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MUSIK UND SPRACHE - KH-Konrath.de

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Institut für Musikwissenschaft an <strong>de</strong>r<br />

Fakultät für Kunst, Geschichteund<br />

Orientwissenschaften<br />

<strong>de</strong>r Universität<br />

Leipzig<br />

WISSENSCHAFTLICHE ARBEIT<br />

zur Erlangung <strong>de</strong>s aka<strong>de</strong>mischen<br />

Titels eines Magister Artium<br />

<strong>MUSIK</strong> <strong>UND</strong> <strong>SPRACHE</strong><br />

MANFRED BIERWISCHS ZEICHENKONZEPT.<br />

Gutachter:<br />

Prof. Dr. habil. Klaus Mehner<br />

Dr. habil. Lothar Schmidt<br />

eingereicht im Juni 2003 von<br />

cand. phil. Andreas <strong>Konrath</strong><br />

Schwarzackerstr.8<br />

04299 Leipzig<br />

Matrikelnummer: 7553480


INHALT:<br />

1. Aufgabenstellung - - - - - - - - S. 1<br />

2. Vorverständnis - - - - - - - - S. 2<br />

2.1. physikalische Aspekte - - - - - - - S. 4<br />

2.2.1. Schall - - - - - - - S. 4<br />

2.2.2. Klang - - - - - - - S. 5<br />

2.2.3. Geräusche und Laute - - - - - S. 5<br />

2.2. medizinische Aspekte - - - - - - S. 6<br />

2.2.1. organische Grundlagen - - - - - S. 6<br />

2.2.2. physiologische Grundlagen - - - - - S. 9<br />

2.3. psychologische Aspekte - - - - - - S. 14<br />

2.3.1. entwicklungspsychologische Aspekte - - - S. 14<br />

2.3.2. differentialpsychologische Aspekte - - - S. 18<br />

2.3.3. psychoanalytische Aspekte - - - - S. 21<br />

2.3.4. gestaltpsychologische Aspekte - - - - S. 22<br />

2.3.5. kognitionspsychologische Aspekte - - - S. 24<br />

2.3.5.1. <strong>de</strong>r Standpunkt von Thomas H. Stoffer - - S. 25<br />

2.3.5.2. <strong>de</strong>r Standpunkt von Helga <strong>de</strong> la Motte-Haber - S. 28<br />

2.4. soziologische Aspekte - - - - - - S. 35<br />

2.4.1. Interaktion - - - - - - S. 36<br />

2.4.2. Kommunikation - - - - - - S. 38<br />

2.4.2.1. mehrfache Kommunikation - - - S. 41<br />

2.4.2.2. nichts als Kommunikation - - - S. 42


3. Aspekte <strong>de</strong>r Sprachwissenschaft - - - - - - S. 45<br />

3.1. Voraussetzungen von Manfred Bierwisch - - - - S. 47<br />

3.2. Aussagen von Manfred Bierwisch - - - - - S. 47<br />

3.2.1. Einleiten<strong>de</strong> Bemerkungen - - - - - S. 47<br />

3.2.2. Musik, Sprache, Literatur - - - - - S. 48<br />

3.2.3. Sprache und Musik als akustische Kommunikationsformen S. 49<br />

3.2.4. Grundbedingen <strong>de</strong>r Kommunikation - - - S. 50<br />

3.2.5. Zeichen und Zeichensysteme - - - - S. 51<br />

3.2.6. Kommunikation, kognitive und emotionale Strukturen - S. 52<br />

3.2.7. Sprachkenntnis und Musikkenntnis - - - S. 53<br />

3.2.8. Zeitmuster - - - - - - S. 54<br />

3.2.9. Segmentstrukturen - - - - - S. 54<br />

3.2.10. Codierungsformen - - - - - S. 56<br />

3.2.11. logische Form als Be<strong>de</strong>utung sprachlicher Zeichen - S. 58<br />

3.2.12. gestische Form als Be<strong>de</strong>utung musikalischer Zeichen - S. 59<br />

3.2.13. Sagen und Zeigen - - - - - S. 61<br />

3.2.14. Syntax - - - - - - S. 62<br />

3.2.15. ZEICHEN <strong>UND</strong> TEXT - - - - - S. 63<br />

3.2.16. Motivierte und konventionelle syntaktische Strukturen - S. 64<br />

3.2.17. Elementarzeichen - - - - - S. 65<br />

3.2.18. Coda - - - - - - - S. 67<br />

3.3. Reaktionen auf Manfred Bierwisch - - - - - S. 68<br />

4. Zusammenfassung - - - - - - - - S. 73<br />

Literaturverzeichnis


1<br />

1. AUFGABENSTELLUNG<br />

Ziel dieser Arbeit ist es, zu ermitteln, wo Musik und Sprache als menschliche Ausdrucksformen<br />

Gemeinsamkeiten bzw. Unterschie<strong>de</strong> aufweisen. Die Problematik ist keineswegs<br />

neu und kann inzwischen von vielerlei Richtung aus in Augenschein genommen wer<strong>de</strong>n.<br />

Entwicklungs- und Lernpsychologen interessieren sich ebenso dafür wie Theater- und Literaturwissenschaftler.<br />

1 Einzelne Erkenntnisse dieser sekundären Herangehensweisen wer<strong>de</strong>n<br />

freilich zu berücksichtigen sein. In<strong>de</strong>s konzentriert sich diese Arbeit auf Aussagen <strong>de</strong>r<br />

Musikwissenschaft im Allgemeinen und <strong>de</strong>r Linguistik im Speziellen – vertreten durch <strong>de</strong>n<br />

Berliner Sprachwissenschaftler Manfred Bierwisch.<br />

1 Verwiesen sei auf <strong>de</strong>n Überblick, <strong>de</strong>n Gembris: Grundlagen bietet, sowie auf Fecker, Adolf: Sprache und<br />

Musik: Phänomenologie <strong>de</strong>r Deklamation in Oper und Lied <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts. – Hamburg: Wagner, 1984<br />

bzw. auf <strong>de</strong>n Kongreß »Musik als Text« in Freiburg 1993.


2<br />

2. VORVERSTÄNDNIS<br />

Das Nach<strong>de</strong>nken darüber, wie etwas beschrieben und erklärt wer<strong>de</strong>n kann, ist ursprünglich<br />

innerhalb <strong>de</strong>r Philosophie zuhause. Gleichsam vom Beginn <strong>de</strong>r jetzigen europäischen<br />

Kultur sind Überlegungen von Platon bzw. Aristoteles überliefert, die sich jeweils auf Gedanken<br />

über die Realitäten und Vorstellungen <strong>de</strong>r Welt konzentrieren. Ein Ergebnis <strong>de</strong>ssen<br />

war die Unterscheidung <strong>de</strong>s Kosmos in die Welt <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>en und die <strong>de</strong>r Tatsachen.<br />

Letzte war wie<strong>de</strong>rum nach einem Ordnungsprinzip – einer I<strong>de</strong>e – beschaffen. Diese I<strong>de</strong>e<br />

wird als Harmonie <strong>de</strong>r Welt gedacht und die Kunst <strong>de</strong>r Harmonien, also die Musik als beinah<br />

überirdisch empfun<strong>de</strong>n. Die Redner wie die Philosophen wur<strong>de</strong>n dagegen als genuin<br />

irdisch angesehen.<br />

Eine schwächere Polarisierung fin<strong>de</strong>t sich auch in <strong>de</strong>n septem artes liberales, <strong>de</strong>n sieben<br />

freien Künsten – <strong>de</strong>r antiken Ausbildung zum Philosophieren –, die sich in ein mathematisch-naturwissenschaftlich<br />

orientiertes Trivium und ein stärker rhetorisch-philosophisches<br />

Quadrivium teilten. Musik zählte hierbei zunächst jedoch zu <strong>de</strong>n grundlegen<strong>de</strong>n,<br />

trivialen Künsten. Als im Mittelalter die freien Künste das „Grundstudium“ für Theologie,<br />

Philosophie o<strong>de</strong>r Medizin an <strong>de</strong>n Universitäten darstellten, wur<strong>de</strong> Musik <strong>de</strong>m Quadrivium<br />

zugeordnet, worin sich das gewan<strong>de</strong>lte Verhältnis von Musik und Sprache wi<strong>de</strong>rspiegelt.<br />

Aus <strong>de</strong>n philosophischen Betrachtungen <strong>de</strong>r Welt und ihrer Inhalte stammt die Beschreibung<br />

<strong>de</strong>s Schönen, die Ästhetik. Insbeson<strong>de</strong>re Hegel hat eine bis heute relevante Lehre in<br />

diesem Bereich entworfen. Musikästhetik als ein Teilbereich <strong>de</strong>ssen hatte sich jedoch im<br />

Laufe <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>rart verselbständigt, daß sich ihm an<strong>de</strong>re Teilbereiche bald zugesellten,<br />

bis schließlich die Disziplin »Musikwissenschaft« etabliert wur<strong>de</strong>. Wenig beeindruckt von<br />

<strong>de</strong>n aka<strong>de</strong>mischen Entwicklungen fand in<strong>de</strong>s die Ausbildung <strong>de</strong>r Musiker lange Zeit ähnlich<br />

an<strong>de</strong>ren Handwerkskünsten statt, da es hierbei weniger auf das Wissen als auf das<br />

Können ankommt, insoweit nämlich die Fertigkeiten zu musizieren praktisch zu vermitteln<br />

bzw. auszuführen sind. Die philosophische Theorie war und ist bis heute <strong>de</strong>mnach im<br />

wahrsten Sinne <strong>de</strong>s Wortes ein Nach-Denken über das Sein und die Wirkung von Musik. 2<br />

Nach dieser eher flüchtigen Besinnung darauf, woher die Thematik rührt, folgt <strong>de</strong>r Aufbau<br />

<strong>de</strong>r Arbeit also <strong>de</strong>m Muster <strong>de</strong>r Freien Künste und schreitet von <strong>de</strong>n naturwissenschaftlichen<br />

Grundlagen zu <strong>de</strong>n geisteswissenschaftlichen Diskursen.<br />

2 Zur Geschichte <strong>de</strong>r Problematik siehe la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 133f.


3<br />

Die Topoi Musik und Sprache legen nahe, daß bei dieser Thematik primär die Linguistik<br />

und die Musikwissenschaft gefor<strong>de</strong>rt sind. Die Vorrangstellung <strong>de</strong>r Musik im Titel in<strong>de</strong>s<br />

markiert das Interesse daran, wo sie Gemeinsamkeiten o<strong>de</strong>r Unterschie<strong>de</strong> zur Sprache<br />

aufweist. Doch bei einer solchen musikwissenschaftlichen Arbeit steht die Thematik nicht<br />

allein auf <strong>de</strong>n Füßen historischer Untersuchungen, son<strong>de</strong>rn sie erfor<strong>de</strong>rt systematischen<br />

Weitblick, <strong>de</strong>r die geschichtlichen Aspekte <strong>de</strong>s Themas eingeordnet in ein komplexes System<br />

verschie<strong>de</strong>ner Einflußfaktoren, das sich u.a. zusammensetzt aus <strong>de</strong>n Teilgebieten<br />

Akustik, Stimm- und Gehörphysiologie, Musikpsychologie, Musiksoziologie, Musikpädagogik,<br />

Musikphilosophie sowie Musikästhetik. 3 Zur näheren Bestimmung <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n<br />

Faktoren stehen <strong>de</strong>r Musikwissenschaft aka<strong>de</strong>mische Disziplinen zur Seite, die<br />

teils weit über <strong>de</strong>n musikwissenschaftlichen Horizont hinausreichen. Im vorliegen<strong>de</strong>n Falle<br />

zählen dazu z.B. die Physik, die Medizin, die Psychologie und die Soziologie. Im<br />

Schnittpunkt dieser Wissenschaftsbereiche ist die Thematik »Musik und Sprache« positioniert,<br />

weshalb zu fragen ist, welche Erkenntnisse <strong>de</strong>r jeweilige Bereich beitragen kann<br />

zum Vorverständnis von Musik und Sprache, ehe <strong>de</strong>r Blick durch die Brille <strong>de</strong>r Musikwissenschaft<br />

auf <strong>de</strong>n Entwurf Bierwischs gerichtet wird.<br />

Zuvor ist jedoch eine Abgrenzung <strong>de</strong>r Thematik vonnöten, um bei <strong>de</strong>r Komplexität <strong>de</strong>s<br />

Themenfel<strong>de</strong>s nicht Gefahr zu laufen, sich in <strong>de</strong>r Vertiefung unzähliger Einzelproblematiken<br />

zu verlieren. So wer<strong>de</strong>n diverse Problemkreise <strong>de</strong>r Hermeneutik o<strong>de</strong>r Rhetorik keinesfalls<br />

erschöpfend erörtert, wie dies ebenso für alle Fragen <strong>de</strong>r Ästhetik unmöglich ist, aus<br />

<strong>de</strong>ren Kontext das Thema ursprünglich entstammt 4 , insofern nämlich sie jeweils von mehr<br />

o<strong>de</strong>r min<strong>de</strong>r konkreten o<strong>de</strong>r kategorischen Einzelphänomenen han<strong>de</strong>ln. Gleichfalls wird<br />

auf physiologische und psychologische Aspekte <strong>de</strong>r Wahrnehmung und <strong>de</strong>r Lautgebung<br />

nur hingewiesen wer<strong>de</strong>n sowie auf physikalische Grundlagen <strong>de</strong>r Akustik, da sie eigens<br />

Themen naturwissenschaftlicher Abhandlung sind, <strong>de</strong>ren Ergebnisse für <strong>de</strong>n Geisteswissenschaftler<br />

zwar nachvollziehbar sind, <strong>de</strong>ren Verifizierung bzw. Falsifizierung ihm aber<br />

nicht obliegt. Auch wer<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Linguistik wie aus <strong>de</strong>r Kommunikationswissenschaft<br />

generell Aussagen diskutiert, <strong>de</strong>ren Gültigkeit im Einzelnen jeweils vorausgesetzt wird.<br />

Soweit sich <strong>de</strong>r Verfasser also auf die Hilfe an<strong>de</strong>rer Fachbereiche stützt, geschieht es in<br />

<strong>de</strong>r Absicht, die Be<strong>de</strong>utung ihrer Ergebnisse für <strong>de</strong>n zu verhan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Gegenstand zu<br />

würdigen und sie im interdisziplinären Dialog als Partner zu begreifen.<br />

3 vgl. Michel, Bd. 1, S. 12<br />

4 vgl. Klemm, S. 1


4<br />

2.1. PHYSIKALISCHE ASPEKTE<br />

Dank <strong>de</strong>n Forschungen in <strong>de</strong>r Physik sind sprachliche wie musikalische Klänge meß- und<br />

i<strong>de</strong>ntifizierbar u.a. anhand <strong>de</strong>r Obertonspektren bzw. Überlagerungskurven. Auch die Bedingungen,<br />

unter <strong>de</strong>nen Schallübertragung in verschie<strong>de</strong>nen Stoffen stattfin<strong>de</strong>t, sind physikalisch<br />

bekannt wie ebenso die räumlich-zeitlichen Faktoren <strong>de</strong>r Interferenz, <strong>de</strong>r Reflexion<br />

usw. 5 Insofern sind diese akustischen Erkenntnisse von Belang, als daß sie bei je<strong>de</strong>m<br />

Akt absichtlicher Lautgebung in einem Zimmer, einem Saal, einer Halle usw. zu beachten<br />

sind. Für die vorliegen<strong>de</strong> Arbeit in<strong>de</strong>s ist primär von Interesse, ob zwischen Musik und<br />

Sprache physikalisch unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n kann.<br />

2.1.1. SCHALL<br />

Hinter <strong>de</strong>r Vokabel »Schall« verbirgt sich die Vielfalt aller akustischen Phänomene. Zur<br />

Darstellung <strong>de</strong>s physikalischen Prinzips sei daher exemplarisch eine Schwingung isoliert<br />

und näher skizziert:<br />

Die zeitliche Aus<strong>de</strong>hnung einer einzelnen<br />

Schwingung – als »Perio<strong>de</strong>« bezeichnet –<br />

ist umgekehrt proportional zu <strong>de</strong>m Begriff<br />

<strong>de</strong>r »Frequenz«, <strong>de</strong>r die Tonhöhe angibt,<br />

also wie viele Schwingungen pro Sekun<strong>de</strong><br />

erfolgen. Das Ausmaß <strong>de</strong>r Elongation alias<br />

»Amplitu<strong>de</strong>« ergibt zusammen mit <strong>de</strong>m<br />

Schalldruck und <strong>de</strong>r Schallstärke die Lautstärke.<br />

Weitere Parameter sind Volumen,<br />

Dichte und Dauer <strong>de</strong>s Schalls.<br />

< Darstellung aus Michel, Bd.1, S. 16<br />

Der Entstehungsprozeß <strong>de</strong>s Schalls verläuft <strong>de</strong>rart, daß durch Energiezufuhr eines<br />

Schwingungserregers die nächsten Moleküle <strong>de</strong>s ihn umgeben<strong>de</strong>n Stoffes – z.B. Luft –<br />

verdrängt und dadurch ebenfalls in Schwingung versetzt wer<strong>de</strong>n, welche wie<strong>de</strong>rum die<br />

Schwingung übertragen, bis das Energiepotential <strong>de</strong>r Schwingung <strong>de</strong>r Teilchen erschöpft<br />

ist. Der Schall läßt vor Ort und in seiner Ausbreitung nach.<br />

5 Einen Überblick bietet Michel, Bd. 1, S. 14ff., <strong>de</strong>r für das Kapitel 2.2. die Grundlage bil<strong>de</strong>t.


5<br />

2.1.2. KLANG<br />

Einzelnen Schwingungen sind in natura äußerst selten. Meist han<strong>de</strong>lt es sich bei einem<br />

Schallereignis um ein Konglomerat mehrerer Frequenzen, <strong>de</strong>ssen Charakteristik es als<br />

»Klang« qualifiziert, wenn die Schwingungen »harmonisch« – d.h. sie stehen in einem<br />

ganzzahligen Verhältnis zueinan<strong>de</strong>r – und »periodisch« sind. Die gegenseitigen Beeinflussungen<br />

<strong>de</strong>r Frequenzen ergeben eine Überlagerungskurve, welche die individuelle Charakteristik<br />

<strong>de</strong>s Klangs wie<strong>de</strong>rgibt. Der Schall eines Instrumentes z.B. ist stets ein solcher<br />

aufgrund seiner »Klangfarbe« i<strong>de</strong>ntifizierbarer Klang, <strong>de</strong>r auch als »Ton« angesprochen<br />

wird, obwohl physikalisch ein Ton lediglich über exakt eine Frequenz <strong>de</strong>finiert ist. Alle Töne<br />

eines Instrumentes haben in Korrespon<strong>de</strong>nz mit <strong>de</strong>ssen Resonanzverhalten etwa die<br />

gleiche Klangfarbe, d.h. ähnliche Obertonverhältnisse, auch wenn die Basisfrequenz variiert.<br />

Doch es hat sich im Laufe <strong>de</strong>r Geschichte erst spät erwiesen, daß die Töne eines<br />

Instrumentes selbst Klänge sind. So hielt sich bis heute <strong>de</strong>r Usus, von Tönen zu sprechen,<br />

wo von Klängen die Re<strong>de</strong> ist in Abgrenzung von <strong>de</strong>n Klängen, die entstehen, wenn beispielsweise<br />

mehrere Töne eines Instrumentes gleichzeitig erklingen. Letzteres sind – um<br />

<strong>de</strong>r begrifflichen Hygiene genüge zu tun – musikalische Klänge und ersteres physikalische<br />

Klänge alias musikalische Töne. Der Grenzfall <strong>de</strong>r elektronischen Musik, daß nämlich eine<br />

Frequenz ohne irgen<strong>de</strong>inen Partialton erklingen kann, sei daher konsequenterweise als<br />

ein musikalischer Ton ohne Klangfarbe begriffen.<br />

Sprache orientiert sich weit weniger als die Musik an Tonhöhen, son<strong>de</strong>rn an <strong>de</strong>n Tönen in<br />

ihrer eignen Charakteristik – nämlich an <strong>de</strong>r Klangfarbe in Abhängigkeit von <strong>de</strong>r Art <strong>de</strong>r<br />

Schallerzeugung (labial, laryngal, nasal, <strong>de</strong>ntal usw.). Ohne diese Differenzierung sind<br />

Vokale und vor allem Konsonanten wie »M« und »N« akustisch nicht unterscheidbar, auch<br />

wenn es sich dabei z.T. – im musikalischen Sinne – um Geräusche han<strong>de</strong>lt.<br />

2.1.3. GERÄUSCHE <strong>UND</strong> LAUTE<br />

Geräusch o<strong>de</strong>r Laute sind akustische Kuriosa, <strong>de</strong>nen eine gewisse Unfaßbarkeit anhaftet.<br />

Dazu zählen die Schallereignisse mit <strong>de</strong>fizitärer Form und jene von extrem kurzer Dauer,<br />

wie es beim Knall <strong>de</strong>r Fall ist. In<strong>de</strong>s »Form« sei verstan<strong>de</strong>n als eine bestimmte Basisfrequenz<br />

mit gewissen Obertonverhältnissen. Ist z.B. die Basisfrequenz zwar nicht zu<br />

bestimmen, aber dafür die Klangstruktur i<strong>de</strong>ntifizierbar, han<strong>de</strong>lt es sich musikalisch um<br />

ein Grenzphänomen – wie <strong>de</strong>m »Weißen Rauschen«. Für sprachliche Schallereignisse ist<br />

diese Erscheinung eher normal insofern, als daß die sogenannten »stimmlosen« Konsonanten<br />

ohne Basisfrequenz sehr wohl i<strong>de</strong>ntifizierbar sind aufgrund ihrer Klangstruktur.


6<br />

»Laute« hingegen sind sowohl als Klang als auch als Geräusch anzutreffen und verfügen<br />

<strong>de</strong>mnach über eine – wie auch immer geartete – Form. Die Grün<strong>de</strong> ihrer Unfaßbarkeit in<strong>de</strong>s<br />

wer<strong>de</strong>n unter 2.4.2. erörtert. Daneben fin<strong>de</strong>n sich Schallereignisse, die gleichfalls unter<br />

<strong>de</strong>n Terminus Geräusch subsummiert wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nen jedoch jedwe<strong>de</strong> erkennbare<br />

Struktur fehlt sowohl in Bezug auf Basisfrequenz als auch auf Klangfarbe und -dauer. Darauf<br />

jedoch sei hier lediglich verwiesen.<br />

Ist die Thematik »Musik und Sprache« nicht vor<strong>de</strong>rgründig im Interesse <strong>de</strong>r Physik, so<br />

liefert diese doch die dafür nötigen Meßverfahren und -instrumente, wie sich ihr generell<br />

<strong>de</strong>r gesamte Bereich <strong>de</strong>r synthetischen Klangerzeugung als auch jener <strong>de</strong>r Klangvervielfältigung<br />

per Medien verdankt. In<strong>de</strong>s eine klare Grenze zwischen Musik und Sprache läßt<br />

sich mit ihrer Methodik schwerlich ziehen. Allenfalls ten<strong>de</strong>nziell verweist <strong>de</strong>r Geräuschbzw.<br />

Klanganteil in Richtung einer <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Lautformen. Doch beson<strong>de</strong>rs melodische<br />

Sprachen z.B. o<strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rne Kompositionen relativieren <strong>de</strong>rartige Ten<strong>de</strong>nzen sofort.<br />

2.2. MEDIZINISCHE ASPEKTE<br />

Daher setzt sich die Suche nach Unterscheidungsmöglichkeiten fort bei organischen und<br />

physiologischen Grundlagen <strong>de</strong>r Wahrnehmung und <strong>de</strong>r Lauterzeugung, welche die Medizin<br />

liefert. Haben an<strong>de</strong>re Wissenschaften wie die Biologie z.B. ebenfalls ein Interesse daran,<br />

so hat die Auswahl hier in<strong>de</strong>s <strong>de</strong>n Beweggrund, daß die Medizin einerseits Erkenntnisse<br />

ihrer Nachbardisziplinen bün<strong>de</strong>lt und sie an<strong>de</strong>rerseits auf <strong>de</strong>n Schwerpunkt »Mensch«<br />

konzentriert. 6 Sowohl Musik als auch Sprache sind Leistungen dieser einer Spezies, insofern<br />

sie <strong>de</strong>ren kulturelle Errungenschaften darstellen. Walgesänge o<strong>de</strong>r akustische Signale<br />

an<strong>de</strong>re Spezies stehen außerhalb <strong>de</strong>s dieser Arbeit zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n Verständnisses<br />

von Musik und Sprache.<br />

2.2.1. ORGANISCHE GR<strong>UND</strong>LAGEN<br />

Menschen haben in <strong>de</strong>r Mehrzahl <strong>de</strong>r Fälle ein Hörvermögen und ein Lautgebungsvermögen.<br />

Die organischen Grundlagen für Musik bzw. Sprache sind das Ohr bzw. <strong>de</strong>r<br />

Stimmapparat, die bei<strong>de</strong> hier kurz skizziert wer<strong>de</strong>n sollen, da sie durchaus sowohl Musik<br />

als auch Sprache <strong>de</strong>terminieren.<br />

6 Selbst Veterinäre beziehen sich auf Humankonstitutionen, um artspezifische Beson<strong>de</strong>rheiten zu zeigen.


7<br />

Der Stimmapparat ist <strong>de</strong>m respiratorischen System zugehörig und befin<strong>de</strong>t sich im Anschluß<br />

an <strong>de</strong>n Pharynx <strong>de</strong>r Kehlkopf (Larynx): „Das am Zungenbein aufgehängte Kehlkopfskelett<br />

<strong>de</strong>s Menschen besteht aus drei unpaaren und einem paarigen Knorpel, die<br />

durch Bän<strong>de</strong>r zusammengehalten wer<strong>de</strong>n. Die Basis bil<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r siegelförmige Ringknorpel<br />

(Cartilago cricoi<strong>de</strong>a). An <strong>de</strong>r Vor<strong>de</strong>rseite liegt oberhalb <strong>de</strong>s Ringknorpels, mit diesem beweglich<br />

verbun<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r schildförmige, median abgewinkelte Schildknorpel (Cartilago thyreoida).<br />

Er umgibt als größter Kehlkopfknorpel <strong>de</strong>n stimmbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Teil <strong>de</strong>s Kehlkopfes.<br />

[…] An <strong>de</strong>r Hinterseite <strong>de</strong>s Kehlkopfes liegen über <strong>de</strong>m Ringknorpel (drehbar mit diesem<br />

verbun<strong>de</strong>n) die bei<strong>de</strong>n Stellknorpel (Cartilagines arytaenoi<strong>de</strong>ae) in Form kleiner, dreiseitiger<br />

Pyrami<strong>de</strong>n. Je ein nach vorn gerichteter Fortsatz (Processus vocalis) <strong>de</strong>r Stellknorpel<br />

dient als Stütze für die Stimmfalten (Plicae vocales) mit <strong>de</strong>n randständigen, […] aus elastischen<br />

Fasern bestehen<strong>de</strong>n<br />

Stimmbän<strong>de</strong>rn (Ligamenta vocalia),<br />

die zwischen sich die Stimmritze<br />

(Rima glottidis) als Stimmorgan<br />

(Glottis) bil<strong>de</strong>n. […] Über die<br />

Stimmfortsätze können Stellung<br />

und Spannung <strong>de</strong>r Stimm-bän<strong>de</strong>r<br />

verän<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.“ 7 Die aus <strong>de</strong>r<br />

Lunge ausströmen<strong>de</strong> Atem-luft<br />

„versetzt […] die Stimmbän<strong>de</strong>r im<br />

Kehlkopf in Schwingungen, die<br />

durch die Resonanzräume von<br />

Rachen, Mund und Nase verstärkt<br />

wer<strong>de</strong>n. Die Tonhöhe kann durch<br />

Darstellung aus Brockhaus, Bd. 11, S. 614<br />

unterschiedliches Spannen <strong>de</strong>r Stimmbän<strong>de</strong>r, die Klangfarbe durch unterschiedliche Form<br />

<strong>de</strong>r Resonanzhöhlen verän<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.“ 8 Durchschnittlich verfügt ein Mensch über einen<br />

tonlichen Stimmumfang von zwei Oktaven mit einer Lautstärke bis etwa 90 dB.<br />

Das »Ohr« ist ein ähnlich komplexes Konstrukt verschie<strong>de</strong>ner Komponenten, die zur akustischen<br />

Wahrnehmung dienen. Der Aufbau wird nach la Motte-Haber so beschrieben:<br />

„Das äußere Ohr besteht aus <strong>de</strong>r Ohrmuschel [und] <strong>de</strong>m Gehörgang, <strong>de</strong>r durch eine Membran,<br />

das sogenannte Trommelfell, abgeschlossen wird. Diese Membran wird durch auftreffen<strong>de</strong><br />

Schwingungen <strong>de</strong>r Luft ebenfalls in Schwingung versetzt und überträgt diese auf<br />

7 Brockhaus, Bd. 11, S. 613f.<br />

8 Brockhaus, Bd. 21, S. 157


8<br />

die drei nach ihrer Form als Hammer, Amboß und Steigbügel bezeichneten Knöchelchen<br />

im Mittelohr. Der Hammer ist mit <strong>de</strong>m Trommelfell verwachsen, <strong>de</strong>r Steigbügel mit einer<br />

zweiten Membran, <strong>de</strong>m ovalen Fenster, das Mittelohr und Innenohr abgrenzt; untereinan<strong>de</strong>r<br />

sind die drei Gehörknöchelchen verbun<strong>de</strong>n. Sie haben nicht nur die Aufgabe, Schwingungen<br />

zum Mittelohr weiterzuleiten, son<strong>de</strong>rn sie auch – wie aus Beschädigungen <strong>de</strong>s<br />

Mittelohres ablesbar ist – etwa im Verhältnis 1:20 zu verstärken. […] Das Innenohr (Cochlea)<br />

ist im Unterschied zum äußeren und mittleren Ohr mit Flüssigkeit gefüllt. […] Es ist in<br />

drei Kanäle (Scala tympani, Scala vestibuli und Ductus cochlearis) geteilt, die durch die<br />

Reißnersche und Basilarmembran von einan<strong>de</strong>r abgegrenzt sind; an <strong>de</strong>r Schneckenspitze<br />

sind die bei<strong>de</strong>n äußeren Kanäle durch ein kleines Loch, das Helikotrema, miteinan<strong>de</strong>r verbun<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>ssen Funktion Druckausgleich ist. […] Der komplizierte Aufbau <strong>de</strong>s Ohres dient<br />

vor allem <strong>de</strong>r Weiterleitung von Schwingungen, die eigentlichen Sinnesrezeptoren sind<br />

die auf <strong>de</strong>r Basilarmembran liegen<strong>de</strong>n faserartigen Haarzellen (Cortisches Organ), die die<br />

Endigungen <strong>de</strong>s 8. Gehirnnervs (Nervus acusticus) darstellen [und sich unter einer Tectorialmembran<br />

befin<strong>de</strong>n.] Die Reizung <strong>de</strong>r Haarzellen führt zu einer neuronalen Erregung,<br />

die sich zum Gehörzentrum (Hechelsche Querwindung) in <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Schläfenlappen <strong>de</strong>s<br />

Großhirns fortpflanzt.“ 9 Darstellung aus la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 26<br />

Die Reizweiterleitung ist jedoch insoweit ungeklärt, als zum einen über die Grundlagen für<br />

Tonhöhenbestimmung und Ähnlichkeiten zwischen Tönen (z.B. bei Oktaven) als auch über<br />

konzentriertes Hören die anatomischen Befun<strong>de</strong> wenig aussagen. Ob also die Basilar-<br />

9 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 27f.


9<br />

membran o<strong>de</strong>r das Cortische Organ für Frequenzwahrnehmung zuständig ist und ob ein<br />

zweiter nervaler Weg vom Hirn reversiv die Hörtätigkeit selektiert nach Haupt- und Nebengeräuschen,<br />

läßt sich ebensowenig auf organischer Grundlage klären, wie die Frage,<br />

wie Sprache und Musik als akustische Phänomene voneinan<strong>de</strong>r unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n<br />

können. Das sind Fragen an die Physiologie.<br />

2.2.2. PHYSIOLOGISCHE GR<strong>UND</strong>LAGEN<br />

Die Physiologie interessiert nun nicht mehr allein Organe und Anlagen eines Organismus,<br />

son<strong>de</strong>rn die organismusinternen Vorgänge und Fähigkeiten – an dieser Stelle insbeson<strong>de</strong>re<br />

die für Musik und Sprache relevanten Wechselbeziehungen. Dafür bedarf es bezüglich<br />

<strong>de</strong>s Gehörs und seiner Funktionsweise – soweit bekannt – eines Exkurses:<br />

„Das Cortische Organ enthält in Stützzellen eingebettet die Haarzellen, die nur Stereovilli tragen<br />

und in einer Reihe von inneren Haarzellen und drei Reihen von äußeren Haarzellen angeordnet sind.<br />

Das Cortische Organ […] besitzt etwa 3.500 innere und 12.000 äußere Haarzellen. Nur die Stereovilli<br />

<strong>de</strong>r äußeren Haarzellen haben Kontakt zu <strong>de</strong>r darüberliegen<strong>de</strong>n gallertigen Tectorialmembran […].<br />

Bei Beschallung <strong>de</strong>s Ohres wer<strong>de</strong>n die Schwingungen <strong>de</strong>r Gehörknöchelchen über die Membran <strong>de</strong>s<br />

ovalen Fensters auf die Perilymphe <strong>de</strong>r Scala vestibuli übertragen. Da die Perilymphe nicht kompressibel<br />

ist, wer<strong>de</strong>n die Scalenmembranen und damit auch das Cortische Organ ausgelenkt. Über<br />

die Perilymphe <strong>de</strong>r Scala tympani wird die Schallschwingung auf die Membran <strong>de</strong>s run<strong>de</strong>n Fensters<br />

übertragen und bewirkt <strong>de</strong>ssen Vorwölbung in <strong>de</strong>r Paukenhöhle. […] Die durch <strong>de</strong>n Schall hervorgerufenen<br />

Relativbewegungen zwischen Tectorial- und Basilarmembran [führen] zu einer Scherbewegung<br />

<strong>de</strong>r Stereovilli in <strong>de</strong>r äußeren Haarzellenreihe. Obwohl die äußeren Haarzellen dreifach so<br />

häufig sind wie die inneren Haarzellen, wer<strong>de</strong>n sie nur von weniger als 10% <strong>de</strong>r im Hörnerven verlaufen<strong>de</strong>n<br />

Afferenzen versorgt. Mehr als 90% <strong>de</strong>r Afferenzen innervieren die inneren Haarzellen […]<br />

Obwohl also die Hörinformation zum größten Teil von <strong>de</strong>n inneren Haarzellen vermittelt wird, ist <strong>de</strong>r<br />

Mechanismus <strong>de</strong>r Erregung bisher unklar. Favorisiert wird z.Z. eine Hypothese, nach <strong>de</strong>r die inneren<br />

Haarzellen durch oscillieren<strong>de</strong> Längenän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r äußeren Haarzellen erregt wer<strong>de</strong>n. […] Durch<br />

das Sensorpotential [wird] die Freisetzung eines erregen<strong>de</strong>n Transmitters erhöht und dadurch die<br />

Aktivität in <strong>de</strong>n afferenten Nervenfasern moduliert. Da nur ein kleiner Teil <strong>de</strong>r Hörinformation von<br />

<strong>de</strong>n äußeren Haarzellen stammt, ist es wahrscheinlich wichtiger, daß die oscillieren<strong>de</strong>n Depolarisationen<br />

außer<strong>de</strong>m zu oscillieren<strong>de</strong>n Längenän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r äußeren Haarzellen führen. Dadurch soll<br />

die Amplitu<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>rwellen frequenzcharakteristisch und somit ortsspezifisch so stark vergrößert<br />

wer<strong>de</strong>n, daß auch die inneren Haarzellen erregt wer<strong>de</strong>n. Die frequenzselektive Verstärkerfunktion<br />

<strong>de</strong>r äußeren Haarzellen ist <strong>de</strong>mnach Voraussetzung für die frequenzspezifische Hörfähigkeit.<br />

[…] Je<strong>de</strong>r Schall versetzt die Membranen in <strong>de</strong>r Cochlea in frequenzabhängige Schwingungen, die<br />

sich auf <strong>de</strong>r Basilarmembran von <strong>de</strong>r Schneckenbasis bis zum Helicotrema fortbewegen. Diese Bewegungen<br />

gleichen wan<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Wellen an einem horizontal aufgespannten Seil und wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>shalb<br />

als Wan<strong>de</strong>rwellen bezeichnet. Die Amplitu<strong>de</strong>nhöhe <strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>rwellen auf <strong>de</strong>r Basiliarmembran<br />

wird jedoch durch die mechanischen Eigenschaften <strong>de</strong>r Membran moduliert. In <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s Stapes


10<br />

(ovales Fenster) ist die Basilarmembran<br />

schmal [100 µm] und steif; am Helicotrema<br />

wird die Membran wesentlich breiter [500<br />

µm], und ihre Steifheit nimmt erheblich ab.<br />

[…] Zwischen Stapes und Helicotrema bil<strong>de</strong>n<br />

sich Amplitu<strong>de</strong>nmaxima aus, <strong>de</strong>ren Ort<br />

auf <strong>de</strong>r Basilarmembran von <strong>de</strong>r Frequenz<br />

<strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>rwelle abhängig ist. Bei hohen<br />

Frequenzen liegt das Ortsmaximum in <strong>de</strong>r<br />

Nähe <strong>de</strong>s Stapes, während tiefe Frequenzen<br />

ihr Maximum in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s Helicotremas<br />

haben. Auf diese Weise kommt es zur Frequenz-Orts-Transformation.<br />

Da sich Schallereignisse<br />

in <strong>de</strong>r Regel aus unterschiedlichen<br />

Frequenzen zusammensetzen, gibt es<br />

auf <strong>de</strong>r Basilarmembran gleichzeitig an verschie<strong>de</strong>nen<br />

Orten maximale Auslenkungen.<br />

Die Amplitu<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>rwelle am Ortsmaximum<br />

wird durch oscillieren<strong>de</strong> Längenän<strong>de</strong>rungen<br />

<strong>de</strong>r äußeren Haarzellreihen<br />

verstärkt.<br />

Darstellung aus Engelhardt; Breves: Physiologie, S. 87<br />

Das Innenohr wird […] durch <strong>de</strong>n Nervus cochlearis, ein Teil <strong>de</strong>s VIII. Hirnnerven, innerviert und enthält<br />

neben afferenten auch efferente Nervenfasern. Neunzig Prozent <strong>de</strong>r afferenten Nervenfasern<br />

kommen […] von jeweils einer einzigen Synapse einer inneren Haarzelle, die nach <strong>de</strong>m Ortsprinzip<br />

durch eine ganz bestimmte Schallfrequenz erregt wird. Bei <strong>de</strong>r Beschallung <strong>de</strong>s Ohres wird daher<br />

auch die entsprechen<strong>de</strong> afferente Nervenfaser durch eine bestimmte Frequenz – die Bestfrequenz<br />

dieser Faser – optimal erregt. Die Bildung von Aktionspotentialen ist außer<strong>de</strong>m an die Phasenlage<br />

