen<br />
eines gegebenen Co<strong>de</strong>s zerlegt wer<strong>de</strong>n können. Die Syntax baut auf ihnen auf und gibt<br />
ihnen damit ihren speziellen Charakter.“ 180 In logischer Ableitung führt Bierwisch aus:<br />
(Z) ist ein Elementarzeichen eines Co<strong>de</strong>s C genau dann, wenn es ein geordnetes Paar Z =<br />
(F,B) gibt mit F als akustische Merkmalsstruktur, die festlegt, was Z gemäß C zum Aufbau<br />
komplexer Zeichen beiträgt, und mit B, das festlegt, was Z gemäß C zur Be<strong>de</strong>utung komplexer<br />
Zeichen beiträgt. F gehört einer syntaktischen Kategorie k an, welche die Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
von Z in C <strong>de</strong>terminiert, und B gehört einer semantischen Kategorie t<br />
an, welche die Verbindungsmöglichkeiten von Z in C <strong>de</strong>terminiert. Z ist nicht nach Regeln<br />
von C aus an<strong>de</strong>ren Zeichen aufgebaut. Für Sprache sind <strong>de</strong>mnach Z die lexikalischen Einheiten,<br />
also die Wörter eines Lexikons. Bei Musik verdunkle die Isomorphie zwischen F<br />
und B die I<strong>de</strong>ntifizierung solcher Einheiten, zumal stets neue Z gebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n könnten,<br />
so daß ein abgeschlossenes »Lexikon« nicht vorliegt, obschon die Kombinatorik nicht unbegrenzt<br />
sei. Insofern »lernt« man laut Bierwisch mit einem neuen Musikstück <strong>de</strong>ssen<br />
Grun<strong>de</strong>lemente, nicht aber <strong>de</strong>ren Be<strong>de</strong>utung, son<strong>de</strong>rn sie „muß aus <strong>de</strong>r Kombination <strong>de</strong>r<br />
Merkmale und Segmente hervorgehen, aus <strong>de</strong>nen ihre Form aufgebaut ist.“ 181 Somit fehle<br />
<strong>de</strong>r Musik sowohl eine Grenze nach oben als auch nach unten, wenn nicht die Merkmale<br />
179 Bierwisch, S. 76f.<br />
180 Bierwisch, S. 77<br />
181 Bierwisch, S. 79
66<br />
<strong>de</strong>r Laut- und Zeitstruktur als eigentliche Elementarzeichen gelten, die aber keinerlei Be<strong>de</strong>utung<br />
an sich haben.<br />
Daher formuliert Bierwisch die These: „Je<strong>de</strong> musikalische Struktur muß minimale Merkmalskonfigurationen<br />
enthalten, die als solche eine gestische Be<strong>de</strong>utung haben.“ 182 Jedoch<br />
die Kriterien für die I<strong>de</strong>ntifizierung <strong>de</strong>r Grundkonfigurationen seien schwer zu bestimmen.<br />
Neben rhythmischen Mustern können z.B. auch Intervallfolgen »Motive« markieren, die<br />
wie<strong>de</strong>rum diverse Segmentkonstellationen eingehen, wobei für Musik keine »lückenlose«<br />
Struktur erfor<strong>de</strong>rlich ist, son<strong>de</strong>rn die Motive können mit Nichtmotiven größere Zeichen<br />
bil<strong>de</strong>n. Gestische Be<strong>de</strong>utung trete also auch da zu Tage, wo »angelagerte« Merkmale und<br />
Segmente nach <strong>de</strong>m Analogieprinzip komplexe Zeichen ergeben, so daß die Grenze nach<br />
unten zwar offen ist, sich aber nicht in <strong>de</strong>n akustischen Merkmalen auflöst. Wie bei Sprache<br />
Morpheme die Be<strong>de</strong>utungsträger 183 sind, die durch »be<strong>de</strong>utungsrelevante« Zusätze<br />
(Nicht-Stamm-Morpheme) modifiziert wer<strong>de</strong>n, könne man bei Musik die »Motive« von<br />
ihren Zusätzen unterschei<strong>de</strong>n. Doch gebe es in <strong>de</strong>r Sprache keine »nicht-morphemische«<br />
Merkmale und Segmente. Motive können nach Bierwisch in<strong>de</strong>s Verbindungen mit Nicht-<br />
Motiven eingehen gemäß <strong>de</strong>r Analogieprinzipien (R1) und (R2), wodurch sie aber keine<br />
Grundzeichen im engeren Sinne mehr sind. Insofern sei die musikalische Syntax – auf <strong>de</strong>n<br />
ganzen »Text« wie auf die Elementarzeichen bezogen – offen.<br />
Aus <strong>de</strong>n Ausführungen leitet Bierwisch folgen<strong>de</strong> Konsequenzen ab:<br />
1. Die Be<strong>de</strong>utungszuordnungen unterschei<strong>de</strong>n musikalische von sprachlichen Zeichen. 184<br />
2. Außermusikalische Be<strong>de</strong>utungen konventionalisierter Signale stammen aus einem an<strong>de</strong>ren<br />
Codierungszusammenhang und seien daher mit musikalischer Syntax nicht zu erfassen.<br />
„Musikalisch funktionieren sie zunächst auf Grund ihrer »vorkonventionellen«<br />
Be<strong>de</strong>utung. [Die] außermusikalischen Be<strong>de</strong>utungen, die auf die eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Weise<br />
mit musikalischen Zeichen verbun<strong>de</strong>n sind, [können] in <strong>de</strong>n Sinnzusammenhang eingehen,<br />
<strong>de</strong>r durch die Be<strong>de</strong>utung in jenem zweiten Verstehensschritt erzeugt wird.“ 185<br />
3. Die Be<strong>de</strong>utungen von musikalischen Grundzeichen mit einem fast individualisiert gezeigtem<br />
Gestus machen von dieser I<strong>de</strong>ntität Gebrauch und haben damit etwas mit <strong>de</strong>n<br />
Namen gemeinsam. Zeigen musikalische Zeichen stets <strong>de</strong>n gleichen Gestus, so haben sie<br />
teils eine größere Konstanz als Sprache. Sie benennen aber nichts, son<strong>de</strong>rn haben es zum<br />
Inhalt. „Die Art, in <strong>de</strong>r sprachliche und musikalische Grundzeichen ihre Be<strong>de</strong>utung erhal-<br />
182 Bierwisch, S. 80<br />
183 Ein Nachtrag Bierwischs: Morphologische Strukturen sind bisher konsequent ausgeklammert gewesen.<br />
184 Hier wi<strong>de</strong>rspricht Bierwisch ausdrücklich <strong>de</strong>r Annahme Kneplers, »Konstantisierung« unterschei<strong>de</strong> bei<strong>de</strong>.<br />
185 Bierwisch, S. 83
67<br />