<strong>de</strong>r Schallschwingung gekoppelt. Durch diese Phasenkopplung entstehen Gruppen von Aktionspotentialen,<br />

die durch Pausen getrennt sind, <strong>de</strong>ren Dauer <strong>de</strong>r Frequenz umgekehrt proportional ist.<br />

Erst diese Intervallcodierung ermöglicht die genaue Wahrnehmung von Tonhöhen und erlaubt die<br />

Analyse von musikalischen Strukturen. Da einzelne Nervenfasern nur eine maximale Entladungsfrequenz<br />

von 800 Hz erreichen können, müssen bei höheren Frequenzen mehrere Fasern, die in <strong>de</strong>r<br />

gleichen Phasenlage aber zu unterschiedlichen Zeiten (auf Lücke) antworten, zusammenwirken. Der<br />

Schwellenschalldruck für die Phasenkopplung ist niedriger als für die Bestfrequenz einzelner Nervenfasern,<br />

d.h., die Phasenkopplung ist entschei<strong>de</strong>nd für die Empfindlichkeitsschwelle einer Hörnervfaser.<br />

Zunahme <strong>de</strong>r Schallintensität wird durch Steigerung <strong>de</strong>r Entladungsrate codiert. In Intensitätsbereichen<br />

über 40 dB erfolgt die Intensitätscodierung durch Rekrutierung von weiteren Fasern<br />

aus <strong>de</strong>r unmittelbaren Nachbarschaft, die bei gleicher o<strong>de</strong>r ähnlicher Bestfrequenz eine höhere<br />

Antwortschwelle besitzen.<br />

Die Zellkörper <strong>de</strong>r sensorischen Nervenfasern <strong>de</strong>s Nervus cochlearis liegen im Spiralganglion […].<br />

Teilweise wer<strong>de</strong>n schon in <strong>de</strong>n Stammhirnkernen die Zeit- o<strong>de</strong>r Intensitätsmuster <strong>de</strong>r afferenten<br />

Nervenfasern völlig umcodiert. Die im Laufe <strong>de</strong>r weiteren auditorischen Verarbeitung in verschie<strong>de</strong>-


11<br />

nen Gehirnarealen immer stärker ausgeprägte Mustererkennung nimmt hier ihren Anfang. Auf <strong>de</strong>m<br />

Weg in <strong>de</strong>n auditorischen Cortex ziehen […] die Fasern über die ipsi- o<strong>de</strong>r kontralateralen Olivenkerne<br />

in <strong>de</strong>n Lemniscus lateralis <strong>de</strong>r gleichen o<strong>de</strong>r kontralateralen Seite. In <strong>de</strong>n Nervenzellen <strong>de</strong>s Olivenkomplexes<br />

im Hirnstamm können daher bereits akustische Signale von bei<strong>de</strong>n Ohren verglichen<br />

wer<strong>de</strong>n. Auch im weiteren Verlauf steigen die Hörbahnen sowohl ipsi- als auch kontralateral auf und<br />

erreichen zunächst <strong>de</strong>n Culliculus inferior <strong>de</strong>s Mittelhirns; von dort aus ziehen sie zum Corpus geniculatum<br />

mediale <strong>de</strong>s Thalamus, um schließlich in die primäre Hörrin<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Temporallappens zu<br />

mün<strong>de</strong>n. […] Neben <strong>de</strong>n geschil<strong>de</strong>rten ascendieren<strong>de</strong>n Bahnen mit rückläufigen Kollateralen gibt es<br />

eine Vielzahl von absteigen<strong>de</strong>n efferenten Bahnsystemen, die ebenfalls häufig auf die kontralaterale<br />

Seite kreuzen und auf je<strong>de</strong>r Ebene positive und negative Rückkopplungsschleifen bil<strong>de</strong>n. Endpunkte<br />

<strong>de</strong>r efferenten Kontrolle sind die äußeren Haarzellen bzw. die afferenten Fasern <strong>de</strong>r inneren<br />

Haarzellen in <strong>de</strong>r Cochlea.“ 10<br />

Nach diesem etwas umfangreichen Exkurs ist zumin<strong>de</strong>st <strong>de</strong>utlich gewor<strong>de</strong>n, daß speziell<br />

Wahrnehmung nicht nur in eine Richtung vor sich geht, son<strong>de</strong>rn in Rückkopplung mit <strong>de</strong>n<br />

Instanzen <strong>de</strong>r Reizweiterleitung. Auch hat die Theorie <strong>de</strong>r Frequenz-Orts-Erregung die<br />

Epoche endgültig abgeschlossen, in <strong>de</strong>r Carl Stumfps Resonanztheorie 11 entstan<strong>de</strong>n war,<br />

wonach die Haarzellen wie Saiten eines Instrumentes mittels Resonanz erregt wer<strong>de</strong>n. Die<br />

Tatsache aber, daß Töne im Oktavabstand als ähnlicher empfun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n als benachbarte<br />

Töne, ist weiterhin problematisch und läßt darauf schließen, daß hier noch einiges<br />

an Forschungsarbeit zu leisten ist. Gegenüber <strong>de</strong>n Aussagen über die Vorgänge gelten die<br />

über die Fähigkeiten <strong>de</strong>s menschlichen Ohrs als gesichert. Wie anhand <strong>de</strong>r Skizze ersichtlich<br />

ist, reicht das hörbare Frequenzspektrum altersbedingt von 16 Hz bis zu 20 kHz.<br />

Bemerkenswert an <strong>de</strong>r Skizze ist in<strong>de</strong>s, daß das Hörfeld auch nach oben begrenzt wur<strong>de</strong><br />

durch die Fühlgrenze. Das<br />

verweist auf ein weiteres<br />

wichtiges Phänomen, daß<br />

nämlich im Kontext <strong>de</strong>s Hörens<br />

auch taktile Empfindungen<br />

relevant sind, insofern<br />

diverse Schwingungen<br />

über <strong>de</strong>n ganzen Körper<br />

wahrgenommen wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Fähigkeiten <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Stimme sind<br />

in <strong>de</strong>r Skizze gleichfalls<br />

Darstellung aus Bruhn: Musikpsychologie, S. 669<br />

ange<strong>de</strong>utet, insoweit <strong>de</strong>r<br />

10 Engelhardt; Breves: Physiologie, S. 85ff.<br />

11 vgl. Stumpf, Carl: Tonpsychologie. – Leipzig, 1890


12<br />

tet, insoweit <strong>de</strong>r Sprachbereich zwischen 200 und 10.000 Hz vermerkt ist. Der musikalisch<br />

relevante Stimmumfang reicht von etwa 60 Hz bei Männern bis etwa 1400 Hz bei Frauen.<br />

Solche „musikalischen“ Töne mit bestimmbarer Basisfrequenz und ein<strong>de</strong>utigem Obertonspektrum<br />

wer<strong>de</strong>n sprachlich als Vokale begriffen, wobei die Differenzierung voneinan<strong>de</strong>r<br />

vorrangig durch Modulation <strong>de</strong>s Obertonspektrums geschieht. Doch stellt sich so die Frage,<br />

wie jene hohen Frequenzen von bis zu 10.000 Hz im Sprachbereich zustan<strong>de</strong> kommen.<br />

Zur menschlichen Lautgebung steht nämlich nicht ausschließlich <strong>de</strong>r Kehlkopf zur Verfügung,<br />

son<strong>de</strong>rn eine ganze Vielzahl von Alternativen, die unter <strong>de</strong>m Sammelbegriff <strong>de</strong>r<br />

»Bioakustik« 12 zusammengefaßt wer<strong>de</strong>n. Für die Thematik »Musik und Sprache« sind jedoch<br />

nur jene von Interesse, die in einer <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Lautformen Verwendung fin<strong>de</strong>n. Mittels<br />

<strong>de</strong>r Zunge (z.B. »T«) o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Lippen (z.B. »P«) können Laute gebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n ohne<br />

Beteiligung <strong>de</strong>r Stimmbän<strong>de</strong>r, wohl aber unter Zuhilfenahme <strong>de</strong>s respiratorischen Apparates.<br />

Eine Großzahl <strong>de</strong>r Konsonanten – je nach <strong>de</strong>r Lokalisation in <strong>de</strong>r Mundhöhle – erreicht<br />

Frequenzen, die weit oberhalb <strong>de</strong>ssen gemessen wer<strong>de</strong>n, wo <strong>de</strong>r Tonumfang <strong>de</strong>r Stimmbän<strong>de</strong>r<br />

en<strong>de</strong>t. Insbeson<strong>de</strong>re Zischlaute, die an <strong>de</strong>r Zahnreihe entstehen (Dentale, z.B.<br />

»S«), wie auch an<strong>de</strong>re stimmlose Konsonanten zeichnen sich durch ein hohes Frequenzspektrum<br />

aus, wobei ihnen eine genau bestimmbare Basisfrequenz meist fehlt (vgl. 2.1.3).<br />

Daneben kennt <strong>de</strong>r Mensch aber auch stimmhafte Konsonanten (Sonorlaute, z.B. »L« o<strong>de</strong>r<br />

»N«), die in Kombination mit <strong>de</strong>n Schwingungen <strong>de</strong>r Stimmbän<strong>de</strong>rn entstehen, während<br />

an<strong>de</strong>re ohne jene Schwingungen auskommen wie z.B. die Knacklaute (Velare wie »K«). Die<br />

Differenzierung <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Lautgebungsmöglichkeiten wird am <strong>de</strong>utlichsten an<br />

Fremdsprachen, die durch ihre Eigenarten Nuancen <strong>de</strong>utlicher hervortreten lassen als die<br />

eigene Muttersprache. Daher sei ein Schema 13 aus <strong>de</strong>m semitischen Sprachraum zur Veranschaulichung<br />

wie<strong>de</strong>rgegeben, wo Konsonanten sehr stark differenziert wer<strong>de</strong>n:<br />

(Halbvokale)<br />

Verschlußlaute stimmhaft<br />

stimmlos<br />

emphatisch<br />

Reibelaute stimmhaft<br />

stimmlos<br />

emphatisch<br />

Sonorlaute nasal<br />

lateral<br />

vibrant<br />

Lippen- (w)<br />

labial<br />

b b<br />

p p<br />

m m<br />

Zahn<strong>de</strong>ntal<br />

| alveolar<br />

d d<br />

th t<br />

t e<br />

z z<br />

s s<br />

ts x<br />

n n<br />

l l<br />

r r<br />

Gaumen- (j)<br />

palatal | velar<br />

g g<br />

k k<br />

q q<br />

sch w<br />

Kehl-Laute<br />

laryngal | glottal<br />

/ i<br />

ch c<br />

/ a<br />

h h<br />

12<br />

Exemplarisch sei auf Tembrock: Bioakustik, Musik und Sprache verwiesen.<br />

13 aus Jenni: Lehrbuch, S. 29. Weitere Nuancierungen wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>utlich auf S. 27: „Im Deutschen wird z.B. <strong>de</strong>r<br />

geschriebene stimmlose Gaumen-Reibelaut nach <strong>de</strong>n Vokalen a, o und u hart (weiter hinten [velar]),<br />

nach e, i, <strong>de</strong>n Umlauten und nach Konsonanten weich (weiter vorn [palatal]) ausgesprochen.“


13<br />

Im musikalischen Kontext wer<strong>de</strong>n weitere Geräuschquellen genutzt, die teils nie<strong>de</strong>re, teils<br />

hohe technische Anfor<strong>de</strong>rungen an die Lauterzeuger stellen. Ist Klatschen beispielsweise<br />

eine eher simple Möglichkeit <strong>de</strong>r Lautgebung, so erfor<strong>de</strong>rt das tibetanische »Obertonsingen«<br />

profiliertes Können. Die Differenzierung <strong>de</strong>r musikalischen wie sprachlichen Lautgebungen<br />

steht allerdings in starker Abhängigkeit zum akustischen Unterscheidungsvermögen<br />

<strong>de</strong>s Menschen. Daher wird insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>r Heilpädagogik angenommen,<br />

„daß Artikulation und Lautdiskrimination im verbalen Bereich eng zusammenhängen (BLANTON).<br />

Bereits Liberman hatte in seiner »Motor Theory of Speech Perception« die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s „inneren<br />

Mitsprechens“ für die Wahrnehmung von Sprache beson<strong>de</strong>rs hervorgehoben. Unbestritten bleibt<br />

die wechselseitige Abhängigkeit von motorischen und perzeptuellen Sprachfähigkeiten […].<br />

Sprachheilpädagogen und Logopä<strong>de</strong>n wissen längst, daß nur das, was differenziert gehört wird,<br />

auch richtig ausgesprochen wer<strong>de</strong>n kann; viele Sprechstörungen – insbeson<strong>de</strong>re das „Stammeln“ –<br />

lassen sich auf Schädigungen <strong>de</strong>s Gehörs zurückführen. […] Die wechselseitige Abhängigkeit von<br />

Lautsprachunterscheidung und Lauterzeugung zeigt sich nicht nur im Einfluß von Hörleistungen auf<br />

die Qualität <strong>de</strong>r Artikulation, son<strong>de</strong>rn auch umgekehrt in <strong>de</strong>r Wirkung motorischer auf sensorischer<br />

Fähigkeiten: Phoneme, die Artikulationsschwierigkeiten bereiten, wer<strong>de</strong>n beim Hören im allgemeinen<br />

schlechter von an<strong>de</strong>ren Lauten unterschie<strong>de</strong>n […].<br />

Wenn, wie oben dargestellt, sprachliches Diskriminationsvermögen eng mit <strong>de</strong>n Ausdrucks- und Artikulationsfähigkeiten<br />

im Bereich <strong>de</strong>r Sprache verknüpft ist, so wird man dies auch – o<strong>de</strong>r g e r a d e<br />

– beim musikalischen Diskriminationsvermögen erwarten. Tatsächlich fin<strong>de</strong>n sich in <strong>de</strong>r empirischen<br />

Forschung für solch einen Zusammenhang von Aussprachleistung und musikalischen Hörfähigkeiten<br />

zahlreiche Belege.“ 14<br />

So stellt – wie viele an<strong>de</strong>re pädagogische Ansätze – auch Daniela Laufer ihre »Untersuchungen<br />

zur Transferwirkung <strong>de</strong>r Musik auf die sprachlichen Leistungen von Menschen<br />

mit geistiger Behin<strong>de</strong>rung« unter die Prämisse, daß Wahrnehmung von Musik Transferwirkung<br />

u.a. auch auf die Artikulation von Sprache hat, und veranschaulicht die Referenzen<br />

von Musik auf an<strong>de</strong>re Bereiche heilpädagogischer Erziehung folgen<strong>de</strong>rmaßen:<br />

Lernverhalten<br />

hören<strong>de</strong>s<br />

Auffassen<br />

schulischer Bereich<br />

Aufmerksamkeit<br />

Denken<br />

Eindrucks- / Ausdrucksverhalten<br />

Gedächtnis<br />

Sprache<br />

<strong>MUSIK</strong><br />

Kreativität<br />

Sozialverhalten<br />

Antriebsverhalten<br />

Frustrationstoleranz<br />

emotionales Verhalten<br />

Körperfunktion: Atemfrequenz,<br />

Blutdruck, Muskeltonus, Pulsfrequenz<br />

Koordination motorischer und<br />

auditiver Aktivitäten<br />

somatischer Bereich<br />

Darstellung aus Laufer, S. 21<br />

Ursachen dafür wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r allgemeinen psychologischen Entwicklung <strong>de</strong>s Menschen<br />

vermutet und mit Befun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Neuralpsychologie untermauert.<br />

sozialer Bereich<br />

14 Klemm, S. 126ff.<br />

psychischer Bereich


14<br />

2.3. PSYCHOLOGISCHE ASPEKTE<br />

Wie die Medizin mehr Gemeinsamkeiten als Unterschie<strong>de</strong> zwischen Musik und Sprache<br />

beobachtete, stellt auch die Psychologie zwischen bei<strong>de</strong>m <strong>de</strong>utliche Verbindungen her.<br />

Einerseits beobachten Entwicklungspsychologen einen bemerkenswerten Zusammenhang,<br />

an<strong>de</strong>rerseits bieten differential-psychologische Untersuchungen wie auch weitere<br />

Ansätze Anlaß, Berührungspunkte bei<strong>de</strong>r Komponenten in <strong>de</strong>n Blick zu nehmen.<br />

2.3.1. ENTWICKLUNGSPSYCHOLOGISCHE ASPEKTE<br />

Die Entwicklungspsychologie untersucht, welche geistigen Fähigkeiten in Abhängigkeit<br />

vom Alter auftreten können. Dabei kam man nach Klemm zu folgen<strong>de</strong>r Einsicht:<br />

„Die Phänomene Musik und Sprache sind psychologisch eng aufeinan<strong>de</strong>r bezogen. Musikalische<br />

und sprachliche Verhaltensweisen haben eine gemeinsame Wurzel in <strong>de</strong>n ersten emotionsbestimmten<br />

Lautäußerungen <strong>de</strong>s Säuglings und stützen sich im Prozeß ihrer Entfaltung in hohem Maße gegenseitig.<br />

[…] Es gilt als eines <strong>de</strong>r wichtigsten Grundprinzipien <strong>de</strong>s Spracherwerbs, daß die Entwicklung<br />

auf einem Weg vom Globalen zum Spezifischen verläuft: die Produktion und Wahrnehmung<br />

von Sprache beginnt nicht mit Einzelelementen, die für sich isoliert nacheinan<strong>de</strong>r gelernt wer<strong>de</strong>n,<br />

son<strong>de</strong>rn ganzheitlich mit Mustern und Strukturen. Dies gilt – wenn auch zu einem etwas späteren<br />

Zeitpunkt <strong>de</strong>r Ontogenese – ebenso für die musikalischen Fähigkeiten: Kin<strong>de</strong>r können eher die Melodiekontur<br />

als exakte Tonhöhen erinnern und wie<strong>de</strong>rgeben. […] Das Verständnis <strong>de</strong>r Prosodie geht<br />

<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Wortbe<strong>de</strong>utungen voraus. Der frühe Umgang mit <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Mustern <strong>de</strong>r Sprachintonation<br />

ist wichtig, da er das Ent<strong>de</strong>cken und Verstehen von Einheiten auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Semantik<br />

und Syntax wie „Silbe“, „Wort“ o<strong>de</strong>r „Satz“ erleichtert und för<strong>de</strong>rt […]. Der Spracherwerb beginnt<br />

also mit einem Stadium ganzheitlich-affektiver Äußerungsformen und wird erst in späteren Phasen<br />

<strong>de</strong>r Entwicklung mehr und mehr vom Intellekt bestimmt. Die Dominanz <strong>de</strong>r „musikalischen“ Komponente<br />

<strong>de</strong>r Sprache beim Säugling und Kleinkind be<strong>de</strong>utet, daß Sprechen und Singen noch nicht<br />

ein<strong>de</strong>utig zu unterschei<strong>de</strong>n sind. […] Bei Säuglingen konnte Moog zwei Arten von Lautäußerungen<br />

beobachten: eine ständige Wie<strong>de</strong>rholung von Phonemen, die er als „Sprechlallen“, und eine Wie<strong>de</strong>rholung<br />

verschie<strong>de</strong>ner Tonhöhen, die er als „Singlallen“ bezeichnet. Die Säuglinge beginnen mit<br />

Sprechlallen, das ab <strong>de</strong>m sechsten Lebensmonat allmählich in Singlallen übergeht; erst nach Abschluß<br />

dieser bei<strong>de</strong>n Phasen mit etwa zehn Monaten wer<strong>de</strong>n dann die ersten Wörter gesprochen.<br />

Am Anfang <strong>de</strong>s gesamten Spracherwerbs interessieren sich die Kin<strong>de</strong>r vor allem für das Klangsinnliche<br />

[…]. Im Alter von zwei Jahren lernen die Kin<strong>de</strong>r allmählich, die musikalischen und sprachlichen<br />

Anteile in <strong>de</strong>r „Text-Rhythmus-Verbindung“ zu unterschei<strong>de</strong>n.“ 15<br />

Präziser ist die individuelle Entwicklung in Gembris’ »Musikpsychologie« abgehan<strong>de</strong>lt, die<br />

an dieser Stelle exkursartig vorgestellt wird, um die Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten,<br />

insoweit das Vorverständnis maßgeblich darauf beruht.<br />

15 Klemm, S. 101ff.


15<br />

Gembris Darstellung 16 setzt nicht erst bei <strong>de</strong>m geborenen Menschen ein, son<strong>de</strong>rn berücksichtigt<br />

die Entwicklung bis zur Geburt gleichfalls. Pränatale Wahrnehmungsfähigkeiten<br />

beginnen damit, daß zwischen <strong>de</strong>m fünften und sechsten Monat die Nervenzellen im Ohr<br />

<strong>de</strong>s Fötus ausgebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Reaktionen auf extrauterine Reize seien ab <strong>de</strong>m siebten<br />

Monat beobachtbar, da die Schallkulisse intrauterin geringerer als erwartet sei, so daß<br />

eine generelle Wahrnehmung akustischer Reize (min<strong>de</strong>stens 65-70 dB) durchaus als<br />

wahrscheinlich angesehen wer<strong>de</strong>n könne, wobei es wegen <strong>de</strong>r stärker wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Dämpfung<br />

<strong>de</strong>r Lautstärke bei steigen<strong>de</strong>r Frequenz dazu komme, „daß keine Unterschei<strong>de</strong> zwischen<br />

Männer- und Frauenstimmen gehört wer<strong>de</strong>n können. Genau erkennbar ist jedoch<br />

die Sprachmelodie und die Prosodie“ 17 .<br />

Im Säuglingsalter, nach<strong>de</strong>m bei <strong>de</strong>r Geburt ein drastischer Wechsel <strong>de</strong>r Wahrnehmung<br />

eingetreten ist, gelten bereits als erkennbar sowohl Tondifferenzen von 1-2 % Tonhöhenunterschied<br />

bzw. 3 dB Lautstärkeän<strong>de</strong>rung als auch Tongleichheit. Signifikant für die musikalische<br />

wie sprachliche Entwicklung seien daher die frühkindlichen Vokalisationen <strong>de</strong>r<br />

Mutter-Kind-Interaktion. Diese sogenannte »Ammensprache« entspreche einem »vorlinguistischen<br />

Alphabet«, das als Vorläufer einerseits <strong>de</strong>r sprachlichen wie <strong>de</strong>r musikalischen<br />

Kompetenz an<strong>de</strong>rerseits<br />

angesehen wer<strong>de</strong>. Solche<br />

nonverbale Kommunikation,<br />

die sich per Intensität,<br />

Tonhöhe, melodische Kontur,<br />

Rhythmus, Klangfarbe<br />

und Tempo gestalte, stelle<br />

die früheste musikalische<br />

Erziehung dar. Bemerkenswert<br />

hierbei ist in<strong>de</strong>s, daß<br />

jene Mutter-Kind-Interaktion<br />

insofern interkulturell ist,<br />

als daß Forschungen ergaben,<br />

daß sie in verschie<strong>de</strong>nen<br />

Nationen vergleichbare<br />

Ausprägungen aufweist.<br />

Darstellung aus Gembris: Grundlagen, S. 311<br />

16 Bezuggenommen wird auf Gembris: Grundlagen und auf Gembris: »Musikalität« in MGG Bd. 6, S. 867ff.<br />

17 Fassben<strong>de</strong>r: Entwicklung grundlegen<strong>de</strong>r musikalischer Fähigkeiten, 1993, S. 270; zit. in MGG Bd. 6, S. 881


16<br />

Ab <strong>de</strong>m dritten Monat bereits verfügt das Kind für lange Zeit über einen Tonumfang von<br />

zwei Oktaven. Parallel zur Entwicklung <strong>de</strong>r Sprache vollzieht sich die Entwicklung <strong>de</strong>s Singens<br />

als Kontinuum und nicht – wie lange Zeit angenommen – als Stufenfolge. Dabei hat<br />

das Umfeld nach E. Gordon großen Einfluß auf <strong>de</strong>n Grad <strong>de</strong>r Entwicklung:<br />

TYP STUFE (Tabelle aus Gembris: Grundlagen, S.271)<br />

AKKULTURATION 1 ABSORPTION: Hören und auditives Sammeln<br />

von musikalischen Klängen <strong>de</strong>r Umgebung<br />

Geburt bis zum Alter von 2 ZUFÄLLIGE REAKTIONEN: Bewegungen und<br />

2 bis 4 Jahren: Betätigung »Babbeln« als Reaktionen auf musikalische<br />

mit wenig Bewußtsein <strong>de</strong>r<br />

Klänge <strong>de</strong>r Umgebung, aber ohne Bezug<br />

Umgebung<br />

zu diesen Klängen<br />

3 absichtsvolle REAKTIONEN: das Kind versucht,<br />

die Bewegungen und das »Babbeln« auf die<br />

musikalischen Klänge zu beziehen<br />

IMITATION 4 ABLEGEN DER EGOZENTRIZITÄT: Das Kind erkennt,<br />

Alter zwischen 2 bis 4 und<br />

daß Bewegungen und »Babbeln« nicht zu <strong>de</strong>n<br />

3 bis 5 Jahren: Betätigung Klängen <strong>de</strong>r Musik in <strong>de</strong>r Umgebung passen<br />

mit bewußtem Denken, 5 KNACKEN DES CODES: Nachahmen <strong>de</strong>r musikavorwiegend<br />

auf die Um-<br />

lischen Klänge <strong>de</strong>r Umgebung mit einiger<br />

gebung gerichtet<br />

Genauigkeit, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r tonalen und<br />

rhythmischen Muster<br />

ASSIMILATION 6 INTROSPEKTION: Erkennen <strong>de</strong>s Mangels an<br />

Alter zwischen 3 bis 5 und<br />

Koordination zwischen Singen, Atmen und<br />

4 bis 6 Jahren: Betätigung Bewegung<br />

mit bewußtem Denken, vorwie- 7 KOORDINATION: Koordination zwischen Singen,<br />

gend auf das Selbst gerichtet<br />

Atmen und Bewegung<br />

„Nach Gordons Theorie ist das angeborene musikalische Potential […] nicht fest und unverän<strong>de</strong>rlich,<br />

son<strong>de</strong>rn bis zum Alter von etwa neun Jahren entwicklungsfähig und daher im<br />

Positiven wie im Negativen sehr beeinflußbar.“ 18 Das musikalische Potential sei generell<br />

limitiert, doch erkenne man zunächst eine »Begabung im Entwicklungsstadium« und erst<br />

dann eine eher »stabilisierte musikalische Begabung«. „Grundlage und Basis musikalischer<br />

Begabung ist nach Gordon die Fähigkeit, Musik zu hören und zu verstehen, die nicht<br />

tatsächlich physikalisch erklingt, son<strong>de</strong>rn imaginativ vorgestellt wird. Diese Fähigkeit bezeichnet<br />

er als »Audiation« (Music Audiation).“ 19 Ein sprachliches Korrelat ist <strong>de</strong>nkbar.<br />

18 Gembris: Grundlagen, S. 267<br />

19 Gembris: Grundlagen, S. 268


17<br />

Gordon – fokussiert auf Musikalität – bestätigt damit zugleich, daß die Entwicklung musikalischer<br />

wie sprachlicher Kompetenz abhängig ist von <strong>de</strong>n Wahrnehmungsfähigkeiten,<br />

welche nun von <strong>de</strong>n ersten Lebensjahren an bis ins Schulalter näher betrachtet wer<strong>de</strong>n.<br />

Laut Piaget, <strong>de</strong>r eine grundlegen<strong>de</strong> Entwicklungstheorie vorgestellt hatte, sei erst mit <strong>de</strong>m<br />

siebten Lebensjahr die Koordination verschie<strong>de</strong>ner Wahrnehmungsaspekte möglich, d.h.,<br />

erst dann könne eine Melodie und ihr Rhythmus voneinan<strong>de</strong>r differenziert wer<strong>de</strong>n. Neuere<br />

Ergebnisse besagen jedoch, daß ab <strong>de</strong>m dritten Lebensjahr bereits inzwischen ein Unterscheidungsvermögen<br />

zeitlicher Muster »vorher-nachher« zu beobachten sei wie auch, daß<br />

Dreijährige bei Moll traurig wür<strong>de</strong>n, also <strong>de</strong>n emotionalen Ausdruck wahrnehmen könnten.<br />

„Die Fähigkeit, eigene emotionale Befindlichkeiten auszudrücken und die an<strong>de</strong>ren<br />

Personen zu verstehen, ist bereits in <strong>de</strong>n ersten Lebensmonaten festzustellen.“ 20 Doch<br />

stellt sich die Frage, wie Kin<strong>de</strong>r über ihre Wahrnehmungen Auskunft geben können, da sie<br />

in <strong>de</strong>m Alter lediglich über eine eingeschränkte begriffliche Kompetenz verfügen. Daher<br />

wur<strong>de</strong>n im Falle von Musik Untersuchung mittels graphisch-symbolhafter Repräsentation<br />

zur Erforschung <strong>de</strong>r Entwicklung<br />

<strong>de</strong>s musikalischen Denkens angestellt,<br />

wobei unlängst auch frei erfun<strong>de</strong>ne<br />

Bil<strong>de</strong>r verwen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n.<br />

Weil Vier- bis Fünfjährige aber<br />

noch nicht räumlich-graphisch<br />

zeichnen, liefern sie »figurales«<br />

Gekritzel, woraus mögliche Denkstrategien<br />

eruiert wer<strong>de</strong>n: zuerst<br />

bil<strong>de</strong>n sich sensomotorisch-egozentrische<br />

Denkschemata aus, woraus<br />

später formelles System<strong>de</strong>n-<br />

Darstellung aus Gembris: Grundlagen, S. 251<br />

ken resultiere. Die entwickelten Fähigkeiten aus <strong>de</strong>m Kind- und Vorschulalter wer<strong>de</strong>n im<br />

Schulalter weiter stabilisiert, bis die Pubertät die Adoleszenzphase eröffnet. „Die Adoleszenz<br />

ist auch hinsichtlich <strong>de</strong>s Erlebens von Musik und ihrer Funktion eine Zeit beson<strong>de</strong>rer<br />

Umbrüche, die vor allem in <strong>de</strong>r Entwicklung musikalischer Präferenzen und Einstellungen<br />

<strong>de</strong>utlich wird. […] Nach <strong>de</strong>r Jugendzeit mit <strong>de</strong>m Übergang ins Erwachsenenalter wen<strong>de</strong>t<br />

sich die Aufmerksamkeit wie<strong>de</strong>r mehr <strong>de</strong>rjenigen Musik zu, die vor <strong>de</strong>m Übergang in die<br />

Adoleszenz von Be<strong>de</strong>utung gewesen ist.“ 21 Entwicklungspsychologien en<strong>de</strong>n meist hier.<br />

20 Gembris: »Musikalität«, S. 888<br />

21 Gembris: »Musikalität«, S. 893


18<br />

2.3.2. DIFFERENTIALPSYCHOLOGISCHE ASPEKTE<br />

Dieser methodische Ansatz sucht – unabhängig vom Alter – zu unterschei<strong>de</strong>n, wie zunächst<br />

die Verarbeitung von Musik und Sprache bzw. wo im Gehirn sie stattfin<strong>de</strong>t:<br />

„Theoretisch kann davon ausgegangen wer<strong>de</strong>n, daß durch je<strong>de</strong>n Reizanfall im Gehirn ein oszillatorischer<br />

Prozeß ausgelöst wird in bestimmten Zentren, die <strong>de</strong>r Sinnesmodalität <strong>de</strong>s auftreffen<strong>de</strong>n<br />

Reizes zugeordnet sind. Oszillatorensysteme im Nervensystem besitzen die Eigenschaft, daß sie<br />

durch einen plötzlich auftreffen<strong>de</strong>n Reiz unmittelbar synchronisiert wer<strong>de</strong>n. Visuelle, taktile o<strong>de</strong>r<br />

akustische Reize führen zu periodischen Entladungen in <strong>de</strong>n stimulierten Nervennetzen, <strong>de</strong>ren Dauer<br />

sich gleicht. Damit wird ein zeitliches Raster gebil<strong>de</strong>t, innerhalb <strong>de</strong>ssen zeitliche Ereignisse aus<br />

verschie<strong>de</strong>nen Sinnessystemen aufeinan<strong>de</strong>r bezogen wer<strong>de</strong>n können. Gäbe es keine <strong>de</strong>rartige zeitliche<br />

Rasterung, dann wäre es außeror<strong>de</strong>ntlich schwierig, Informationen <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Sinnessysteme<br />

miteinan<strong>de</strong>r zu vergleichen bzw. miteinan<strong>de</strong>r in Beziehung zu bringen. Die Perio<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Oszillators<br />

liegt nun bei 30-40 ms; «… sie ist jener Grundtakt, <strong>de</strong>r unsere mentale Tätigkeit charakterisiert<br />

und als Minimalzeit <strong>de</strong>finiert wird, um einzelne Ereignisse zu i<strong>de</strong>ntifizieren o<strong>de</strong>r schnelle Entscheidungen<br />

zu treffen …» (E. Pöppel). Dieser Oszillator ist gleichsam eine Uhr im Nervensystem.“ 22<br />

Nach Pfalz sei die linke Hirnhälfte primär für Zeit, die rechte eher für Musikwahrnehmung<br />

und -erleben zuständig, da „die rechte Gehirnhälfte für bestimmte Aspekte unseres Gefühlslebens<br />

dominant ist. Die Tonhöhenmodulation ist wohl das an <strong>de</strong>r Musik, was ihr<br />

beson<strong>de</strong>re emotionale Wirkung vermittelt.“ 23 Für Sprache be<strong>de</strong>utet dies:<br />

„Nicht nur <strong>de</strong>r Inhalt einer sprachlichen Information löst beim Empfänger eine Reaktion aus, son<strong>de</strong>rn<br />

auch <strong>de</strong>ren «akustische Verpackung». Diese wird durch <strong>de</strong>n Sen<strong>de</strong>r, d.h. die Stimme <strong>de</strong>s Sprechen<strong>de</strong>n<br />

bestimmt. Es ist das sog. «Timbre», d.h. die Klangfarbe <strong>de</strong>r Stimme, welche beim Empfänger<br />

unbewußt Gefühlsregungen auslöst; positive im Sinne einer sympathischen Einstellung gegenüber<br />

<strong>de</strong>m Sprechen<strong>de</strong>n, negative im Sinne einer antipathischen, ablehnen<strong>de</strong>n Reaktion. In gleicher<br />

Weise reagiert <strong>de</strong>r Mensch auf Umweltgeräusche, die er je nach Art ihrer akustischen Verpackung<br />

als angenehm, als lästig o<strong>de</strong>r als alarmierend empfin<strong>de</strong>t. In diesem Zusammenhang muß darauf<br />

hingewiesen wer<strong>de</strong>n, daß das Ohr entwicklungsgeschichtlich ein Alarmorgan ist, <strong>de</strong>ssen Funktion<br />

einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung <strong>de</strong>r Art geleistet hat. Was für Sprache und Umweltgeräusche<br />

gilt, besitzt auch Gültigkeit für die Musik.“ 24<br />

Der interindividuellen Kommunikation vorausgegangen sei also die Funktion <strong>de</strong>s Ohres<br />

als Alarmorgan, woraus die selektive Perzeption, also das Richtungshören abzuleiten sei,<br />

das seine physiologische Grundlage in <strong>de</strong>r Hörrin<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Schläfenlappens habe. Daß nicht<br />

das Auge mit einem Informationsdurchsatz (in binäre digits pro Sekun<strong>de</strong> angegeben) von<br />

3x10 6 bit/s, son<strong>de</strong>rn das «langsamere» Ohr mit 3,5x10 4 bit/s für Kommunikation wichtig<br />

ist, liege nach Pfalz daran, daß man <strong>de</strong>mnach mehr sagen könne als zeigen.<br />

22 Pfalz, S. 14<br />

23 Pfalz, S. 15<br />

24 Pfalz, S. 4f.


19<br />

An<strong>de</strong>re Ansätze beschränken sich auf die Untersuchung am Hören beteiligter Hirnareale:<br />

„Ziel <strong>de</strong>r Arbeiten ist meist, Aufschlüsse über die Lokalisierbarkeit <strong>de</strong>r Hirnfunktionen zu gewinnen;<br />

da – wie man heute allgemein annimmt und im folgen<strong>de</strong>n näher ausgeführt wer<strong>de</strong>n soll – bei<strong>de</strong><br />

Hirnhemisphären <strong>de</strong>s Menschen Wahrnehmungsreize in unterschiedlicher Weise verarbeiten, kann<br />

man aus <strong>de</strong>n Ergebnissen aber auch Folgerungen über Analogie o<strong>de</strong>r Gegensätze in <strong>de</strong>n „Strategien“<br />

beim Hören von Musik und Sprache ableiten.“ 25<br />

Insofern sind die Ergebnisse von Belang, als daß sie Auskunft liefern, ob ein Zusammenhang<br />

zwischen bei<strong>de</strong>n Lautformen begrün<strong>de</strong>t ist. Anfangs dienten Untersuchungen an<br />

Läsionen im Hirn <strong>de</strong>m Ziel, Ausfallerscheinungen wie Aphasien bzw. Amusien zu lokalisieren,<br />

wobei beobachtet wur<strong>de</strong>, daß letzteres meist in Kombination mit ersterem eintritt,<br />

während ersteres ohne letzterem auftreten kann. 26 Aphasien wer<strong>de</strong>n auf Verletzungen <strong>de</strong>s<br />

Frontallappens <strong>de</strong>r linken Hirnhälfte zurückgeführt, während Amusien auf Läsionen bei<strong>de</strong>r<br />

Frontallappen beruhten. An<strong>de</strong>re Untersuchungen an gesun<strong>de</strong>n Proban<strong>de</strong>n ergaben, daß<br />

links Kognition und rechts Emotionen und überdies – speziell auf Sprache bezogen – links<br />

Konsonanten und rechts Vokale verarbeitet wer<strong>de</strong>n:<br />

„Die Annahme, es handle sich bei <strong>de</strong>r linken Hemisphäre um eine „auf Sprache spezialisierte“ Hirnstruktur,<br />

wäre allerdings voreilig und müßte dahingehend modifiziert wer<strong>de</strong>n, daß die sprachdominante<br />

ebenso wie die rechte Hirnhälfte weniger durch das bevorzugt verarbeiten<strong>de</strong> Material als<br />

vielmehr durch die Art und Weise <strong>de</strong>r Verarbeitung charakterisiert ist. In dieser Hinsicht läßt sich eine<br />

funktionale Asymmetrie im menschlichen Gehirn feststellen: die linke Hemisphäre verbalisiert<br />

nahezu alle Informationen nichtsprachlicher Natur; dabei wer<strong>de</strong>n ganzheitlich-simultane Wahrnehmungsinhalte<br />

in zeitlich-sequentielle Einzelereignisse zerlegt. Im Gegensatz zu dieser gleichsam<br />

diskursiven Verarbeitungsweise <strong>de</strong>r linken Hemisphäre sind die Denkprozesse <strong>de</strong>r rechten Hemisphäre<br />

intuitiv; Informationen wer<strong>de</strong>n hier auf ganzheitliche Weise verarbeitet; das globale gestalthafte<br />