ten und sie zur Be<strong>de</strong>utung komplexer Zeichen zusammenfügen, ist <strong>de</strong>r kardinale Unterschied<br />
in <strong>de</strong>r Funktionsweise von Sprache und Musik [, …] zwischen Sagen und Zeigen.“ 186<br />
3.2.18. CODA<br />
Die angeboten Überlegungen – als eine »Art vergleichen<strong>de</strong>r funktionaler Anatomie von<br />
Sprache und Musik« verstan<strong>de</strong>n – kennzeichneten Grenzen und Konturen statt Inhalte,<br />
weil einerseits abstrakt Funktionsprinzipien, nämlich jeweils die Determinationsgefüge<br />
dargestellt wur<strong>de</strong>n, auch wenn äußere Parameter o<strong>de</strong>r Verbindung bei <strong>de</strong>r Verwendung<br />
von Musik und Sprache unberücksichtigt blieben, und dies an<strong>de</strong>rerseits abstrakt und generalisierend<br />
geschah in verschie<strong>de</strong>nen Stufen von Allgemeinheit. Die begriffliche Analyse<br />
<strong>de</strong>r Konzepte Kommunikation und Zeichensystem sei die abgehobenste Ebene und bil<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>n Hintergrund für Sprache und Musik. Darauf fuße die begriffliche Bestimmung verschie<strong>de</strong>ner<br />
Typen von Zeichensystemen (Medium, Be<strong>de</strong>utungen, Codierung) mit <strong>de</strong>r Markierung<br />
sagen<strong>de</strong>r und zeigen<strong>de</strong>r Funktionen. Darauf bauen die Darstellungen auf, die „die<br />
universellen, aber empirisch bedingten Gegebenheiten <strong>de</strong>r natürlichen Sprache und Musik“<br />
187 (Merkmale, Strukturen) beinhalten. Keinesfalls ernsthaft betreten wur<strong>de</strong> die Stufe<br />
„<strong>de</strong>r Charakterisierung <strong>de</strong>r Elemente und Regeln einer einzelnen natürlichen Sprache, eines<br />
speziellen musikalischen Co<strong>de</strong>s. […] Erst die fünfte Stufe schließlich betrifft die Struktur<br />
einzelner sprachlicher und musikalischer Gebil<strong>de</strong>, mit <strong>de</strong>nen Philologen und Musikhistoriker<br />
primär befaßt sind.“ 188 Sei auf Seiten <strong>de</strong>r Linguistik diese Methodik <strong>de</strong>r Abstraktion<br />
bereits etabliert, stün<strong>de</strong> für die Musikwissenschaft die Herleitung <strong>de</strong>r Einzelerscheinungen<br />
aus allgemeinen Gesetzmäßigkeiten noch aus, weil für eine systematische Analyse<br />
das Instrumentarium empirisch-diagnostischer Konzepte fehlt, um zu klären, „was z.B.<br />
die Min<strong>de</strong>stmerkmale eines Motivs sind, welchen Verknüpfungsoperationen es unterliegen<br />
kann, welchen Charakter welche Verän<strong>de</strong>rung hat.“ 189 Dazu bedürfe es außer<strong>de</strong>m geeigneter<br />
Systeme theoretischer Begriffe und Strukturen, um „auch rational zu präzisieren,<br />
was die viel<strong>de</strong>utige Re<strong>de</strong> vom »musikalischen Material« besagt.“ 190 Überdies fehle die<br />
Charakterisierung musikalischer Universalien, um die Regeln und Einheiten konkreter,<br />
historisch bedingter Co<strong>de</strong>s zu beschreiben (Verknüpfungs- o<strong>de</strong>r Transformationsoperatoren).<br />
„An Hand eines gesicherten Verständnisses <strong>de</strong>r so umschriebenen strukturellen und<br />
funktionalen Aspekte <strong>de</strong>r Musik sind auch die folgen<strong>de</strong>n Probleme, die weit stärker das<br />
186<br />
Bierwisch, S. 84<br />
187 Bierwisch, S. 86<br />
188 Bierwisch, S. 87<br />
189 Bierwisch, S. 89<br />
190 Bierwisch, S. 89
68<br />
Interesse <strong>de</strong>r Musikwissenschaft absorbiert haben, neu zu durch<strong>de</strong>nken.“ 191 Die strukturelle<br />
Beschaffenheit <strong>de</strong>s kontextuellen Bezuges sei also für musikalische Erscheinungen<br />
neu zu erhellen, wie auch <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r ästhetischen Funktion rational begegnet wer<strong>de</strong>n<br />
müsse im Zusammenhang mit musikalischen Strukturen. Daraus ergeben sich für Bierwisch<br />
erst die Elemente einer überprüfbaren Argumentation für „die Wertung <strong>de</strong>r Qualität<br />
von Musik, <strong>de</strong>r individuellen und gesellschaftlichen Be<strong>de</strong>utsamkeit“ 192 .<br />
3.3. REAKTIONEN AUF MANFRED BIERWISCH<br />
Bierwischs Aufsatz entstand geistig wie topographisch auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r ehemaligen<br />
DDR. Damit waren einem Diskurs darüber auf gesamt<strong>de</strong>utsprachigem Terrain klare Grenzen<br />
gesetzt, auch wenn die Rundfunkausstrahlungen zunächst darüber hinweggingen.<br />
Selbst innerhalb <strong>de</strong>r DDR fand – nach bisheriger Literaturrecherche – in<strong>de</strong>s keinerlei Diskussion<br />
darüber statt, worauf doch die Veröffentlichung <strong>de</strong>zidiert abzielt hatte. Ursachen<br />
können nur spekulativ erörtert wer<strong>de</strong>n. Eine erste provisorische Vermutung ist die, daß<br />
schlicht niemand <strong>de</strong>m etwas hinzuzufügen hatte. Eine an<strong>de</strong>re könnte sein, daß Bierwisch<br />
aufgrund seiner politischen Etikette als »Enfant terrible« nicht im Zentrum wissenschaftlicher<br />
Konversation stand. Vielmehr ist anzunehmen, daß – evtl. staatlich induziert – seine<br />
I<strong>de</strong>en, wenn nicht unerwünscht, so doch als <strong>de</strong>rart pikant angesehen wor<strong>de</strong>n waren, daß<br />
sich ihnen eine gewisse Hemmschwelle vorgelagert haben könnte.<br />
Dazu trug vielleicht auch bei, daß die strukturalistische Konzeption ihrer Zeit weit voraus<br />
war. Mit Bezugnahme auf Kneplers Entwurf, Sprache wie Musik hätte sich evolutionär im<br />
Tier-Mensch-Übergangsfeld etabliert 193 , knüpft Bierwisch an die aktuellste wissenschaftliche<br />
Entwicklung an und führt seine Gedanken gar konsequent weiter aus, als mancher<br />
damals zu akzeptieren bereit war. 194 Auf bun<strong>de</strong>s<strong>de</strong>utschem Terrain sind strukturalistische<br />
Konzepte in <strong>de</strong>r Musikwissenschaft erst Jahre später aufgetaucht in Form <strong>de</strong>r Übersetzung<br />
von Lerdahl und Jackendorff 195 . Danach reagierte auf Bierwisch niemand mehr, obwohl er –<br />
weniger festgelegt auf die Stilistik <strong>de</strong>r Klassik – genau in diese Richtung verwiesen hatte,<br />
191 Bierwisch, S. 89<br />
192 Bierwisch, S. 90<br />
193 Knepler, S. 71f.<br />
194 vgl. Berliner Aka<strong>de</strong>mie, s. 179f.<br />
195 Bradter faßt in seinem Vorwort die Theorie von Lerdahl und Jackendorff zusammen, welche „beansprucht,<br />
als eine psychologische Theorie die Wahrnehmung und Verarbeitung musikalischer Strukturen tonaler Musik<br />
zu beschreiben und zu erklären. Nach dieser Theorie entspricht die hierarchische Struktur musikalischer<br />
Wahrnehmung einer hierarchisch geglie<strong>de</strong>rten Struktur <strong>de</strong>r tonalen Musik, wie sie sich anhand von musiktheoretischen<br />
Analysen aufzeigen läßt. Lerdahl und Jackendorff verknüpfen in ihrer Theorie Ansätze <strong>de</strong>r<br />
kognitiven Psychologie mit <strong>de</strong>r Musiktheorie Heinrich Schenkers und <strong>de</strong>r Generativen Transformationsgrammatik<br />
Noam Chomskys.“ Sie entwerfen damit <strong>de</strong>n Gegenbeweis zur These: „Es ist nicht möglich, für die<br />
Musik ein Stufenschema zu konstatieren, das <strong>de</strong>r sprachlichen Rangreihe Segment – Silbe – Wort – Phrase<br />
Satz entspricht.“ – Bierwisch, S. 41
69<br />
freilich mit einem an<strong>de</strong>ren Ergebnis, daß eben nicht je<strong>de</strong> Musik so durchstrukturiert ist<br />
wie Sprache. Daß sich zumal in <strong>de</strong>r Musikwissenschaft nur wenige trauten, darauf zu rekurrieren<br />
196 , hat seine Ursachen wohl vielleicht auch darin, daß eine weitere, nämlich<br />
sachlich-methodische Hemmschwelle <strong>de</strong>n Zugang erschwert haben mag. Die logisch<strong>de</strong>duktive<br />
Vorgehensweise Bierwischs korreliert keineswegs mit <strong>de</strong>r bis heute in <strong>de</strong>r Musikwissenschaft<br />
üblichen heuristischen Metho<strong>de</strong>, einen Sachverhalt als Tatsache zu begreifen,<br />
solange sich keine Gegenbeispiele dafür fin<strong>de</strong>n lassen. Bierwischs Aufsatz blieb<br />
zwar unbeantwortet, doch er verschwand nicht aus <strong>de</strong>m Bewußtsein. Christian Ka<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r<br />
in seiner »Musiksoziologie« <strong>de</strong>utlich auf Bierwisch bezug nimmt, sicherte ihm ein Plätzchen<br />
in <strong>de</strong>r Ruhmeshalle <strong>de</strong>r Musikwissenschaft, in<strong>de</strong>m er unter Verweis auf Wittgensteins<br />
Modi von Sagen und Zeigen <strong>de</strong>n Aussagen Bierwischs im MGG einen eigenen Absatz<br />
widmete:<br />
„Es besitzt nun außeror<strong>de</strong>ntliche historische Brisanz, daß diese Dichotomie von Sagen und Zeigen<br />
sich bis zur Stun<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Diskussion behaupten kann und speziell von <strong>de</strong>r<br />
strukturellen Linguistik als quasi universelles Erklärungsmuster für die Differenzierung Sprache –<br />
Musik ausgearbeitet wur<strong>de</strong>. Beson<strong>de</strong>ren Einfluß gewann die durch Manfred Bierwisch vorgeschlagene<br />
Kategorisierung von logischer und gestischer Form. […] Der Ansatz löst alle Probleme mo<strong>de</strong>rner<br />
Ästhetik auf einen Streich: die Fragen nach <strong>de</strong>r Spezifik <strong>de</strong>r Musik, ihrer Autonomie, ihrer Semantik<br />
obendrein.“ 197<br />
Doch Ka<strong>de</strong>n weiß auch um Probleme, die mit <strong>de</strong>r Konzeption Bierwischs verbun<strong>de</strong>n sind:<br />
„Allerdings läßt sich ihm entgegenhalten, daß er Sprache ihrerseits rationalistisch verkürze – zugleich<br />
so, und nur so, zu überzeugen weiß. Keineswegs nämlich steht fest, daß die die »logische<br />
Form als Be<strong>de</strong>utung sprachlicher Zeichen« per se auszuweisen sei. Um überhaupt verständlich und<br />
situativ einor<strong>de</strong>nbar zu wer<strong>de</strong>n, bedarf Sprache, im gesprochenen wie im geschriebenen Aggregatzustand,<br />
expressiver Anteile, wenn nicht Ankerreize. Schließlich ist auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Logizität ein<br />
Phänomen zu beobachten, das man Aussage-Artikulation, logische Artikulation nennen könnte. […]<br />
Sprache erscheint also min<strong>de</strong>stens als dreidimensionales Gebil<strong>de</strong>“ 198 .<br />
Dieser Einschätzung schließt sich <strong>de</strong>r Verfasser an und reagiert seinerseits auf einige <strong>de</strong>r<br />
von Bierwisch gestellten For<strong>de</strong>rungen an die Musikwissenschaft sowie bemerkenswerte<br />
Aussagen. Seit <strong>de</strong>m Erscheinen <strong>de</strong>s Aufsatzes hat sich nämlich manches Ungewisse inzwischen<br />
klären lassen, an<strong>de</strong>res ist nach wie vor noch strittig.<br />
Das von Bierwisch gefor<strong>de</strong>rtes Programm 199 fin<strong>de</strong>t er in <strong>de</strong>r Generative Theorie Tonaler<br />
Musik (GTTM) von Lerdahl und Jackendorff vor, da sie – unwissentlich seinem Interesse an<br />
Strukturen entsprechend – am Beispiel klassischer Musik linguistisch konstatierte Regel-<br />
196 So Klemm, S. 20 und Brockhaus – Riemann, S. 14396<br />
197 Ka<strong>de</strong>n: »Zeichen« in MGG Bd. 9, S. 2168f.<br />
198 Ka<strong>de</strong>n: »Zeichen« in MGG Bd. 9, S. 2169<br />
199 vgl. Bierwisch S. 34, 76, 88 u.ö.