Verstehen dominiert. Eine „analytisch-sequentielle“ Strategie <strong>de</strong>r linken Hemisphäre<br />

steht somit einer „synthetisch-holistischen“ Strategie <strong>de</strong>r rechten gegenüber. Die Hirnasymmetrie<br />

ist alters- und geschlechtsabhängig: sie prägt sich nach Meinung <strong>de</strong>r meisten Forscher zu Beginn<br />

<strong>de</strong>r Pubertät aus und zwar bei Mädchen mit etwa zehn Jahren, bei Jungen dagegen erst mit etwa<br />

zwölf Jahren.“ 27<br />

Eine – früher oft behauptete – These, daß Sprache links und Musik rechts, also generell<br />

getrennt von einan<strong>de</strong>r verarbeitet wür<strong>de</strong>n, läßt sich <strong>de</strong>mnach nicht mehr aufrecht erhalten,<br />

zumal weitere Untersuchungen zum Thema gleiche Ergebnisse erzielen. 28<br />

25 Klemm, S. 67f.<br />

26 vgl. Klemm, S. 73<br />

27 Klemm, S. 79f.<br />

28 vgl. Schuster, S. 51: „wonach Musiker durch ihr analytisches Musikhören eine Linkslateralisation zeigen,<br />

während Nichtmusiker die Musik eher ganzheitlich, d.h. holistisch mit <strong>de</strong>r rechten Hemisphäre verarbeiten.“


20<br />

Derzeitige Erkenntnisse<br />

über<br />

beteiligte Areale<br />

<strong>de</strong>r Sprachverarbeitung,<br />

die je<br />

nach Umgang<br />

unterschiedlich<br />

lokalisiert sind,<br />

bzw. bekannter<br />

und unbekannter<br />

Sprache lassen<br />

sich dank <strong>de</strong>s EEG<br />

veranschaulichen.<br />

Darstellung aus Brockhaus – Körper, Geist und Seele, S. 273<br />

Ein Experiment <strong>de</strong>s Max-<br />

Planck-Instituts Leipzig<br />

untersucht <strong>de</strong>rzeit, ob<br />

Musik ähnliche Areale<br />

aktiviert wie die Muttersprache,<br />

wobei sich abzeichnet,<br />

daß für musikalische<br />

und sprachliche<br />

Informationen ein und<br />

dieselbe Region zuständig<br />

ist, weil z.B. Fehler<br />

in <strong>de</strong>r Syntax gleiche<br />

Impulse im Hirn auslösen,<br />

wie Fehler in Klassischer<br />

Musik 29 .<br />

Darstellung aus Brockhaus – Körper, Geist und Seele, S. 502<br />

Hingegen im Mittelpunkt <strong>de</strong>r Untersuchungen von Köhlmann steht jene psychische Tätigkeit,<br />

die es überhaupt ermöglicht, Musik und Sprache aus <strong>de</strong>r Gesamtheit akustischer<br />

Wahrnehmung zu filtern:<br />

29 persönliche Mitteilung von einem <strong>de</strong>r Autoren Björn Helmer Schmidt


21<br />

„Ausgehend von <strong>de</strong>r Vorstellung, daß ein kontinuierliches Schallsignal vom Gehör in aufeinan<strong>de</strong>rfolgen<strong>de</strong><br />

Schallereignisse unterteilt wird, konnten mit Hilfe <strong>de</strong>r Rhythmuswahrnehmung diejenigen<br />

Zeitpunkte ermittelt wer<strong>de</strong>n, welche die Schallereignisse bezüglich <strong>de</strong>r Wahrnehmung repräsentieren.<br />

Diese Zeitpunkte wur<strong>de</strong>n Ereigniszeitpunkte genannt. Sie kennzeichnen die Segmentierung von<br />

Schallen durch das Ohr. […]<br />

Untersuchungen <strong>de</strong>r Segmentierung kontinuierlicher Schalle zeigten, daß prinzipiell je<strong>de</strong> Pegelerhöhung<br />

(> 1 dB) ein rhythmisches Ereignis auslöst, eine Pegelerniedrigung aber bestenfalls in 50 %<br />

<strong>de</strong>r Fälle. Eine überschwellige Frequenzän<strong>de</strong>rung bewirkt unabhängig von <strong>de</strong>r Richtung <strong>de</strong>r Än<strong>de</strong>rung<br />

ein Ereignis. Für die rhythmische Verschmelzungsgrenze von aufeinan<strong>de</strong>rfolgen<strong>de</strong>r Pegel- und<br />

Frequenzän<strong>de</strong>rung wur<strong>de</strong> ein Bereich zwischen 100 und 200 ms ermittelt. […]<br />

Sprache und Musik wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Versuchspersonen im wesentlichen in Zeitintervallen zwischen<br />

200 und 400 ms segmentiert. Die Zeitverhältnisse aufeinan<strong>de</strong>rfolgen<strong>de</strong>r Intervalle ergaben bei<br />

Sprache und Musik unterschiedliche Verteilungen. […] Die metrische Struktur <strong>de</strong>r Musik zeichnet<br />

sich <strong>de</strong>utlich in <strong>de</strong>r Segmentierung ab. Es konnte nachgewiesen wer<strong>de</strong>n, daß allein aufgrund dieser<br />

Struktur eine Unterscheidung von Sprache und Musik möglich ist.“ 30<br />

Ein erster Anhaltspunkt ist also gefun<strong>de</strong>n, Musik und Sprache voneinan<strong>de</strong>r zu unterschei<strong>de</strong>n,<br />

wobei die berücksichtigt wer<strong>de</strong>n sollte, ob die nur für eine bestimmte Art von Musik<br />

bzw. Sprache gilt.<br />

2.3.3. PSYCHOANALYTISCHE ASPEKTE<br />

Die bisher erwähnten medizinisch-physiologischen Abläufe bei Hör- und Lautgebungsvorgängen<br />

stellen jedoch lediglich die Überbrückung einer Distanz dar zwischen einem »Ich«<br />

und seinem »Du«, einem Ego und <strong>de</strong>ssen Alter. In<strong>de</strong>s stellt sich die Frage, ob und wie jene<br />

Vorgänge im Bewußtsein <strong>de</strong>s Individuums Wirkweisen ausbil<strong>de</strong>n. Verallgemeinernd kann<br />

man sowohl bei Sprache als auch bei Musik davon ausgehen, daß die – einmal im Hörprozeß<br />

als solche i<strong>de</strong>ntifizierten – Lautmuster in mentale Vorstellungen transformiert wer<strong>de</strong>n<br />

in Relation zum Ausmaß <strong>de</strong>r provozierten Aufmerksamkeit. Ohne dies ist die Erweiterung<br />

<strong>de</strong>s Gedächtnisbesitzes unmöglich. Für <strong>de</strong>n Fall <strong>de</strong>r Lautgebung gilt analog, daß mentale<br />

Vorstellungen transformiert wer<strong>de</strong>n in Lautmuster, um beim Gegenüber die nötige Aufmerksamkeit<br />

zu provozieren usw. Dabei kann z.B. das Maß <strong>de</strong>r Aufmerksamkeit – rein<br />

psychologisch verstan<strong>de</strong>n – differieren zwischen bewußt-konzentrierter Wahrnehmung<br />

über unbewußt-suggestiver bis hin zu keiner Wahrnehmung. Für die weiteren Ausführungen<br />

ist es daher an dieser Stelle geboten, auf jene Vorstellung näher einzugehen, die auch<br />

als Vorverständnis dieser Arbeit zugrun<strong>de</strong> liegt, daß nämlich im Diskurs um Sprache und<br />

Musik die bewußte Tätigkeit <strong>de</strong>s menschlichen Geistes von großer Be<strong>de</strong>utung ist, bei weitem<br />

aber nicht die einzige.<br />

30 Köhlmann, S. 3


22<br />

Nach Carl Gustav Jungs tiefenpsychologischen Ansatz <strong>de</strong>r »analytischen Psychologie« 31<br />

verfügt <strong>de</strong>r Mensch einerseits über ein Selbstbewußtsein mit einem subjektiven »Ich«,<br />

an<strong>de</strong>rseits über ein »individuell Unbewußtes« sowie über ein »kollektives Unbewußtes«,<br />

das man mit an<strong>de</strong>ren Menschen gemein hat und woraus – nach Jung – die Archetypen die<br />

individuelle Psyche bestimmen. Im Bild gesprochen ist <strong>de</strong>mnach die Psyche vergleichbar<br />

einem Berg, <strong>de</strong>ssen Fundament im Gebirgsmassiv zusammen mit an<strong>de</strong>ren Bergen das<br />

kollektive Unbewußte darstellt, woraus sich das individuell Unbewußte erhebt und sich<br />

von an<strong>de</strong>ren Bergen unterschei<strong>de</strong>t, aber erst <strong>de</strong>ssen schneebe<strong>de</strong>ckter Teil <strong>de</strong>m Selbstbewußtsein<br />

mit <strong>de</strong>m »Ich« als Gipfel entspricht. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, daß<br />

Musik nicht ausschließlich kognitiv, also bewußt verarbeitet wird, son<strong>de</strong>rn zugleich in<br />

Beziehung steht zu <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n unbewußten Bereichen <strong>de</strong>r menschlichen Psyche. Die Be<strong>de</strong>utung<br />

dieses Ansatzes wird so beschrieben:<br />

„Während bei psychoakustischen, -physikalischen und -physiologischen Forschungsansätzen Psychologie<br />

zunehmend zur entindividualisierten Physik <strong>de</strong>s Nervernsystems und Vegetativums wird,<br />

geht es bei psychoanalytischen Theorien um die Rettung <strong>de</strong>s Ichs. […] Da Freud allerdings – ebenso<br />

wie sein Schüler Guido Adler und sein Antipo<strong>de</strong> Carl Gustav Jung – sich primär mit Sprache als diskursivem<br />

Medium psychoanalytischer Methodik auseinan<strong>de</strong>rgesetzt und keine psychoanalytische<br />

Theorie <strong>de</strong>r Musik unternommen hat, hat sich die Psychoanalyse bis heute eher marginal mit Musik<br />

als nicht-diskursivem Kommunikationsmittel befaßt. […] Die meisten Autoren, die sich unter psychoanalytischem<br />

Blickwinkel mit Musik beschäftigt haben, stimmen darin überein, daß Musik eine<br />

Sprache sei, <strong>de</strong>ren Ursprünge in frühkindliche Wahrnehmungs- und Kommunikationsweisen zurückreichen.<br />

[…] In Abhängigkeit von <strong>de</strong>r Art <strong>de</strong>r Musik und von <strong>de</strong>r musikalischen Erfahrungsbereitschaft<br />

<strong>de</strong>s Hörers wer<strong>de</strong>n von mehr o<strong>de</strong>r weniger ausgeprägten Empfindungen begleitete archaische<br />

Funktionsweisen aktiviert. In <strong>de</strong>ren Gefolge kann es zum psychischen Rückzug aus <strong>de</strong>r Realität,<br />

zur Evokation von Phantasien, Erinnerungsresten und Wunschvorstellungen, kurz, zur Auflösung<br />

von Zeit- und Ich-Grenzen kommen. Diese […] als Regressionsmodi bezeichneten Vorgänge<br />

wer<strong>de</strong>n nicht nur zur Erklärung kreativer Aktivität herangezogen, son<strong>de</strong>rn auch zur Erklärung musiktherapeutischer<br />

Wirkungen.“ 32<br />

2.3.4. GESTALTPSYCHOLOGISCHE ASPEKTE<br />

Dieser Ansatz geht davon aus, daß ein Mensch weniger Einzelheiten wahrnimmt, als viel<br />

mehr ein sinnvolles Ganzes zu erkennen sucht. Auf Musik bezogen be<strong>de</strong>utet dies nach<br />

Stumpf, „eine Wahrnehmung entstehe nicht in einem zweiten Verarbeitungsgang, son<strong>de</strong>rn<br />

schließe sich sofort und unmittelbar an die Sinnempfindung an.“ 33 Seiner Arbeit ver-<br />

31 vgl. Jung-Merker, L. (Hg) [u.a.]: Gesammelte Werke. – 15. Aufl. – Olten: Walter, 1988<br />

32 Rösing, Helmut: »Musikpsychologie« in MGG Bd. 6, S. 1557f.<br />

33 Stumpf, Carl: Tonpsychologie, 1883, Bd. 2, S. 4; zit. nach Rösing, Helmut: »Musikpsychologie« in MGG,<br />

Bd. 6, S. 1558


23<br />

danken sich sowohl Konsonanztheorien als auch Erklärungsmo<strong>de</strong>lle von Wahrnehmungsqualitäten<br />

<strong>de</strong>r Sprachlaute und Instrumentalklänge. Ihm folgte die sogenannte Berliner<br />

Schule, <strong>de</strong>ren Vertreter für die Musikpsychologie von herausragen<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung sind.<br />

Beispielsweise Max „Wertheimer formulierte in seinen Untersuchungen zur Lehre <strong>de</strong>r Gestalt<br />

(1923) bis heute gültige Gesetze <strong>de</strong>r Gruppierung von Tonfolgen zu Verarbeitungseinheiten;<br />

Koffka befaßte sich u.a. mit <strong>de</strong>r Gruppierung von Tonfolgen zu rhythmischen<br />

Komplexen und entwickelte eine Theorie, wonach die rezipierte Gestalt abhängt von <strong>de</strong>r<br />

Be<strong>de</strong>utung, die eine Person <strong>de</strong>n wahrgenommen Reizen beimißt, also eher auf Sozialisationsphänomenen<br />

und Lernprozessen beruht, als angeboren ist.“ 34 Die Musikethnologie<br />

steht ebenfalls in diesem Kontext, wie auch die Theorien E. Kurths, <strong>de</strong>r „in seiner Musikpsychologie<br />

(1931) […] energetische Qualitäten <strong>de</strong>r Klangmaterie in das Zentrum <strong>de</strong>r Betrachtungen<br />

[stellt]. Spannungen im musikalischen Material führen zu jener psychischen<br />

Energie, aus <strong>de</strong>r sich die Wirkung von Musik erkläre.“ 35 Auf ihn geht auch die Vorstellung<br />

<strong>de</strong>r Gleichzeitigkeit musikalischer Ereignisse – die physikalisch nacheinan<strong>de</strong>r, mental in<br />

<strong>de</strong>r Psyche aber gemeinsam präsent sind – und <strong>de</strong>r Räumlichkeit <strong>de</strong>r Musik als imaginären<br />

Raum <strong>de</strong>r Psyche zurück. Der Gestaltpsychologie gegenüber etablierte sich in Leipzig die<br />

Ganzheitspsychologie, die Ausgangspunkt <strong>de</strong>r holistischen Theorien <strong>de</strong>r New-Age-<br />

Bewegung wur<strong>de</strong>. Dominierend aber ist inzwischen „die kognitive Psychologie [als] eine<br />

Weiterentwicklung phänomenologischer und gestaltpsychologischer Prinzipien“ 36 . In diesem<br />

Zusammenhang sei jedoch noch auf eine interessante Studie verwiesen:<br />

„Carol Krumhansi und <strong>de</strong>r Sprachwissenschaftler Peter Jusczyk (1990) […] untersuchten die Frage,<br />

inwieweit Säuglinge im Alter von viereinhalb und sechs Monaten für die Phrasenstruktur von Musik<br />

sensibel sind und welche musikalischen Faktoren dabei eine Rolle spielen. Der theoretische Hintergrund<br />

dieser Fragestellung ist folgen<strong>de</strong>r: Für das Verständnis <strong>de</strong>r Sprache ist es notwendig, aus<br />

<strong>de</strong>m fortlaufen<strong>de</strong>n Klangstrom aus Konsonanten und Vokalen größere Einheiten wie Silben, Wörter,<br />

Phrasen und Sätze zu erkennen und herauszufiltern (Segmentierung). Das Problem besteht darin,<br />

Beginn und En<strong>de</strong> von Silben, Wortgrenzen etc. zu erkennen, obwohl es oft keine Pausen in <strong>de</strong>n fortlaufen<strong>de</strong>n<br />

akustischen Signalen gibt. Für das korrekte Segmentieren und Erkennen von Wortgrenzen<br />

spielen wahrscheinlich Rhythmus und Intonation als Hinweisreize eine wichtige Rolle. Wie verschie<strong>de</strong>ne<br />

Experimente gezeigt haben, bevorzugen bereits sechs Monate alte Säuglinge richtig<br />

segmentierte Sprache gegenüber nicht korrekt segmentierter Sprache. Sie sind also in <strong>de</strong>r Lage, im<br />

fortlaufen<strong>de</strong>n Strom <strong>de</strong>r Sprache Strukturen zu erkennen, die zur Segmentierung dienen. In zwei<br />

raffinierten Experimenten konnten Saffran, Aslin & Newport (1996) nachweisen, daß acht Monate alte<br />

Säuglinge sogar in <strong>de</strong>r Lage sind, in einer künstlichen Nonsense-Sprache, die von einer synthetischen<br />

Frauenstimme als ein Sprachstrom ohne Pause und ohne jegliche Intonation dargeboten<br />

34 Rösing, Helmut: »Musikpsychologie« in MGG, Bd. 6, S. 1559<br />

35 Rösing, Helmut: »Musikpsychologie« in MGG, Bd. 6, S. 1559<br />

36 Rösing, Helmut: »Musikpsychologie« in MGG, Bd. 6, S. 1561


24<br />

wur<strong>de</strong>, Wortgrenzen zu erkennen und einzelne Worte zu isolieren. Dies ist dadurch möglich, daß<br />

Säuglinge offenbar eine enorme statistische Lernfähigkeit besitzen, die es ihnen erlaubt, bereits<br />

nach einer zweiminütigen Darbietung eines kontinuierlich fließen<strong>de</strong>n, intonationslosen Sprachstroms<br />

statistische Regelmäßigkeiten in <strong>de</strong>r Aufeinan<strong>de</strong>rfolge von Lauten zu erkennen. Sie können<br />

erkennen, daß bestimmte Lautfolgen bzw. Lautkombinationen häufiger vorkommen als an<strong>de</strong>re, so<br />

daß sie häufig vorkommen<strong>de</strong> Lautfolgen als Wörter interpretieren. Eine alte Streitfrage lautet, ob<br />

Säuglinge angeborene, erfahrungsunabhängige und universelle Mechanismen zum Spracherwerb<br />

besitzen – eine Position, wie sie beispielsweise von <strong>de</strong>m Sprachwissenschaftler Chomsky und<br />

jüngst von <strong>de</strong>m Kognitionswissenschaftler Steven Pinker in seiner Theorie <strong>de</strong>s Sprachinstinktes vertreten<br />

wird (s. Pinker 1996) – o<strong>de</strong>r ob die <strong>de</strong>m Spracherwerb zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n Mechanismen<br />

durch Erfahrung und Lernen erworben wer<strong>de</strong>n. Die Ergebnisse von Saffran, Aslin & Newport (1996)<br />

sprechen eher dafür, daß es erfahrungsabhängige, also erlernte Mechanismen gibt, die in sehr effektiver<br />

Weise eine Wortsegmentierung und darüber hinaus <strong>de</strong>n Spracherwerb ermöglichen. Saffran,<br />

Aslin & Newport (1996) schließen daher aus ihren Ergebnissen, daß nicht angeborenes Wissen,<br />

son<strong>de</strong>rn angeborene Mechanismen zum statistischen Lernen für die frühkindliche Sprachentwicklung<br />

eine wesentliche Rolle spielen.“ 37<br />

2.3.5. KOGNITIONSPSYCHOLOGISCHE ASPEKTE<br />

Hierbei ist von Interesse, welche Verläufe innersubjektiv Musik o<strong>de</strong>r Sprache hervorrufen<br />

bzw. begleiten. „Zentrales Anliegen <strong>de</strong>r musikalischen Kognitionspsychologie ist Mo<strong>de</strong>llierung<br />

von kognitiven mentalen Systemen zur Repräsentation von psychischen Prozessen<br />

wie Gedächtnis und Wissensstrukturen, von Wahrnehmungsvorgängen, Kategorialisierungsaspekten<br />

o<strong>de</strong>r Lernprozessen. Dabei spielen auch gestaltpsychologische Ansätze<br />

<strong>de</strong>r Gruppierung und <strong>de</strong>s Figur-Hintergrund-Hörens einzelner Elemente von komplexen<br />

musikalischen Zeitgestalten eine be<strong>de</strong>utsame Rolle.“ 38 Exakt an diesem Punkt splittet sich<br />

die Schar <strong>de</strong>rer, die über Musik und Sprache nach<strong>de</strong>nken, in zwei Lager. Nach Ansicht von<br />

La Motte-Haber nämlich ist <strong>de</strong>r Konnex zwischen Musik und Sprache auf psychologischer<br />

Ebene „eine I<strong>de</strong>e mit begrenzter Reichweite“ 39 . An<strong>de</strong>rer Ansicht ist hingegen Stoffer, <strong>de</strong>r<br />

fundiert darlegt, daß Musik kognitiv wie Sprache repräsentiert wer<strong>de</strong>n kann. Unter Bezugnahme<br />

auf E. Kurth 40 differenziert er die Musikpsychologie als „Beschreibung struktureller<br />

Aspekte <strong>de</strong>r kognitiven Verarbeitung beim Hören von Musik“ 41 . Bei<strong>de</strong>, Stoffer und la<br />

Motte-Haber sollen zu Wort kommen.<br />

37<br />

Gembris: Grundlagen, S. 279<br />

38 Rösing, Helmut: »Musikpsychologie« in MGG, Bd. 6, S. 1566<br />

39 La Motte-Haber, S. 133<br />

40 Kurth, Ernst: Musikpsychologie. – Berlin: Hesse, 1931<br />

41 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 148


25<br />

2.3.5.1. DER STANDPUNKT VON THOMAS H. STOFFER<br />

Wie die Linguistik für die Sprachpsychologie, so sucht Stoffer für die Musikpsychologie<br />

nach Strukturbeschreibungen, um zu klären, welche „Aspekte kognitiver Verarbeitung<br />

beim Hören von Musik […] mit musiktheoretischen Konzepten zur Beschreibung musikalischer<br />

Struktur korrespondieren“ 42 . Eine Möglichkeit bietet für ihn Gibsons Betrachtungen<br />

<strong>de</strong>r Reizmuster, „so daß Mechanismen mo<strong>de</strong>lliert wer<strong>de</strong>n können, die mit <strong>de</strong>r Struktur <strong>de</strong>r<br />

Reizmuster in Einklang stehen.“ 43 Solche Mo<strong>de</strong>lle wür<strong>de</strong>n einerseits zur methodologischen<br />

Klarheit über die musikalische Vorlagen beitragen, dienten an<strong>de</strong>rerseits aber auch<br />

heuristisch <strong>de</strong>r Hypothesenbildung über kognitive Repräsentationen, solange sie sich sowohl<br />

durch <strong>de</strong>skriptive, als auch durch kognitive Adäquatheit auszeichnen. „Wenn z.B.<br />

das musikalische Strukturbeschreibungsmo<strong>de</strong>ll von einer hierarchischen Struktur <strong>de</strong>r Musik<br />

ausgeht (z.B. Riemann, 1905), wird die Hypothese nahegelegt, daß die kognitive Repräsentation<br />

wahrgenommener Musik eine hierarchische Struktur besitzt (z.B. Stoffer,<br />

1981). Es kann außer<strong>de</strong>m die Hypothese nahegelegt wer<strong>de</strong>n, daß diejenigen musikalischen<br />

Einheiten, die das Strukturbeschreibungsmo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>finiert, potentielle funktionelle<br />

Verarbeitungseinheiten für kognitive Prozesse darstellen (Stoffer, 1981).“ 44 In<strong>de</strong>s unterschei<strong>de</strong>t<br />

Stoffer kognitive Adäquatheit von kognitiver Realität. Strukturen müßten keineswegs<br />

gleich, son<strong>de</strong>rn entsprechend sein, wie die <strong>de</strong>skriptive Adäquatheit nicht Musik,<br />

son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Musik entsprechend sei. Ein vollständiges Verarbeitungsmo<strong>de</strong>ll ergebe sich<br />

daraus aber noch nicht, das aussage, „unter welchen Bedingungen und zu welchem Zeitpunkt<br />

eine potentiell wahrnehmbare Einheit zur funktionell wirksamen Verarbeitungseinheit<br />

wird.“ 45<br />

Anfangs verbreitete sich ein hierarchisches Mo<strong>de</strong>ll, das auf Intervallbeziehungen, rhythmischen<br />

Mustern und Harmoniefolgen basierte, bei <strong>de</strong>m zunächst aufsteigen<strong>de</strong> Prozesse<br />

(Reizweiterleitung) erklärt wer<strong>de</strong>n sollten. Aus <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>r »Künstlichen Intelligenz«<br />

stammte die Annahme eines Induktionsmusters, das „Beziehungen zwischen benachbarten<br />

Elementen eines seriellen Reizmusters mittels rationaler Konzepte auf <strong>de</strong>r untersten<br />

Ebene, anschließend auf <strong>de</strong>n übergeordneten Ebenen“ 46 erkennt, wobei die einzelnen Induktionsschritte<br />

durch Extrapolationen jeweils überprüft wür<strong>de</strong>n. In<strong>de</strong>s lei<strong>de</strong>n solche Mo<strong>de</strong>lle<br />

daran, daß die für exakte Bestimmungen notwendige Unabhängigkeit <strong>de</strong>r Bereiche<br />

Melodie, Rhythmus und Harmonie durch Interaktionen unterwan<strong>de</strong>rt wird, wie auch die –<br />

42<br />

Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 148<br />

43 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 149<br />

44 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 149<br />

45 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 150<br />

46 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 151


26<br />

theoretisch unendlich vielen – Kombinationsmöglichkeiten praktisch begrenzt sind durch<br />

musikalische Formprinzipien. „Funktionelle Aussagen über Mechanismen <strong>de</strong>r kognitiven<br />

Verarbeitung wer<strong>de</strong>n in hierarchischen Mo<strong>de</strong>llen nur insofern gemacht, als <strong>de</strong>r Aufbau<br />

einer kognitiven Repräsentation musikalischer Strukturen als aufsteigen<strong>de</strong>r Kodierungsprozeß<br />

beschrieben wird“ 47 . Dagegen „kommen viele Autoren inzwischen zu <strong>de</strong>r Hypothese<br />

einer funktionalen Dominanz <strong>de</strong>r Verarbeitung konfigurativer Merkmale sowohl für die<br />

visuelle Wahrnehmung (Cooper, 1980) als auch für die auditive Wahrnehmung (Stoffer,<br />

1981).“ 48 Mit <strong>de</strong>r Annahme von Prototypen- und Schemamo<strong>de</strong>llen könne man jene Interaktionen<br />

<strong>de</strong>r aufsteigen<strong>de</strong>n mit absteigen<strong>de</strong>n Prozessen (Voraushören) abbil<strong>de</strong>n. „Ein musikalischer<br />

Prototyp ist eine kognitive Repräsentation <strong>de</strong>rjenigen Merkmale und strukturellen<br />

Eigenschaften, die bei einer Menge musikalischer Strukturen gemeinsam anzutreffen<br />

sind. Die Fähigkeit von Hörern, zwischen verschie<strong>de</strong>nen Klassen musikalischer Strukturen<br />

zu diskriminieren o<strong>de</strong>r ein Mitglied einer Klasse als solches zu i<strong>de</strong>ntifizieren, wird durch<br />

die Annahme entsprechen<strong>de</strong>r Prototypen zu erklären versucht.“ 49 In Bezugssystemen lassen<br />

sich mittels dieser Prototypen z.B. Asymmetriebeobachtungen beim Hören von Musik<br />

darstellen. „Der Begriff »Bezugssystem« bezeichnet <strong>de</strong>n Sachverhalt, daß ein in <strong>de</strong>r<br />

Wahrnehmung gegebenes Objekt seine qualitativ und quantitativ beschreibbaren Merkmale<br />

aus <strong>de</strong>m Bezug zu Merkmalen <strong>de</strong>r Gesamtsituation gewinnt“ 50 . Als Beispiel führt<br />

Stoffer an, daß eine sehr laute Stelle in einem Violinenduett auch als »sehr laut« empfun<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>, obwohl eine ebenso laute Stelle in einer Wagner-Oper als weniger laut beurteilt<br />

wer<strong>de</strong>. Objekteigenschaften wer<strong>de</strong>n laut Stoffer mittels <strong>de</strong>r Prototypen analysiert,<br />

während das Bezugssystem diese gewichtet anhand <strong>de</strong>s Kontextes. „Ein Bezugssystem<br />

relativiert die Merkmale eines Objekts und beeinflußt damit die Klassifikationsgrundlage<br />

für eine eventuelle kategoriale I<strong>de</strong>ntifikation […]. Die übergeordnete Struktur, die sowohl<br />

Prototypen als auch Bezugssysteme enthält, bezeichnen wir als »Schema«.“ 51<br />

Musikschema<br />

Prototypen<br />

musikalisches<br />

Stilschema<br />

globales Klassifikationsschema<br />

Wahrnehmungsschemata<br />

und<br />

Bezugssysteme<br />

Formtypenschema<br />

Kernschema<br />

Perio<strong>de</strong>nstrukturvarianten<br />

Subschema<br />

Lied<br />

47<br />

Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 154<br />

48 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 155<br />

49 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 156<br />

50 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 158<br />

51 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 158<br />

< Darstellung aus Stoffer, S. 165


27<br />

Solche Schemata glie<strong>de</strong>rn sich ein in ein übergeordnetes System, daß für Vorgänge <strong>de</strong>s<br />

Verstehens allgemein konstitutiv ist, und stehen darüber zueinan<strong>de</strong>r in Verbindung. „Wir<br />

fassen »Verstehen von Musik« als Gefüge kognitiver Prozesse auf, in <strong>de</strong>ren Verlauf eine<br />

Konzeptstruktur aktiviert wird, die in einer kognitiven Repräsentation kategorialer Beziehungen<br />

zwischen Einheiten eines Musikstücks in Relation zu einem musikalischen Formtyp,<br />

in <strong>de</strong>r kategorialen Einordnung in verfügbares musikhistorisches Wissen sowie in <strong>de</strong>r<br />

Einordnung in ein affektiv und ästhetisch bestimmtes Bewertungssystem bestehen kann.<br />

Strukturelle Basis dieser kognitiven Prozesse ist ein Repräsentationssystem impliziten<br />

musikalischen Wissens in Form eines organisierten Netzwerkes musikalischer Konzepte<br />

(»<strong>de</strong>klaratives Wissen«, Laske 1980), das in ein operatives kognitives System (»prozedurales<br />

Wissen«, Laske 1980) eingebettet ist.“ 52 Aufsteigen<strong>de</strong> Prozesse aktivieren <strong>de</strong>mnach<br />

höhere Ebenen, welche weitere höhere, aber auch Subebenen – absteigen<strong>de</strong> Prozesse<br />

genannt – zur Präzisierung o<strong>de</strong>r Korrektur aktivieren. Mittels <strong>de</strong>r »Generativen Transformationssyntax«<br />

expliziert Stoffer die beteiligten Schemata bei Volkslie<strong>de</strong>rn, <strong>de</strong>ren Funktion<br />

die eines Parsers ist. „Als Parser bezeichnet man einen Strukturanalysemechanismus,<br />

<strong>de</strong>r für ein Wahrnehmungsobjekt eine Repräsentation seiner Konstituentenstruktur erzeugt,<br />

d.h. die Repräsentation <strong>de</strong>r vertikalen Schichtung und horizontalen Abgrenzung<br />

von Einheiten auf mehreren Strukturebenen“ 53 . Zusätzlich skizzieren sie die Prozesse <strong>de</strong>r<br />

Aufmerksamkeitsfokussierung auf einzelne Ebenen <strong>de</strong>r Repräsentation. „Das Schemamo<strong>de</strong>ll<br />

berücksichtigt gegenwärtig <strong>de</strong>n gesamten, über ein musikalisch-syntaktisches Wissen<br />

hinausgehen<strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>s semiotische, kulturhistorische und auch affektiv-ästhetische<br />

Aspekte <strong>de</strong>s Musikhörens repräsentieren<strong>de</strong>n Wissens nur unzureichend. […] Diese nicht<br />

primär auf das Erfassen musikalischer Strukturaspekte gerichteten Höreinstellungen sind<br />

im Rahmen <strong>de</strong>s Schemamo<strong>de</strong>lls Ausdruck <strong>de</strong>r Verwendung inhaltlich an<strong>de</strong>rsartiger Schemata<br />

und Prototypen. An <strong>de</strong>n beschriebenen Prinzipien sollte sich jedoch nichts än<strong>de</strong>rn,<br />

wenn eine Einheit statt durch ein strukturelle Aspekte <strong>de</strong>r Musik analysieren<strong>de</strong>s Schema<br />

durch ein z.B. affektive Qualitäten analysieren<strong>de</strong>s Schema weiterverarbeitet wird.“ 54<br />

52 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 162f.<br />

53 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 168<br />

54 Stoffer: Mo<strong>de</strong>lle, S. 180


28<br />

2.3.5.2. DER STANDPUNKT VON HELGA DE LA MOTTE-HABER<br />

Der Diskurs um Musik und Sprache stellt für la Motte-Haber eines <strong>de</strong>r problematischsten<br />

Kapitel <strong>de</strong>r Musikwissenschaft dar. In fast zynischer Manier skizziert sie – aber dafür sehr<br />

umfangreich – jene Entwicklung, die ihrer Meinung nach dazu geführt hat, daß aufgrund<br />

behaupteter Unverständlichkeit die »Serielle Musik« größtenteils abgelehnt wür<strong>de</strong>. Daß<br />

aber Musik nicht wie eine Sprache aufzufassen sei, begrün<strong>de</strong>t sie damit, daß von Sprache<br />

„sich Musik – selbst in <strong>de</strong>n tiefsten Nie<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Trivialsphäre – dadurch unterschei<strong>de</strong>t,<br />

daß sie nicht zur Darstellung von Sachverhalten <strong>de</strong>s Alltags gebraucht wird. Sie ist<br />

kein Medium, das normalerweise <strong>de</strong>r Verständigung über zwischenmenschliche Vorgänge<br />

dient, und sie bietet keine Hülle für die Fixierung von Wissen. […] Über die banal wirken<strong>de</strong><br />

Feststellung, daß Musik keine Sprache ist im Sinne <strong>de</strong>r Kommunikation zwischen Menschen<br />

über Dinge und Umstän<strong>de</strong> ihres Lebensraumes, sind insofern weiterreichen<strong>de</strong> Überlegungen<br />

anzustellen, als sie die I<strong>de</strong>e vom Sprachcharakter <strong>de</strong>r Musik, die uns so selbstverständlich<br />

erscheint, daß gegen die Neue Musik immer ihr Sprachzerfall eingewen<strong>de</strong>t<br />

wur<strong>de</strong>, zu einer schönen Metapher macht, die als eine inhaltlich recht unpräzise Umschreibung<br />

wirkt.“ 55 Im Gegensatz zu Stoffer also schreibt la Motte-Haber <strong>de</strong>r Musik keine<br />

kognitiven Funktionen zu. Dennoch stellt sie – nach einer ergiebigen Ausführung <strong>de</strong>r Unterschie<strong>de</strong><br />

von Musik und Sprache – sich <strong>de</strong>r Thematik unter <strong>de</strong>r Voraussetzung, „daß es<br />

gar nicht darum gehen kann, die I<strong>de</strong>e, Musik sei eine Sprache, zu belegen o<strong>de</strong>r aber zu<br />

entkräften, son<strong>de</strong>rn daß dies als ein gegebener Sachverhalt zu akzeptieren ist, <strong>de</strong>ssen<br />

Voraussetzungen reflektiert wer<strong>de</strong>n können.“ 56<br />

Zunächst weist die allgemeine Re<strong>de</strong>, daß man Musik verstehe, auf Sprachähnlichkeit hin.<br />

Nicht nur die Schönheit <strong>de</strong>r Musik, son<strong>de</strong>rn auch das zum Ausdruck Gebrachte sei Gegenstand<br />

<strong>de</strong>r Betrachtungen. Daß dies jedoch keine Argumentationskraft für la Motte-Haber<br />

entwickelt, zeigt sie daran: „Wenn jemand behauptet, etwas verstan<strong>de</strong>n zu haben, so verbin<strong>de</strong>t<br />

er damit immer ein Gefühl <strong>de</strong>r Sicherheit und Überzeugung, das sich allerdings<br />

auch dann einstellt, wenn er etwas mißverstan<strong>de</strong>n hat, er muß er nur vollkommen mißverstan<strong>de</strong>n<br />

haben. Je<strong>de</strong>s Verstehen ist damit letztlich emotional begrün<strong>de</strong>t. Je stärker die<br />

irrationale Verankerung einer Auffassung ist, um so schwerer wer<strong>de</strong>n die Wahrnehmungskategorien<br />

an die Gegebenheiten <strong>de</strong>s zu verstehen<strong>de</strong>n Objekts angepaßt. Die Wahrnehmung<br />

tendiert dazu, sich in ihrer Struktur zu erhalten, in<strong>de</strong>m sie sich, wie <strong>de</strong>formiert auch<br />

immer, Sachverhalte einverleibt“ 57 . Dies begrün<strong>de</strong>t la Motte-Haber damit, daß sich Wahrnehmung<br />

stets nur im Kontext emotional verankerter Präferenzen und Neigungen vollzie-<br />

55 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 11<br />

56 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 17<br />

57 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 18


29<br />

he. Insofern seien alle „Erklärungen <strong>de</strong>s Verstehens mit <strong>de</strong>r Unein<strong>de</strong>utigkeit <strong>de</strong>r »Zwar-<br />

Aber-Argumentation« verbun<strong>de</strong>n. Alle Verstehensbegriffe – <strong>de</strong>r philologisch-hermeneutische,<br />

<strong>de</strong>r phänomenologische, <strong>de</strong>r ontologische und <strong>de</strong>r psychologische – sind mit gleichen<br />

theoretischen Schwierigkeiten konfrontiert. […] Verstehen ist gänzlich subjektiv, und<br />

die erwähnte Verankerung im Evi<strong>de</strong>nzgefühl, das als Wahrheitskriterium dient, macht die<br />

Subjektivität, die durchaus mit richtigen Einsichten gepaart sein kann, zu einem theoretisch<br />

unauflösbaren Problem. Es ist daher auch eine utopische Hoffnung, die distanziert<br />

reflektieren<strong>de</strong> Interpretation mehr als nur graduell vom spontanen Ergriffensein abgrenzen<br />

zu wollen.“ 58 Daher schlägt la Motte-Haber folgen<strong>de</strong>s vor: „Um im Zusammenhang mit<br />