70<br />
systeme für einen konkreten Einzelfall zeigen, <strong>de</strong>r dadurch differenziert wer<strong>de</strong>n kann von<br />
Phänomenen an<strong>de</strong>rsartiger Charakteristik und Stilisik, so daß Harnoncourt gar von<br />
verschie<strong>de</strong>nen »Sprachen« re<strong>de</strong>n kann, wenn er – gleichfalls von Chomsky inspiriert,<br />
jedoch weniger schlüssig als Lerdahl und Jackendorff – folgen<strong>de</strong>s hervorhebt:<br />
„Die Musik verän<strong>de</strong>rte Menschen – <strong>de</strong>n Hörer, aber auch <strong>de</strong>n Musiker. Sie mußte immer neu geschaffen<br />
wer<strong>de</strong>n, so wie die Menschen immer wie<strong>de</strong>r neue Häuser bauen mußten – immer wie<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>r neuen Lebensweise, <strong>de</strong>r neuen Geistigkeit entsprechend. So konnte man auch die Alte Musik,<br />
die Musik vergangener Generationen, nicht mehr verstehen und nicht mehr gebrauchen; man bewun<strong>de</strong>rte<br />
gelegentlich ihre hohe Kunstfertigkeit.“ 200<br />
Der einzelne Hinweis Bierwischs diesbezüglich, daß zeitlich wie geographisch unterschie<strong>de</strong>ne<br />
Sprachsysteme – auch in <strong>de</strong>r Musik – existieren, bedarf daher weit größerer Gewichtung.<br />
Sprache ist nicht gleich Sprache, da die sprachlichen Mittel jeweils variieren gemäß<br />
<strong>de</strong>r geistigen Haltung. Musik ist auch nicht gleich Musik und das Vorfindliche <strong>de</strong>r Musik,<br />
ihre materielle Seite ist gleichfalls unterschiedlich. Auch ist „die viel<strong>de</strong>utige Re<strong>de</strong> »vom<br />
musikalischen Material«“ 201 – ein stiller Bezug auf Adorno – zu konkretisieren mit <strong>de</strong>s Urhebers<br />
eigenen Worten:<br />
„Keineswegs stehen <strong>de</strong>m Komponisten unterschiedslos alle je gebrauchten Tonkombinationen heute<br />
zur Verfügung. […] Wenn nicht alles trügt, schließt er heute bereits die Mittel <strong>de</strong>r Tonalität, also<br />
die <strong>de</strong>r gesamten traditionellen Musik, aus. Nicht bloß, daß jene Klänge veraltet und unzeitmäßig<br />
wären. Sie sind falsch. Sie erfüllen ihre Funktion nicht mehr. Der fortgeschrittene Stand <strong>de</strong>r technischen<br />
Verfahrensweisen zeichnet Aufgaben vor, <strong>de</strong>nen gegenüber die traditionellen Klänge als<br />
ohnmächtige Clichés sich erweisen.“ 202<br />
Letzteres hätte Bierwisch von seinen Gesprächspartnern durchaus lernen können. Ersteres<br />
in<strong>de</strong>s dürfte ihm kaum genügen, da Lerdahl und Jackendorff stellenweise diverse Unstimmigkeiten<br />
zugunsten <strong>de</strong>s Gesamtkonzepts kaschieren. So resümiert auch Bradter:<br />
„Im Unterschied zur Sprachwissenschaft gibt es in einer musikalischen Grammatik keine Möglichkeit,<br />
die grammatikalische Richtigkeit anhand einer allgemeinen Sprachkenntnis zu beurteilen. […]<br />
Der Aufbau eines Regelsystems zur Beschreibung musikalischer Strukturen ist durch die vermeintliche<br />
Universalität <strong>de</strong>s Ansatzes und einigen Analogien bezüglich <strong>de</strong>s strukturalistischen Ansatzes<br />
<strong>de</strong>r Sprachwissenschaftler motiviert. Es soll in dieser Ähnlichkeit <strong>de</strong>s formalen Apparates zum Ausdruck<br />
kommen, daß kognitive Mechanismen bezüglich Sprache und Musik vergleichbar sein können.<br />
Dafür gibt es we<strong>de</strong>r Beweise noch zwingen<strong>de</strong> Hinweise. […] Es ist fraglich, ob das Aufstellen eines<br />
Regelsystems grundsätzlich an<strong>de</strong>ren Beschreibungsformen <strong>de</strong>s impliziten Sachverhaltes vorzuziehen<br />
ist. Eine zwingen<strong>de</strong> Notwendigkeit ist nicht zu beobachten, die Wahl dieses Ansatzes kann<br />
weitgehend als willkürlich angesehen wer<strong>de</strong>n. Daher ist es auch nicht gerechtfertigt, aus <strong>de</strong>r ober-<br />
200 Harnoncourt, S. 9f.<br />
201 Bierwisch, S. 89<br />
202 Adorno: Philosophie, S. 40
71<br />
flächlichen Ähnlichkeit eines Regelsystems <strong>de</strong>r musikalischen und sprachwissenschaftlichen<br />
Grammatik zu schließen, daß sich dahinter ein vergleichbarer kognitiver Mechanismus verbirgt.“ 203<br />
Doch auch sei erwähnt, daß Bierwischs Differenzierung auf einer einzigen Hypothese beruht,<br />
nämlich daß man <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>s »Zeigens« auf akustische Vorgänge anwen<strong>de</strong>n<br />
könne, wobei dieser doch lexikalisch <strong>de</strong>zidiert auf optische Vollzüge festgelegt ist. Die<br />
Konzeption eines Vormachens ist als solche wohl <strong>de</strong>nkbar, in<strong>de</strong>s verwun<strong>de</strong>rt es, daß <strong>de</strong>r<br />
Sprachwissenschaftler Bierwisch in Ermangelung treffen<strong>de</strong>r Begrifflichkeiten zu <strong>de</strong>rartigen<br />
Hilfskonstruktionen greifen und einen Kompromiß vorschlagen muß. Ist man nun<br />
nicht gewillt, diesen Kompromiß einzugehen, kippt das ganze sorgsam errichtete Kartenhaus<br />
hinten über, <strong>de</strong>nn konsequenterweise könnte man mit <strong>de</strong>m geflügelten Wort von<br />
Wittgenstein: „Die Grenze meiner Sprache ist die Grenze meiner Welt“ eine solche I<strong>de</strong>e<br />
<strong>de</strong>s musikalischen Zeigens als nicht existent auffassen, wenn es keinen Begriff dafür gibt.<br />
Geht man in<strong>de</strong>s <strong>de</strong>n Kompromiß ein, lösen manche Formulierungen Bierwischs ein allgemeines<br />
Gefühl <strong>de</strong>r Unbestimmtheit aus – z.B. jene, die sich auf <strong>de</strong>n »Als-ob-Modus« 204 von<br />
Musik beziehen, insoweit Bierwisch nicht gänzlich klarstellen kann, welchen Kunstbegriff,<br />
welche Ästhetik er verwen<strong>de</strong>t, wenn er Musik charakterisiert. Die hypothetische Anwendung<br />
seiner Kategorisierung auf gregorianische Gesänge <strong>de</strong>s Mittelalters wür<strong>de</strong> nämlich<br />
dazu führen, daß die vermeintliche Kunstfertigkeit <strong>de</strong>r Musik so blen<strong>de</strong>t, daß die kommunikative<br />
Absicht <strong>de</strong>rartiger Zeitdokumente kaum bemerkt wer<strong>de</strong>n könnte. Doch sie »sind«<br />
Liturgie und tun nicht nur so »als ob«. Es fragt sich nur, ob Bierwisch sie als Musik akzeptiert<br />
wür<strong>de</strong>. Ähnlich unbestimmt zeigt sich die tatsächliche Grenze zwischen Sprache und<br />
Musik, zwischen Sagen und Zeigen, wenn Bierwisch schreibt: „Die logische Form eines<br />
sprachlichen Zeichens [zeigt] die Struktur <strong>de</strong>r Dinge, Beziehungen und Sachverhalte, die<br />
mit ihm benannt o<strong>de</strong>r beschrieben wer<strong>de</strong>n. […] Die Sprache ist ein konventionelles Mittel,<br />
Gedanken zu strukturieren und auszudrücken, die ihrerseits die Realität abbil<strong>de</strong>n, also<br />
zeigen.“ 205 Wieweit Sprache sich also von Musik tatsächlich unterschei<strong>de</strong>t – und nicht nur<br />
prinzipiell –, bleibt ebenso offen, wie die Frage, was einem Gestus eigentlich zugrun<strong>de</strong><br />
liegt bzw. was ihn trennt von <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e. 206 Ist letzterer Zeitunabhängigkeit zueigen, charakterisiert<br />
ersterer die beliebig erweiterbare Permanenz, also gleichfalls Zeitunabhängigkeit.<br />
203 Bradter, S. 170f.<br />
204 Bierwisch, S. 63 u.ö.<br />
205 Bierwisch, S. 61<br />
206 Bierwisch, S. 55
72<br />
Weniger unbestimmt ist inzwischen die Tatsache, daß Musik sich nicht ausschließlich mit<br />
emotionalen, son<strong>de</strong>rn auch mit kognitiven Prozessen verbin<strong>de</strong>t. 207 Zur Zeit <strong>de</strong>s Aufsatzes<br />
jedoch konnte Bierwisch noch das Gegenteil behaupten, da er von einem Erweis <strong>de</strong>s Zusammenhangs<br />
keine Kenntnis hatte. Außerhalb seiner Möglichkeiten zur Kenntnisnahme<br />
stand ferner jene Debatte, die sich um Musik als Text drehte, zumal <strong>de</strong>r Linguist im Übergang<br />
vom Satz zum Text die Grenze seines Fachgebietes erkennt. In<strong>de</strong>s hätte ihn gewiß<br />
interessiert, wie Helga <strong>de</strong> la Motte in ihrem Beitrag 208 auf <strong>de</strong>m Kongreß »Musik als Text«<br />
die Übersetzbarkeit von musikalischen Gebil<strong>de</strong>n exemplifiziert und somit <strong>de</strong>r gegenteiligen<br />
Meinung Bierwischs 209 frontal begegnet. Anerkennt man die Tatsache historisch und<br />
geographisch verschie<strong>de</strong>ner musikalischer »Sprachen« sowie ihre Kompetenz, Text hervorzubringen,<br />
<strong>de</strong>r als »Geflecht« mit gesteigerter Komplexität 210 aufzufassen ist, stellt sich<br />
zwangsläufig heraus, daß eben solches »Geflecht« in jene Sprachen übertragbar sein<br />
muß. An solchen Stellen zeigt sich also, daß Bierwisch einen sehr engen Begriff von Musik<br />
verwen<strong>de</strong>t hat.<br />
Offen wi<strong>de</strong>rsprochen wer<strong>de</strong>n muß <strong>de</strong>r Behauptung, daß sich Sprache strikt ohne Kopplung<br />
an Tonhöhen o<strong>de</strong>r Zeitmuster ereignen 211 , insoweit z.B. das Altgriechisch explizit <strong>de</strong>rartige<br />
Bestimmungen für sprachliche Äußerungen nutzte, daß nämlich die Metrik sowohl<br />
zeitliche Längen und Kürzen als auch tonliche Abstän<strong>de</strong> (ca. eine Quinte bei betonten Silben)<br />
<strong>de</strong>finierte. Für Thrasybolos Georgia<strong>de</strong>s 212 war dies gar <strong>de</strong>r Ausgangspunkt, die Wiege<br />
<strong>de</strong>r Musik in <strong>de</strong>r Ägäis zu suchen. An<strong>de</strong>re Kulturen kennen ähnliche Verfahren <strong>de</strong>r Sprachgenerierung.<br />
213 Akustische Erscheinung gehört zum Wesen von Sprache. Anzunehmen,<br />
man könne sie vollends verstehen ohne klangliche Imagination 214 , ist ebenso verfehlt, wie<br />
auch die Darstellung, daß Kommunikation ohne Medien nur mit Nachrichten auskäme 215 ,<br />
o<strong>de</strong>r die Behauptung, Notenschrift sei unmöglich Musik 216 . Gleichermaßen problematisch<br />
ist <strong>de</strong>r Satz: „Natürliche Sprachen sind <strong>de</strong>mnach prinzipiell arbiträre Zeichensysteme.“ 217<br />
Er wi<strong>de</strong>rspricht <strong>de</strong>r Auffassung, daß entwicklungsbedingt 218 Analogien durchaus konstitu-<br />
207<br />
Insbeson<strong>de</strong>re hat Stoffer diese Zusammenhänge herausgearbeitet.<br />
208 »Musik als Text«, S. 54ff.<br />
209 Bierwisch, S. 64<br />
210 vgl. Danuser, H.: Der Text und die Texte: Über Singularisierung und eine Pluralisierung einer Kategorie.<br />
In: »Musik als Text«, S. 34ff.<br />
211 Bierwisch, S. 12 und beson<strong>de</strong>rs S. 36<br />
212 Georgia<strong>de</strong>s, Thr.: Musik und Sprache.<br />
213 Beispiele bei la Motte: Musikpsychologie<br />
214 Bierwisch, S. 14<br />
215<br />
Bierwisch, S. 16<br />
216<br />
Bierwisch, S. 14<br />
217 Bierwisch, S. 48<br />
218 Von Anthropogenes geht Bierwisch, S. 31 aus. Schlüssiger in<strong>de</strong>s läßt sich die Sprachentwicklung psychologisch<br />
darstellen, zumal bei<strong>de</strong> Konzepte in Relation stehen. „Die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s biogenetischen Grundgesetzes<br />
und <strong>de</strong>s psychogenetischen Grundgesetzes waren für die musikalische Entwicklungsforschung richtungs-
73<br />
tiv waren für Verbalisierungen <strong>de</strong>r Umwelt – und nicht nur schmücken<strong>de</strong> Lautmalerei kindlicher<br />
Spielfreu<strong>de</strong> 219 . Bierwischs Sprachbegriff zeigt also, wie Ka<strong>de</strong>n schon bemerkt, eine<br />
ähnliche Enge wie sein Musikbegriff. Um diese Liste <strong>de</strong>r Unkorrektheiten bei Bierwisch<br />
damit abzuschließen, sei schließlich erwähnt, daß nicht – wie er annimmt – „<strong>de</strong>r gesamte<br />
Bereich <strong>de</strong>s Frequenz- und Lautstärkespektrums in die musikalische Strukturbildung einbezogen<br />
wer<strong>de</strong>n kann“ 220 , weil keineswegs jedwe<strong>de</strong>r akustische Reiz hörbar ist. Entwikkelte<br />
Bierwisch – trotz solcher Patzer – durchaus plausibel und bemerkenswert stringent<br />
die Nuancen zwischen bei<strong>de</strong>n Lautformen, so verbin<strong>de</strong>t sie – was oft genug durch angemerkte<br />
Unbestimmtheiten o<strong>de</strong>r explizite Hinweise Bierwischs aufscheint – ein gewisser<br />
Fundus an Gemeinsamkeiten, <strong>de</strong>r jedoch um <strong>de</strong>r prinzipiellen Unterscheidung willen außen<br />
vor blieb. Ist also in <strong>de</strong>r Sprache mehr zu fin<strong>de</strong>n 221 , als für die vorgestellt Argumentation<br />
nützlich schien, verwun<strong>de</strong>rt es, warum Musik auf »Zeigen« beschränkt bleiben soll.<br />
4. ZUSAMMENFASSUNG<br />
Die pointierte Darstellung <strong>de</strong>r Ergebnisse und Ansätze verschie<strong>de</strong>ner Wissenschaften hat<br />
<strong>de</strong>n Verfasser zu folgen<strong>de</strong>n Einsichten geführt.<br />
1. Musik und Sprache haben auf naturwissenschaftlicher Ebene ausgesprochen viel<br />
gemeinsam. Zwischen bei<strong>de</strong>n zu differenzieren, ist mit nur physikalischen und anatomischen<br />
Grundlagen so gut wie unmöglich. Einzig die physiologischen Betrachtungen<br />
machten Nuancierungen kenntlich, daß nämlich das Frequenzspektrum von<br />
Sprache weit kleiner ist als das von Musik.<br />
2. Größere Unterschie<strong>de</strong> traten zu Tage, als die Psychologie zeigte, daß aus <strong>de</strong>r<br />
kleinstkindlichen »Ammensprache« heraus die sprachlichen und musikalischen<br />
Fähigkeiten sich zunächst gemeinsam, später parallel und schließlich selbständig<br />
entfalten. Speziell <strong>de</strong>r Untersuchung Köhlmanns verdankt sich die Erkenntnis, das<br />
Musik und Sprache aufgrund ihrer Segmentierungsstrukturen voneinan<strong>de</strong>r unterscheidbar<br />
sind. Doch noch überwiegen auf dieser Stufe die Gemeinsamkeiten.<br />
3. Beinah völlige Eigenständigkeit bei<strong>de</strong>r Formen hingegen begegnet auf lingusitischer<br />
Ebene, da beson<strong>de</strong>rs Bierwisch <strong>de</strong>utlich macht, daß Sprache als rationalkognitive<br />
Leistung von <strong>de</strong>r emotional-affektiven Musik unabhängig ist. In<strong>de</strong>s stellt<br />
weisend. Dem biogenetischen Grundgesetz zufolge, das <strong>de</strong>r Zoologe Ernst Haeckel formuliert hat, wie<strong>de</strong>rholt<br />
sich die Stammesgeschichte (Phylogenese) <strong>de</strong>s Menschen in <strong>de</strong>r embryonalen Entwicklung <strong>de</strong>s Individuums<br />
(Ontogenese). Das psychogenetische Grundgesetz (Stanley Hall) besagt, daß die kulturelle Entwicklung<br />
<strong>de</strong>r Menschheit sich in <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>s einzelnen Individuums wie<strong>de</strong>rholt.“ – Gembris, S. 880<br />
219 Die Bioakustik zeigt hier ein beson<strong>de</strong>rs starkes Interesse vgl. Tembrock: Bioakustik, Musik und Sprache.<br />
220 Bierwisch, S. 39<br />
221 vgl. Bierwisch, S. 20, 31, 36, 72 – Schulz von Thuns Konzept bietet für <strong>de</strong>rartige Beobachtungen Hilfe.