<strong>de</strong>m Thema »Musik als Sprache« eine Betrachtungsweise zu betonen, die nicht auf eine<br />

»theologisch«-existentialphilosophische Begründung ausgerichtet ist, wur<strong>de</strong>n die bei<strong>de</strong>n<br />

erkenntnistheoretischen Begriffe von Piaget, nämlich Assimilation und Akkommodation 59 ,<br />

gewählt, um – von <strong>de</strong>n psychologischen Prozessen ausgehend – Verstehen erklärbar zu<br />

machen. Die allgemeinen Probleme bleiben schwierig genug, auch wenn man sie in die<br />

konkrete Frage transformiert, wie Musik verstan<strong>de</strong>n wird. Denn damit verbin<strong>de</strong>n sich nicht<br />

nur die Untersuchungen <strong>de</strong>r […] Bedingungen und Voraussetzungen <strong>de</strong>s Verstehens, son<strong>de</strong>rn<br />

auch die Versuche, zu beantworten, was <strong>de</strong>nn eigentlich verstan<strong>de</strong>n wird, wenn ein<br />

Mensch Musik hört.“ 60<br />

Ehe sich jedoch la Motte-Haber <strong>de</strong>n Elementen musikalischen Ausdrucks zuwen<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>finiert<br />

sie in einem hirnpsychologischen Exkurs 61 : „Verstehen wird beschrieben als ein Prozeß<br />

<strong>de</strong>r anverwan<strong>de</strong>lten Assimilation von Musik und <strong>de</strong>r anpassen<strong>de</strong>n Akkommodation<br />

<strong>de</strong>r kategorialen Struktur <strong>de</strong>s Hörers. Dabei spielen immer gleichzeitig emotionale und<br />

kognitive Faktoren eine Rolle. Ihr unterschiedliches Zusammenwirken erlaubt es, zwischen<br />

verschie<strong>de</strong>nen Formen <strong>de</strong>s Verstehens zu differenzieren, im Extremfall zwischen<br />

emotionalem Ergriffensein und <strong>de</strong>m Symbolverständnis.“ 62<br />

Musikalischer Ausdruck setzt sich laut la Motte-Haber zusammen aus Tempo, Artikulation,<br />

Metrum und rhythmischen Proportionen, sowie aus Tonhöhe- und Charakteristik und<br />

eventuell <strong>de</strong>r Tonart, obwohl dafür eine immense Gedächtnisleistung erfor<strong>de</strong>rlich sei.<br />

„Die gesamte Ausdruckslehre ist seit nunmehr zweitausend Jahren, seit <strong>de</strong>r aristotelischen Physiognomie,<br />

von <strong>de</strong>m Konflikt geprägt, sowohl <strong>de</strong>r unmittelbaren Macht <strong>de</strong>s Eindrucks gerecht wer<strong>de</strong>n<br />

zu müssen als auch Möglichkeiten einer analytisch rationalen Begründung zu fin<strong>de</strong>n. So stellt die<br />

58<br />

la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 19<br />

59<br />

Assimilation integriert Erfahrungen in ein individuell etabliertes System, Akkommodation erweitert es,<br />

damit nicht-zuor<strong>de</strong>nbare Erfahrungen assimiliert wer<strong>de</strong>n können, die somit verstan<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n.<br />

60 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 21<br />

61 vgl. dazu 2.4.2.<br />

62 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 24


30<br />

Zuschreibung emotionaler Qualitäten zu einzelnen musikalischen Elementen <strong>de</strong>n Versuch dar, zu<br />

erklären, woraus eine bestimmte Wirkung resultiere. Sie ist geprägt vom Mißtrauen dagegen, daß<br />

Verstehen nur evi<strong>de</strong>nt sein solle. Aber wie an<strong>de</strong>re Symptomlehren, etwa die <strong>de</strong>s mimetischen Ausdrucks,<br />

beschreibt sie das Insgesamt einer Erscheinung höchst unzureichend, weil sie Zeichenhaftes<br />

isoliert, ohne ihm in allen seinen Interaktionen gerecht wer<strong>de</strong>n zu können. […] Eine Symptomlehre<br />

<strong>de</strong>s musikalischen Ausdrucks besitzt jedoch <strong>de</strong>n Vorzug, <strong>de</strong>n sprachähnlichen Charakter <strong>de</strong>r Musik<br />

unmittelbar plausibel zu machen, weil sie das Verstehen als »Verstehen von Etwas« begreift.<br />

Darüber hinaus allerdings gilt es zu differenzieren.“ 63<br />

Zunächst tritt aber das Phänomen <strong>de</strong>s Mitempfin<strong>de</strong>ns in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund. Musikalischer<br />

Ausdruck erschließe sich nämlich auch <strong>de</strong>r Einfühlung. „Wie<strong>de</strong>rholt taucht in <strong>de</strong>r Literatur<br />

[…] <strong>de</strong>r Gedanke einer Art grundsätzlicher Isomorphie zwischen Affekt und <strong>de</strong>m zeitlichen<br />

Verlauf (damit <strong>de</strong>r rhythmischen Struktur) <strong>de</strong>r Musik auf. Rousseau huldigte in Dictionnaire<br />

<strong>de</strong> musique (1768, S. 158ff.) dieser Auffassung, in<strong>de</strong>m er annahm, daß einige Gefühle in<br />

ihrer Natur einen rhythmischen Charakter haben. [Dies] ergänzt in jüngerer Zeit Clynes<br />

(1982) mit <strong>de</strong>m überraschen<strong>de</strong>n Befund, daß Gefühle, die kommuniziert wer<strong>de</strong>n sollen,<br />

interkulturell durch einen gleichen zeitlich-rhythmischen und dynamischen Verlauf dargestellt<br />

wer<strong>de</strong>n können. […] Nicht nur das Ausmaß an Differenzierungen zwischen seinen<br />

»Sentogrammen« ist erstaunlich, son<strong>de</strong>rn auch die Unabhängigkeit von <strong>de</strong>r ethnischen<br />

Zugehörigkeit <strong>de</strong>r ausführen<strong>de</strong>n Person. […] Obwohl die ausgeführten Bewegungen bewußt<br />

geschahen, so sind sie universell. Es gilt dies allerdings nicht für Emotionen, die<br />

nicht in erster Linie zur Kommunikation bestimmt sind: Dazu gehören Überraschung, Neid<br />

und Schuldgefühl.“ 64 Zwar haben manche solcher Empfindungsansätze auch seltsame<br />

Blüten getrieben, doch konstatiert la Motte-Haber:<br />

„Es gelingt in allen Sprachen, Be<strong>de</strong>utungen <strong>de</strong>s Schönen, Guten, Süßen, Glücklichen wie auch <strong>de</strong>s<br />

Häßlichen, Bitteren, Schlechten, Traurigen zu erkennen; es ist möglich, die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Schwäche<br />

und Stärke, <strong>de</strong>r Bewegung und Ruhe Worte zuzuordnen, <strong>de</strong>ren lexikalische Be<strong>de</strong>utung man<br />

nicht gelernt hat. Auch Musik, die in einem sprachähnlichen Sinne verstan<strong>de</strong>n sein will, bleibt an<br />

<strong>de</strong>r Darstellung eines ursprünglich unmittelbaren, gefühlshaften Ausdrucks gebun<strong>de</strong>n. Dadurch,<br />

daß sie ihn aber nur nachahmend darstellt, for<strong>de</strong>rt sie eine rationale und nicht nur einfühlen<strong>de</strong><br />

Wahrnehmung.“ 65<br />

Lösen Affekte also in <strong>de</strong>r Musik <strong>de</strong>rgleichen bei Hörern nur selten aus, so sind auch die<br />

Musiker nicht zwingend davon ergriffen 66 . Die Möglichkeit <strong>de</strong>r Konvention, <strong>de</strong>r Verabredung<br />

von musikalischem Ausdruck ist <strong>de</strong>mzufolge als dritter Aspekt bewußt zu machen.<br />

63 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 44<br />

64 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 45<br />

65 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 47<br />

66 Darauf nimmt la Motte-Haber Bezug in: Musikpsychologie, S. 61


31<br />

Welche Be<strong>de</strong>utung aber <strong>de</strong>r körperliche Aspekt für la Motte-Haber hat, zeigt sich in <strong>de</strong>m<br />

Zitat:<br />

„Grundsätzlich wird eine direkte Abhängigkeit von Musik und körperlichen Reaktionen durchkreuzt<br />

von kognitiven Variablen, von <strong>de</strong>r Vorbildung und <strong>de</strong>n ästhetischen Einstellungen einer Person. Fast<br />

alle Untersuchungen, die sich einer empfindlichen Anzeige von Mitempfindungen bedienen, fin<strong>de</strong>n<br />

sich im Unterschie<strong>de</strong> zwischen Personen mit verschie<strong>de</strong>ner musikalischer Bildung im Sinne einer<br />

höheren Reagibilität <strong>de</strong>r Vorgebil<strong>de</strong>ten. Zu<strong>de</strong>m erweist sich bei musikalischer Bildung das ästhetische<br />

Wohlgefallen als intensivieren<strong>de</strong>r Faktor, <strong>de</strong>r über die Stärke von Mitempfindungen entschei<strong>de</strong>t.<br />

[…] Die Ursache eines Gefühls sind die körperlichen Reaktionen wahrscheinlich nicht. Aber auch<br />

wenn die physische Resonanz, die individuell verschie<strong>de</strong>n ausgeprägt sein kann, auf komplizierte<br />

Weise erklärt wer<strong>de</strong>n muß, so ist sie <strong>de</strong>nnoch von unmittelbarer Relevanz, weil von ihr die Intensität<br />

<strong>de</strong>s Erlebens abhängt. Diese Erregung reagiert <strong>de</strong>r Konzertbesucher im Beifall ab.“ 67<br />

Weiterhin spielten für la Motte-Haber die Gedanken eine wesentliche Rolle, <strong>de</strong>ren Verhältnis<br />

zu <strong>de</strong>n Gefühlen im Hinblick auf <strong>de</strong>n musikalischen Ausdruck sie so beschreibt:<br />

„Daß wir an Musik Freu<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r Trauer i<strong>de</strong>ntifizieren können, ohne uns unmittelbar selbst diesem<br />

Affekt hinzugeben, zwingt nicht zur Preisgabe einer Theorie <strong>de</strong>s musikalischen Ausdrucks, <strong>de</strong>r eine<br />

Entsprechung in seinem Eindruck hat und <strong>de</strong>shalb verstehbar ist. Der Eindruck wird nur nicht verinnerlicht.<br />

Daher wird <strong>de</strong>r Hörer nicht das Objekt seiner Gefühle, son<strong>de</strong>rn tritt ihnen als Subjekt gegenüber.<br />

[…] Fast alle Theorien <strong>de</strong>s Gefühls bauen auf zwei Faktoren auf. Ohne geistige Interpretation,<br />

so wird angenommen, fehlen die spezifischen Qualitäten eines Gefühls; ohne physische Erregung<br />

mangelt es an Intensität und Wärme.“ 68<br />

Darin aber tut sich die Kluft zwischen Musik und Sprache recht <strong>de</strong>utlich auf, insofern<br />

Sprache durchaus im Stan<strong>de</strong> ist, mit neuen Ausdrücken neue Be<strong>de</strong>utungen zu entwickeln:<br />

„Ein Individuum kann jedoch grundsätzlich keine ganz neuen, noch nie im menschlichen<br />

Dasein aufgetretenen Gefühlsqualitäten ausbil<strong>de</strong>n. Daher ist <strong>de</strong>r musikalische Ausdruck<br />

nur innerhalb gesteckter Grenzen nuancierbar. Im Unterschied zu <strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rungen tonsystemlicher<br />

Ordnungen kann er von <strong>de</strong>n Komponisten nicht selbst gesetzt, höchstens<br />

getilgt wer<strong>de</strong>n.“ 69 Von hieraus spannt sich <strong>de</strong>r Bogen zur psychologischen Realität <strong>de</strong>r<br />

Grammatik, wovon Riemann bereits überzeugt war:<br />

„Riemann erhoffte von <strong>de</strong>r Psychologie in <strong>de</strong>r phänomenologischen Spielart, die Stumpf vertrat, eine<br />

Begründung dafür, daß <strong>de</strong>r menschliche Geist nur im Sinne <strong>de</strong>r von ihm aufgestellten Regeln<br />

funktionieren könne. Sehr viel später hat Chomsky im Bereich <strong>de</strong>r Sprache von <strong>de</strong>r Psychologie<br />

ebenfalls <strong>de</strong>n Nachweis eingeborener I<strong>de</strong>en verlangt, als er die psychologische Realität <strong>de</strong>r Grammatik<br />

postulierte. […] Wesentliche Stützen [dafür] waren die interkulturell gleichen formalen Strukturen<br />

<strong>de</strong>r Sprachen und <strong>de</strong>r Nachweis, daß Sprachbenutzer nicht assoziativ verstehen und re<strong>de</strong>n,<br />

son<strong>de</strong>rn eine hierarchische Struktur von Regeln anwen<strong>de</strong>n, also <strong>de</strong>r Grundi<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r transformationellen<br />

generativen Grammatik folgen. Ein gleiches gilt für Musik nicht. Ein Blick auf die Geschichte<br />

67 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 68<br />

68 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 71<br />

69 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 73


32<br />

<strong>de</strong>r Musik und ihre ethnische Vielfalt belehrt über viele Möglichkeiten tonsystemlicher Ordnungen.<br />

Er belehrt damit über viele Möglichkeiten grammatischer und logischer Regeln, <strong>de</strong>ren Gemeinsamkeiten<br />

gering sind. Diese breite Variation beeinträchtigt <strong>de</strong>n Versuch, eine tonsystemliche Ordnung<br />

als ein ähnlich gleichbleiben<strong>de</strong>s System anzusehen, wie es <strong>de</strong>r Sprache zugrun<strong>de</strong> liegt; sie beeinträchtigt<br />

damit <strong>de</strong>n Vergleich von Musik und Sprache.“ 70<br />

Für la Motte-Haber, die damit Stoffer direkt wi<strong>de</strong>rspricht, läßt sich nur feststellen, daß <strong>de</strong>r<br />

Hörer mit Beziehungen operiere, und wie er mit diesen Relationen umgehe, etwa daß er<br />

beim Bezug zu c-Moll o<strong>de</strong>r a-Moll eine je an<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung zweier akustisch gleicher Frequenzverhältnisse<br />

annimmt. Der Hörer kenne eine Regel und urteile nach ihr.<br />

Um jedoch ein solches Urteil fällen zu können, bedarf es differenzierter Wahrnehmung, die<br />

anhand <strong>de</strong>r Gestaltpsychologie erklärt wird. Die Melodie aus einem Orchestersatz zu fokussieren,<br />

verdanke sich <strong>de</strong>r Tatsache, daß sich Figuren vom Grund abheben lassen per<br />

Merkmalsdifferenzierung mittels <strong>de</strong>s Erkennens einer Tonfolge anhand ungefährer Intervallgröße<br />

und <strong>de</strong>r Intervallrichtung. Diese Vorauswahl erfahre eine Gewichtung, wie sie<br />

bei Stoffer beschrieben sei. 71 „Schemata sind jedoch nicht i<strong>de</strong>ntisch mit quasi natürlichen<br />

»Formatbegrenzungen«, vielmehr enthalten sie auch gespeichertes Wissen; sie sind damit<br />

durch Lernen verän<strong>de</strong>rbar. Sie können die Wahrnehmung um Informationen ergänzen und<br />

in ihrem Sinne transformieren. Das simpelste Beispiel dafür bietet das Zurechthören<br />

frem<strong>de</strong>r Musik, wie es <strong>de</strong>nn auch möglich ist, frem<strong>de</strong> Musik verstehen zu lernen.“ 72 Bei<br />

neuer Musik in<strong>de</strong>s scheint letzteres laut la Motte-Haber nicht möglich, wenn sie schreibt:<br />

„Elementare Leistungen gehen beim auditiven Mustererkennen offensichtlich nicht von<br />

<strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntifikation einzelner Tonhöhen aus, ein Umstand, <strong>de</strong>r Spekulationen über die<br />

Schwierigkeiten <strong>de</strong>s Hörens bei serieller Musik veranlaßt. Zwölftonwerke, die oft Töne in<br />

eine Art motivische Konstellation einbin<strong>de</strong>n sind davon betroffen.“ 73<br />

Grundsätzlich sei man imstan<strong>de</strong>, Gruppierungen und Glie<strong>de</strong>rungen vorzunehmen, da neben<br />

<strong>de</strong>r Klangfarbenähnlichkeit ein weiteres Organisationsprinzip angewen<strong>de</strong>t wür<strong>de</strong>:<br />

„Die Lokalisation einer Nachricht in einer einzigen Quelle ist an sich ein wichtiger Indikator für ihren<br />

be<strong>de</strong>utungsvollen Zusammenhang. Daß ein Mensch im chaotischen Gewirr <strong>de</strong>r Stimmen einer Party<br />

überhaupt etwas verstehen kann, verdankt er <strong>de</strong>r Möglichkeit, Schallwellen aufgrund geringer Unterschie<strong>de</strong><br />

in <strong>de</strong>r Intensität und <strong>de</strong>r Zeit, mit <strong>de</strong>r sie auf die Basilarmembrane <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Ohren treffen,<br />

zu orten. Haben die Schallwellen eine gemeinsame Herkunft, wer<strong>de</strong>n sie als zusammengehörend<br />

interpretiert (»Cocktail-Party-Problem« von Cherry, 1953).“ 74<br />

70<br />

la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 83<br />

71 An dieser Stelle erkennt la Motte-Haber lediglich die Prototypen und Schemata von Stoffer an.<br />

72 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 97f.<br />

73 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 95<br />

74 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 99


33<br />

Die Wirksamkeit <strong>de</strong>s gestaltpsychologischen »Gesetzes <strong>de</strong>r Nähe« wer<strong>de</strong> jedoch teilweise<br />

beim Hören durch Gedächtnisleistungen erklärt. Damit überhaupt Konstruktionen gemäß<br />

<strong>de</strong>r Nähe gebil<strong>de</strong>t wür<strong>de</strong>n, müsse die einströmen<strong>de</strong> Information länger aufbewahrt wer<strong>de</strong>n,<br />

als sie tatsächlich wirkt. „Die erste gedankliche Verarbeitung, die beim Musikhören<br />

stattfin<strong>de</strong>t, scheint ein grobes Durchmustern <strong>de</strong>r akustischen Reize zu sein, und zwar<br />

nach <strong>de</strong>n Gesichtspunkten, woher sie kommen, und ob sie untereinan<strong>de</strong>r Ähnlichkeiten<br />

aufweisen. Diese Analyse ergänzt dann eine Synthese, die zu Gruppierungen führt. Noch<br />

vor diesen analysieren<strong>de</strong>n und synthetisieren<strong>de</strong>n Denkprozessen muß ein schnell vorübergehen<strong>de</strong>s,<br />

noch weitgehend passives Gedächtnis angenommen wer<strong>de</strong>n. Neisser<br />

(1974) spricht von einem ikonischen Speicher im Auge und einem ekonischen beim Ohr, in<br />

älteren Untersuchungen fin<strong>de</strong>n sich dafür Termini wie »Reizspur« o<strong>de</strong>r »primäres Gedächtnis«.“<br />

75 Solcher Nachhall könne als »Präsenzzeit« alias »psychologisches Moment«<br />

bis zu zehn Sekun<strong>de</strong>n anhalten und ist für Gestalterkennung immens wichtig. Daher interessiert<br />

ein Blick auf die I<strong>de</strong>ntifizierungszeiten von akustischen Ereignissen: Bis ein Klang<br />

mit zwei Impulsen i<strong>de</strong>ntifiziert ist, vergehen 20 ms bzw. mit drei 50 ms. Um vier Impulse<br />

zu bestimmen, bedarf es 200 ms – <strong>de</strong>m Abstand von gut verständlichen Sprachsilben. Ab<br />

einer Distanz von 600 ms wer<strong>de</strong>n Klänge als Einzelreize vernommen. In<strong>de</strong>s spielt die Zeit<br />

auch betreffs <strong>de</strong>s Tonabstands eine Rolle. Kleine Terzen wer<strong>de</strong>n nach 50 ms, kleine Nonen<br />

hingegen erst nach 150 ms als kohärent wahrgenommen. Beson<strong>de</strong>rs problematisch ist das<br />

Phänomen <strong>de</strong>r Oktavgeneralisation, welche teils als Ähnlichkeit, teils gar nicht bemerkt<br />

wer<strong>de</strong>: „Der Sprung in die Oktave selbst ist aber ein wun<strong>de</strong>rsam emphatischer Kunstgriff.<br />

Derselbe Ton und doch nicht <strong>de</strong>r gleiche macht das Einfache zum Artifiziell-<br />

Komplizierten.“ 76 Daß das kurzzeitige Gedächtnis sich zu sinnvollen Bil<strong>de</strong>rn umformt, die<br />

aber noch weitgehend sensorische Qualitäten haben, hat Relevanz für Gestalterkennung.<br />

„Diesem primären Gedächtnis entnehmen wir bereits aktiv verarbeitete Informationen: die<br />

melodische Kontur, Töne, die wir aufgrund ihrer Nachbarschaft innerhalb <strong>de</strong>s Frequenzspektrums<br />

o<strong>de</strong>r auch aufgrund <strong>de</strong>r Ähnlichkeit <strong>de</strong>r Klangfarbe und ihrer zeitlichen Nähe<br />

zusammenfassen.“ 77 Ohne eine solche Imagination wäre eine Bewegung, ein Fortschreiten<br />

nicht auszumachen. Am Beispiel schneller Folgen zeige sich durch Akzentuierung in <strong>de</strong>r<br />

Wahrnehmung das »Takt«-Empfin<strong>de</strong>n, wobei Synkopen zu Entscheidungskrisen führten,<br />

welche <strong>de</strong>r Akzente strukturbil<strong>de</strong>nd seien. Das »perceptual streaming« von akzentuiertem<br />

Vor<strong>de</strong>rgrund und permanentem Hintergrund einer Tonfolge vollziehe sich gleichfalls bei<br />

multipler Metrik innerhalb eines Stückes entsprechend. »Kippbil<strong>de</strong>r« solcher Art fin<strong>de</strong>t la<br />

75 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 104f.<br />

76 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 110<br />

77 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 111


34<br />

Motte-Haber bei <strong>de</strong>r Minimal Music, daß nach einiger Zeit ein Sättigungseffekt eintrete<br />

und die Orientierung sich an einer an<strong>de</strong>ren metrischen Schicht ausrichte, somit also das<br />

Stück in ein an<strong>de</strong>res Tempo kippe.<br />

„Wahrnehmung und Denken setzen Gedächtnis voraus, o<strong>de</strong>r aber Gedächtnis setzt Wahrnehmung<br />

und Denken voraus. Denn es han<strong>de</strong>lt sich nicht um getrennte Instanzen, son<strong>de</strong>rn um Aspekte eines<br />

mehrstufigen Prozesses <strong>de</strong>r Informationsverarbeitung, <strong>de</strong>r aus analysieren<strong>de</strong>n und synthetisieren<strong>de</strong>n,<br />

aus glie<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n und zusammenfassen<strong>de</strong>n Vorgängen besteht, die <strong>de</strong>r einströmen<strong>de</strong>n Information<br />

einen Sinn verleihen. Riemann hat dies als aktiv-synthetisches Denken bezeichnet. Die dabei<br />

gebil<strong>de</strong>ten Konstruktionen sind durchaus reizabhängig, sie sind jedoch nicht mit <strong>de</strong>r Struktur <strong>de</strong>r<br />

Reize i<strong>de</strong>ntisch. Höchsten auf <strong>de</strong>r untersten Stufe entsteht passives Abbild, jedoch noch keine<br />

Wahrnehmung. […] Transformationen zielen auf das Überschaubarmachen, <strong>de</strong>m dann die weitere<br />

Analyse dient, und es scheint, daß überhaupt nur das weiter verarbeitet wird, was bereits einer ersten<br />

groben Analyse unterworfen war. Die rein sensorische Speicherung wird nach wenigen Sekun<strong>de</strong>n<br />

gelöscht. Nur auf einer untersten Stufe ist für die i<strong>de</strong>ntifizieren<strong>de</strong> Wahrnehmung das Abbild von<br />

Be<strong>de</strong>utung. Die Wahrnehmung zielt auf die Konstruktion von Sinnbil<strong>de</strong>rn.“ 78<br />

Die gestaltbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Faktoren unterliegen in<strong>de</strong>s einem reizinduzierten Aufmerksamkeitsmechanismus,<br />

daß nämlich die Verarbeitungstiefe mit <strong>de</strong>m Maß <strong>de</strong>s Aufmerkens (Neuartigkeit)<br />

korreliert. „Eine genauere Betrachtung auch <strong>de</strong>s Figur-Grund-Problems zeigt jedoch,<br />

daß die Aufmerksamkeitszuwendung vielmehr noch von impliziten Be<strong>de</strong>utungsstrukturen<br />

gelenkt wird. […] Die Auswahl ist immer auch von Be<strong>de</strong>utungen geleitet, die<br />

aus <strong>de</strong>m bereits vorhan<strong>de</strong>nen Wissen, aus Erwartungen stammen. Diese Be<strong>de</strong>utungen<br />

können bei nie<strong>de</strong>ren Lebewesen festgelegt sein, z.B. bei Reizen, die Furcht auslösen. Wesentlicher<br />

aber sind Be<strong>de</strong>utungsstrukturen, die aus erworbenem Wissen und damit aus<br />

kognitiven Leistungen und subjektiven Wertsetzungen hervorgehen. Sie bestimmen, was<br />

auffällt.“ 79 Solche be<strong>de</strong>utungsverleihen<strong>de</strong>n Vorstellungen greifen in<strong>de</strong>s nur als Hypothesen<br />

in <strong>de</strong>n Wahrnehmungsvorgang ein, wobei eine Bestätigung dieser eher erwartet wird<br />

als eine Wi<strong>de</strong>rlegung. Sollte die Aufmerksamkeit geteilt wer<strong>de</strong>n, erfolgt die Verarbeitung<br />

im steten Wechsel zwischen <strong>de</strong>n getrennten Vorgängen.<br />

„Laien sind Musikern schon bei zweistimmigem Hören unterlegen, weil sie über weniger und nicht<br />

gut differenzierte wahrnehmungsleiten<strong>de</strong> Hypothesen verfügen, die ihnen die blitzschnelle I<strong>de</strong>ntifikation<br />

<strong>de</strong>r Tonfolge erleichtert. Es fehlen […] klare Vorstellungen als Gehilfen <strong>de</strong>r Wahrnehmung.“ 80<br />

Dies sei aber laut la Motte-Haber nicht als musikalisches Gedächtnis zu verstehen, da ihr<br />

ein <strong>de</strong>rartiges generell nicht bekannt ist. Sie hält eher ein mehrstufiges Gedächtnismo<strong>de</strong>ll<br />

(z.B. von Tulving 1972) für wahrscheinlich aus einem semantischem und einem »episodischen«<br />

Gedächtnis, da Musik nicht nur benannt, son<strong>de</strong>rn auch klanglich memoriert wer<strong>de</strong>.<br />

78 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 116<br />

79 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 118<br />

80 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 120


35<br />

„Musikverstehen meint, daß in zweierlei Weise hinter <strong>de</strong>n akustischen Strukturen Sinn<br />

entschlüsselt wird: einmal, in<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r musikalische Ausdruck nachvollzogen, und zum<br />

zweiten, in<strong>de</strong>m die grammatikalische Be<strong>de</strong>utung erkannt wird. Die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Musikverstehens<br />

ist eng verknüpft mit einem Begriff von Musik, <strong>de</strong>r – wie immer metaphorisch – ihre<br />

Sprachähnlichkeit betont. Die historische und ethnographische Reichweite dieses Musikbegriffes<br />

ist begrenzt, damit ist auch die ihm zugeordnete Forschung über die Mechanismen,<br />

die <strong>de</strong>m Verstehen zugrun<strong>de</strong> liegen, in ihrer Be<strong>de</strong>utung eingeschränkt.“ 81 Mit diesem<br />

Resümee leitet sie eine Geschichte <strong>de</strong>r Metapher »Musik als Sprache« ein, genauer: die<br />

Geschichte einer Tradition, die bereits überwun<strong>de</strong>n sei: „Die grammatische Struktur von<br />

Musik ist nur insofern eine psychologische Realität, als sie gelernt wur<strong>de</strong>. Im 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

sind Kunstäußerungen entstan<strong>de</strong>n, die das Verstehen zum reinen kognitiven Akt <strong>de</strong>stillierten,<br />

und dieses Jahrhun<strong>de</strong>rt hat auch Formen <strong>de</strong>r Musik hervorgebracht, die nicht<br />

aufgrund kategorialer Anschauung, son<strong>de</strong>rn nur im Nachvollzug erlebt sein wollen.“ 82<br />

Die Psychologie bietet folglich divergieren<strong>de</strong> Aussagen über die Verwandtschaft von Musik<br />

und Sprache. Sind einerseits Gemeinsamkeiten erkennbar, wer<strong>de</strong>n sie als solche an<strong>de</strong>rerseits<br />

infragegestellt. Entwicklungs- und differentialpsychologisch liegen Musik und<br />

Sprache eng beieinan<strong>de</strong>r, wohingegen speziell neuere Musik – kognitionspsychologisch<br />

gesehen – diese Nähe aufzubrechen scheint.<br />

2.4. SOZIOLOGISCHE ASPEKTE<br />

Musik und Sprache sind un<strong>de</strong>nkbar ohne die Menschen, die sich mittels einer <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n<br />

Formen einan<strong>de</strong>r mitteilen. Jedwe<strong>de</strong> Botschaft steht daher in Relation nicht nur zu <strong>de</strong>n<br />

innerpsychischen Charakteristika einer Person, son<strong>de</strong>rn zugleich zu ihrem Umfeld und zu<br />

<strong>de</strong>ssen sozialer Struktur, die sowohl Voraussetzung als auch als Ziel <strong>de</strong>r Mitteilung ist. Im<br />

Falle »Musik« z.B. be<strong>de</strong>utet dies:<br />

„Soziostrukturelle Aspekte ergeben sich, wo Musik selbst soziale Beziehungen aufbaut und reproduziert:<br />

in Interaktion und Kommunikation; <strong>de</strong>ren institutioneller Verfestigung; in ökonomischen<br />

Abhängigkeiten zwischen Musikern und Hörern; in <strong>de</strong>r Ausprägung von Spezialistentum und Professionalisierung.<br />

[…] Der Gedanke, daß Menschen einan<strong>de</strong>r in Musik begegnen, und daß es ganze<br />

Menschen sind […], beschreibt mithin die grundsätzliche Relativität musikalischer Autonomie. […]<br />

Funktionen, Strukturen und Be<strong>de</strong>utungen können merklich variieren: innerhalb verschie<strong>de</strong>ner Musiziersphären,<br />

Stilbereiche, Gattungen, ja sogar historischen Epochen. Struktur-, Funktions- und<br />

Be<strong>de</strong>utungsforschung vermag also eine durchaus handgreifliche soziologische »Dechiffrierung«<br />

81 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 133<br />

82 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 144f.


36<br />

von Musik (Th. W. Adorno) zu leisten. […] Sie hält sich an verifizierbare Tatsachen: an wirklich<br />

menschliches Tun (K. Blaukopf), beobachtbares Verhalten, einschließlich seines be<strong>de</strong>utungsstiften<strong>de</strong>n<br />

Potentials.“ 83<br />

Hat die Soziologie im Laufe ihrer Geschichte zahlreiche Problemfel<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s menschlichen<br />

Miteinan<strong>de</strong>rs erkannt und erforscht, sind aber an dieser Stelle nur jene in Auswahl Ka<strong>de</strong>n<br />

vorzustellen, die sowohl auf Musik als auch auf Sprache bezogen wer<strong>de</strong>n können.<br />

2.4.1. INTERAKTION<br />

Einer Definition <strong>de</strong>s MGG zufolge bezeichnet Interaktion „<strong>de</strong>n Austausch bzw. die Übertragung<br />

von Impulsen zwischen Menschen, im elementarsten auf <strong>de</strong>r Basis stofflicher<br />

o<strong>de</strong>r energetischer Kopplungen, im >eigentlich< humanen Verhalten durch die Übermittlung<br />

von Information. Letztere, eine spezielle Art <strong>de</strong>r Interaktion, wird meist mit Kommunikation<br />

umschrieben – wobei die Vorstellung von einem Informationsaustausch nur als<br />

I<strong>de</strong>alisierung zu betrachten ist und eine sehr komplexe Abstimmung verschie<strong>de</strong>ner »Bewußtseine«<br />

(N. Lumann, 1984) zu anschlußfähigem Han<strong>de</strong>ln bezeichnet.“ 84 Dennoch ist an<br />

dieser Stelle ein kurzer Blick lohnenswert, welche Aspekte sich speziell mit <strong>de</strong>m „inter“<br />

<strong>de</strong>r Aktion verbin<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn zumin<strong>de</strong>st bedarf es dafür zweier Pole, nämlich eines »Ich«<br />

und seines »Du« – o<strong>de</strong>r wie oben (2.3.3.) bereits verwen<strong>de</strong>t: eines Ego und <strong>de</strong>ssen Alter.<br />

Sollte Ego die Einflußnahme von Alter nicht nur rezeptiv dul<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn gleichsam wechselseitig<br />

mitwirken, stellt sich die Frage, ob sie „die gegebene Impulse bestätigen – o<strong>de</strong>r<br />

aber korrigieren. Die erste Form wird kumulative Rückkopplung genannt, letzte ist kompensatorisch,<br />

von >kritisch


37<br />

Vollstruktur: Musiker 1<br />

Musiker 2<br />

Musiker 4<br />

Musiker 3<br />

Parallel dazu wuchsen die Gruppen <strong>de</strong>r<br />

Musiker über die für eine Vollstruktur<br />

kritische Größe von zehn bis zwölf Personen<br />

hinaus, so daß ein Vorgesetzter<br />

alle Aktionspfa<strong>de</strong> in seine Person zentralisiert.<br />

Darstellung aus MGG Bd. 6; S. 1638<br />

„Freilich bringt <strong>de</strong>r Strukturwan<strong>de</strong>l, zum Zentralismus hin, seinesteils Wi<strong>de</strong>rsprüche mit<br />

sich […]. Denn auch wenn die Rolle <strong>de</strong>s Chefs, per Definitionem, seine Allgegenwart und<br />

Omnipotenz verlangt (tatsächlich gehen die Orchestermusiker davon aus, daß er die Partitur<br />

vollständig beherrscht, alles wahrnimmt – und auf alles zu reagieren weiß […]): De facto<br />

ist die Allmacht, psychisch und physisch, begrenzt. […] Begreiflich daher, daß parallel<br />

zur Entfaltung <strong>de</strong>r Vorgesetztenstruktur Bemühungen stattfin<strong>de</strong>n, komplexe Interaktion<br />

selbst wie<strong>de</strong>r in ihr Recht zu setzen. Sie führt […] in die Werkstatt, hinter die verschlossene<br />

Tür. Die Institution, die gewonnen wird, heißt Probe. […] Um einen Preis: Die Interaktion<br />

erscheint als uneigentlich, vorläufig, ästhetisch halbernst, wenn nicht irrelevant, […] sobald<br />

sie öffentlich gemacht, hebt sie sich selber auf. Sie ist Rückkopplung, Dialog, Kritik,<br />

Kompensation: aber eingefroren, geronnen, stillgestellt.“ 87<br />

Geht man von einer Determination <strong>de</strong>r Interaktion durch eine Melodie aus, ergibt sich<br />

soziologisch eine Sternstruktur. In<strong>de</strong>s sind hierbei vielmehr Wahrscheinlichkeiten<br />

prägend, wann z.B. Melismen o<strong>de</strong>r Soli zur Fortschreitung Anlaß geben, als daß die<br />

Interaktionen über einen Vorgesetzten kanalisiert wür<strong>de</strong>n. Mehr noch interessiert dabei<br />

aber die Kopplung zum Publikum, das sich fragen muß, „ob eine als >Improvisation<<br />

angemel<strong>de</strong>te Darbietung die Qualifikation verdient o<strong>de</strong>r nicht. […] Noch die Opera seria<br />

<strong>de</strong>s 18. Jahrhun<strong>de</strong>rts besaß ein famoses Konzept: Sollte ersichtlich wer<strong>de</strong>n, ob ein Sänger<br />

die Verzierungen seiner Arie frei erfun<strong>de</strong>n hatte o<strong>de</strong>r lediglich mit Hilfe eines<br />

Präparationsbüchleins auswendiggelernt, verlangte das Publikum schlicht und<br />

durchdringend Da capo. Und wehe <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r die bereits ausgelieferten Roula<strong>de</strong>n noch<br />

einmal sang. Improvisation wur<strong>de</strong> ausgetestet: durch Rückkopplung.“ 88<br />

87<br />

Ka<strong>de</strong>n: »Musiksoziologie« in MGG Bd. 6, S. 1641, weist zugleich darauf hin, daß dies bereits früher so zu<br />

beobachten sei: „Die Metapher vom Gesprächshaften <strong>de</strong>r Haus- und Kammermusik [im 17. und 18. Jahrhun<strong>de</strong>rt]<br />

– die vor allem Goethe in Umlauf brachte, mit Blick auf das Streichquartett – be<strong>de</strong>utet eine schöne,<br />

wohlmeinen<strong>de</strong> Irreleitung. […] Musizieren, modisch ausgedrückt, ein Statt-Dialog.“<br />

88 Ka<strong>de</strong>n: »Musiksoziologie« in MGG Bd. 6, S. 1643


38<br />

Die Übertragung <strong>de</strong>r Kopplungssysteme auf Musiker und Nicht-Musiker ergibt gleichfalls<br />

kumulative o<strong>de</strong>r kompensatorische, geregelte o<strong>de</strong>r gesteuerte Kopplung – in <strong>de</strong>r Unterscheidung<br />

H. Besselers 89 – »Umgangsmusik« o<strong>de</strong>r »Darbietungsmusik«. Dabei ist jedoch<br />

nicht allein die Musik relevant, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>r Blickkontakt. Außereuropäische Kulturen<br />

kennen diesen Usus noch, wie er innereuropäisch ebenfalls lange Zeit überliefert war.<br />

„Bis hinein ins 19. Jh. – bei Militärmusik sogar bis zum heutigen Tag – wen<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r Dirigent<br />

nicht ab vom Publikum, son<strong>de</strong>rn diesem zu.“ Daß größtenteils jedoch Interaktionen<br />

unterdrückt wer<strong>de</strong>n, hat die Konsequenz, daß ihre Rudimente – z.B. <strong>de</strong>r Abschlußapplaus<br />