74<br />
sich <strong>de</strong>r recht schlüssigen theoretischen Herleitung die Empirie von Lerdahl und<br />
Jackendorff bzw. Stoffer entgegen, daß Musik keineswegs von kognitiven Prozessen<br />
ausgeschlossen sei. Da bei<strong>de</strong> Seiten jedoch verschie<strong>de</strong>nartige Argumente bemühen,<br />
nämlich kognitive Repräsentanz auf seiten <strong>de</strong>r Empirie und sprachliche Inhaltsfixierung<br />
seitens <strong>de</strong>r Theorie, treffen sich diese Konzeptionen nicht. Bei<strong>de</strong> behaupten<br />
ihr Recht und sprechen es somit <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren ab.<br />
4. Diesem Problem ähnlich ist, daß alle rezipierten Publikationen untereinan<strong>de</strong>r nicht<br />
komplett kompatibel sind, insofern sie jeweils ein an<strong>de</strong>res Verständnis ihres darzustellen<strong>de</strong>n<br />
Gegenstan<strong>de</strong>s transportieren. Sehen die einen – wie Bierwisch –<br />
Sprache nur als Alltagssprache an, haben hingegen die an<strong>de</strong>ren als Musik – z.B.<br />
Lerdahl und Jackendorff – auch indische Raga- o<strong>de</strong>r Gamelanmusik im Blick. Die<br />
Vergleichbarkeit ist somit nur bedingt gewährleistet. Fataler in<strong>de</strong>s ist die Tatsache,<br />
daß die Termini Musik und Sprache teilweise Verwendung fin<strong>de</strong>n, wo sie besser<br />
hätten vermie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n sollen. Der »Not« einerseits, daß je<strong>de</strong> Musik Kunst zu<br />
sein hat, entspricht an<strong>de</strong>rerseits das »Elend«, daß jedwe<strong>de</strong> Kommunikation als<br />
Sprache begriffen wird. Hier zeichnet sich Inkompatibilität höchsten Gra<strong>de</strong>s ab.<br />
5. Dennoch scheint unter ihnen ein Einvernehmen möglich zu sein, wenn man von Alleinansprüchen<br />
<strong>de</strong>r jeweiligen Konzeptionsrichtungen abrückt. Jener Konsens, <strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>m Verfasser als tragfähig erscheint, sei exemplarisch dafür vorgestellt:<br />
Geht man davon aus, daß Musik und Sprache Spätfolgen <strong>de</strong>r anfänglichen Bioakustik<br />
sind 222 , ergibt sich daraus, daß bei<strong>de</strong> Formen erworbene Kompetenzen darstellen. In<strong>de</strong>s<br />
die Ausprägung dieser Kompetenzen fällt unterschiedlich aus. Im Falle eines „Ausdrucks<br />
innerer Zustän<strong>de</strong> zur Verhaltensabstimmung“ also, um Ka<strong>de</strong>ns Kommunikationsbegriff als<br />
kleinsten gemeinsamen Nenner zu bemühen statt Bierwischs konstruierter Zeige-<br />
Kategorie, wäre wohl kaum zu erwarten, daß alle an <strong>de</strong>r Kommunikation Beteiligten i<strong>de</strong>ntische<br />
Kompetenzen aufweisen. Es wer<strong>de</strong>n zwangsläufig nuancierte Impulse zu vielerlei<br />
Auffassungen führen, die – nach Luhmann – anschlußfähig sein könnten. Als ein Spezialfall<br />
von Kommunikation gelte somit Sprache im eigentlichen Sinne <strong>de</strong>s Wortes. Ihr und nur<br />
ihr eignet die bewußte, kognitive I<strong>de</strong>ntifizierung <strong>de</strong>r Sachaussagen und ihrer logischen<br />
Verknüpfungen. Jene Beispiele <strong>de</strong>r Musik, die vergleichbares leisten, wer<strong>de</strong>n somit konsequent<br />
als Sprache akzeptiert. Gleichsam unbewußt – um im Schema C.G. Jungs zu bleiben<br />
– ereignet sich die Selbstkundgabe durch die Beziehungshinweise. Ist die sachliche<br />
Information einer Botschaft <strong>de</strong>m nachgeordnet, bleibt die Mitteilung quasi kommunikativ,<br />
vermittelt Emotionen, Einstellungen, Stimmungen. In dieser Form wird Musik oft angetrof-<br />
222 vgl. Tembrock: Bioakustik. Freilich geht er von einer Anthropogenese aus.
75<br />
fen, weshalb dies gern als ihre einzige Form interpretiert wird. Jedoch es gibt auch in <strong>de</strong>r<br />
Musik an<strong>de</strong>re Möglichkeiten. Als »kollektive« unbewußte Kopplung fungiert <strong>de</strong>mnach die<br />
Interaktion auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>s Appells, da keinerlei kognitiven Leistungen zu erbringen<br />
sind. Ein <strong>de</strong>rartiges Schema bietet Raum für die verschie<strong>de</strong>nen Verständnisse von Musik<br />
und Sprache, da alle Ebenen zugleich betroffen sein können bzw. auch nur eine o<strong>de</strong>r zwei.<br />
Fragen <strong>de</strong>r Ästhetik sind hierbei bewußt außen vorgeblieben. Vielmehr drängt es <strong>de</strong>n Verfasser<br />
dazu, die eindimensionalen Re<strong>de</strong>weisen von »<strong>de</strong>r« Musik und »<strong>de</strong>r« Sprache aufzufächern<br />
in ein vielschichtiges Verständnis von Kommunikation. Sprache geht keineswegs<br />
voll in Musik auf wie Musik umgekehrt nicht vollends Sprache ist. Vielmehr erscheint in<br />
<strong>de</strong>r „Mitteilung innerer Zustän<strong>de</strong> zur Verhaltensabstimmung“ <strong>de</strong>r eigentliche Schnittpunkt<br />
bei<strong>de</strong>r Ausdrucksformen menschlichen Miteinan<strong>de</strong>rs.