– wie Geld abstrahiert bzw. auf einer ökonomisch generalisierten Ebene gehoben wur<strong>de</strong>n.<br />

2.4.2. KOMMUNIKATION<br />

Der unter 2.4.1. gegebenen Definition zufolge, stellt Kommunikation ein »informationelle<br />

Kopplung« 90 dar, welche in Bezug auf Musik gern angezweifelt o<strong>de</strong>r gar verneint wird. Als<br />

ein Merkmal <strong>de</strong>r Kommunikation zählt weiterhin, daß sie keine stofflich-energetische<br />

Kopplung ist, son<strong>de</strong>rn eine medial vermittelte. „Dieses Medium bedarf in <strong>de</strong>r Regel einer<br />

Interpretation, <strong>de</strong>rgestalt, daß seine Zustän<strong>de</strong> als Zeichen gelten“ 91 . Daher sei an dieser<br />

Stelle ein konzentrierter Exkurs in die Semiotik gestattet:<br />

„Das Zeichen ist ein physikalisches Gebil<strong>de</strong> [= Signal], welches seine materielle Zuständlichkeit<br />

überschreitet, mehr aus sich herausholt, als in ihm selber steckt, Informationen übermittelt, Be<strong>de</strong>utungen<br />

aktiviert – und all dies wie<strong>de</strong>rholbar, in klassifikatorischer Regelmäßigkeit. Be<strong>de</strong>utung ihrersteils<br />

erwächst […] zunächst aus Verweisungszusammenhängen: aus einem Bezeichnen<strong>de</strong>n und<br />

einem Bezeichneten […]. Nicht zu verwechseln mit <strong>de</strong>m Zeichenbenutzer selbst, <strong>de</strong>m »interpreter«,<br />

markiert <strong>de</strong>r [»interpretant«] gleichwohl <strong>de</strong>ssen Erfahrungen, Assoziationen, begriffliche Verallgemeinerungen<br />

im Umgang mit Zeichen und Signifikat. […] Namentlich die gedanklichen Korrelate<br />

aber von Zeichen und Bezeichnetem bil<strong>de</strong>n häufig ganze Netze von semantischen Elementen […].<br />

Entschei<strong>de</strong>nd ist es >InformationBe<strong>de</strong>utung< usw. jeweils nicht als dingliche Entität zu fassen,<br />

son<strong>de</strong>rn als Wirkungsgefüge, als einen Wirkungszusammenhang.“ 92 Zeichen unterschei<strong>de</strong>t man<br />

nach ihrer Be<strong>de</strong>utungsarten neben appellative in <strong>de</strong>notative und klassifikatorische. „[Denotate]<br />

ordnen sich <strong>de</strong>m von ihnen Bezeichneten unter, und zwar vorsätzlich. […] Ihr Amt als Stellvertreter<br />

ist Repräsentation durch Differenz. […] Das Klassifikat ersetzt [hingegen] die Klasse, es hat an ihr<br />

teil, trägt ihre Merkmale, bezieht von ihr die I<strong>de</strong>ntität. […] Semiotische Systeme, die mit Denotationen<br />

operieren, [können] sich <strong>de</strong>n umfassen<strong>de</strong>n Be<strong>de</strong>utungshorizont, ja einen ganzen Kosmos <strong>de</strong>r<br />

Bezüglichkeiten erschließen. Bleibt <strong>de</strong>r Prozeß dagegen an Klassifizierungsleistungen hafte, verharrt<br />

er in einer »vorsemiotisch« kleineren Welt – obwohl <strong>de</strong>nnoch eine Welt <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utungen. […]<br />

Empirisch ermittelbar ist [bzgl. Musik], inwieweit Klangereignisse für einen Musik o<strong>de</strong>r Hörer die<br />

89 vgl. Hinton, S.: Gebrauchsmusik, in: Handwörterbuch <strong>de</strong>r musikalischen Terminologie. – Wiesba<strong>de</strong>n, 1988<br />

90 Ka<strong>de</strong>n: Musiksoziologie, S. 85<br />

91 Ka<strong>de</strong>n: »Musiksoziologie« in MGG Bd. 6, S. 1643<br />

92 Ka<strong>de</strong>n: »Zeichen« in MGG Bd. 9, S. 2149ff.


39<br />

entsprechen<strong>de</strong>n Qualitäten >haben< – o<strong>de</strong>r lediglich symbolisieren, signifizieren. Ersteres wäre Indiz<br />

für einen non-semiotische, letzteres für eine im engeren Sinn semiotische Motivation. […] Je<strong>de</strong>s<br />

Zeichen läßt sich also nach seiner Ähnlichkeit mit <strong>de</strong>m Bezeichneten, auf einer morphologischen<br />

Ebene, <strong>de</strong>finieren – und: nach seiner Kontingenz, <strong>de</strong>r >genetischen< Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit<br />

vom Donat, mithin zweiwertig. So gibt es ikonische und symbolische Setzungen, aber auch<br />

ikonische und symbolische Indices. […] Geht man nun freilich davon aus, daß Symbole in einem höheren<br />

Maße semiotisiert sind als Ikone (da sie vom Gegenstand ihrer Signifikation, durch Unähnlichkeit,<br />

weiter sich entfernen); be<strong>de</strong>nkt man <strong>de</strong>s weiteren, daß ein analoges Gefälle für Indices und<br />

Setzungen gilt, da letztere ungleich freier zu wählen sind als erstere, nämlich ad libitum: Dann kann<br />

man die Dimensionen <strong>de</strong>r Matrix mit semio<br />

In<strong>de</strong>x Setzung<br />

tischen Intensitätsstufen ausstatten […].“ 93<br />

Ikon Fußabdruck Piktogramm<br />

„Die semiotische Matrix [birgt] dynamische<br />

Symbol Rauch Buchstabe<br />

Verhältnisse in sich […], die Möglichkeit,<br />

<strong>de</strong>s Übergangs von Feld zu Feld. Die damit Matrix nach Ka<strong>de</strong>n: »Zeichen« in MGG Bd. 9, S. 2158<br />

verbun<strong>de</strong>ne Erhöhung o<strong>de</strong>r Erniedrigung <strong>de</strong>s Semiotizitätsgra<strong>de</strong>s aber ist ihresteils ein konstitutives<br />

Moment <strong>de</strong>s Zeichenprozesses […]. Die Semiotische Matrix besteht nicht aus Planquadraten; sie<br />

öffnet Optionen, Horizonte, ein Spannungsfeld semiotischer >Energien


40<br />

Ganzes-Beziehung aus <strong>de</strong>n eigentlich belangvollen Quellenzustän<strong>de</strong>n rekonstruieren; sie sind diesen<br />

willkürlich, arbiträr zugeordnet. […] Die Zustän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Mediums übernehmen eine Funktion, die<br />

als Repräsentation durch Setzung verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n darf.“ 95<br />

Diesen Codierungsprozessen, welche eine maßgebliche Instanz <strong>de</strong>r Gestaltung sozialer<br />

Beziehungen darstellen, entspricht <strong>de</strong>r Gehalt- bzw. Sinngrad <strong>de</strong>r Zeichen in <strong>de</strong>r Matrix.<br />

Differenziert man <strong>de</strong>n Sen<strong>de</strong>r einer Kommunikationshandlung von Quellen, die aufgrund<br />

ihrer Selbstdarstellung (<br />

) keines Mediums bedürfen, ergibt sich folgen<strong>de</strong>s Schema:<br />

Quelle 1<br />

Sen<strong>de</strong>r /Quelle<br />

Medium<br />

Empfänger<br />

Quelle 2<br />

Darstellung aus Ka<strong>de</strong>n: Musiksoziologie, S. 97<br />

Für <strong>de</strong>n Fall also, daß jemand nur von an<strong>de</strong>rem spricht und nichts über sich selbst mitteilt,<br />

wird <strong>de</strong>r Begriff Sen<strong>de</strong>r am plastischsten, auch wenn realiter die Übergänge zwischen <strong>de</strong>n<br />

Funktionen Sen<strong>de</strong>r und Quelle fließend sind. Der Empfänger hat dann – um Kenntnis von<br />

<strong>de</strong>n Quellzustän<strong>de</strong>n zu erlangen – die Codierungsmodalitäten zu i<strong>de</strong>ntifizieren und reversiv<br />

zu <strong>de</strong>-codieren. „Das Kernproblem je<strong>de</strong>r Kommunikation <strong>de</strong>finiert sich darin, daß Sen<strong>de</strong>r<br />

wie Empfänger über Deutungskonzepte verfügen – und daß diese Konzepte einan<strong>de</strong>r<br />

anzunähern, miteinan<strong>de</strong>r verträglich zu machen sind.“ 96 An dieser Stelle setzt die Debatte<br />

um die »Zeichenvorräte« ein, inwieweit I<strong>de</strong>ntität zwischen jenem <strong>de</strong>s Sen<strong>de</strong>rs und <strong>de</strong>m<br />

<strong>de</strong>s Empfängers hergestellt wer<strong>de</strong>n kann. Da bei<strong>de</strong> unterschiedliche Denotate einem Zeichen<br />

zuordnen können, bestimmt das Maß <strong>de</strong>r Kongruenz <strong>de</strong>r Zeichenvorräte über das<br />

Gelingen <strong>de</strong>r Kommunikation:<br />

Deutung 1<br />

Sen<strong>de</strong>r<br />

Denotat 1<br />

Medium<br />

Empfänger<br />

Darstellung aus Ka<strong>de</strong>n: »Musiksoziologie«<br />

< in MGG Bd. 6, S. 1647<br />

Denotat 2<br />

Deutung 2<br />

Der ungleichen Zuordnung von Be<strong>de</strong>utung in<strong>de</strong>s können weitere Unterschie<strong>de</strong> zwischen<br />

<strong>de</strong>n Kommunikanten zur Seite gestellt wer<strong>de</strong>n. Worte zu sagen bzw. zu verschweigen be<strong>de</strong>utet<br />

nämlich nicht nur zu wissen, was Kommunikation ist und was sie leistet – z.B. Ein<strong>de</strong>utigkeit<br />

–, son<strong>de</strong>rn auch, wie sie wächst – z.B. in welcher Verwendung Zeichen früher<br />

95 Ka<strong>de</strong>n: Musiksoziologie, S. 89ff.<br />

96 Ka<strong>de</strong>n: »Musiksoziologie« in MGG Bd. 6, S. 1646


41<br />

verwen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n –, um wirkliche Wissensaktualisierung 97 , eine Zustandsän<strong>de</strong>rung 98 zu<br />

ermöglichen. Neben <strong>de</strong>n handlungsorientierten Mo<strong>de</strong>llen im Sinne von »Übertragungshandlungen«<br />

zwischen Menschen ist aber auch darauf zu verweisen, daß Kommunikation<br />

weitere Facetten ausbil<strong>de</strong>t, die bisher Gesagtes teils zusammenfassen, teils ergänzen.<br />

2.4.2.1. MEHRFACHE KOMMUNIKATION<br />

Nach Schulz von Thuns „Grundlagen <strong>de</strong>r Kommunikationspsychologie“ 99 ist Kommunikation<br />

ein Prozeß auf mehreren Ebenen. Je<strong>de</strong> Mitteilung enthält „eine Sachinformation (worüber<br />

ich informiere), eine Selbstkundgabe (was ich von mir zu erkennen gebe), einen<br />

Beziehungshinweis (was ich von dir halte und wie ich zu dir stehe) [sowie] einen Appell<br />

(was ich bei dir erreichen möchte).“ 100 Das angesprochene Gegenüber hört eine solche<br />

Mitteilung entsprechend mit einem vierfachen Gehör:<br />

„Auf <strong>de</strong>r Sachebene <strong>de</strong>s Gesprächs gilt zum einen das Wahrheitskriterium wahr o<strong>de</strong>r unwahr (zutreffend<br />

/ nicht zutreffend), zum an<strong>de</strong>ren das Kriterium <strong>de</strong>r Relevanz : Sind die angeführten Sachverhalte<br />

für das anstehen<strong>de</strong> Thema von Belang / nicht von Belang? Zum Dritten erscheint das Kriterium<br />

<strong>de</strong>r Hinlänglichkeit : Sind die angeführten Sachhinweise für das Thema ausreichend, o<strong>de</strong>r muß<br />

vieles an<strong>de</strong>re auch bedacht sein? […] Ob ich will o<strong>de</strong>r nicht: Wenn ich jeman<strong>de</strong>n anspreche, gebe ich<br />

(durch Formulierung, Tonfall, Begleitmimik) auch zu erkennen, wie ich zum an<strong>de</strong>ren stehe und was<br />

ich von ihm halte – je<strong>de</strong>nfalls bezogen auf <strong>de</strong>n aktuellen Gesprächsstand. In je<strong>de</strong>r Äußerung steckt<br />

somit auch ein Beziehungshinweis, für welchen <strong>de</strong>r Empfänger oft ein beson<strong>de</strong>rs sensibles,<br />

(über)empfindliches Ohr besitzt. Aufgrund dieses Ohres wird entschie<strong>de</strong>n: Wie fühle ich mich behan<strong>de</strong>lt<br />

durch die Art, in <strong>de</strong>r du zu mir sprichst? […] Immer, wenn ich etwas von mir gebe, gebe ich<br />

auch etwas von mir (kund, preis)! Je<strong>de</strong> Äußerung enthält auch, ob ich will o<strong>de</strong>r nicht, eine Selbstkundgabe:<br />

einen Hinweis darauf, was in mir vorgeht, wie mir ums Herz ist, wofür ich stehe und wie<br />

meine Rolle auffasse. Dies kann wie<strong>de</strong>rum explizit geschehen («Ich-Botschaften») o<strong>de</strong>r implizit. […]<br />

Wenn ich das Wort ergreife und an jeman<strong>de</strong>n richte, will ich auch Einfluß nehmen; ich will <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />

nicht nur «erreichen», son<strong>de</strong>rn auch «bei ihm etwas erreichen».“ 101<br />

Zwar ist die Publikation ausdrücklich an Führungskräfte adressiert, doch hat sie beispielsweise<br />

auch die evangelische Seelsorge für sich ent<strong>de</strong>ckt. Ein Satz wie „Ich rufe vom<br />

Krankenhaus aus an.“ 102 informiert <strong>de</strong>n Seelsorger nicht nur über <strong>de</strong>n aktuellen Aufenthaltsort<br />

<strong>de</strong>r Person, son<strong>de</strong>rn möglicherweise auch darüber, daß die Person sich einsam<br />

97 vgl. dazu Grötze, Albrecht: Die Sprache <strong>de</strong>s Menschen: Ein Handbuch. – München: Kaiser, 1991<br />

98 Ka<strong>de</strong>n: Musiksoziologie, S. 87 sieht darin eine für die Kommunikations<strong>de</strong>finition wichtige Komponente.<br />

99<br />

Schulz von Thun, S. 31<br />

100<br />

Schulz von Thun, S. 33. Dieser Ansatz wird verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n Explikation <strong>de</strong>r Einteilung in klassifikatorische,<br />

<strong>de</strong>notative und appellative Deutungen einer Mitteilung nach Ka<strong>de</strong>n: »Zeichen« in MGG Bd. 9, S. 2153.<br />

101 Schulz von Thun, S. 34ff.<br />

102 Das Beispiel entstammt einer Vorlesung „Grundfragen <strong>de</strong>r Seelsorge“ bei Prof. Dr. theol. Ziemer an <strong>de</strong>r<br />

theologischen Fakultät <strong>de</strong>r Universität Leipzig.


42<br />

fühlt, <strong>de</strong>m Seelsorger gegenüber sympathisch eingestellt ist und <strong>de</strong>shalb versucht, speziell<br />

ihn zu einem Besuch zu provozieren, auch wenn es nicht wörtlich formuliert wird.<br />

Die Unterscheidung <strong>de</strong>r Ebenen einer Mitteilung ist aber hier insofern relevant, als daß sie<br />

nicht nur auf Sprache zutrifft, son<strong>de</strong>rn gleichfalls auf Musik übertragen wer<strong>de</strong>n kann. Insbeson<strong>de</strong>re<br />

hinsichtlich <strong>de</strong>r vierten Ebene sehen sich so manche Musikfreun<strong>de</strong> vor ein Rätsel<br />

im Umgang mit neuer und neuester Musik gestellt: „Was soll ICH damit?“ Diese Suchbewegung<br />

läßt ein Defizit seitens <strong>de</strong>r Urheber auf <strong>de</strong>r Appell-Ebene vermuten, zumin<strong>de</strong>st<br />

jedoch, daß das Publikum gewohnt ist, Mitteilungen auf diese Ebene hin zu befragen.<br />

Aber auch die an<strong>de</strong>ren Ebenen sind in Musik wie<strong>de</strong>rzufin<strong>de</strong>n: Die Selbstkundgabe ist z.B.<br />

– vielleicht unbewußt – häufig Anlaß, über das musikalische Schaffen Zugang zu erhalten<br />

zur Persönlichkeit <strong>de</strong>s Komponisten o<strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>s Musikers 103 . Schwieriger hingegen ist<br />

die Beziehungsebene nachzuvollziehen, da sie sich ausschließlich <strong>de</strong>r »angesprochenen«<br />

Person erschließt. Eine Rekapitulierung historischer Kontexte und Beziehungsgefüge ist<br />

von daher müßig. Hingegen ist <strong>de</strong>r Gegenwartsmusik auf dieser Ebene einiges zu entnehmen.<br />

Die Sachebene schließlich ist jene, wo Sprache im eigentlichen Sinne anzutreffen ist.<br />

Hier fin<strong>de</strong>t vorrangig <strong>de</strong>r Diskurs über Zeichen und Syntax bzw. über Werksanalysen statt,<br />

worauf im nächsten Kapitel näher eingegangen wird.<br />

2.4.2.2. NICHTS ALS KOMMUNIKATION<br />

Gegenüber diesen psychologischen und soziologischen Perspektiven verhan<strong>de</strong>lt Niklas<br />

Luhmann Kommunikation als eigenständiges Phänomen 104 , und zwar bezugnehmend auf<br />

die Entwicklungen in <strong>de</strong>r Systemtheorie bzw. Kybernetik unter <strong>de</strong>m Aspekt <strong>de</strong>r »Autopoiesis«<br />

105 , um „einen entsprechen<strong>de</strong>n Begriff von Kommunikation vorzustellen – und zwar<br />

einen Begriff, <strong>de</strong>r je<strong>de</strong> Bezugnahme auf Bewußtsein o<strong>de</strong>r Leben, also auf an<strong>de</strong>re Ebenen<br />

<strong>de</strong>r Realisation autopoietischer Systeme streng vermei<strong>de</strong>t.“ 106 Demnach kommt Kommunikation<br />

zustan<strong>de</strong> durch Unterscheidung von Information, Mitteilung und Verstehen 107 .<br />

103 Belege dafür sind die teils sachlich, teils spekulativ verfaßten Komponisten-Viten, wie z.B.: Begegnungen<br />

mit Bach: Ausgewählte Erzählungen über Johann Sebastian Bach und seine Musik / zusammengestellt von<br />

Rolf Grunow. – 3., stark erw. Aufl. – Berlin. E.V.A., 1978, worin das Vorwort angibt: „Die letzten Beiträge <strong>de</strong>s<br />

Buches sind von Hörern seiner unvergänglichen Musik geschrieben und wollen Zeugnis ablegen von <strong>de</strong>r<br />

überwältigen<strong>de</strong>n Wirkung Bachscher Werke auf ihr Gemüt. Wenn <strong>de</strong>r Leser dazu angeregt wird, Johann Sebastian<br />

Bach selbst in seiner Musik zu sich sprechen zu lassen, dann sind diese literarischen »Begegnungen«<br />

nicht umsonst vermittelt wor<strong>de</strong>n.“ Derartige Beispiele lassen sich auch über Interpreten fin<strong>de</strong>n.<br />

104 Luhmann, S. 4: „Nur die Kommunikation kann kommunizieren.“<br />

105<br />

Darunter versteht Luhmann Systeme, welche früher als Selbstorganisation bezeichnet wor<strong>de</strong>n sind.<br />

106<br />

Luhmann, S. 5<br />

107 Luhmann, S. 6: „Keine dieser Komponenten kann für sich alleine vorkommen. Nur zusammen erzeugen<br />

sie Kommunikation. Nur zusammen – dass heisst nur dann, wenn ihre Selektivität zur Kongruenz gebracht<br />

wer<strong>de</strong>n kann. Kommunikation kommt <strong>de</strong>shalb nur zustan<strong>de</strong>, wenn zunächst einmal eine Differenz von Mitteilung<br />

und Information verstan<strong>de</strong>n wird. Das unterschei<strong>de</strong>t sie von blosser Wahrnehmung <strong>de</strong>s Verhaltens


43<br />

Wahrnehmung allein ist nicht kommunikativ, d.h. „nicht ohne weiteres anschlussfähig.<br />

Man kann das, was ein an<strong>de</strong>rer wahrgenommen hat, nicht bestätigen und nicht wi<strong>de</strong>rlegen,<br />

nicht befragen und nicht beantworten.“ 108 Erst und nur mittels <strong>de</strong>r drei Selektionsvorgänge<br />

Information, Mitteilung und Verstehen könne Kommunikation konstituiert wer<strong>de</strong>n,<br />

welche sodann – konsequent autopoietisch – auch keinen äußeren Zweck verfolgt,<br />

son<strong>de</strong>rn „zur Zuspitzung <strong>de</strong>r Frage [führt], ob die mitgeteilte und verstan<strong>de</strong>ne Information<br />

angenommen o<strong>de</strong>r abgelehnt wer<strong>de</strong>n wird. […] Kommunikation dupliziert also […] die Realität.<br />

Sie schafft zwei Versionen: die Ja-Fassung und die Nein-Fassung, und zwingt damit<br />

zur Selektion.“ 109 Am Beispiel von Wertbeziehungen in <strong>de</strong>r Kommunikation führt Luhmann<br />

aus, daß Werte nicht kommuniziert wer<strong>de</strong>n, weil bekanntlich die Option zur Ablehnung<br />

dieser Werte besteht. Sie wer<strong>de</strong>n daher implizit vorausgesetzt, so daß eine ggf. konträre<br />

Wertvorstellung ausführlich argumentiert wer<strong>de</strong>n muß, wobei unmöglich so viele Werte<br />

erörtert wer<strong>de</strong>n können, wie implizit vorausgesetzt sind.<br />

„Man diskutiert nicht über Werte, son<strong>de</strong>rn über Präferenzen, Interessen, Vorschriften, Programme.<br />

[…] Psychologisch scheinen Werte eine ausseror<strong>de</strong>ntlich labile Existenz zu führen. Sie wer<strong>de</strong>n mal<br />

benutzt, mal nicht benutzt, ohne dass man dafür eine Art psychologische Tiefenstruktur ent<strong>de</strong>cken<br />

könnte. Ihre Stabilität ist […] ein ausschliesslich kommunikatives Artefakt, und das autopoietische<br />

System <strong>de</strong>s Bewusstseins geht damit um, wie es ihm gefällt. […] Denn es gibt keinen Selbstvollzug<br />

<strong>de</strong>r Werte, und man kann alles, was sie zu for<strong>de</strong>rn scheinen, im Vollzug immer noch entgleisen lassen,<br />

im Namen von Werten natürlich.“ 110<br />

Als Konsequenz resümiert Luhmann, daß das psychologische System – auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>s<br />

Bewußtseins operierend – differenziert wer<strong>de</strong>n muß von <strong>de</strong>m soziologischen System mit<br />

<strong>de</strong>r Kommunikation als Basis. Gegenseitige Wechselwirkungen <strong>de</strong>r Systeme sind beobachtbar<br />

und <strong>de</strong>mnach vorhan<strong>de</strong>n. Doch „man muss berücksichtigen, dass die Systeme<br />

füreinan<strong>de</strong>r intransparent sind, sich also wechselseitig nicht steuern können.“ 111 Letztlich<br />

spielt nach Luhmann das Bewußtsein mit <strong>de</strong>n Worten, wie umgekehrt die Worte mit <strong>de</strong>m<br />

Bewußtsein spielen. „Die autopoietische Autonomie <strong>de</strong>s Bewusstseins wird, so kann man<br />

sagen, in <strong>de</strong>r Kommunikation durch Binarisierung [ja/nein] repräsentiert und abgerufen.<br />

[…] Die Kommunikation lässt sich, an<strong>de</strong>rs gesagt, durch Bewusstsein stören und sieht dies<br />

sogar vor; aber nur in Formen, die in <strong>de</strong>r weiteren Kommunikation anschlussfähig sind,<br />

also kommunikativ behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n können.“ 112<br />

an<strong>de</strong>rer. Im Verstehen erfasst die Kommunikation einen Unterschied zwischen <strong>de</strong>m Informationswert ihres<br />

Inhalts und <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n, aus <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Inhalt mitgeteilt wird.“<br />

108<br />

Luhmann, S. 6<br />

109 Luhmann, S. 10f.<br />

110 Luhmann, S. 12f.<br />

111 Luhmann, S. 14<br />

112 Luhmann, S. 16


44<br />

Solches Spielen <strong>de</strong>r Systeme führt zu einem letzten Punkt innerhalb <strong>de</strong>s skizzierten Vorverständnisses,<br />

<strong>de</strong>nn ist von kommunikativen Systemen die Re<strong>de</strong>, darf nicht unerwähnt<br />

bleiben, daß Codierungsvorgänge versehentlich o<strong>de</strong>r absichtlich »falsch« verlaufen können.<br />

Während erstgenannte als »Irrtümer« innerhalb <strong>de</strong>r vorgestellten Systematik durchaus<br />

enthalten sein können, bil<strong>de</strong>n letztgenannte eine bisher unerwähnte neue Realität,<br />

<strong>de</strong>nn sie vertreten keine an<strong>de</strong>re. Am Beispiel <strong>de</strong>r »Lüge« zeigt sich die performative Kompetenz<br />

kommunikativer Handlungen 113 , daß sie eigene Realitäten zu schaffen im Stan<strong>de</strong><br />

sind. »Lüge« verweist nicht nur auf ein von ihr distanziertes Denotat, sie ereignet sich als<br />

Realität. An<strong>de</strong>re Beispiele sind <strong>de</strong>r »Eid«, die »Gratulation«, das »Gebet«. Insoweit also<br />

begriffliche Exaktheit in <strong>de</strong>n bisherigen Kapiteln über das Vorverständnis angestrebt wur<strong>de</strong>,<br />

zielten sie ebenfalls auf die Konstitution einer solchen als Realität.<br />

Die Soziologie – unterstützt durch die Physik, Medizin und Psychologie – führt die Gleichwertigkeit<br />

von Musik und Sprache beson<strong>de</strong>rs in kommunikativen Kontexten vor Augen.<br />

Haben die bisherigen Beobachtungen und Ableitungen aus Sicht <strong>de</strong>r Musikwissenschaft<br />

primär eine solche Äquivalenz erwiesen, drängt sich die Frage nach <strong>de</strong>r jeweiligen I<strong>de</strong>ntität<br />

um so stärker auf. Auf <strong>de</strong>r semiotischen Ebene in<strong>de</strong>s erwächst aus <strong>de</strong>r Suche nach Be<strong>de</strong>utungen<br />

in <strong>de</strong>n Zeichen ein <strong>de</strong>utliches Spannungsfeld zwischen Musik und Sprache,<br />

daß zu bestellen mit Hilfe <strong>de</strong>r Sprachwissenschaft nun folgend in Angriff genommen wird.<br />

113 vgl. Grötze, Albrecht: Die Sprache <strong>de</strong>s Menschen: Ein Handbuch. – München: Kaiser, 1991


45<br />

3. ASPEKTE DER SPRACHWISSENSCHAFT:<br />

Die Linguistik untersucht – grob verallgemeinert – Phänomene und Zusammenhänge in<br />

Bezug auf Sprachen bis zur Ebene <strong>de</strong>r Textgestalt, wo die Literaturwissenschaft einsetzt.<br />

Als Vertreter jener Wissenschaft soll nun endlich Manfred Bierwisch zu Wort kommen.<br />

1979 erscheint im Peters-Jahrbuch sein Aufsatz, in <strong>de</strong>m er einige Gemeinsamkeiten und<br />

Unterschie<strong>de</strong> von Sprache und Musik logisch-<strong>de</strong>duktiv vorstellt. Ausgehend von <strong>de</strong>m<br />

Fachgebiet <strong>de</strong>r Linguistik erkennt er in <strong>de</strong>ren Methodik eine Möglichkeit zum fachübergreifen<strong>de</strong>n<br />

Gedankenaustausch, so daß er eine Debatte um die Berührungspunkte zweier<br />

Disziplinen anbietet 114 , die in <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Landschaft voneinan<strong>de</strong>r separat und<br />

doch in einem beson<strong>de</strong>ren Verhältnis zueinan<strong>de</strong>r stehen: Musik- und Sprachwissenschaft.<br />

Daß Manfred Bierwisch als Vertreter seines Wissensgebietes repräsentativ ist, davon ist<br />

anbetracht seiner Lehrtätigkeit und Veröffentlichungen auszugehen, zumal in <strong>de</strong>r mir erreichbaren<br />

Literatur keine gegenteiligen Anzeichen zu ent<strong>de</strong>cken waren.<br />

Prof. Dr. phil. Dr. sc. Dr. h.c. Manfred Bierwisch, geboren am 28. Juli 1930 in Halle / Saale,<br />

machte 1949 sein Abitur an einem Gymnasium in Leipzig. Seine stu<strong>de</strong>ntische Laufbahn an<br />

<strong>de</strong>r Alma Mater Lipsiensis begann 1951 etwas chaotisch. Zunächst wur<strong>de</strong> er im Fachbereich<br />

Physik immatrikuliert, wechselte aber rasch zur Germanistik. Nur ein Jahr später<br />

wur<strong>de</strong> er wegen „Boykotthetze“ zu 1 Jahr und 6 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, aber<br />

bereits nach 10 Monaten im Zuge <strong>de</strong>s „Neuen Kurses“ nach 1953 vorzeitig entlassen, so<br />

daß er sein Studium fortsetzen konnte. Außer in Germanistik war er nun bis 1956 auch in<br />

Philosophie eingeschrieben. Nach seinem Staatsexamen im Fach Germanistik übernahm<br />

er bis 1962 eine Assistenz am Institut für <strong>de</strong>utsche Sprache und Literatur an <strong>de</strong>r Deutschen<br />

Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften zu Berlin. Bierwisch selbst schreibt über jene Zeit:<br />

„Für meinen Eintritt in die Aka<strong>de</strong>mie im Jahre 1957 wur<strong>de</strong>, wie ich später erfuhr, noch vor<br />

meinem Dienstantritt die [staatliche] Überwachung geregelt, weil ich mit <strong>de</strong>r Hypothek<br />

einer politischen Vorstrafe antrat.“ 115 Dennoch promovierte er 1961 an <strong>de</strong>r Universität Leipzig<br />

zum Dr. phil. Anschließend war Bierwisch bis 1973 Mitarbeiter <strong>de</strong>r Arbeitsstelle<br />

Strukturelle Grammatik <strong>de</strong>r Deutschen Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften zu Berlin, danach<br />

bis 1980 am Zentralinstitut für Sprachwissenschaft <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften <strong>de</strong>r<br />

DDR, wo er ein Jahr später zum Dr. sc. promovierte und bis 1991 die Leitung <strong>de</strong>r Forschungsgruppe<br />

Kognitive Linguistik innehatte. Daß ihm staatlicherseits nach wie vor Aufmerksamkeit<br />

galt, begrün<strong>de</strong>t er damit, daß „bereits in <strong>de</strong>n frühen siebziger Jahren (unter<br />

<strong>de</strong>m steten Druck <strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ologischen Ängste, die <strong>de</strong>r "Prager Frühling" ausgelöst hatte)<br />

114 expressis verbis in seinem Schlußwort und in <strong>de</strong>r Vorbemerkung <strong>de</strong>s Herausgebers<br />

115 Berliner Aka<strong>de</strong>mien, S. 181


46<br />

die Bestrebungen <strong>de</strong>s Strukturalismus, die in <strong>de</strong>r Kommunistischen Partei Frankreichs<br />

sich ausbreiteten, [begannen], die sogenannten Bru<strong>de</strong>rparteien zu beunruhigen.“ 116 Ferner<br />

dürften sicherlich seine Kontakte in die USA, wo er 1979 zum Honorary Member of the Linguistic<br />

Society of America ernannt wor<strong>de</strong>n war, zum Interesse <strong>de</strong>s Staates an seiner Person<br />

beigetragen haben, zumal – wie Bierwisch schreibt – die Aka<strong>de</strong>mie zusehends politisiert<br />

und isoliert wur<strong>de</strong>. „Die durchaus interessanten Möglichkeiten, die sich aus bestimmten<br />

Momenten <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>miestruktur ergaben, wur<strong>de</strong>n unter dieser Obsession <strong>de</strong>r<br />

Reglementierung und Überwachung erstickt und zerstört. Eine beson<strong>de</strong>rs trübe und<br />

schmerzliche Spätfolge <strong>de</strong>r Isolation, die das Ergebnis all <strong>de</strong>r Bevormundungen war, ist<br />

nach <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s realen Sozialismus sichtbar gewor<strong>de</strong>n, als zahlreichen Mitarbeitern,<br />

die sich in die Umstän<strong>de</strong> gefügt hatten, die internationalen Erfahrungen und Kontakte<br />

fehlten, die sich für das Bestehen in <strong>de</strong>r community als för<strong>de</strong>rlich, ja als unerläßlich erwiesen.<br />

Nicht wenige fühlten sich <strong>de</strong>shalb zu Recht o<strong>de</strong>r zu Unrecht zum zweiten Mal bestraft.“<br />

117 . 1985 war Bierwisch Auswärtiges Wissenschaftliches Mitglied <strong>de</strong>s Max-Planck-<br />

Institutes für Psycholinguistik in Nijmegen und zugleich Professor <strong>de</strong>r Linguistik an <strong>de</strong>r<br />

Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften <strong>de</strong>r DDR, <strong>de</strong>ren Korresponieren<strong>de</strong>s Mitglied er 1990 wur<strong>de</strong><br />

– in <strong>de</strong>mselben Jahr, als man ihm die Ehrendoktorwür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Universität Jena verlieh und er<br />

Mitbegrün<strong>de</strong>r sowie Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Gesellschaft für Sprachwissenschaft war. Im folgen<strong>de</strong>n<br />

Jahr wur<strong>de</strong> er Mitglied <strong>de</strong>r Aca<strong>de</strong>mia Europaea und Fellow am Wissenschaftskolleg zu<br />

Berlin. Seit 1992 obliegt ihm die Leitung <strong>de</strong>r Max-Planck-Arbeitsgruppe „Strukturelle<br />

Grammatik“ an <strong>de</strong>r Humboldt-Universität zu Berlin. Ebenfalls in diesem Jahr wur<strong>de</strong> er<br />

nicht nur zum Honorarprofessor an die Universität Stuttgart berufen, son<strong>de</strong>rn auch Mitglied<br />

<strong>de</strong>s Goethe-Instituts. In <strong>de</strong>m Jahr darauf wur<strong>de</strong> er Präsidiumsmitglied <strong>de</strong>s Goethe-<br />

Institutes und übernahm das Amt <strong>de</strong>s Vizepräsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r Berlin-Bran<strong>de</strong>nburgischen Aka<strong>de</strong>mie<br />

<strong>de</strong>r Wissenschaften sowie die Edward-Saphir-Professur <strong>de</strong>r Linguistic Society of<br />

America am Linguistic Summer Institute.<br />

Thematisch ist Bierwisch orientiert auf die Analyse <strong>de</strong>r Struktureigenschaften natürlicher<br />

Sprachen, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Syntax und Semantik, sowie auf die Problematik <strong>de</strong>r Sprache<br />

als Teil und im Zusammenhang <strong>de</strong>r kognitiven Ausstattung <strong>de</strong>s Menschen, die auch Einzelanalysen<br />

zur Organisation lexikalischer Informationen und zu Strukturbildungsprozessen<br />

<strong>de</strong>s Menschen umfaßt. 118<br />

116 Berliner Aka<strong>de</strong>mien,S. 179f.<br />

117 Berliner Aka<strong>de</strong>mien, S. 182<br />

118 Biographie nach Jahrbuch, 1994


47<br />

3.1. VORAUSSETZUNGEN VON MANFRED BIERWISCH<br />

Neben <strong>de</strong>n kurz skizzierten biographischen Einflüssen spielten nach Angaben Bierwischs<br />

diverse Kontakte eine maßgebliche Rolle für das Erscheinen jenes Aufsatzes, <strong>de</strong>r als überarbeite<br />

Fassung zweier Rundfunkfunkvorträge aus <strong>de</strong>m Mai 1977 entstand.<br />

„Sie wur<strong>de</strong>n von Dieter Boeck in einem nicht nur formalen Sinn angeregt und betreut. Der<br />

Inhalt meiner Überlegungen ist wesentlich beeinflußt durch das, was ich in Gesprächen<br />

und Diskussionen mit zahlreichen Kollegen und Freun<strong>de</strong>n gelernt habe. Neben vielen an<strong>de</strong>ren<br />

habe ich dafür vor allem Dr. Friedhart Klix, Professor Dr. Georg Knepler, Dr. Hans<br />

Geissler, Dr. Hans Grüß, Dr. Eberhardt Klemm, Dr. Ewald Lang und Dr. Doris Stockmann zu<br />

danken. […] Was ich von meinen Gesprächspartnern gelernt habe, ist [aber] nicht immer<br />

mit <strong>de</strong>ren Auffassung i<strong>de</strong>ntisch. Dies gilt nicht für meinen Freund Klaus Baumgärtner, <strong>de</strong>r<br />

mit in nur äußerlich unterbrochenen Gesprächen verständlich gemacht hat, worauf ich<br />

hinauswollte und was dafür nötig wäre.“ 119<br />

Diese Aufzählung macht in<strong>de</strong>s <strong>de</strong>utlich, daß Bierwisch über seinen eigenen linguistischen<br />

Horizont hinaus nicht nur soziologische o<strong>de</strong>r semiotische, son<strong>de</strong>rn auch musikwissenschaftliche<br />

und -praktische Aspekte in seine Überlegungen einbezogen hat. Insbeson<strong>de</strong>re<br />

<strong>de</strong>r Rekurs auf Kneplers »Geschichte als Weg zum Musikverständnis« aus <strong>de</strong>m Jahre 1977<br />

dokumentiert die Aktualität <strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ellen Konzeption zum Zeitpunkt ihrer Ausstrahlung.<br />

Anzumerken ist, daß die Sendung in einer Zeit stattfand, als bei<strong>de</strong> <strong>de</strong>utschen Staaten politisch<br />

bereits weiter auseinan<strong>de</strong>r gerückt waren. In <strong>de</strong>r BRD hatten die »Dritten Programme«<br />

eine mediale Sparte etabliert, die Raum bot für wissenschaftliche Vorträge über die<br />

Lan<strong>de</strong>sgrenzen hinaus. Ob die Beiträge Bierwischs in diesem Kontext quasi als wissenschaftlicher<br />

Gegenschlag <strong>de</strong>r DDR zu verstehen sind, wird jedoch Spekulation bleiben.<br />

3.2. AUSSAGEN VON MANFRED BIERWISCH<br />

3.2.1. EINLEITENDE BEMERKUNGEN<br />

Zunächst steckt Bierwisch das Ziel seines Aufsatzes ab, Sprache und Musik in ihrer Wirkungsweise<br />

und ihrem Aufbau etwas genauer zu verstehen mittels eines Vergleiches mit<br />

<strong>de</strong>r Sprachwissenschaft. Gleich zu Beginn klärt Bierwisch, daß für ihn sich <strong>de</strong>r Unterschied<br />

in begrifflicher und anschaulicher Mitteilung, nämlich zwischen Sagen und Zeigen manifestiert.<br />

Sodann bemerkt Bierwisch, daß er einerseits nur Deutsch als Sprache, an<strong>de</strong>rerseits<br />

nur die europäische Musiktradition berücksichtige, weil bei<strong>de</strong> durchaus repräsentativ sind<br />

als jeweiliger wissenschaftlicher Gegenstand. Doch zugleich gibt er zu be<strong>de</strong>nken: „Musik<br />

119 Bierwisch, S. 90


48<br />

und Sprache als Zeichensysteme verschie<strong>de</strong>ner Art miteinan<strong>de</strong>r zu vergleichen, [be<strong>de</strong>utet]<br />

nicht, daß sie sich durch <strong>de</strong>n Rückgriff auf ihren Zeichencharakter in gleicher Weise erschließen<br />

lassen.“ 120 Dennoch setzt er seine Ausführungen mit direkten Vergleichen fort.<br />

3.2.2. <strong>MUSIK</strong>, <strong>SPRACHE</strong>, LITERATUR<br />

Eine Unterscheidung, wie sie zwischen Sprache und Literatur üblich ist, wer<strong>de</strong> bemerkenswerter<br />

Weise auf Musik nicht angewandt. Prinzipiell unterschei<strong>de</strong>n sich die Eigenschaften<br />

<strong>de</strong>s Mediums Sprache von <strong>de</strong>n Bedingungen seiner ästhetischen Verwendung,<br />

weshalb die Sprach- und Literaturwissenschaft – wenn auch noch gar nicht so lange und<br />

auch nicht konsequent – voneinan<strong>de</strong>r geschie<strong>de</strong>n seien. Diese Funktion fehle bei Musik<br />

gänzlich. Daß Sprache eine Vielfalt <strong>de</strong>r Verwendungsmöglichkeiten ausgebil<strong>de</strong>t habe, z.B.<br />

in Kommunikations- und Erkenntnisprozessen und dabei keineswegs Literatur sei, unterschei<strong>de</strong><br />

sie von Musik, da musikalische Gebil<strong>de</strong> ausschließlich Gegenstand <strong>de</strong>r Ästhetik<br />

seien 121 . Im Rahmen diverser Verhaltensabläufe könnten bei<strong>de</strong> diese zwar organisieren,<br />

also begleiten, glie<strong>de</strong>rn, auslösen o<strong>de</strong>r been<strong>de</strong>n, jedoch beschreiben, erläutern, darstellen<br />

usw. könne man sie nur mittels Sprache. Kurz: „Man kann mit Sprache sowohl Kunst<br />

machen wie über Kunst sprechen, mit Musik ist nur das erstere möglich.“ 122<br />

Eine zweite Unterscheidung betrifft die Spezifik <strong>de</strong>r Inhalte: mit Sprache könne je<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>nkbare Sachverhalt o<strong>de</strong>r Gegenstand charakterisiert wer<strong>de</strong>n innerhalb bestimmter<br />

Grenzen <strong>de</strong>r Genauigkeit 123 , bei Musik sei hingegen die Frage bereits fraglich, je<strong>de</strong>nfalls<br />

die Klasse <strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ntifizierbaren Sachverhalte sei weit kleiner anzunehmen, zumal die musikalische<br />

Charakterisierung generell an<strong>de</strong>rer Art sei, nämlich ein Vorführen statt ein<br />

Benennen. Die Mittel <strong>de</strong>r Sprache seien nach Bierwisch von ihren Inhalten unabhängiger<br />

als Mittel <strong>de</strong>r Musik, woraus <strong>de</strong>ren Vielfalt möglicher Verwendungsweisen resultiere.<br />

Als eine dritte Unterscheidung nennt Bierwisch die unterschiedliche Ausprägung <strong>de</strong>r Mittel:<br />

Die Feststellung, daß es einerseits unterschiedliche, aber äquivalente Sprachen gibt,<br />

<strong>de</strong>ren Gesetzmäßigkeiten ihre Gemeinsamkeiten sowie Unterschie<strong>de</strong> und damit ihren Status<br />

als wissenschaftlichen Gegenstand begrün<strong>de</strong>n, mache an<strong>de</strong>rerseits keinen Sinn bei<br />

Musik. Auch wenn historisch und geographisch verschie<strong>de</strong>ne Systeme musikalischer Mittel<br />

existieren, so sei doch eine Übersetzung unsinnig, weil musikalische Mittel – wie erwähnt<br />

– kaum von Inhalten lösbar seien. „Diese Aufzählung ist unvollständig und ganz<br />

120<br />

Bierwisch, S. 10<br />

121 Son<strong>de</strong>rsignale <strong>de</strong>r Jäger und <strong>de</strong>r Militärs sind bereits in <strong>de</strong>n Vorbemerkungen ausgeklammert wor<strong>de</strong>n.<br />

122 Bierwisch, S. 11<br />

123 Bierwisch gesteht jedoch ein, daß das Unterscheidungsvermögen bei Gesichtern o<strong>de</strong>r Stimmen größer<br />

sei, als es sich mit abstrakten sprachlichen Mitteln darstellen läßt.