LITERATURVERZEICHNIS:<br />
Die Angabe <strong>de</strong>r verwen<strong>de</strong>ten Literatur erfolgt in alphabetischer Folge nach <strong>de</strong>r CIP-Einheitsaufnahme.<br />
Adorno, Theodor W.:<br />
Fragment über Musik und Sprache. In: Quasi una Fantasia. – Frankfurt: Suhrkamp, 1963.<br />
(Schriften; Bd.16)<br />
Adorno, Theodor W.:<br />
Philosophie <strong>de</strong>r neuen Musik. – 8. Aufl. – Frankfurt: Suhrkamp, 1997.<br />
Die Berliner Aka<strong>de</strong>mien <strong>de</strong>r Wissenschaften im geteilten Deutschland 1945 – 1990 / Unter<br />
Mitarbeit von Peter Nötzoldt und Peter Th. Walther Berlin hrsg. von Jürgen Kocka. – Berlin:<br />
Aka<strong>de</strong>mie, 2002.<br />
(Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Berliner Aka<strong>de</strong>miegeschichte im 19. und 20.Jahrhun<strong>de</strong>rt,<br />
Forschungsberichte; Bd. 9)<br />
Berlin-Bran<strong>de</strong>nburgische Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften:<br />
Jahrbuch 1992 | 1993 / Berlin-Bran<strong>de</strong>nburgische Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften (vormals<br />
Preußische Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften). – Berlin: Aka<strong>de</strong>mie, 1994.<br />
Bierwisch, Manfred:<br />
Musik und Sprache: Überlegungen zu ihrer Struktur und Funktionsweise, in: Jahrbuch Peters<br />
/ begr. 1894 als Jahrbuch <strong>de</strong>r Musikbibliothek Peters, fortgeführt als Deutsches Jahrbuch<br />
<strong>de</strong>r Musikwissenschaft von Walter Vetter und Rudolf Eller – 1. Jahrgang 1978 – Leipzig:<br />
Peters, 1979.<br />
Bradter, Cornelius:<br />
Die Generative Theorie <strong>de</strong>r Tonalen Musik: Grundlagen und Entwicklungsimpulse durch F.<br />
Lerdahl und R. Jackendorff. – Münster: Lit, 1998.<br />
Brockhaus – die Enzyklopädie:<br />
in vierundzwanzig Bän<strong>de</strong>n. –Leipzig; Mannheim: Brockhaus, 2001.<br />
Brockhaus – Körper, Geist und Seele<br />
von A - Z. – 20., überarb. und aktualisierte Aufl. – Leipzig; Mannheim: Brockhaus, 2001.<br />
Brockhaus – Riemann - Musiklexikon /<br />
hrsg. von Carl Dahlhaus und Hans Heinrich Eggebrecht – Berlin: Directmedia Publ., 2000.<br />
Dahlhaus, Carl:<br />
Musik als Text. in: Dichtung und Musik: Kaleidoskop ihrer Beziehungen / hrsg. von Günter<br />
Schnitzler. – 1. Aufl. – Stuttgart: Klett-Cotta, 1979.
Eberlein, Roland; Fricke, Jobst Peter:<br />
Ka<strong>de</strong>nzwahrnehmung und Ka<strong>de</strong>nzgeschichte: ein Beitrag zu einer Grammatik <strong>de</strong>r Musik. –<br />
Frankfurt: Lang, 1992.<br />
Fricke, Jobst Peter (Hg.):<br />
Die Sprache <strong>de</strong>r Musik: Festschrift Klaus Wolfgang Niemöller zum 60. Geburtstag am 21.<br />
Juli 1989 / unter Mitarb. von Bram Gätjen ... hrsg. von Jobst Peter Fricke. – Regensburg:<br />
Bosse, 1989.<br />
Gembris, Heiner:<br />
Grundlagen <strong>de</strong>r musikalischen Begabung und Entwicklung. – Augsburg: Wißner, 1998.<br />
(Reihe Wißner-Lehrbuch; Bd. 1) (Forum Musikpädagogik; Bd. 20)<br />
Georgia<strong>de</strong>s, Thrasybolos G.:<br />
Musik und Sprache / das Wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r abendländischen Musik dargestellt an <strong>de</strong>r Vertonung<br />
<strong>de</strong>r Messe Verfasserangabe von Thr. Georgia<strong>de</strong>s. – Berlin [u.a.]: Springer, 1954.<br />
(Verständliche Wissenschaft ; Bd. 50)<br />
Gülke, Peter:<br />
Die Sprache <strong>de</strong>r Musik: Essays zur Musik von Bach bis Hollinger. – Stuttgart; Weimar:<br />
Metzler; Kassel: Bärenreiter, 2001.<br />
Harnoncourt, Nikolaus:<br />
Musik als Klangre<strong>de</strong>. – Kassel: Bärenreiter, 1982.<br />
Jenni, Ernst:<br />
Lehrbuch <strong>de</strong>r hebräischen Sprache <strong>de</strong>s Alten Testaments / Neubearb. <strong>de</strong>s „Hebräischen<br />
Schulbuchs“ von Hollenberg-Bud<strong>de</strong>. – Basel; Frankfurt: Helbing & Lichtenhahn, 1981.<br />
Ka<strong>de</strong>n, Christian:<br />
Musiksoziologie. – Berlin: Neue Musik, 1984.<br />
Klemm, Gerhard:<br />
Untersuchungen über <strong>de</strong>n Zusammenhang musikalischer und sprachlicher Wahrnehmungsfähigkeiten.<br />
– Frankfurt; Bern; New York; Paris: Lang, 1987.<br />
Knepler, Georg:<br />
Geschichte als Weg zum Musikverständnis: Zur Theorie, Metho<strong>de</strong> und Geschichte <strong>de</strong>r Musikgeschichtsschreibung.<br />
– Leipzig: Reclam, 1. Aufl. 1977; 2., überarb. Aufl. 1982.
Köhlmann, Michael:<br />
Rhythmische Segmentierung von Schallsignalen und ihrer Anwendung auf die Analyse von<br />
Sprache und Musik. – Vollständiger Abdruck <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Fakultät für Elektrotechnik <strong>de</strong>r<br />
Technischen Universität München zur Erlangung <strong>de</strong>s aka<strong>de</strong>mischen Gra<strong>de</strong>s eines Dr.-Ing.<br />
genehmigten Dissertation. – München: Frank, 1984.<br />
Laufer, Daniela:<br />
Untersuchungen zur Transferwirkung <strong>de</strong>r Musik auf die sprachlichen Leistungen von Menschen<br />
mit geistiger Behin<strong>de</strong>rung. – Köln-Rheinkassel: Dohr, 1995.<br />
(Kölner Studien zur Musik in Erziehung und Therapie; Bd. 2)<br />
Luhmann, Niklas:<br />
Was ist Kommunikation? Vortrag auf <strong>de</strong>m Symposion „Leben<strong>de</strong> Systeme – Konstruktion<br />
und Verän<strong>de</strong>rung von Wirklichkeiten und ihrer Relevanz für die systematische Therapie“<br />
vom 28.2. – 2.3.1986 in Hei<strong>de</strong>lberg. in: Information Philosophie, 15. Jahrgang, Heft 1, 1987.<br />
Michels, Ulrich:<br />
dtv-Atlas zur Musik. – Original-Ausg. – München: Deutscher Taschenbuch Verlag.<br />
Bd. 1: Systematischer Teil. Musikgeschichte von <strong>de</strong>n Anfängen bis zur Renaissance. 17.<br />
Aufl. – 1997.<br />
Bd. 2: Historischer Teil. Musikgeschichte vom Barock bis zur Gegenwart. 10. Aufl. – 1997.<br />
Musik als Text: Bericht über <strong>de</strong>n internationalen Kongreß <strong>de</strong>r Gesellschaft für Musikforschung<br />
Freiburg im Breisgau 1993 / hrsg. von Hermann Danuser und Tobias Plebuch. –<br />
Kassel [u.a.]: Bärenreiter, 1998.<br />
Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Allgemeine Enzyklopädie <strong>de</strong>r Musik / unter Mitarbeit<br />
zahlreicher Musikforscher <strong>de</strong>s In- und Auslan<strong>de</strong>s hrsg. von Friedrich Blume. – Elektronische<br />
Ausgabe <strong>de</strong>r ersten Auflage (1949-1986). – Berlin: Directmedia Publ., 2001.<br />
(Digitale Bibliothek Band; 60)<br />
Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Allgemeine Enzyklopädie <strong>de</strong>r Musik; 21 Bän<strong>de</strong> in<br />
zwei Teilen / begr. Von Friedrich Blume. – 2., neubearb. Ausg. / hrsg. von Ludwig Finscher<br />
– Kassel; Basel; London; New York; Prag: Bärenreiter; Stuttgart; Weimar: Metzler.<br />
Musikpsychologie: Ein Handbuch. / hrsg. von Herbert Bruhn, Rolf Oerter und Helmut Rösing.<br />
– 4. Aufl. – Reinbeck: Rowohlt, 2002.<br />
(Rowohlts Enzyklopädie; Bd. 55526)
La Motte-Haber, Helga <strong>de</strong>:<br />
Handbuch <strong>de</strong>r Musikpsychologie. – Laaber: Laaber, 1985.<br />
La Motte-Haber, Helga <strong>de</strong>:<br />
Musikpsychologie: Eine Einführung. – Köln: Gerig, 1972.<br />
(Musik-Taschen-Bücher Theoretica; Bd. 14)<br />
Pfaltz, Carl Rudolf:<br />
Sprache und Musik – sinnesphysiologische Aspekte menschlicher Kommunikation: Rektoratsre<strong>de</strong><br />
gehalten an <strong>de</strong>r Jahresfeier <strong>de</strong>r Universität Basel am 25. November 1985. – Basel:<br />
Helbing und Lichtenhahn, 1988.<br />
(Baseler Universitätsre<strong>de</strong>n; Heft 82)<br />
Physiologie <strong>de</strong>r Haustiere /<br />
hrsg. von Wolfgang von Engelhardt und Gerhard Breves. – Stuttgart: Enke, 2000.<br />
Provo, Hermann:<br />
Die Musik als Sprache: Musikalische Betrachtungen von Hermann Provo. – Leipzig:<br />
Sphinx, 1906.<br />
Rousseau, Jean-Jacques:<br />
Musik und Sprache: ausgewählte Schriften / aus <strong>de</strong>m Französischen übertragen von Dorothea<br />
und Peter Gülke hrsg. von Peter Gülke. – 1. Aufl. – Leipzig: Reclam, 1989.<br />
Schnei<strong>de</strong>r, Reinhard:<br />
Semiotik <strong>de</strong>r Musik. - München: Fink, 1980.<br />
(Kritische Information; Bd. 90)<br />
Schulz von Thun, Frie<strong>de</strong>mann; Ruppel, Johannes; Stratmann, Roswitha:<br />
Miteinan<strong>de</strong>r re<strong>de</strong>n: Kommunikationspsychologie für Führungskräfte. – Reinbek: Rowohlt,<br />
2000.<br />
Schuster, Volker:<br />
Polygraphische Untersuchungen zur Hemisphärendominanz von Sprache und Musik bei<br />
Musikern und Nichtmusikern: Inaugural-Dissertation zur Erlangung <strong>de</strong>s Medizinischen<br />
Doktorgra<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Medizinischen Fakultät <strong>de</strong>r Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br. –<br />
o.O.: o.V., 1983.
Stoffer, Thomas H.:<br />
Mo<strong>de</strong>lle <strong>de</strong>r kognitiven Verarbeitung und Repräsentation musikalischer Strukturen. in:<br />
Perspektive <strong>de</strong>r Kognitionspsychologie / hrsg. von Odmar Neumann. – Berlin; Hei<strong>de</strong>lberg:<br />
Springer, 1985.<br />
(Lehr- und Forschungstexte Psychologie; Bd. 15)<br />
Stoffer, Thomas H.:<br />
Parallelen zwischen Ernst Kurths Konzeption <strong>de</strong>r Musikpsychologie und <strong>de</strong>r gegenwärtigen<br />
Entwicklung <strong>de</strong>r kognitiven Musikpsychologie. in: Musikpsychologie: empirische Forschungen,<br />
ästhetische Experimente; Jahrbuch <strong>de</strong>r Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie.<br />
– Wilhelmshaven: Heinrichshofen, 1984.<br />
Stoffer, Thomas H.:<br />
Wahrnehmung und Repräsentation musikalischer Strukturen: funktionale und strukturelle<br />
Aspekte eines kognitiven Mo<strong>de</strong>lls <strong>de</strong>s Musikhörens / Inaugural-Dissertation zur Erlangung<br />
<strong>de</strong>s Gra<strong>de</strong>s eines Doktors <strong>de</strong>r Philosophie in <strong>de</strong>r Abteilung für Philosophie, Pädagogik,<br />
Psychologie <strong>de</strong>r Ruhr-Universität vorgelegt von Thomas H. Stoffer. – Bochum: Ruhr-<br />
Universität, 1981.<br />
Tembrock, Günter:<br />
Bioakustik, Musik und Sprache / hrsg. im Auftrag <strong>de</strong>s Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften<br />
<strong>de</strong>r DDR. – Berlin: Aka<strong>de</strong>mie, 1978.<br />
(Sitzungsberichte <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften <strong>de</strong>r DDR, Mathematik – Naturwissenschaften<br />
– Technik; 1N/1978)<br />
Weiterhin wur<strong>de</strong>n Mitschriften verwen<strong>de</strong>t, die bei Seminaren bzw. Vorlesungen am musikwissenschaftlichen<br />
Institut und bei an<strong>de</strong>ren Veranstaltungen <strong>de</strong>r Universität Leipzig<br />
entstan<strong>de</strong>n sind, sowie das Tondokument »Sprache und Musik – Wort-Musik-Sendung Dr.<br />
Manfred Bierwisch * AUT: Boeck 25.05.1977« DRA-NR. 3MG 2839 A-B <strong>de</strong>s Deutschen<br />
Rundfunkarchives Frankfurt am Main – Berlin.<br />
SELBSTÄNDIGKEITSERKLÄRUNG<br />
Ich erkläre, daß ich diese Magisterarbeit selbständig erstellt und keine weiteren als die<br />
angeführten Quellen und Hilfsmittel verwen<strong>de</strong>t habe.<br />
Juni 2003<br />
Andreas <strong>Konrath</strong>