49<br />

provisorisch, aber sie liefert Anhaltpunkte, die einen sinnvollen Vergleich von Musik und<br />

Sprache leiten können.“ 124<br />

Eine Nebenbemerkung Bierwischs zu historischen und systematischen Disziplinen <strong>de</strong>r<br />

Sprach-, Literatur- und Musikwissenschaft soll ver<strong>de</strong>utlichen, daß „<strong>de</strong>r Vergleich von Musik<br />

und Sprache unter linguistischem Gesichtspunkt nur in <strong>de</strong>m Maß sinnvoll und klärend<br />

ist, wie dabei zugleich <strong>de</strong>utlich wird, warum musikalische Mittel so funktionieren, daß sie<br />

stets Musik erzeugen, sprachliche Mittel aber nicht notwendig Literatur.“ 125<br />

3.2.3. <strong>SPRACHE</strong> <strong>UND</strong> <strong>MUSIK</strong> ALS AKUSTISCHE KOMMUNIKATIONSFORMEN<br />

Gemeinsamkeiten bestün<strong>de</strong>n nach Bierwisch sowohl in <strong>de</strong>r akustischen Erscheinung als<br />

auch darin, daß sie eine Schriftform, nämlich eine abgeleitete Repräsentation <strong>de</strong>r zur<br />

Kommunikation genutzten Zeichen hervorgebracht haben, wodurch ein externes, intersubjektives<br />

Gedächtnis bereitstehe, das wie<strong>de</strong>rum Einfluß auf die akustische Erscheinungen<br />

habe, wobei Sprache jedoch im Stan<strong>de</strong> sei, auch in <strong>de</strong>r abgeleiteten Form verstan<strong>de</strong>n<br />

zu wer<strong>de</strong>n – im Gegensatz zur Musik bzw. zur lautformabhängigen Sprache: <strong>de</strong>r Dichtung.<br />

Die Termini <strong>de</strong>r Teilüberschrift »Akustische« und »Kommunikationsprozesse« seien in<strong>de</strong>s<br />

als Lexeme in sich erklärungsbedürftig. Zunächst ereignet sich Sprache wie Musik akustisch<br />

– nämlich in <strong>de</strong>r Zeit, wodurch sie sich unterschei<strong>de</strong>n von an<strong>de</strong>ren Künsten wie <strong>de</strong>r<br />

Bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Kunst, <strong>de</strong>m Stummfilm o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Tanz. Hingegen wie die Gestaltung <strong>de</strong>r Zeit<br />

sich glie<strong>de</strong>rt und funktionell belegt ist, unterschei<strong>de</strong> die Sprache von <strong>de</strong>r Musik. Für Musik<br />

z.B. sei speziell die Synchronisierung verschie<strong>de</strong>ner Aktivitätsmuster für die Konstituierung<br />

ihres Inhaltes relevant, während Sprache dies lediglich als Begleiteffekt impliziert.<br />

Als dann ist <strong>de</strong>r Kommunikationsprozeß – vorläufig – <strong>de</strong>rart <strong>de</strong>finiert, daß jemand jeman<strong>de</strong>m<br />

etwas mitteilt. Musik wie Sprache seien jedoch nicht ausschließlich als solche Prozesse<br />

<strong>de</strong>finiert. Die Frage ist, »wer« »wem« »was« mitteilt und was »mitteilen« be<strong>de</strong>utet.<br />

Im Schema von Sen<strong>de</strong>r-Nachricht-Empfänger sei dies üblicherweise dargestellt, wobei<br />

nach Bierwisch die Nachricht die Schallwellen sind. Die Probleme dieses Schemas entstün<strong>de</strong>n<br />

aber da, wo man z.B. die Sen<strong>de</strong>r als ein Orchester o<strong>de</strong>r die Empfänger als Publikum<br />

vorstellt, weil Kollektiva hier in ihrer Vollständigkeit <strong>de</strong>r Funktion variieren. Bierwisch<br />

geht davon aus, daß je<strong>de</strong>r Hörer ein kompletter Empfänger sei, während nicht je<strong>de</strong>r Musiker<br />

im Orchester ein kompletter Sen<strong>de</strong>r sei. Nebeneffekte <strong>de</strong>r Kollektiva beeinflussen <strong>de</strong>n<br />

Vorgang <strong>de</strong>r Kommunikation nicht, son<strong>de</strong>rn gestalten ihn beson<strong>de</strong>rs aus – beson<strong>de</strong>rs im<br />

Falle, daß die Aufnahme durch das Aufzunehmen<strong>de</strong> zeitlich strukturiert wird wie bei <strong>de</strong>r<br />

124 Bierwisch, S. 12<br />

125 Bierwisch, S. 14


50<br />

Tanzmusik. Aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>s kollektiven Sen<strong>de</strong>rs sei in<strong>de</strong>s fraglich, wie die gemeinsame<br />

Botschaft formuliert wer<strong>de</strong>n muß, weshalb eine Vorbereitungsphase für solche<br />

Mitteilungen Voraussetzung ist: Planung, Aufbau und Aussendung vollziehen sich nach<br />

Bierwisch selten in einem Schritt. Betrachte man die letzte Phase <strong>de</strong>r Hörbarmachung, so<br />

sei für die Musik bezeichnend, daß ein singulärer Sen<strong>de</strong>r und Empfänger einen Son<strong>de</strong>rfall,<br />

bei Sprache dagegen <strong>de</strong>n Grundtyp darstelle. Die Erklärung hierfür fin<strong>de</strong> sich in <strong>de</strong>r Diskrepanz<br />

zwischen Zweck und Funktion bzw. primär zwischen Struktur und Inhalt, die wie<strong>de</strong>rum<br />

von <strong>de</strong>r letzten Phase aus entwickelt wür<strong>de</strong>n.<br />

3.2.4. GR<strong>UND</strong>BEDINGEN DER KOMMUNIKATION<br />

Laut Bierwisch gehören Schall und Mitteilung zwingend zusammen in diesem Kontext.<br />

Mittels einer logischen Ableitung von Thesen und Bedingungen von Ereignissen, Absichten,<br />

Wirkungen, Hörern und Sen<strong>de</strong>rn resümiert Bierwisch, daß „gleichgültig, ob H [<strong>de</strong>r<br />

Hörer] die Mahnung befolgt o<strong>de</strong>r nicht: Wenn er das Klopfen als Mahnung verstan<strong>de</strong>n hat<br />

– und nur dann –, ist eine echte Mitteilung zustan<strong>de</strong> gekommen. […] Sen<strong>de</strong>r und Empfänger<br />

sehen bei<strong>de</strong> das Signal als Auslöser für die Wirkung an, wegen dieser Wirkung wird es<br />

produziert, und es wirkt auch nur, weil es um dieser Wirkung willen produziert wird.“ 126<br />

Freilich könne ein Signal mehrere Be<strong>de</strong>utungen tragen: eine kommunikative W(k) und<br />

eine extrakommunikative W(n), wobei Musik zumeist über die letztere die erstere maßgeblich<br />

motiviere, während Sprache beinahe gänzlich ohne W(n) funktioniere. W(k) hingegen<br />

stellt nach Bierwisch einen Komplex mehrerer Komponenten dar, die unterschiedlich<br />

stark in Erscheinung treten. Daß W(k) in beabsichtigter Form zustan<strong>de</strong> kommt, sei u.U. <strong>de</strong>r<br />

Tatsache geschul<strong>de</strong>t, daß bei<strong>de</strong> Parteien einen gemeinsamen Zeichenvorrat benutzen. Die<br />

teils vorausgesetzte Äquivalenz <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung mit <strong>de</strong>r Mitteilung hingegen ist – so Bierwisch<br />

– falsch, insofern sich zwischen diesen ggf. eine große Diskrepanz ergibt. Daß die<br />

Wirkung an Signale gebun<strong>de</strong>n ist, be<strong>de</strong>utet für ihn zugleich, daß Signale mit ihrer Wirkung<br />

i<strong>de</strong>ntisch (Primärsituation) bzw. situationsabhängig (konventionelle Prinzipien) sein können.<br />

»Chamäleonhafte Zeichen« ohne Primärsituation o<strong>de</strong>r Gebil<strong>de</strong> ohne konventionelle<br />

Prinzipien verleiten Bierwisch zu <strong>de</strong>r Annahme, „daß durch die Bezugnahme auf einen<br />

Zeichenvorrat mehrere Stufen <strong>de</strong>s ‚Verstehens’ einer kommunikativen Äußerung entstehen“<br />

127 , nämlich von Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Zeichen bis zur beabsichtigten Mitteilung. Bei Musik<br />

stelle sich die Sachlage genauso dar – mit <strong>de</strong>m Unterschied, daß nicht klar sei, was Be<strong>de</strong>utungen<br />

und Mitteilungen sind. „Ein zentrales Problem ist dabei die Tatsache, daß<br />

126 Bierwisch, S. 19<br />

127 Bierwisch, S. 22


51<br />

Sprache und Musik nicht nur erlauben, mit <strong>de</strong>n [jeweils] gleichen Zeichen ggf. viele verschie<strong>de</strong>ne<br />

Mitteilungen zu kommunizieren, son<strong>de</strong>rn vor allem auch nach Bedarf neue<br />

komplexe Zeichen zu bil<strong>de</strong>n.“ 128<br />

3.2.5. ZEICHEN <strong>UND</strong> ZEICHENSYSTEME<br />

Zeichen sind nach Bierwisch zunächst eine beson<strong>de</strong>re Form von Kenntnissen <strong>de</strong>r Partner,<br />

die sich auf Signalereignisse beziehen. Zeichen Z haben – um eine Beziehung zwischen<br />

<strong>de</strong>m Ereignis und <strong>de</strong>r Wirkung herzustellen – zwei Aspekte: eine Form F und eine Be<strong>de</strong>utung<br />

B. Erstere reguliere als Muster die Artikulation bzw. die I<strong>de</strong>ntifizierung <strong>de</strong>s Signals<br />

als solches. „Die Beziehung zwischen Ereignis und Zeichenform kommt für <strong>de</strong>n Hörer also<br />

aufgrund <strong>de</strong>r Mechanismen zustan<strong>de</strong>, die allgemein die ordnen<strong>de</strong> Wahrnehmung <strong>de</strong>r<br />

Umwelt tragen.“ 129 Letztere hingegen sei mit W(k) verbun<strong>de</strong>n und konkretisiere die Zeichen<br />

situationsspezifisch. Ihre Grenzen und ihren Wert – so Bierwisch – legen Zeichen innerhalb<br />

von Systemen fest, so daß sowohl Formen als auch Be<strong>de</strong>utungen zu Elementen<br />

eines eigens strukturierten Bereichs wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r durch ein bestimmtes Zuordnungsmuster<br />

von F und B charakterisiert ist: Z=F ? B. „Die Zuordnung <strong>de</strong>r hier gefor<strong>de</strong>rten Art, die<br />

zwei strukturierte Mengen so aufeinan<strong>de</strong>r abbil<strong>de</strong>t, daß die Elemente <strong>de</strong>r einen die <strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>ren repräsentieren können, heißt üblicherweise Co<strong>de</strong>.“ 130 Dabei unterschei<strong>de</strong>t Bierwisch<br />

Co<strong>de</strong>s mit geschlossenem Umfang (Morse) von jenen, die über Regeln verfügen,<br />

„mit <strong>de</strong>ren Hilfe beliebige komplexe Formen gebil<strong>de</strong>t und ihnen Be<strong>de</strong>utungen zugeordnet<br />

wer<strong>de</strong>n können.“ 131 Zeichenvorräte seien daher als »Systeme zur Zeichenbildung« zu verstehen.<br />

Deren Struktur setzt sich nach Bierwisch zusammen aus:<br />

(a) <strong>de</strong>r Struktur von F, da sich geglie<strong>de</strong>rte Lautmuster bei Sprache wie Musik fin<strong>de</strong>n, und<br />

(b) <strong>de</strong>r Struktur von B. Hier verweist Bierwisch darauf, daß sich diese bei Sprache mittels<br />

gedanklicher Strukturen konstruieren läßt, die aus <strong>de</strong>r Realität abstrahiert wur<strong>de</strong>n. Für<br />

Musik ergebe sich diese Struktur aus <strong>de</strong>r Struktur <strong>de</strong>r Gesten. Ihr Konnex ergebe sich aus<br />

(c) <strong>de</strong>r Beziehung bei<strong>de</strong>r Bereiche, daß eine be<strong>de</strong>utungsbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Syntax die Zeichenverknüpfung<br />

bei Sprache regelt. Bei Musik hingegen sorgt – so Bierwisch – <strong>de</strong>r analoge Aufbau<br />

von Zeichen und Be<strong>de</strong>utung für <strong>de</strong>ren Relation.<br />

In einem Randvermerk geht Bierwisch auf Symbole ein, welche nach Hjelmslev Formen<br />

sind, die ohne Be<strong>de</strong>utungsstruktur auf Mitteilungen bezogen wer<strong>de</strong>n können. Dem Gedanken,<br />

ob Musik <strong>de</strong>mnach als Symbolsystem zu verstehen sei, geht Bierwisch aber nicht<br />

128 Bierwisch, S. 23<br />

129 Bierwisch, S. 24<br />

130 Bierwisch, S. 26<br />

131 Bierwisch, S. 27


52<br />

nach, son<strong>de</strong>rn formuliert die These, daß Form und Be<strong>de</strong>utung in <strong>de</strong>r Musik keine separaten<br />

Bereiche bil<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn eher Interpretationen ein und <strong>de</strong>rselben Struktur sind. Darin<br />

erkennt er <strong>de</strong>n Grund dafür, „daß in <strong>de</strong>r Musik die Be<strong>de</strong>utung nicht wirklich von ihren formalen<br />

Mitteln angehoben wer<strong>de</strong>n kann.“ 132<br />

3.2.6. KOMMUNIKATION, KOGNITIVE <strong>UND</strong> EMOTIONALE STRUKTUREN<br />

Der Erwerb und Gebrauch von Sprache sind laut Bierwisch wichtige Elemente <strong>de</strong>s menschlichen<br />

Sozialisationsprozesses. Vermutlich gelte dies für fundamentale musikalische Verfahren<br />

auch. 133 Ausgangspunkt für bei<strong>de</strong> akustische Kommunikationsformen dürfte die<br />

vormenschliche Lautgebung sein als Ausdruck interner Zustän<strong>de</strong> bzw. zur Verhaltensregulation.<br />

Daraus folgt, „daß die Produktion und Perzeption sprachlicher Signale auf eigenen,<br />

spezialisierten Mechanismen beruht, <strong>de</strong>ren Wirkungsweise sich von <strong>de</strong>nen für an<strong>de</strong>re<br />

akustische Signale <strong>de</strong>utlich unterschei<strong>de</strong>n läßt.“ 134 Die weitere Entwicklung habe verschie<strong>de</strong>ne<br />

Verarbeitungssysteme <strong>de</strong>r Lautformen hervorgebracht mit unterschiedlichen<br />

Arten <strong>de</strong>r Strukturbildung. Hinsichtlich <strong>de</strong>r Verschie<strong>de</strong>nartigkeit <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utungsbereiche<br />

sei Sprache als Verbindung von kommunikativen und kognitiven Strukturen zu charakterisieren,<br />

wodurch bei<strong>de</strong>n Struktursystemen prinzipiell neue Leistungsfähigkeiten eröffnet<br />

wür<strong>de</strong>n durch die Loslösung <strong>de</strong>r Kommunikation von <strong>de</strong>r originären Lautgebungssituation<br />

und <strong>de</strong>r Kognition hinsichtlich neuer Situationszusammenhänge. Motivationale Bindungen<br />

können – müssen aber nicht – bei Sprache erhalten bleiben: Die Art <strong>de</strong>r Signalproduktion<br />

kann auch verbal codiert wer<strong>de</strong>n, so Bierwisch. Da Musik hingegen keine begrifflichen<br />

Strukturen codiere, also kein Zeichensystem für kognitive Be<strong>de</strong>utungen sei 135 , son<strong>de</strong>rn<br />

jene Komponenten verfügbar mache, „die durch die Sprache von <strong>de</strong>r festen Bindung<br />

an klassifikatorische Merkmale freigesetzt wer<strong>de</strong>n“ 136 , hat sie eine an<strong>de</strong>re Funktion, nämlich<br />

emotionale statt kognitive Prozesse sozial zugänglich zu machen und also gesellschaftlich<br />

wirksam wer<strong>de</strong>n zu lassen. Nebenbei weist Bierwisch darauf hin, daß die mit<br />

bei<strong>de</strong>n Zeichenformen vermittelbaren Wirkungen aber nicht nur Gedanken o<strong>de</strong>r Gefühle<br />

seien! Gera<strong>de</strong> die verbale Unschärfe – beson<strong>de</strong>res bei Musik – läßt ihn hoffen.<br />

132 Bierwisch, S. 28<br />

133<br />

Unmusikalität versteht Bierwisch als Produkt bestimmter soziokultureller Bedingungen, welche die vorhan<strong>de</strong>ne<br />

Disposition hemmen.<br />

134 Bierwisch, S. 28, Bierwisch bemerkt dazu, daß die angeborene Disposition zu Sprache auch bei motorischer<br />

Aphasie vorauszusetzen ist.<br />

135 Hier wi<strong>de</strong>rspricht Bierwisch <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e Kneplers, Musik könne semantisiert wer<strong>de</strong>n.<br />

136 Bierwisch, S. 30


53<br />

3.2.7. SPRACHKENNTNIS <strong>UND</strong> <strong>MUSIK</strong>KENNTNIS<br />

Produktion und Perzeption musikalischer wie sprachlicher Co<strong>de</strong>s beruhen laut Bierwisch<br />

auf dafür notwendigen Kenntnissen und Fähigkeiten, worunter in<strong>de</strong>s nicht Sachwissen<br />

o<strong>de</strong>r Fertigkeiten zu verstehen seien. Die Zeichenbildungsverfahren bei<strong>de</strong>r Lautformen<br />

erfor<strong>de</strong>rn abrufbare Grun<strong>de</strong>lemente und darauf anwendbare kombinatorische Regeln.<br />

„Die Gesamtheit <strong>de</strong>r Mittel, die die Form und Be<strong>de</strong>utung aller möglichen Ausdrücke zugänglich<br />

machen, [wird für Sprache] durch die Grammatik beschrieben.“ 137 Bei Musik sei<br />

eine solche Regulierung (noch) nicht beschrieben wor<strong>de</strong>n, weshalb von Bierwisch <strong>de</strong>r<br />

Terminus „musikalischer Co<strong>de</strong>“ bemüht wird.<br />

Die Herkunft dieses Gedächtnisbesitzes ist nach Bierwisch einerseits in <strong>de</strong>r phylogenetischen<br />

Ausstattung <strong>de</strong>s Organismus und an<strong>de</strong>rerseits in <strong>de</strong>r individuellen Erfahrung zu<br />

suchen. Einerseits seien nämlich physiologisch nur bestimmte Lautstrukturen möglich<br />

sowie rational nur bestimmte konzeptionelle Strukturen als auch psychologisch nur bestimmte<br />

Mechanismen emotiver Prozesse mit Bindungen an physiologische Vorgänge und<br />

logisch nur bestimmte Grundschemata kombinatorischer Operationen. An<strong>de</strong>rerseits rege<br />

die Konfrontation mit konkreten Lautgebil<strong>de</strong>n die Aktivierung <strong>de</strong>r Ausbildung von Gedächtnisstrukturen<br />

an. So erworbene und weitergebene Kenntnisse machen Sprache wie<br />

Musik zu gesellschaftlichen Erscheinungen. Aus <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>r Kenntnissysteme<br />

„geht die Verschie<strong>de</strong>nartigkeit <strong>de</strong>r Idiome hervor, während die genetisch verankerten<br />

Vorgaben ihre gemeinsamen Grundzüge bedingen.“ 138<br />

Bierwisch faßt also zusammen: Die für alle Sprachen gleichermaßen gültige Strukturprinzipien<br />

sind phylogenetisch entstan<strong>de</strong>n. Die individuellen Erfahrungen bestimmen die –<br />

ontogenetisch erworbene – einzelsprachliche Grammatik, welche die Zeichenstruktur <strong>de</strong>r<br />

einzelnen Äußerung <strong>de</strong>terminiert, damit sie in einer konkreten Situation – aktualgenetisch<br />

– artikuliert und verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n kann. Diese Stufen sind laut Bierwisch in <strong>de</strong>r Musik<br />

<strong>de</strong>shalb zu unterschei<strong>de</strong>n, wenn auch die Ausprägung einzelner Stufen an<strong>de</strong>rs ausfällt.<br />

In einer Nebenbemerkung äußert Bierwisch die Vermutung, daß exotische Musik mit höherer<br />

Wahrscheinlichkeit zu verstehen sei als exotische Sprache, wodurch für ihn die Annahme<br />

provoziert wird, daß Zusammenhänge in <strong>de</strong>r Musik wirksam sind, die nicht vorher<br />

erlernt wer<strong>de</strong>n müssen. Dieser Unterschied korrespondiert wahrscheinlich mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r<br />

Kenntnissysteme selber, weshalb „sprachliche Äußerungen aus einer Sprache in eine an<strong>de</strong>re<br />

übersetzbar sind, was in <strong>de</strong>r Musik keine Parallele hat.“ 139<br />

137 Bierwisch, S. 32<br />

138 Bierwisch, S. 33<br />

139 Bierwisch, S. 34


54<br />

3.2.8. ZEITMUSTER<br />

Linguistische Unversalien bestehen laut Bierwisch sowohl bei Musik wie auch bei Sprache<br />

aus mehreren Ebenen, die zueinan<strong>de</strong>r in systematischen Beziehungen stehen:<br />

(i) Inventar von Grun<strong>de</strong>inheiten / Elementen einer Ebene<br />

(ii) System von Verknüpfungs- / Transformationsoperationen für Komplexe<br />

(iii) System von Eigenschaften / Relationen zur Unterscheidung <strong>de</strong>r Ebenen<br />

Letztes als Dimensionen <strong>de</strong>r Komplexe verstan<strong>de</strong>n, ist bei Sprache vorrangig binär und bei<br />

Musik eher graduell geglie<strong>de</strong>rt. Die bei<strong>de</strong>n ersten Bereiche beziehen sich auf die Lautgebung<br />

in ihrer psychologischen Präposition.<br />

Nach Bierwisch korrespondiert zunächst die Glie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Zeitablaufs, also die Wertung<br />

<strong>de</strong>r Proportionen mit <strong>de</strong>n Zeitmustern an<strong>de</strong>rer organischer Abläufe. Auch Sprache habe in<br />

diesem Sinne Takt, jedoch ohne eigenständigen Charakter. Vielmehr spiele die Wortbildungskonvention<br />

eine zu große Rolle, als daß Zeitmuster ein Strukturaspekt <strong>de</strong>r Sprache<br />

sein könnten. Doch könne Rhythmus <strong>de</strong>n sprachlichen Äußerungen eine zusätzliche<br />

Struktur verleihen, nämlich die <strong>de</strong>r Poesie. In <strong>de</strong>rart metrisch gebun<strong>de</strong>ner Sprache wer<strong>de</strong>n<br />

– als eigener Co<strong>de</strong> – die Gewichtungen bestimmt nach diversen zeitlichen Regeln, „die<br />

sich auf sprachliche Einheiten beziehen, aber nicht zum sprachlichen Co<strong>de</strong> gehören.“ 140<br />

Eine zweite Möglichkeit, wie die Zeit auf sprachliche Äußerungen wirksam wer<strong>de</strong>n kann,<br />

sei <strong>de</strong>r Ausdruck <strong>de</strong>s allgemeinen Aktivitätszustan<strong>de</strong>s bzw. <strong>de</strong>s emotionalen Status mittels<br />

Sprechtempo. Musik strukturiere Zeit diffiziler, weil die hier eine dominante Rolle<br />

spielt. Feste Grundwerte seien exakt unterteilbar, aber auch kontinuierlich variabel. Durch<br />

Sequenzierung entstün<strong>de</strong>n Perio<strong>de</strong>n bzw. Takte, <strong>de</strong>ren Sequenzierung Rhythmen ergeben.<br />

Dazu merkt Bierwisch an, daß bei <strong>de</strong>r Synthese bei<strong>de</strong>r Lautgebungen im Gesang die<br />

sprachliche wie die musikalische Codierung miteinan<strong>de</strong>r interagiert, wobei die Musik <strong>de</strong>n<br />

Ausdruck <strong>de</strong>s emotionalen Status absorbiere und nach ihren Regeln organisiere. Ebenso<br />

erzeuge die Adaption musikalischer Codierung in rein sprachlichen Äußerungen Poesie.<br />

3.2.9. SEGMENTSTRUKTUREN<br />

Als eine zweite Strukturebene neben <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Zeitmusters nennt Bierwisch die <strong>de</strong>r Segmentstrukturen.<br />

Die Materie <strong>de</strong>r Zeitstrukturierung bestehe aus akustischen Möglichkeiten,<br />

welche in Elemente und Muster unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Generell unterliegen sie aber<br />

alle <strong>de</strong>n Bedingungen <strong>de</strong>r Materie: Schallerzeugung, -übertragung und -wahrnehmung.<br />

Grun<strong>de</strong>inheiten dieser Ebene sind für Bierwisch Segmente, welche als kleinste Merkmals-<br />

140 Bierwisch, S. 36


55<br />

träger jeweils i<strong>de</strong>ntifizierbar sind: die Buchstaben als sprachliche Elemente und die Noten<br />

als musikalische. In <strong>de</strong>r Musik bestehe eine starke Affinität zwischen diesen Segmenten<br />

und <strong>de</strong>n Grun<strong>de</strong>lementen <strong>de</strong>r Zeitstruktur, „weshalb Noten meist gleichzeitig das segmentale<br />

Merkmal <strong>de</strong>r Tonhöhe wie <strong>de</strong>n Stellenwert im Zeitmuster darstellen. In <strong>de</strong>r Sprache<br />

besteht diese Kopplung nicht.“ 141 Silben nämlich als metrische Grun<strong>de</strong>inheiten bestehen<br />

aus mehreren Segmenten: einem Vokal-Kern und nichtvokalischen Satelliten. Merkmale<br />

dieser Segmente sind die einzelnen Determinationen eines Signalereignisses: Töne, Laute,<br />

Geräusche, welche wie<strong>de</strong>rum zusammengesetzt sind aus Tonhöhe, Farbe, Artikulation<br />

usw. – auch bei Musik. „Je<strong>de</strong>s Segment wird durch seine Merkmale in verschie<strong>de</strong>ne Dimensionen<br />

eingeordnet und so zu an<strong>de</strong>ren Segmenten in Beziehung gesetzt. So gesehen<br />

sind die Segmente Knotenpunkte jeweils verschie<strong>de</strong>ner Dimensionen, […] die diese Eigenschaften<br />

auf die organisierten Plätze <strong>de</strong>r Zeitmuster verteilen.“ 142<br />

Die Merkmalsunterscheidung erfolge bei <strong>de</strong>r Sprache binär, auch wenn die Lautgebung –<br />

innerhalb enger Frequenz- und Lautstärkespektren – recht komplex ist. Während laut<br />

Bierwisch entwicklungsgeschichtlich bedingt die Sprachen durch die Wahrnehmungs- und<br />

Artikulationsmöglichkeiten beschränkt und gesetzmäßig strukturiert sind, gilt in Bezug<br />

auf <strong>de</strong>n „Ausschnitt, <strong>de</strong>r für musikalische Lautmuster zur Disposition steht, […] daß im<br />

Prinzip <strong>de</strong>r gesamte Bereich <strong>de</strong>s Frequenz- und Lautstärkespektrums in die musikalische<br />

Strukturbildung einbezogen wer<strong>de</strong>n kann.“ 143 Zu<strong>de</strong>m seien diese primären Distinktionen<br />

graduell geglie<strong>de</strong>rt und variabel statt binär, wodurch die Merkmalsanzahl <strong>de</strong>r Distinktionen<br />

größer sei als bei Sprachen, obwohl die Musik nicht so viele feste Dimensionen habe.<br />

Aus <strong>de</strong>n Segmenten wer<strong>de</strong>n laut Bierwisch generell Muster gebil<strong>de</strong>t: Laute – Silben – Wörter<br />

– Phrasen – Sätze gemäß speziellen phonologischen und syntaktischen Regeln, wobei<br />

letztere bereits eine neue Strukturebene bil<strong>de</strong>n. Das könne Musik nicht, weil sie kein Analogon<br />

zum Wort und <strong>de</strong>ssen Verknüpfungsbedingungen kennt – schon gar nicht das »Motiv«,<br />

weil es nicht jedwe<strong>de</strong>r musikalischen Äußerung zugrun<strong>de</strong> liege. Verschie<strong>de</strong>ne, aber<br />

auf einan<strong>de</strong>r bezogene Zusammenhänge können in <strong>de</strong>r Musik <strong>de</strong>nnoch hergestellt wer<strong>de</strong>n:<br />

per Tonhöhen als Melodie, per Lautstärkenuancierung und Akzentuierung, per Klangfarbe<br />

und Geräuschmerkmale. Schließlich kenne die Musik als Kombinationsmöglichkeit<br />

auch das Prinzip <strong>de</strong>r Gleichzeitigkeit, wonach mehrere simultane Segmentfolgen die<br />

Mehrstimmigkeit ergeben, welche als regelmäßige Beziehung <strong>de</strong>r Tonhöhen als Harmonik<br />

141 Bierwisch, S. 37<br />

142 Bierwisch, S. 38, bemerkt dazu: Formal kann in <strong>de</strong>r Musik wie in <strong>de</strong>r Sprache die Dauer ein Merkmal sein.<br />

Dann wäre das Bild aber zerstört.<br />

143 Bierwisch, S. 39


56<br />

organisiert wird 144 . Generell sind für Bierwisch also die Prinzipien <strong>de</strong>r musikalischen Lautmuster<br />

verschie<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r sprachlichen Lautmuster, was zumin<strong>de</strong>st seitens <strong>de</strong>r<br />

linguistischen Phonologie bereits verifizierbar gemacht wur<strong>de</strong>.<br />

3.2.10. CODIERUNGSFORMEN<br />

Die nach oben genannten Prinzipien möglichen Lautmuster bedürfen laut Bierwisch einer<br />

Be<strong>de</strong>utung, ehe sie als Zeichen fungieren können, weshalb ihre Form eine Codierung von<br />

Be<strong>de</strong>utungen sein müsse. Auch hierin unterschei<strong>de</strong>n sich Musik und Sprache, wie sich<br />

Codierungen überhaupt verschie<strong>de</strong>n realisieren lassen.<br />

Motivierte Codierung liegt <strong>de</strong>mnach vor, wenn die Be<strong>de</strong>utung B eines Zeichens Z aus <strong>de</strong>ssen<br />

Form F aufgrund eines Prinzips P abgeleitet wer<strong>de</strong>n kann, also eine Beziehung zwischen<br />

Form und Be<strong>de</strong>utung besteht. Das Gegenteil davon sind unmotivierte alias arbiträre<br />

Zeichen: Morsen, Flaggen, Ziffern etc. sind abgesprochene, also konventionelle Zeichen.<br />

Unterteilt man motivierte Zeichen nach ihren Prinzipien, so ergeben sich daraus in<strong>de</strong>xikalische<br />

und ikonische Zeichen, wovon erstere als Symptome <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung und letztere als<br />

Strukturähnlichkeiten begriffen wer<strong>de</strong>n. Die Gesamtheit <strong>de</strong>r Erfahrungen mit <strong>de</strong>n Kausalzusammenhängen<br />

zwischen Signal und Be<strong>de</strong>utung ist einerseits ein – nicht nur kommunikative<br />

Zeichen bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s – Motivierungsprinzip mit Auswirkung auf die extrakommunikative<br />

Wirkung W(n), während an<strong>de</strong>rerseits das Prinzip in <strong>de</strong>n Korrespon<strong>de</strong>nzen <strong>de</strong>r strukturellen<br />

Eigenschaften von Signal und Be<strong>de</strong>utung besteht – so Bierwisch. Onomatopoetische<br />

Wörter wie „Summen“ o<strong>de</strong>r „Quaken“ zählen hierunter. „Kuckuck“ in<strong>de</strong>s sei eine<br />

Mischform aus bei<strong>de</strong>n, insofern <strong>de</strong>ssen Lautstruktur ein ikonisches Zeichen ist, das selbst<br />

in<strong>de</strong>xikalisch motiviert ist.<br />

Analoge und digitale Codierung unterschei<strong>de</strong>n sich in<strong>de</strong>s laut Bierwisch darin, daß sie<br />

motiviert graduiert bzw. arbiträr diskret strukturiert ist, wobei analog auch kontinuierlich<br />

codiert sein kann. Unterschiedliche Codierungen müssen sich einan<strong>de</strong>r nicht ausschließen,<br />

Kombinationen seien gar häufig: in<strong>de</strong>xikalisch und ikonisch bei Sonnenuhren o<strong>de</strong>r<br />

motiviert und arbiträr bei Schriften mit verschie<strong>de</strong>ner Richtung o<strong>de</strong>r bei Noten. Aber auch<br />

das Nebeneinan<strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>ner Codierungen binnen eines Zeichensystems ist möglich,<br />

wie die römischen Zahlen belegen: I, II, III als ikonische und V, X, L als arbiträre Zeichen. 145<br />

144<br />

An dieser Stelle stellt sich für Bierwisch die Frage, ob es sich bei Akkor<strong>de</strong>n um nur ein Segment han<strong>de</strong>lt<br />

o<strong>de</strong>r um viele verknüpfte Segmente. Bierwisch fragt überhaupt, welche universelle Bedingungen <strong>de</strong>n Aufbau<br />

musikalischer Lautmuster begrenzen, welche Arten von Regeln in jeweils speziellen Musiksystemen<br />

ausgebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n können. vgl. Bierwisch, S. 41<br />

145 In solchen Fällen fragt Bierwisch, ob eine Codierung dominant bzw. wie die Unterordnung geregelt ist.


57<br />

Die Mannigfaltigkeit <strong>de</strong>r mittels eines Zeichensystems unterscheidbaren Be<strong>de</strong>utungen<br />

korreliert nach Bierwisch mit <strong>de</strong>r Vielfalt <strong>de</strong>r unterscheidbaren Formen <strong>de</strong>r Zeichen. Der<br />

Strukturfaktor habe also auch Auswirkung auf <strong>de</strong>n Be<strong>de</strong>utungsbereich, wie die Be<strong>de</strong>utungen<br />

die Zeichen bedingen. Während die Dimensionen motivierter Zeichen <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utungen<br />

entsprechen müssen, können arbiträre Zeichen Be<strong>de</strong>utungen beliebiger Komplexität<br />

erfassen, so „daß alles überhaupt Denkbare in <strong>de</strong>r natürlichen Sprache ausgedrückt<br />

wer<strong>de</strong>n kann […]. Der Preis liegt in <strong>de</strong>r Diskretheit <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utungen: Arbiträre Zeichen<br />

können keine kontinuierlichen Übergänge codieren, ohne ihnen zunächst ein Raster<br />

diskontinuierlicher Distinktionen aufzuprägen. Sie sind <strong>de</strong>shalb in einem ganz speziellen<br />

Sinn notwendigerweise abstrakt.“ 146 Während die Be<strong>de</strong>utungen konventioneller Zeichen<br />

erlernt wer<strong>de</strong>n müsse, seien motivierte Zeichen eigenevi<strong>de</strong>nt. In<strong>de</strong>s ist – so Bierwisch –<br />

hierbei lernnotwendig, auf welche Dimensionen motivierter Zeichen sich die Korrespon<strong>de</strong>nzen<br />

zwischen Form und Be<strong>de</strong>utung beziehen, da diese konventioneller Art sind, damit<br />

nicht je<strong>de</strong>s Zeichen, son<strong>de</strong>rn eine ganze Klasse beherrschbar wird. Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite<br />

müssen aber auch genuin arbiträre Systeme die Chance zur Erschließung neuer Inhalte<br />

bieten, wenn natürliche Sprachen in ihrer Individualität konventionell, aber in ihrem Repertoire<br />

nicht abgeschlossen sind. Bisher von Bierwisch unerwähnt blieb nämlich das<br />

Prinzip <strong>de</strong>r Syntax, „daß auch bei rein konventioneller Codierung durch das Mittel <strong>de</strong>r regelhaften<br />

Kombination Zeichen erzeugt wer<strong>de</strong>n können, <strong>de</strong>ren Be<strong>de</strong>utung nicht einzeln<br />

erlernt wer<strong>de</strong>n muß.“ 147 Zusammenfassend schreibt Bierwisch: Sprache ist prinzipiell ein<br />

arbiträres Zeichensystem mit diversen motivierten Elementen, weil sowohl die Grundzeichen<br />

wie die Kombinationsstrukturen konventionell sind. Musik kennt auch konventionelle<br />

Komponenten und Regeln, jedoch keine Grun<strong>de</strong>lemente o<strong>de</strong>r gar Möglichkeiten, neue<br />

Be<strong>de</strong>utungen per <strong>de</strong>finitionem einzuführen. Gelten universelle Regularien für alle Sprachen,<br />

wodurch sie übersetzbar sind, bleibt Musik in<strong>de</strong>s individuell. „Die Musik beruht als<br />

Zeichensystem auf <strong>de</strong>m Prinzip <strong>de</strong>r Analog-Codierung, wobei die Merkmalsdimensionen<br />

<strong>de</strong>r Zeichenformen auf bestimmte Weise <strong>de</strong>n Dimensionen <strong>de</strong>s Be<strong>de</strong>utungsbereichs zugeordnet<br />

sind. Diese Zuordnung ist teils ikonischer, teils in<strong>de</strong>xikalischer Natur und unterliegt<br />

konventionellen Eingrenzungen o<strong>de</strong>r Spezialisierungen.“ 148<br />

146 Bierwisch, S. 47<br />

147 Bierwisch, S. 48<br />

148 Bierwisch, S. 49


58<br />

3.2.11. LOGISCHE FORM ALS BEDEUTUNG SPRACHLICHER ZEICHEN<br />

Neben <strong>de</strong>n Zeit- und Segmentstrukturen existiert nach Bierwisch eine dritte Strukturebene<br />

<strong>de</strong>s Be<strong>de</strong>utungsbereiches, welcher bei Sprache durch kognitive Operationen – bei Musik<br />

durch emotionale Prozesse – konstituiert wird und auf <strong>de</strong>n strukturellen Aufbau <strong>de</strong>r Zeichensysteme<br />

zu beziehen sei, wofür es z.B. für Sprache einer logischen Form bedürfe.<br />

1. Innerhalb <strong>de</strong>r komplexen Gesamtheit kognitiver Vorgänge und Strukturen sei eine Verarbeitungsstufe<br />

<strong>de</strong>r Sinneseindrücke zentral, welche die Ebene <strong>de</strong>r begrifflichen Repräsentation<br />

bil<strong>de</strong>t, „in <strong>de</strong>r die Resultate kognitiver Prozesse sprachlich fixiert wer<strong>de</strong>n […].<br />

Auf sie beziehen sich logische Zusammenhänge und Operationen, durch die auf rein gedanklichem<br />

Weg neue Erkenntnisse gewonnen wer<strong>de</strong>n können.“ 149 Den Strukturen dieser<br />

Ebene wer<strong>de</strong> durch sprachliche Codierung eine zweite Repräsentation, die lautliche und<br />

grammatische Form zugeordnet, so daß sie zur logischen Form sprachlicher Zeichen wird.<br />

2. Die Proposition als eine wesentliche Kategorie dieser logischen Form ist „eine strukturierte<br />

Verbindung <strong>de</strong>r Repräsentationen von Dingen und Eigenschaften“ 150 alias Terme und<br />

Prädikate, welche zugleich auch Kategorien darstellen. Diese drei Kategorien greifen ineinan<strong>de</strong>r<br />

gemäß einem Elementarschema, so daß Sachverhalte von beliebiger komplexer<br />

Struktur repräsentiert wer<strong>de</strong>n könnten. Die Grun<strong>de</strong>lemente dieser Kombinatorik sind wie<strong>de</strong>rum<br />

– <strong>de</strong>r Lautstruktur ähnlich – in Dimensionen geordnet.<br />

3. „Eine Proposition ist <strong>de</strong>mnach in einem sehr abstrakten Sinn ein Abbild eines möglichen<br />

Sachverhalts [bzw.] eine komplizierte Anweisung, wie <strong>de</strong>r fragliche Sachverhalt zu<br />

i<strong>de</strong>ntifizieren ist. […] Der Propositionstyp gehört zur logischen Form, weil er die Art bestimmt,<br />

in <strong>de</strong>r eine Proposition sich auf einen Sachverhalt bezieht. Die darin beschlossene<br />

Möglichkeit, eine Sachverhaltsdarstellung verschie<strong>de</strong>ne Funktionen zu geben, ist für die<br />

Sprache wesentlich“ 151 .<br />

4. Die Struktur abstrakter Abbil<strong>de</strong>r von Sachverhalten sei sowohl durch die Sachverhalte<br />

selber (Ähnlichkeit) als auch durch die Form <strong>de</strong>r Verarbeitung <strong>de</strong>s Abzubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n (Abstraktion)<br />

bestimmt. So repräsentieren laut Bierwisch Propositionen verschie<strong>de</strong>nartige<br />

Sachverhalte unabhängig aller Dimensionen immer als logische Form, die sich unterschiedlich<br />

manifestieren könne. „Die uns interessieren<strong>de</strong> Manifestation ist die sprachliche<br />

Codierung, die die logische Form zur Be<strong>de</strong>utung sprachlicher Zeichen macht“ 152 . Teile von<br />

Propositionen fin<strong>de</strong>n sich <strong>de</strong>mnach jeweils in <strong>de</strong>n Grundzeichen, welche durch die formalgrammatischen<br />

Beziehungen verbun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n entsprechend <strong>de</strong>r logischen Struktur <strong>de</strong>r<br />

149 Bierwisch, S. 50<br />

150 Bierwisch, S. 50<br />

151 Bierwisch, S. 51<br />

152 Bierwisch, S. 52


59<br />

Propositionen, wobei diese Komplexbildung <strong>de</strong>r Dimensionslosigkeit <strong>de</strong>r Logik entsprechen<br />

müsse mittels arbiträrer, also konventioneller Codierung, wodurch die logische Form<br />

stets verhüllt begegne.<br />

3.2.12. GESTISCHE FORM ALS BEDEUTUNG <strong>MUSIK</strong>ALISCHER ZEICHEN<br />

Wie logische Formen zu kognitiven Vorgängen und Strukturen verhalte sich die gestische<br />

Form zur Gesamtheit <strong>de</strong>r emotionalen, affektiven und motivalen Zustän<strong>de</strong> und Prozesse.<br />

1. Zwar beruhen – so Bierwisch – kognitive und emotionale Abläufe auf unterschiedlichen<br />

organismischen Grundlagen, doch bil<strong>de</strong>n sie eine funktionale Einheit, in<strong>de</strong>m sie sich gegenseitig<br />

provozieren bzw. bedingen. „Die emotionale Einstellung macht <strong>de</strong>n Modus aus,<br />

in <strong>de</strong>m Informationen gesucht und verarbeitet wer<strong>de</strong>n.“ 153 Welche Verbindungen dabei<br />

entstehen, ergibt sich we<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r logischen Struktur <strong>de</strong>r Gedanken noch aus <strong>de</strong>m Charakter<br />

<strong>de</strong>r Emotionen.<br />

2. Die Orientierung <strong>de</strong>r kognitiven Vorgänge auf bestimmte Sachverhalte sei durch emotionale<br />

Faktoren als subjektive Einstellung organisiert. Organismusintern bestimmen sie<br />

<strong>de</strong>n Status und das Aktivitätsniveau. Organismusextern regulieren sie <strong>de</strong>n Emotionsausdruck,<br />

wofür artspezifische Muster etabliert seien, welche zwar lernabhängig modifiziert<br />

o<strong>de</strong>r unterdrückt wer<strong>de</strong>n könnten, doch aber generell zur intersubjektiven, sozialen Zugänglichkeit<br />

führen. „Auf diesem Ausdrucksaspekt beruht eine für Emotionen charakteristische<br />

Form <strong>de</strong>r Übermittlung, die als Übertragung o<strong>de</strong>r Ansteckung bezeichnet wird und<br />

von <strong>de</strong>r Kommunikation durch intendierten Zeichengebrauch zu unterschei<strong>de</strong>n ist.“ 154<br />

3. Somit ist für Bierwisch <strong>de</strong>r Weg frei für systematische Analysen und Beschreibungen:<br />

(a) Emotionsdifferenzierung: auf neurophysiologischer Grundlage lassen sich distinkte<br />

Grundfaktoren eruieren, die „als Dimensionen eines »emotionalen Raumes« […] jeweils<br />

kontinuierliche Ausprägungsstärken aufweisen können.“ 155<br />

(b) Wechselwirkung von Emotionen: fundamentale Emotionen sind in sich geglie<strong>de</strong>rt in<br />

eine neurale Grundlage, eine expressive Seite und einen variablen Erfahrungsinhalt,<br />

weswegen Emotionen sich in verschie<strong>de</strong>ner Weise bedingen o<strong>de</strong>r überlagern können.<br />

(c) emotionale Musterbildung: die komplexen Kombinationen und Übergänge von Grundkomponenten,<br />

welche sich in emotionalen Zustän<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Abläufen äußern, konstituieren<br />

die Glie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Vielfalt emotionaler Erscheinungen in emotionale Muster.<br />

153 Bierwisch, S. 53, verweist darauf, daß Simonov Emotion als Ergebnis <strong>de</strong>r Wechselwirkung von Bedürfnis<br />

und <strong>de</strong>r für die Zielerreichung nötigen Information <strong>de</strong>finiert.<br />

154 Bierwisch, S. 54<br />

155 Bierwisch, S. 54


60<br />

Musikalische Codierung bezieht sich also – so Bierwisch – auf <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Emotionen,<br />

„in<strong>de</strong>m sie einen Aspekt fixiert, <strong>de</strong>r als gestische Form zur Be<strong>de</strong>utung musikalischer Zeichen<br />

wird – so wie die logische Form <strong>de</strong>n sprachlich codierbaren Aspekt kognitiver Prozesse<br />

darstellt. Die gestische Form hat damit [auch] zwei Bezüge“ 156 , nämlich als »Aspekt«<br />

zu emotionalen Prozessen sowie als »Be<strong>de</strong>utung« zu einem Typ von Zeichen. Der Proposition<br />

entsprechend sei <strong>de</strong>r Gestus die zentrale Kategorie <strong>de</strong>r gestische Form. Der Gestus<br />

als Struktur eines kohärenten emotionalen Musters „ist gewissermaßen <strong>de</strong>r emotionale<br />

Sinn eines Komplexes physiologischer Zustän<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r Prozesse, […] <strong>de</strong>r strukturell i<strong>de</strong>ntifizierbare<br />

Aspekt eines solchen Komplexes.“ 157 Dies erläutert Bierwisch näher:<br />

1. Der Gestus sei prinzipiell zeitlicher Natur im Gegensatz zur Proposition, weil er selbst<br />

ein zeitlich strukturiertes Gebil<strong>de</strong> sei und als solches nie zeitlose Permanenz haben kann.<br />

„Die gestische Form muß genau die Dimensionen aufweisen, innerhalb <strong>de</strong>ren emotionale<br />

Muster strukturiert sein können.“ 158 2. Der Proposition ähnlich könne ein Gestus in sich<br />

geglie<strong>de</strong>rt bzw. mittels diverser »ineinan<strong>de</strong>r eingebetteter« Gesten – jedoch in <strong>de</strong>r Dimension<br />

<strong>de</strong>r Zeit – arrangiert sein. Demnach seien Propositionen logisch, Gesten hingegen<br />

zeitlich verknüpft. 3. Als Grundprinzip für die Etablierung <strong>de</strong>r gestischen Form als Be<strong>de</strong>utung<br />

musikalischer Zeichen fungiere das Prinzip <strong>de</strong>r Analogcodierung mit teils diskreter,<br />

teils kontinuierlicher Codierung <strong>de</strong>r Ausprägungsgra<strong>de</strong>, wobei Bierwisch sich fragt, ob<br />

relative Intensität, emotionale Bewegung in Tonhöhen usw. systematisch zu analysieren<br />

seien. 4. „Die Motivationsbasis für die skizzierte Analogcodierung ist vornehmlich in<strong>de</strong>xikalischer<br />

Natur, schließt aber ikonische Faktoren ein.“ 159 Zu<strong>de</strong>m trete hierbei W(n) zu Tage:<br />

„Rasche Bewegung in musikalischen Lautmustern ist nicht nur Symptom etwa von<br />

Erregtheit und ikonische Repräsentation ihrer physischen Effekte, sie löst auch unwillkürlich<br />

Erregtheit aus. […] Allerdings ist auch diese elementare Motivierungsform bestimmten<br />

konventionellen Rahmensetzungen und damit gewissen lernabhängigen Eingrenzungen<br />

unterworfen.“ 160 5. Maßgeblich für die Beziehung zwischen <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung musikalischer<br />

Zeichen und außermusikalischen Faktoren sei, daß <strong>de</strong>r musikalisch codierte Gestus in<br />

Bezug steht zu einem variablen, aber nicht beliebigen Erfahrungsinhalt kognitiver Natur.<br />

So ließe ein Text mehrere adäquate Vertonungen zu, wenn auch nicht je<strong>de</strong>. „Einer musikalischen<br />

Gestalt entspricht nicht ein einzelnes kognitives Korrelat, son<strong>de</strong>rn eine Klasse Korrelate<br />

kognitiver Natur.“ 161 Die Form eines musikalischen Zeichens entspricht <strong>de</strong>mnach<br />

156<br />

Bierwisch, S. 55<br />

157<br />

Bierwisch, S. 55<br />

158 Bierwisch, S. 56<br />

159 Bierwisch, S. 56<br />

160 Bierwisch, S. 57<br />

161 Bierwisch, S. 57


61<br />

laut Bierwisch <strong>de</strong>r Codierung eines Gestus, <strong>de</strong>ssen Struktur die eines emotionalen Musters<br />

ist, welches <strong>de</strong>n Konnex zu einem variablen Erfahrungsinhalt darstellt. Entsprechend<br />

<strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Stufen kognitiver Repräsentation könne laut Bierwisch die Musik auf<br />

Sprache bezogen wer<strong>de</strong>n, da im Falle (a), daß <strong>de</strong>r kognitive Bezug fixiert sei, bei<strong>de</strong> durch<br />

ein Signalereignis realisiert wer<strong>de</strong>n könnten (Lied) 162 , im Falle (b), daß <strong>de</strong>r kognitive Bezug<br />

nicht sprachlich fixiert, aber i<strong>de</strong>ntifizierbar sei, die Musik parallele bzw. verweisen<strong>de</strong><br />

Funktion übernehmen könnte (Film- bzw. Programmusik), und im Falle (c), daß <strong>de</strong>r kognitive<br />

Bezug nicht auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r logischen Form repräsentiert wür<strong>de</strong>n, die Musik mit <strong>de</strong>r<br />

allgemeinen Einstellung korrespondiere. „Musikalische Zeichen haben stets eine inhärente<br />

Affinität zu begrifflichen o<strong>de</strong>r Vorstellungsstrukturen.“ 163<br />

3.2.13. SAGEN <strong>UND</strong> ZEIGEN<br />

Sagen be<strong>de</strong>utet für Bierwisch einen Kommunikationsakt in drei Stufen: zunächst einen<br />

Sachverhalt benennen, ihn dann i<strong>de</strong>ntifizieren und schließlich beschreiben. „Etwas sagen<br />

heißt <strong>de</strong>mnach, ein sprachliches Zeichen äußern, <strong>de</strong>ssen Be<strong>de</strong>utung eine Proposition ist<br />

und das durch seinen Propositionstyp die Geltungsart <strong>de</strong>s Gesagten bestimmt.“ 164<br />

Zeigen be<strong>de</strong>utet für Bierwisch, daß in einem Schritt entwe<strong>de</strong>r ein Gegenstand als Objekt<br />

o<strong>de</strong>r ein Vorgang als Darstellung gezeigt wird, wobei Strukturgemeinsamkeiten aufgezeigt<br />

wür<strong>de</strong>n, da sonst keine Mitteilung zustan<strong>de</strong> käme, so daß es eines analogen, also strukturell<br />

motivierten Co<strong>de</strong>s bedarf. Wenn aber Zeigen auf »Wahrnehmung« beruht, kann nach<br />

Bierwisch auch akustisch etwas gezeigt wer<strong>de</strong>n. „Musikalische Zeichen zeigen die in ihnen<br />

codierte gestische Form, sie machen emotionale Muster wahrnehmbar, in<strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>ren<br />

gestische Struktur zeigen. […] Die Sprache sagt, die Musik zeigt, was sie mitteilt.“ 165<br />

Anschließend kommentiert Bierwisch diese Feststellung:<br />

1. Zwischen bei<strong>de</strong>n Polen liege ein Spektrum von Übergangsformen <strong>de</strong>r Konventionalität.<br />

2. „In je<strong>de</strong>m konventionellen Zeichensystem ist eine zeigen<strong>de</strong> Basis enthalten.“ 166 Diese<br />

Voraussetzung für Konventionalität sei nötig, weil die Beziehung zwischen differenzierten<br />

Gegenstän<strong>de</strong>n und abstrakten Be<strong>de</strong>utungen stets strukturell motiviert sei. 167<br />

162 Hierzu merkt Bierwisch an, daß Musik und Text die Defizite <strong>de</strong>s jeweils an<strong>de</strong>ren zur Bindung aller Merkmale<br />

<strong>de</strong>s Signals nutzten.<br />

163<br />

Bierwisch, S. 58<br />

164<br />

Bierwisch, S. 59<br />

165 Bierwisch, S. 59f.<br />

166 Bierwisch, S. 60<br />

167 Hierzu verweist Bierwisch auf Wittgensteins „I<strong>de</strong>alsprache“, wo die logische Form direkt in <strong>de</strong>r Zeichengestalt<br />

– ohne Proposition – enthalten, also Sagen und Zeigen vereint sei.


62<br />

3. Musik kann zeigen, was Sprache nicht sagen kann, wie ein Bild abbil<strong>de</strong>t statt beschreibt,<br />

weil Sprache logisch reduziert sei, damit sie alles mitteilen kann.<br />

4. Eine gedankliche Vergegenwärtigung eines Sachverhaltes durch Sagen ist weit weniger<br />

real als eine sinnliche Vergegenwärtigung durch Zeigen, weil hierbei ihr Zeitaspekt berücksichtigt<br />

wur<strong>de</strong>, wodurch die Wirkung W(n) insgesamt wichtig sei.<br />

5. Damit ist nach Bierwisch die ästhetische Dimension beschrieben als <strong>de</strong>r »Als-ob-<br />

Charakter« einer Mitteilung, wobei dieser nur »stellvertretend« zu verstehen sei 168 .<br />

6. Sind Be<strong>de</strong>utung und Form bei Sprache konventionell bezogen, so ist Musik strukturanalog<br />

laut Bierwisch, <strong>de</strong>r davon in<strong>de</strong>s die Auswahl <strong>de</strong>r Bereiche von Gesten und Rahmen <strong>de</strong>r<br />

Codierungsmittel ausnimmt. Daher sei Logik hierbei unnötig und Semantik nur an gestischen<br />

Strukturen möglich anstatt als Relation zur Logik, weshalb Übersetzungen generell<br />

in Musik ausgeschlossen seien.<br />

7. Da bei Musik Be<strong>de</strong>utung und Form strukturell isomorph sei, könne ihre »Logik« nicht<br />

nur ohne „Begriff und Urteil sein, son<strong>de</strong>rn sie ist […] die Logik <strong>de</strong>r musikalischen Form<br />

selbst.“ 169<br />

3.2.14. SYNTAX<br />

Grundlage für komplexe Zeichen-, also für die syntaktische Strukturbildung ist laut Bierwisch<br />

die organismische Fähigkeit zur Kombinatorik, wie sie bereits bei <strong>de</strong>n besprochenen<br />

Strukturebenen jeweils als Verknüpfungsprinzip erwähnt wur<strong>de</strong>. Zur eigentlichen Syntax<br />

zählen in<strong>de</strong>s „solche Verknüpfungsoperatoren, die <strong>de</strong>n Be<strong>de</strong>utungszusammenhang in <strong>de</strong>n<br />

resultieren<strong>de</strong>n komplexen Einheiten <strong>de</strong>terminieren.“ 170 Dazu eine logische Ableitung:<br />

So: „[Der Komplex] K hat bezüglich <strong>de</strong>r Einheiten E(1), E(2), …, E(n) die Struktur R dann<br />

und nur dann, wenn die E(i) (für i = 1,2, …, n) Teile von K sind und K durch die E(i) und R<br />

vollständig <strong>de</strong>terminiert ist.“ 171 Als Beispiele dienen Wortformen und Töne eines Themas.<br />

S1: „R ist die syntaktische Struktur von K bezüglich A, wenn A die Gesamtheit <strong>de</strong>r Eigenschaften<br />

von K ist, die durch R auf Grund entsprechen<strong>de</strong>r Eigenschaften A(i) <strong>de</strong>r Bestandteile<br />

E(i) von K <strong>de</strong>terminiert wird.“ 172 Wörter können <strong>de</strong>mnach zu Sätzen verknüpft wer<strong>de</strong>n.<br />

168<br />

Bierwisch ver<strong>de</strong>utlicht dies, daß, wenn akustische Signale die Stellvertretercharakteristik verlieren, sie<br />

nicht ästhetisch seien, an <strong>de</strong>m Beispiel <strong>de</strong>s Weckrufs.<br />

169 Bierwisch, S. 64<br />

170 Bierwisch, S. 65<br />

171 Bierwisch, S. 66<br />

172 Bierwisch, S. 66


63<br />

S2: „Ein komplexes Gebil<strong>de</strong> K ist hierarchisch strukturiert, wenn min<strong>de</strong>stens eins seiner<br />

Teile ein Komplex K’ ist, so daß die Struktur R’ von K’ Teil <strong>de</strong>r umfassen<strong>de</strong>n Struktur R von<br />

K ist.“ 173 Phrasen innerhalb von Sätzen bil<strong>de</strong>n zusammen eine Struktur.<br />

K(1) K(2) K(3)<br />

K(4)<br />

K(5)<br />

K(6)<br />

S3: „Ein komplexes Gebil<strong>de</strong> K ist linear bezüglich [<strong>de</strong>s Linearitätprinzips] D, wenn die<br />

durch die Struktur R verknüpften Teile von K in bezug auf D geordnet sind.“ 174<br />

Daraus ergebe sich eine Differenz zwischen Sprache und Musik, obwohl jeweils zwar Netzo<strong>de</strong>r<br />

Baumstrukturen (S2) nachweisbar sind, aber auf <strong>de</strong>r Zeitachse (S3) einerseits im<br />

Falle Sprache nur ein Element in einem Intervall auf D projiziert wer<strong>de</strong>n kann, aber an<strong>de</strong>rerseits<br />

im Falle Musik mehrere. Deutlicher wür<strong>de</strong>n die Unterschie<strong>de</strong> zwischen Sagen und<br />

Zeigen und ihren Codierungsarten, wenn man nach <strong>de</strong>r unteren Grenze (Elementareinheiten;<br />

Wort bei Sprache) bzw. <strong>de</strong>r oberen Grenze (Text) bzw. nach <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utungsintegration<br />

<strong>de</strong>r Relationsgefüge fragt.<br />

3.2.15. ZEICHEN <strong>UND</strong> TEXT<br />

Auf Musik wie Sprache trifft laut Bierwisch <strong>de</strong>r Satz zu, die Summe sei mehr als die Einzelteile.<br />

Die Möglichkeit bei<strong>de</strong>r zu immer größerer Komplexbildung per Linearisierung und<br />

Hierarchisierung stoße jedoch an Grenzen, da innersprachliche Regeln wie die Grammatik<br />

Textbildung nämlich nicht einschließen. Statt <strong>de</strong>ssen seien Prinzipien anzunehmen, „die<br />

universell für alle Sprachen gelten, aber <strong>de</strong>shalb nicht weniger die syntaktische Strukturbildung<br />

<strong>de</strong>terminieren als die einzelsprachlichen Regeln, die innerhalb <strong>de</strong>s Satzes gelten.<br />

[…] Die Form eines Satzes legt seine Be<strong>de</strong>utung fest, nicht aber seine volle, sinngemäße<br />

Einordnung in <strong>de</strong>n Kontext.“ 175 Für Musik dagegen müsse man keine Regeln lernen, welche<br />

einer Grammatik entsprächen, nach <strong>de</strong>nen die Teile eines Musikstückes verknüpft<br />

sind. Doch auch wenn Musik keine Sätze in <strong>de</strong>r oben genannten Form kennt, so sei sie auf<br />

die Beziehungen im Ablauf <strong>de</strong>r gezeigten gestischen Strukturen verwiesen. Weil die artikulierten<br />

gestischen Strukturen – so Bierwisch – die Be<strong>de</strong>utung musikalischer Zeichen<br />

konstituieren, sei die I<strong>de</strong>ntifizierung <strong>de</strong>rartiger Beziehungen als Sinn zugleich ein kognitiver<br />

Prozeß. „In <strong>de</strong>r Sprache ist die Geltung <strong>de</strong>r Funktionalität <strong>de</strong>r Syntax in Länge und Tie-<br />

173 Bierwisch, S. 67<br />

174 Bierwisch, S. 68<br />

175 Bierwisch, S. 71


64<br />

fe begrenzt, in <strong>de</strong>r Musik nur in <strong>de</strong>r Tiefe. Die hinter <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung liegen<strong>de</strong>n Sinnzusammenhänge<br />

sind in <strong>de</strong>r Sprache die kontextuellen und allgemeinen Sachbezüge, in die<br />

Propositionen eingeordnet wer<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>r Musik sind es die Bezüge und Prozesse, in die<br />

die gestischen Strukturen integriert wer<strong>de</strong>n.“ 176<br />

3.2.16. MOTIVIERTE <strong>UND</strong> KONVENTIONELLE SYNTAKTISCHE STRUKTUREN<br />

Der Charakter eines Codierungssystems wirke sich in <strong>de</strong>ssen Syntax aus. Der Morse-Co<strong>de</strong><br />

und die Zifferdarstellung <strong>de</strong>r Zahlen belegen laut Bierwisch, daß sowohl analoge wie konventionelle<br />

Interpretation mit <strong>de</strong>r gleichen formalen, nämlich linearen Verknüpfung <strong>de</strong>r<br />

Grundzeichen (S1) verbun<strong>de</strong>n sein könne. Parallel verhalte es sich bei hierarchischen<br />

Strukturen (S2) wie Musik und Sprache, <strong>de</strong>ren Syntax einerseits analog an<strong>de</strong>rerseits konventionell<br />

interpretiert wird. Bei Musik sind hinsichtlich <strong>de</strong>r Art, wie syntaktische Strukturen<br />

die Be<strong>de</strong>utungen <strong>de</strong>r komplexen Zeichen organisieren, zwei Prinzipien zu erkennen:<br />

„(R1) Glie<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>r Form musikalischer Zeichen entsprechen gleichen Glie<strong>de</strong>rungen<br />

in <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung. (R2) Der Zeitstruktur <strong>de</strong>r Form musikalischer Zeichen entspricht die<br />

Zeitstruktur ihrer Be<strong>de</strong>utung.“ 177<br />

Mit (R1) wird das Hierarchieprinzip (S2) und mit (R2) das Linearprinzip (S1) interpretiert.<br />

Kompositionstechniken seien das in<strong>de</strong>s nicht, son<strong>de</strong>rn lediglich Aussagen über die Verbindungen<br />

von komplexen Strukturen mit ihren Inhalten. Bei Sprache hingegen <strong>de</strong>terminieren<br />

nach Bierwisch konventionell entstan<strong>de</strong>ne Regeln die Be<strong>de</strong>utung – ohne Analogprinzipien<br />

wie (R1) und (R2). Zu<strong>de</strong>m seien die Verbindungen bei Sprache mit unterschiedlichen<br />

Funktionen versehen, je nach <strong>de</strong>m, welche Einheiten sie verknüpfen, so „daß syntaktische<br />

Strukturen in <strong>de</strong>r Sprache die Be<strong>de</strong>utung in sehr viel differenzierter Weise <strong>de</strong>terminieren<br />

als dies die Prinzipien (R1) und (R2) in <strong>de</strong>r Musik tun.“ 178 Das Kategoriensystem,<br />

wodurch alle elementaren und komplexen Zeichen <strong>de</strong>r Sprache klassifiziert wür<strong>de</strong>n,<br />

lege die unterschiedlichen Umgangsweisen vor, wobei jene Regeln für <strong>de</strong>n formalen Aufbau<br />

komplexer Zeichen nicht i<strong>de</strong>ntisch seien mit <strong>de</strong>n Prinzipien <strong>de</strong>r inhaltlichen Determination<br />

<strong>de</strong>r Zeichen. Darin sind sich Sprache und Musik wie<strong>de</strong>r einig, so Bierwisch. Nur sei<br />

bei Sprache die Funktion <strong>de</strong>s formalen Aufbaus komplexer Zeichen für <strong>de</strong>ren Be<strong>de</strong>utung<br />

nicht analog motiviert, son<strong>de</strong>rn maßgeblich konventionsbedingt. Demnach ergibt sich für<br />

Bierwisch folgen<strong>de</strong>r Rahmen be<strong>de</strong>utungsorganisieren<strong>de</strong>r Syntax:<br />

176 Bierwisch, S. 73<br />

177 Bierwisch, S. 74<br />

178 Bierwisch, S. 75


65<br />

„Erstens: Je<strong>de</strong> Grammatik und je<strong>de</strong>r musikalische Co<strong>de</strong> enthält ein System von Regeln zur Bildung<br />

komplexer Zeichenformen. Diese Regeln sind Verknüpfungsoperationen, die linear geordnete, hierarchisch<br />

geglie<strong>de</strong>rte Strukturen erzeugen, o<strong>de</strong>r Transformationen, die solche Strukturen modifizieren.<br />

Die Klasse <strong>de</strong>r Operationen, die für solche Regeln genutzt wer<strong>de</strong>n, ist für Musik und Sprache<br />

sehr unterschiedlich. (Für Sprache gibt es Ansätze zu ihrer systematischen Bestimmung [vgl.<br />

Chomsky, 1965], für Musik steht ein solcher Versuch noch aus.) […]<br />

Zweitens: Die so erzeugten strukturellen Beziehungen <strong>de</strong>terminieren die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r resultieren<strong>de</strong>n<br />

komplexen Zeichen. […] Für die Musik ergibt sich aus (R1) und (R2) die Isomorphie <strong>de</strong>r formalen<br />

und <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utungsstruktur, die Sprache dagegen ist durch eine charakteristische Strukturverschie<strong>de</strong>nheit<br />

von Form und Be<strong>de</strong>utung gekennzeichnet.“<br />

Drittens: […] das durch (R1) und (R2) umschriebene Verfahren <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utungs<strong>de</strong>termination erstreckt<br />

sich in <strong>de</strong>r Musik allemal auf <strong>de</strong>n gesamten zusammenhängen<strong>de</strong>n »Text«, die Be<strong>de</strong>utungs<strong>de</strong>termination<br />

<strong>de</strong>r Sprache dagegen nur auf die Sätze. Deren lineare Abfolge hat keinen syntaktischen<br />

Charakter im Sinn <strong>de</strong>r Bedingung (S1) mehr. Zusammenhänge zwischen Sätzen wer<strong>de</strong>n nicht<br />

als Be<strong>de</strong>utungs-, son<strong>de</strong>rn als Sinnbezüge […] konstituiert.“ 179<br />

3.2.17. ELEMENTARZEICHEN<br />

„Grund- o<strong>de</strong>r Elementarzeichen sind die kleinsten Zeichen, in die die komplexen Zeichen<br />

eines gegebenen Co<strong>de</strong>s zerlegt wer<strong>de</strong>n können. Die Syntax baut auf ihnen auf und gibt<br />

ihnen damit ihren speziellen Charakter.“ 180 In logischer Ableitung führt Bierwisch aus:<br />

(Z) ist ein Elementarzeichen eines Co<strong>de</strong>s C genau dann, wenn es ein geordnetes Paar Z =<br />

(F,B) gibt mit F als akustische Merkmalsstruktur, die festlegt, was Z gemäß C zum Aufbau<br />

komplexer Zeichen beiträgt, und mit B, das festlegt, was Z gemäß C zur Be<strong>de</strong>utung komplexer<br />

Zeichen beiträgt. F gehört einer syntaktischen Kategorie k an, welche die Verknüpfungsmöglichkeiten<br />

von Z in C <strong>de</strong>terminiert, und B gehört einer semantischen Kategorie t<br />

an, welche die Verbindungsmöglichkeiten von Z in C <strong>de</strong>terminiert. Z ist nicht nach Regeln<br />

von C aus an<strong>de</strong>ren Zeichen aufgebaut. Für Sprache sind <strong>de</strong>mnach Z die lexikalischen Einheiten,<br />

also die Wörter eines Lexikons. Bei Musik verdunkle die Isomorphie zwischen F<br />

und B die I<strong>de</strong>ntifizierung solcher Einheiten, zumal stets neue Z gebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n könnten,<br />

so daß ein abgeschlossenes »Lexikon« nicht vorliegt, obschon die Kombinatorik nicht unbegrenzt<br />

sei. Insofern »lernt« man laut Bierwisch mit einem neuen Musikstück <strong>de</strong>ssen<br />

Grun<strong>de</strong>lemente, nicht aber <strong>de</strong>ren Be<strong>de</strong>utung, son<strong>de</strong>rn sie „muß aus <strong>de</strong>r Kombination <strong>de</strong>r<br />

Merkmale und Segmente hervorgehen, aus <strong>de</strong>nen ihre Form aufgebaut ist.“ 181 Somit fehle<br />

<strong>de</strong>r Musik sowohl eine Grenze nach oben als auch nach unten, wenn nicht die Merkmale<br />

179 Bierwisch, S. 76f.<br />

180 Bierwisch, S. 77<br />

181 Bierwisch, S. 79


66<br />

<strong>de</strong>r Laut- und Zeitstruktur als eigentliche Elementarzeichen gelten, die aber keinerlei Be<strong>de</strong>utung<br />

an sich haben.<br />

Daher formuliert Bierwisch die These: „Je<strong>de</strong> musikalische Struktur muß minimale Merkmalskonfigurationen<br />

enthalten, die als solche eine gestische Be<strong>de</strong>utung haben.“ 182 Jedoch<br />

die Kriterien für die I<strong>de</strong>ntifizierung <strong>de</strong>r Grundkonfigurationen seien schwer zu bestimmen.<br />

Neben rhythmischen Mustern können z.B. auch Intervallfolgen »Motive« markieren, die<br />

wie<strong>de</strong>rum diverse Segmentkonstellationen eingehen, wobei für Musik keine »lückenlose«<br />

Struktur erfor<strong>de</strong>rlich ist, son<strong>de</strong>rn die Motive können mit Nichtmotiven größere Zeichen<br />

bil<strong>de</strong>n. Gestische Be<strong>de</strong>utung trete also auch da zu Tage, wo »angelagerte« Merkmale und<br />

Segmente nach <strong>de</strong>m Analogieprinzip komplexe Zeichen ergeben, so daß die Grenze nach<br />

unten zwar offen ist, sich aber nicht in <strong>de</strong>n akustischen Merkmalen auflöst. Wie bei Sprache<br />

Morpheme die Be<strong>de</strong>utungsträger 183 sind, die durch »be<strong>de</strong>utungsrelevante« Zusätze<br />

(Nicht-Stamm-Morpheme) modifiziert wer<strong>de</strong>n, könne man bei Musik die »Motive« von<br />

ihren Zusätzen unterschei<strong>de</strong>n. Doch gebe es in <strong>de</strong>r Sprache keine »nicht-morphemische«<br />

Merkmale und Segmente. Motive können nach Bierwisch in<strong>de</strong>s Verbindungen mit Nicht-<br />

Motiven eingehen gemäß <strong>de</strong>r Analogieprinzipien (R1) und (R2), wodurch sie aber keine<br />

Grundzeichen im engeren Sinne mehr sind. Insofern sei die musikalische Syntax – auf <strong>de</strong>n<br />

ganzen »Text« wie auf die Elementarzeichen bezogen – offen.<br />

Aus <strong>de</strong>n Ausführungen leitet Bierwisch folgen<strong>de</strong> Konsequenzen ab:<br />

1. Die Be<strong>de</strong>utungszuordnungen unterschei<strong>de</strong>n musikalische von sprachlichen Zeichen. 184<br />

2. Außermusikalische Be<strong>de</strong>utungen konventionalisierter Signale stammen aus einem an<strong>de</strong>ren<br />

Codierungszusammenhang und seien daher mit musikalischer Syntax nicht zu erfassen.<br />

„Musikalisch funktionieren sie zunächst auf Grund ihrer »vorkonventionellen«<br />

Be<strong>de</strong>utung. [Die] außermusikalischen Be<strong>de</strong>utungen, die auf die eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Weise<br />

mit musikalischen Zeichen verbun<strong>de</strong>n sind, [können] in <strong>de</strong>n Sinnzusammenhang eingehen,<br />

<strong>de</strong>r durch die Be<strong>de</strong>utung in jenem zweiten Verstehensschritt erzeugt wird.“ 185<br />

3. Die Be<strong>de</strong>utungen von musikalischen Grundzeichen mit einem fast individualisiert gezeigtem<br />

Gestus machen von dieser I<strong>de</strong>ntität Gebrauch und haben damit etwas mit <strong>de</strong>n<br />

Namen gemeinsam. Zeigen musikalische Zeichen stets <strong>de</strong>n gleichen Gestus, so haben sie<br />

teils eine größere Konstanz als Sprache. Sie benennen aber nichts, son<strong>de</strong>rn haben es zum<br />

Inhalt. „Die Art, in <strong>de</strong>r sprachliche und musikalische Grundzeichen ihre Be<strong>de</strong>utung erhal-<br />

182 Bierwisch, S. 80<br />

183 Ein Nachtrag Bierwischs: Morphologische Strukturen sind bisher konsequent ausgeklammert gewesen.<br />

184 Hier wi<strong>de</strong>rspricht Bierwisch ausdrücklich <strong>de</strong>r Annahme Kneplers, »Konstantisierung« unterschei<strong>de</strong> bei<strong>de</strong>.<br />

185 Bierwisch, S. 83


67<br />

ten und sie zur Be<strong>de</strong>utung komplexer Zeichen zusammenfügen, ist <strong>de</strong>r kardinale Unterschied<br />

in <strong>de</strong>r Funktionsweise von Sprache und Musik [, …] zwischen Sagen und Zeigen.“ 186<br />

3.2.18. CODA<br />

Die angeboten Überlegungen – als eine »Art vergleichen<strong>de</strong>r funktionaler Anatomie von<br />

Sprache und Musik« verstan<strong>de</strong>n – kennzeichneten Grenzen und Konturen statt Inhalte,<br />

weil einerseits abstrakt Funktionsprinzipien, nämlich jeweils die Determinationsgefüge<br />

dargestellt wur<strong>de</strong>n, auch wenn äußere Parameter o<strong>de</strong>r Verbindung bei <strong>de</strong>r Verwendung<br />

von Musik und Sprache unberücksichtigt blieben, und dies an<strong>de</strong>rerseits abstrakt und generalisierend<br />

geschah in verschie<strong>de</strong>nen Stufen von Allgemeinheit. Die begriffliche Analyse<br />

<strong>de</strong>r Konzepte Kommunikation und Zeichensystem sei die abgehobenste Ebene und bil<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>n Hintergrund für Sprache und Musik. Darauf fuße die begriffliche Bestimmung verschie<strong>de</strong>ner<br />

Typen von Zeichensystemen (Medium, Be<strong>de</strong>utungen, Codierung) mit <strong>de</strong>r Markierung<br />

sagen<strong>de</strong>r und zeigen<strong>de</strong>r Funktionen. Darauf bauen die Darstellungen auf, die „die<br />

universellen, aber empirisch bedingten Gegebenheiten <strong>de</strong>r natürlichen Sprache und Musik“<br />

187 (Merkmale, Strukturen) beinhalten. Keinesfalls ernsthaft betreten wur<strong>de</strong> die Stufe<br />

„<strong>de</strong>r Charakterisierung <strong>de</strong>r Elemente und Regeln einer einzelnen natürlichen Sprache, eines<br />

speziellen musikalischen Co<strong>de</strong>s. […] Erst die fünfte Stufe schließlich betrifft die Struktur<br />

einzelner sprachlicher und musikalischer Gebil<strong>de</strong>, mit <strong>de</strong>nen Philologen und Musikhistoriker<br />

primär befaßt sind.“ 188 Sei auf Seiten <strong>de</strong>r Linguistik diese Methodik <strong>de</strong>r Abstraktion<br />

bereits etabliert, stün<strong>de</strong> für die Musikwissenschaft die Herleitung <strong>de</strong>r Einzelerscheinungen<br />

aus allgemeinen Gesetzmäßigkeiten noch aus, weil für eine systematische Analyse<br />

das Instrumentarium empirisch-diagnostischer Konzepte fehlt, um zu klären, „was z.B.<br />

die Min<strong>de</strong>stmerkmale eines Motivs sind, welchen Verknüpfungsoperationen es unterliegen<br />

kann, welchen Charakter welche Verän<strong>de</strong>rung hat.“ 189 Dazu bedürfe es außer<strong>de</strong>m geeigneter<br />

Systeme theoretischer Begriffe und Strukturen, um „auch rational zu präzisieren,<br />

was die viel<strong>de</strong>utige Re<strong>de</strong> vom »musikalischen Material« besagt.“ 190 Überdies fehle die<br />

Charakterisierung musikalischer Universalien, um die Regeln und Einheiten konkreter,<br />

historisch bedingter Co<strong>de</strong>s zu beschreiben (Verknüpfungs- o<strong>de</strong>r Transformationsoperatoren).<br />

„An Hand eines gesicherten Verständnisses <strong>de</strong>r so umschriebenen strukturellen und<br />

funktionalen Aspekte <strong>de</strong>r Musik sind auch die folgen<strong>de</strong>n Probleme, die weit stärker das<br />

186<br />

Bierwisch, S. 84<br />

187 Bierwisch, S. 86<br />

188 Bierwisch, S. 87<br />

189 Bierwisch, S. 89<br />

190 Bierwisch, S. 89


68<br />

Interesse <strong>de</strong>r Musikwissenschaft absorbiert haben, neu zu durch<strong>de</strong>nken.“ 191 Die strukturelle<br />

Beschaffenheit <strong>de</strong>s kontextuellen Bezuges sei also für musikalische Erscheinungen<br />

neu zu erhellen, wie auch <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r ästhetischen Funktion rational begegnet wer<strong>de</strong>n<br />

müsse im Zusammenhang mit musikalischen Strukturen. Daraus ergeben sich für Bierwisch<br />

erst die Elemente einer überprüfbaren Argumentation für „die Wertung <strong>de</strong>r Qualität<br />

von Musik, <strong>de</strong>r individuellen und gesellschaftlichen Be<strong>de</strong>utsamkeit“ 192 .<br />

3.3. REAKTIONEN AUF MANFRED BIERWISCH<br />

Bierwischs Aufsatz entstand geistig wie topographisch auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r ehemaligen<br />

DDR. Damit waren einem Diskurs darüber auf gesamt<strong>de</strong>utsprachigem Terrain klare Grenzen<br />

gesetzt, auch wenn die Rundfunkausstrahlungen zunächst darüber hinweggingen.<br />

Selbst innerhalb <strong>de</strong>r DDR fand – nach bisheriger Literaturrecherche – in<strong>de</strong>s keinerlei Diskussion<br />

darüber statt, worauf doch die Veröffentlichung <strong>de</strong>zidiert abzielt hatte. Ursachen<br />

können nur spekulativ erörtert wer<strong>de</strong>n. Eine erste provisorische Vermutung ist die, daß<br />

schlicht niemand <strong>de</strong>m etwas hinzuzufügen hatte. Eine an<strong>de</strong>re könnte sein, daß Bierwisch<br />

aufgrund seiner politischen Etikette als »Enfant terrible« nicht im Zentrum wissenschaftlicher<br />

Konversation stand. Vielmehr ist anzunehmen, daß – evtl. staatlich induziert – seine<br />

I<strong>de</strong>en, wenn nicht unerwünscht, so doch als <strong>de</strong>rart pikant angesehen wor<strong>de</strong>n waren, daß<br />

sich ihnen eine gewisse Hemmschwelle vorgelagert haben könnte.<br />

Dazu trug vielleicht auch bei, daß die strukturalistische Konzeption ihrer Zeit weit voraus<br />

war. Mit Bezugnahme auf Kneplers Entwurf, Sprache wie Musik hätte sich evolutionär im<br />

Tier-Mensch-Übergangsfeld etabliert 193 , knüpft Bierwisch an die aktuellste wissenschaftliche<br />

Entwicklung an und führt seine Gedanken gar konsequent weiter aus, als mancher<br />

damals zu akzeptieren bereit war. 194 Auf bun<strong>de</strong>s<strong>de</strong>utschem Terrain sind strukturalistische<br />

Konzepte in <strong>de</strong>r Musikwissenschaft erst Jahre später aufgetaucht in Form <strong>de</strong>r Übersetzung<br />

von Lerdahl und Jackendorff 195 . Danach reagierte auf Bierwisch niemand mehr, obwohl er –<br />

weniger festgelegt auf die Stilistik <strong>de</strong>r Klassik – genau in diese Richtung verwiesen hatte,<br />

191 Bierwisch, S. 89<br />

192 Bierwisch, S. 90<br />

193 Knepler, S. 71f.<br />

194 vgl. Berliner Aka<strong>de</strong>mie, s. 179f.<br />

195 Bradter faßt in seinem Vorwort die Theorie von Lerdahl und Jackendorff zusammen, welche „beansprucht,<br />

als eine psychologische Theorie die Wahrnehmung und Verarbeitung musikalischer Strukturen tonaler Musik<br />

zu beschreiben und zu erklären. Nach dieser Theorie entspricht die hierarchische Struktur musikalischer<br />

Wahrnehmung einer hierarchisch geglie<strong>de</strong>rten Struktur <strong>de</strong>r tonalen Musik, wie sie sich anhand von musiktheoretischen<br />

Analysen aufzeigen läßt. Lerdahl und Jackendorff verknüpfen in ihrer Theorie Ansätze <strong>de</strong>r<br />

kognitiven Psychologie mit <strong>de</strong>r Musiktheorie Heinrich Schenkers und <strong>de</strong>r Generativen Transformationsgrammatik<br />

Noam Chomskys.“ Sie entwerfen damit <strong>de</strong>n Gegenbeweis zur These: „Es ist nicht möglich, für die<br />

Musik ein Stufenschema zu konstatieren, das <strong>de</strong>r sprachlichen Rangreihe Segment – Silbe – Wort – Phrase<br />

Satz entspricht.“ – Bierwisch, S. 41


69<br />

freilich mit einem an<strong>de</strong>ren Ergebnis, daß eben nicht je<strong>de</strong> Musik so durchstrukturiert ist<br />

wie Sprache. Daß sich zumal in <strong>de</strong>r Musikwissenschaft nur wenige trauten, darauf zu rekurrieren<br />

196 , hat seine Ursachen wohl vielleicht auch darin, daß eine weitere, nämlich<br />

sachlich-methodische Hemmschwelle <strong>de</strong>n Zugang erschwert haben mag. Die logisch<strong>de</strong>duktive<br />

Vorgehensweise Bierwischs korreliert keineswegs mit <strong>de</strong>r bis heute in <strong>de</strong>r Musikwissenschaft<br />

üblichen heuristischen Metho<strong>de</strong>, einen Sachverhalt als Tatsache zu begreifen,<br />

solange sich keine Gegenbeispiele dafür fin<strong>de</strong>n lassen. Bierwischs Aufsatz blieb<br />

zwar unbeantwortet, doch er verschwand nicht aus <strong>de</strong>m Bewußtsein. Christian Ka<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r<br />

in seiner »Musiksoziologie« <strong>de</strong>utlich auf Bierwisch bezug nimmt, sicherte ihm ein Plätzchen<br />

in <strong>de</strong>r Ruhmeshalle <strong>de</strong>r Musikwissenschaft, in<strong>de</strong>m er unter Verweis auf Wittgensteins<br />

Modi von Sagen und Zeigen <strong>de</strong>n Aussagen Bierwischs im MGG einen eigenen Absatz<br />

widmete:<br />

„Es besitzt nun außeror<strong>de</strong>ntliche historische Brisanz, daß diese Dichotomie von Sagen und Zeigen<br />

sich bis zur Stun<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Diskussion behaupten kann und speziell von <strong>de</strong>r<br />

strukturellen Linguistik als quasi universelles Erklärungsmuster für die Differenzierung Sprache –<br />

Musik ausgearbeitet wur<strong>de</strong>. Beson<strong>de</strong>ren Einfluß gewann die durch Manfred Bierwisch vorgeschlagene<br />

Kategorisierung von logischer und gestischer Form. […] Der Ansatz löst alle Probleme mo<strong>de</strong>rner<br />

Ästhetik auf einen Streich: die Fragen nach <strong>de</strong>r Spezifik <strong>de</strong>r Musik, ihrer Autonomie, ihrer Semantik<br />

obendrein.“ 197<br />

Doch Ka<strong>de</strong>n weiß auch um Probleme, die mit <strong>de</strong>r Konzeption Bierwischs verbun<strong>de</strong>n sind:<br />

„Allerdings läßt sich ihm entgegenhalten, daß er Sprache ihrerseits rationalistisch verkürze – zugleich<br />

so, und nur so, zu überzeugen weiß. Keineswegs nämlich steht fest, daß die die »logische<br />

Form als Be<strong>de</strong>utung sprachlicher Zeichen« per se auszuweisen sei. Um überhaupt verständlich und<br />

situativ einor<strong>de</strong>nbar zu wer<strong>de</strong>n, bedarf Sprache, im gesprochenen wie im geschriebenen Aggregatzustand,<br />

expressiver Anteile, wenn nicht Ankerreize. Schließlich ist auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Logizität ein<br />

Phänomen zu beobachten, das man Aussage-Artikulation, logische Artikulation nennen könnte. […]<br />

Sprache erscheint also min<strong>de</strong>stens als dreidimensionales Gebil<strong>de</strong>“ 198 .<br />

Dieser Einschätzung schließt sich <strong>de</strong>r Verfasser an und reagiert seinerseits auf einige <strong>de</strong>r<br />

von Bierwisch gestellten For<strong>de</strong>rungen an die Musikwissenschaft sowie bemerkenswerte<br />

Aussagen. Seit <strong>de</strong>m Erscheinen <strong>de</strong>s Aufsatzes hat sich nämlich manches Ungewisse inzwischen<br />

klären lassen, an<strong>de</strong>res ist nach wie vor noch strittig.<br />

Das von Bierwisch gefor<strong>de</strong>rtes Programm 199 fin<strong>de</strong>t er in <strong>de</strong>r Generative Theorie Tonaler<br />

Musik (GTTM) von Lerdahl und Jackendorff vor, da sie – unwissentlich seinem Interesse an<br />

Strukturen entsprechend – am Beispiel klassischer Musik linguistisch konstatierte Regel-<br />

196 So Klemm, S. 20 und Brockhaus – Riemann, S. 14396<br />

197 Ka<strong>de</strong>n: »Zeichen« in MGG Bd. 9, S. 2168f.<br />

198 Ka<strong>de</strong>n: »Zeichen« in MGG Bd. 9, S. 2169<br />

199 vgl. Bierwisch S. 34, 76, 88 u.ö.


70<br />

systeme für einen konkreten Einzelfall zeigen, <strong>de</strong>r dadurch differenziert wer<strong>de</strong>n kann von<br />

Phänomenen an<strong>de</strong>rsartiger Charakteristik und Stilisik, so daß Harnoncourt gar von<br />

verschie<strong>de</strong>nen »Sprachen« re<strong>de</strong>n kann, wenn er – gleichfalls von Chomsky inspiriert,<br />

jedoch weniger schlüssig als Lerdahl und Jackendorff – folgen<strong>de</strong>s hervorhebt:<br />

„Die Musik verän<strong>de</strong>rte Menschen – <strong>de</strong>n Hörer, aber auch <strong>de</strong>n Musiker. Sie mußte immer neu geschaffen<br />

wer<strong>de</strong>n, so wie die Menschen immer wie<strong>de</strong>r neue Häuser bauen mußten – immer wie<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r neuen Lebensweise, <strong>de</strong>r neuen Geistigkeit entsprechend. So konnte man auch die Alte Musik,<br />

die Musik vergangener Generationen, nicht mehr verstehen und nicht mehr gebrauchen; man bewun<strong>de</strong>rte<br />

gelegentlich ihre hohe Kunstfertigkeit.“ 200<br />

Der einzelne Hinweis Bierwischs diesbezüglich, daß zeitlich wie geographisch unterschie<strong>de</strong>ne<br />

Sprachsysteme – auch in <strong>de</strong>r Musik – existieren, bedarf daher weit größerer Gewichtung.<br />

Sprache ist nicht gleich Sprache, da die sprachlichen Mittel jeweils variieren gemäß<br />

<strong>de</strong>r geistigen Haltung. Musik ist auch nicht gleich Musik und das Vorfindliche <strong>de</strong>r Musik,<br />

ihre materielle Seite ist gleichfalls unterschiedlich. Auch ist „die viel<strong>de</strong>utige Re<strong>de</strong> »vom<br />

musikalischen Material«“ 201 – ein stiller Bezug auf Adorno – zu konkretisieren mit <strong>de</strong>s Urhebers<br />

eigenen Worten:<br />

„Keineswegs stehen <strong>de</strong>m Komponisten unterschiedslos alle je gebrauchten Tonkombinationen heute<br />

zur Verfügung. […] Wenn nicht alles trügt, schließt er heute bereits die Mittel <strong>de</strong>r Tonalität, also<br />

die <strong>de</strong>r gesamten traditionellen Musik, aus. Nicht bloß, daß jene Klänge veraltet und unzeitmäßig<br />

wären. Sie sind falsch. Sie erfüllen ihre Funktion nicht mehr. Der fortgeschrittene Stand <strong>de</strong>r technischen<br />

Verfahrensweisen zeichnet Aufgaben vor, <strong>de</strong>nen gegenüber die traditionellen Klänge als<br />

ohnmächtige Clichés sich erweisen.“ 202<br />

Letzteres hätte Bierwisch von seinen Gesprächspartnern durchaus lernen können. Ersteres<br />

in<strong>de</strong>s dürfte ihm kaum genügen, da Lerdahl und Jackendorff stellenweise diverse Unstimmigkeiten<br />

zugunsten <strong>de</strong>s Gesamtkonzepts kaschieren. So resümiert auch Bradter:<br />

„Im Unterschied zur Sprachwissenschaft gibt es in einer musikalischen Grammatik keine Möglichkeit,<br />

die grammatikalische Richtigkeit anhand einer allgemeinen Sprachkenntnis zu beurteilen. […]<br />

Der Aufbau eines Regelsystems zur Beschreibung musikalischer Strukturen ist durch die vermeintliche<br />

Universalität <strong>de</strong>s Ansatzes und einigen Analogien bezüglich <strong>de</strong>s strukturalistischen Ansatzes<br />

<strong>de</strong>r Sprachwissenschaftler motiviert. Es soll in dieser Ähnlichkeit <strong>de</strong>s formalen Apparates zum Ausdruck<br />

kommen, daß kognitive Mechanismen bezüglich Sprache und Musik vergleichbar sein können.<br />

Dafür gibt es we<strong>de</strong>r Beweise noch zwingen<strong>de</strong> Hinweise. […] Es ist fraglich, ob das Aufstellen eines<br />

Regelsystems grundsätzlich an<strong>de</strong>ren Beschreibungsformen <strong>de</strong>s impliziten Sachverhaltes vorzuziehen<br />

ist. Eine zwingen<strong>de</strong> Notwendigkeit ist nicht zu beobachten, die Wahl dieses Ansatzes kann<br />

weitgehend als willkürlich angesehen wer<strong>de</strong>n. Daher ist es auch nicht gerechtfertigt, aus <strong>de</strong>r ober-<br />

200 Harnoncourt, S. 9f.<br />

201 Bierwisch, S. 89<br />

202 Adorno: Philosophie, S. 40


71<br />

flächlichen Ähnlichkeit eines Regelsystems <strong>de</strong>r musikalischen und sprachwissenschaftlichen<br />

Grammatik zu schließen, daß sich dahinter ein vergleichbarer kognitiver Mechanismus verbirgt.“ 203<br />

Doch auch sei erwähnt, daß Bierwischs Differenzierung auf einer einzigen Hypothese beruht,<br />

nämlich daß man <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>s »Zeigens« auf akustische Vorgänge anwen<strong>de</strong>n<br />

könne, wobei dieser doch lexikalisch <strong>de</strong>zidiert auf optische Vollzüge festgelegt ist. Die<br />

Konzeption eines Vormachens ist als solche wohl <strong>de</strong>nkbar, in<strong>de</strong>s verwun<strong>de</strong>rt es, daß <strong>de</strong>r<br />

Sprachwissenschaftler Bierwisch in Ermangelung treffen<strong>de</strong>r Begrifflichkeiten zu <strong>de</strong>rartigen<br />

Hilfskonstruktionen greifen und einen Kompromiß vorschlagen muß. Ist man nun<br />

nicht gewillt, diesen Kompromiß einzugehen, kippt das ganze sorgsam errichtete Kartenhaus<br />

hinten über, <strong>de</strong>nn konsequenterweise könnte man mit <strong>de</strong>m geflügelten Wort von<br />

Wittgenstein: „Die Grenze meiner Sprache ist die Grenze meiner Welt“ eine solche I<strong>de</strong>e<br />

<strong>de</strong>s musikalischen Zeigens als nicht existent auffassen, wenn es keinen Begriff dafür gibt.<br />

Geht man in<strong>de</strong>s <strong>de</strong>n Kompromiß ein, lösen manche Formulierungen Bierwischs ein allgemeines<br />

Gefühl <strong>de</strong>r Unbestimmtheit aus – z.B. jene, die sich auf <strong>de</strong>n »Als-ob-Modus« 204 von<br />

Musik beziehen, insoweit Bierwisch nicht gänzlich klarstellen kann, welchen Kunstbegriff,<br />

welche Ästhetik er verwen<strong>de</strong>t, wenn er Musik charakterisiert. Die hypothetische Anwendung<br />

seiner Kategorisierung auf gregorianische Gesänge <strong>de</strong>s Mittelalters wür<strong>de</strong> nämlich<br />

dazu führen, daß die vermeintliche Kunstfertigkeit <strong>de</strong>r Musik so blen<strong>de</strong>t, daß die kommunikative<br />

Absicht <strong>de</strong>rartiger Zeitdokumente kaum bemerkt wer<strong>de</strong>n könnte. Doch sie »sind«<br />

Liturgie und tun nicht nur so »als ob«. Es fragt sich nur, ob Bierwisch sie als Musik akzeptiert<br />

wür<strong>de</strong>. Ähnlich unbestimmt zeigt sich die tatsächliche Grenze zwischen Sprache und<br />

Musik, zwischen Sagen und Zeigen, wenn Bierwisch schreibt: „Die logische Form eines<br />

sprachlichen Zeichens [zeigt] die Struktur <strong>de</strong>r Dinge, Beziehungen und Sachverhalte, die<br />

mit ihm benannt o<strong>de</strong>r beschrieben wer<strong>de</strong>n. […] Die Sprache ist ein konventionelles Mittel,<br />

Gedanken zu strukturieren und auszudrücken, die ihrerseits die Realität abbil<strong>de</strong>n, also<br />

zeigen.“ 205 Wieweit Sprache sich also von Musik tatsächlich unterschei<strong>de</strong>t – und nicht nur<br />

prinzipiell –, bleibt ebenso offen, wie die Frage, was einem Gestus eigentlich zugrun<strong>de</strong><br />

liegt bzw. was ihn trennt von <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e. 206 Ist letzterer Zeitunabhängigkeit zueigen, charakterisiert<br />

ersterer die beliebig erweiterbare Permanenz, also gleichfalls Zeitunabhängigkeit.<br />

203 Bradter, S. 170f.<br />

204 Bierwisch, S. 63 u.ö.<br />

205 Bierwisch, S. 61<br />

206 Bierwisch, S. 55


72<br />

Weniger unbestimmt ist inzwischen die Tatsache, daß Musik sich nicht ausschließlich mit<br />

emotionalen, son<strong>de</strong>rn auch mit kognitiven Prozessen verbin<strong>de</strong>t. 207 Zur Zeit <strong>de</strong>s Aufsatzes<br />

jedoch konnte Bierwisch noch das Gegenteil behaupten, da er von einem Erweis <strong>de</strong>s Zusammenhangs<br />

keine Kenntnis hatte. Außerhalb seiner Möglichkeiten zur Kenntnisnahme<br />

stand ferner jene Debatte, die sich um Musik als Text drehte, zumal <strong>de</strong>r Linguist im Übergang<br />

vom Satz zum Text die Grenze seines Fachgebietes erkennt. In<strong>de</strong>s hätte ihn gewiß<br />

interessiert, wie Helga <strong>de</strong> la Motte in ihrem Beitrag 208 auf <strong>de</strong>m Kongreß »Musik als Text«<br />

die Übersetzbarkeit von musikalischen Gebil<strong>de</strong>n exemplifiziert und somit <strong>de</strong>r gegenteiligen<br />

Meinung Bierwischs 209 frontal begegnet. Anerkennt man die Tatsache historisch und<br />

geographisch verschie<strong>de</strong>ner musikalischer »Sprachen« sowie ihre Kompetenz, Text hervorzubringen,<br />

<strong>de</strong>r als »Geflecht« mit gesteigerter Komplexität 210 aufzufassen ist, stellt sich<br />

zwangsläufig heraus, daß eben solches »Geflecht« in jene Sprachen übertragbar sein<br />

muß. An solchen Stellen zeigt sich also, daß Bierwisch einen sehr engen Begriff von Musik<br />

verwen<strong>de</strong>t hat.<br />

Offen wi<strong>de</strong>rsprochen wer<strong>de</strong>n muß <strong>de</strong>r Behauptung, daß sich Sprache strikt ohne Kopplung<br />

an Tonhöhen o<strong>de</strong>r Zeitmuster ereignen 211 , insoweit z.B. das Altgriechisch explizit <strong>de</strong>rartige<br />

Bestimmungen für sprachliche Äußerungen nutzte, daß nämlich die Metrik sowohl<br />

zeitliche Längen und Kürzen als auch tonliche Abstän<strong>de</strong> (ca. eine Quinte bei betonten Silben)<br />

<strong>de</strong>finierte. Für Thrasybolos Georgia<strong>de</strong>s 212 war dies gar <strong>de</strong>r Ausgangspunkt, die Wiege<br />

<strong>de</strong>r Musik in <strong>de</strong>r Ägäis zu suchen. An<strong>de</strong>re Kulturen kennen ähnliche Verfahren <strong>de</strong>r Sprachgenerierung.<br />

213 Akustische Erscheinung gehört zum Wesen von Sprache. Anzunehmen,<br />

man könne sie vollends verstehen ohne klangliche Imagination 214 , ist ebenso verfehlt, wie<br />

auch die Darstellung, daß Kommunikation ohne Medien nur mit Nachrichten auskäme 215 ,<br />

o<strong>de</strong>r die Behauptung, Notenschrift sei unmöglich Musik 216 . Gleichermaßen problematisch<br />

ist <strong>de</strong>r Satz: „Natürliche Sprachen sind <strong>de</strong>mnach prinzipiell arbiträre Zeichensysteme.“ 217<br />

Er wi<strong>de</strong>rspricht <strong>de</strong>r Auffassung, daß entwicklungsbedingt 218 Analogien durchaus konstitu-<br />

207<br />

Insbeson<strong>de</strong>re hat Stoffer diese Zusammenhänge herausgearbeitet.<br />

208 »Musik als Text«, S. 54ff.<br />

209 Bierwisch, S. 64<br />

210 vgl. Danuser, H.: Der Text und die Texte: Über Singularisierung und eine Pluralisierung einer Kategorie.<br />

In: »Musik als Text«, S. 34ff.<br />

211 Bierwisch, S. 12 und beson<strong>de</strong>rs S. 36<br />

212 Georgia<strong>de</strong>s, Thr.: Musik und Sprache.<br />

213 Beispiele bei la Motte: Musikpsychologie<br />

214 Bierwisch, S. 14<br />

215<br />

Bierwisch, S. 16<br />

216<br />

Bierwisch, S. 14<br />

217 Bierwisch, S. 48<br />

218 Von Anthropogenes geht Bierwisch, S. 31 aus. Schlüssiger in<strong>de</strong>s läßt sich die Sprachentwicklung psychologisch<br />

darstellen, zumal bei<strong>de</strong> Konzepte in Relation stehen. „Die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s biogenetischen Grundgesetzes<br />

und <strong>de</strong>s psychogenetischen Grundgesetzes waren für die musikalische Entwicklungsforschung richtungs-


73<br />

tiv waren für Verbalisierungen <strong>de</strong>r Umwelt – und nicht nur schmücken<strong>de</strong> Lautmalerei kindlicher<br />

Spielfreu<strong>de</strong> 219 . Bierwischs Sprachbegriff zeigt also, wie Ka<strong>de</strong>n schon bemerkt, eine<br />

ähnliche Enge wie sein Musikbegriff. Um diese Liste <strong>de</strong>r Unkorrektheiten bei Bierwisch<br />

damit abzuschließen, sei schließlich erwähnt, daß nicht – wie er annimmt – „<strong>de</strong>r gesamte<br />

Bereich <strong>de</strong>s Frequenz- und Lautstärkespektrums in die musikalische Strukturbildung einbezogen<br />

wer<strong>de</strong>n kann“ 220 , weil keineswegs jedwe<strong>de</strong>r akustische Reiz hörbar ist. Entwikkelte<br />

Bierwisch – trotz solcher Patzer – durchaus plausibel und bemerkenswert stringent<br />

die Nuancen zwischen bei<strong>de</strong>n Lautformen, so verbin<strong>de</strong>t sie – was oft genug durch angemerkte<br />

Unbestimmtheiten o<strong>de</strong>r explizite Hinweise Bierwischs aufscheint – ein gewisser<br />

Fundus an Gemeinsamkeiten, <strong>de</strong>r jedoch um <strong>de</strong>r prinzipiellen Unterscheidung willen außen<br />

vor blieb. Ist also in <strong>de</strong>r Sprache mehr zu fin<strong>de</strong>n 221 , als für die vorgestellt Argumentation<br />

nützlich schien, verwun<strong>de</strong>rt es, warum Musik auf »Zeigen« beschränkt bleiben soll.<br />

4. ZUSAMMENFASSUNG<br />

Die pointierte Darstellung <strong>de</strong>r Ergebnisse und Ansätze verschie<strong>de</strong>ner Wissenschaften hat<br />

<strong>de</strong>n Verfasser zu folgen<strong>de</strong>n Einsichten geführt.<br />

1. Musik und Sprache haben auf naturwissenschaftlicher Ebene ausgesprochen viel<br />

gemeinsam. Zwischen bei<strong>de</strong>n zu differenzieren, ist mit nur physikalischen und anatomischen<br />

Grundlagen so gut wie unmöglich. Einzig die physiologischen Betrachtungen<br />

machten Nuancierungen kenntlich, daß nämlich das Frequenzspektrum von<br />

Sprache weit kleiner ist als das von Musik.<br />

2. Größere Unterschie<strong>de</strong> traten zu Tage, als die Psychologie zeigte, daß aus <strong>de</strong>r<br />

kleinstkindlichen »Ammensprache« heraus die sprachlichen und musikalischen<br />

Fähigkeiten sich zunächst gemeinsam, später parallel und schließlich selbständig<br />

entfalten. Speziell <strong>de</strong>r Untersuchung Köhlmanns verdankt sich die Erkenntnis, das<br />

Musik und Sprache aufgrund ihrer Segmentierungsstrukturen voneinan<strong>de</strong>r unterscheidbar<br />

sind. Doch noch überwiegen auf dieser Stufe die Gemeinsamkeiten.<br />

3. Beinah völlige Eigenständigkeit bei<strong>de</strong>r Formen hingegen begegnet auf lingusitischer<br />

Ebene, da beson<strong>de</strong>rs Bierwisch <strong>de</strong>utlich macht, daß Sprache als rationalkognitive<br />

Leistung von <strong>de</strong>r emotional-affektiven Musik unabhängig ist. In<strong>de</strong>s stellt<br />

weisend. Dem biogenetischen Grundgesetz zufolge, das <strong>de</strong>r Zoologe Ernst Haeckel formuliert hat, wie<strong>de</strong>rholt<br />

sich die Stammesgeschichte (Phylogenese) <strong>de</strong>s Menschen in <strong>de</strong>r embryonalen Entwicklung <strong>de</strong>s Individuums<br />

(Ontogenese). Das psychogenetische Grundgesetz (Stanley Hall) besagt, daß die kulturelle Entwicklung<br />

<strong>de</strong>r Menschheit sich in <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>s einzelnen Individuums wie<strong>de</strong>rholt.“ – Gembris, S. 880<br />

219 Die Bioakustik zeigt hier ein beson<strong>de</strong>rs starkes Interesse vgl. Tembrock: Bioakustik, Musik und Sprache.<br />

220 Bierwisch, S. 39<br />

221 vgl. Bierwisch, S. 20, 31, 36, 72 – Schulz von Thuns Konzept bietet für <strong>de</strong>rartige Beobachtungen Hilfe.


74<br />

sich <strong>de</strong>r recht schlüssigen theoretischen Herleitung die Empirie von Lerdahl und<br />

Jackendorff bzw. Stoffer entgegen, daß Musik keineswegs von kognitiven Prozessen<br />

ausgeschlossen sei. Da bei<strong>de</strong> Seiten jedoch verschie<strong>de</strong>nartige Argumente bemühen,<br />

nämlich kognitive Repräsentanz auf seiten <strong>de</strong>r Empirie und sprachliche Inhaltsfixierung<br />

seitens <strong>de</strong>r Theorie, treffen sich diese Konzeptionen nicht. Bei<strong>de</strong> behaupten<br />

ihr Recht und sprechen es somit <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren ab.<br />

4. Diesem Problem ähnlich ist, daß alle rezipierten Publikationen untereinan<strong>de</strong>r nicht<br />

komplett kompatibel sind, insofern sie jeweils ein an<strong>de</strong>res Verständnis ihres darzustellen<strong>de</strong>n<br />

Gegenstan<strong>de</strong>s transportieren. Sehen die einen – wie Bierwisch –<br />

Sprache nur als Alltagssprache an, haben hingegen die an<strong>de</strong>ren als Musik – z.B.<br />

Lerdahl und Jackendorff – auch indische Raga- o<strong>de</strong>r Gamelanmusik im Blick. Die<br />

Vergleichbarkeit ist somit nur bedingt gewährleistet. Fataler in<strong>de</strong>s ist die Tatsache,<br />

daß die Termini Musik und Sprache teilweise Verwendung fin<strong>de</strong>n, wo sie besser<br />

hätten vermie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n sollen. Der »Not« einerseits, daß je<strong>de</strong> Musik Kunst zu<br />

sein hat, entspricht an<strong>de</strong>rerseits das »Elend«, daß jedwe<strong>de</strong> Kommunikation als<br />

Sprache begriffen wird. Hier zeichnet sich Inkompatibilität höchsten Gra<strong>de</strong>s ab.<br />

5. Dennoch scheint unter ihnen ein Einvernehmen möglich zu sein, wenn man von Alleinansprüchen<br />

<strong>de</strong>r jeweiligen Konzeptionsrichtungen abrückt. Jener Konsens, <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>m Verfasser als tragfähig erscheint, sei exemplarisch dafür vorgestellt:<br />

Geht man davon aus, daß Musik und Sprache Spätfolgen <strong>de</strong>r anfänglichen Bioakustik<br />

sind 222 , ergibt sich daraus, daß bei<strong>de</strong> Formen erworbene Kompetenzen darstellen. In<strong>de</strong>s<br />

die Ausprägung dieser Kompetenzen fällt unterschiedlich aus. Im Falle eines „Ausdrucks<br />

innerer Zustän<strong>de</strong> zur Verhaltensabstimmung“ also, um Ka<strong>de</strong>ns Kommunikationsbegriff als<br />

kleinsten gemeinsamen Nenner zu bemühen statt Bierwischs konstruierter Zeige-<br />

Kategorie, wäre wohl kaum zu erwarten, daß alle an <strong>de</strong>r Kommunikation Beteiligten i<strong>de</strong>ntische<br />

Kompetenzen aufweisen. Es wer<strong>de</strong>n zwangsläufig nuancierte Impulse zu vielerlei<br />

Auffassungen führen, die – nach Luhmann – anschlußfähig sein könnten. Als ein Spezialfall<br />

von Kommunikation gelte somit Sprache im eigentlichen Sinne <strong>de</strong>s Wortes. Ihr und nur<br />

ihr eignet die bewußte, kognitive I<strong>de</strong>ntifizierung <strong>de</strong>r Sachaussagen und ihrer logischen<br />

Verknüpfungen. Jene Beispiele <strong>de</strong>r Musik, die vergleichbares leisten, wer<strong>de</strong>n somit konsequent<br />

als Sprache akzeptiert. Gleichsam unbewußt – um im Schema C.G. Jungs zu bleiben<br />

– ereignet sich die Selbstkundgabe durch die Beziehungshinweise. Ist die sachliche<br />

Information einer Botschaft <strong>de</strong>m nachgeordnet, bleibt die Mitteilung quasi kommunikativ,<br />

vermittelt Emotionen, Einstellungen, Stimmungen. In dieser Form wird Musik oft angetrof-<br />

222 vgl. Tembrock: Bioakustik. Freilich geht er von einer Anthropogenese aus.


75<br />

fen, weshalb dies gern als ihre einzige Form interpretiert wird. Jedoch es gibt auch in <strong>de</strong>r<br />

Musik an<strong>de</strong>re Möglichkeiten. Als »kollektive« unbewußte Kopplung fungiert <strong>de</strong>mnach die<br />

Interaktion auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>s Appells, da keinerlei kognitiven Leistungen zu erbringen<br />

sind. Ein <strong>de</strong>rartiges Schema bietet Raum für die verschie<strong>de</strong>nen Verständnisse von Musik<br />

und Sprache, da alle Ebenen zugleich betroffen sein können bzw. auch nur eine o<strong>de</strong>r zwei.<br />

Fragen <strong>de</strong>r Ästhetik sind hierbei bewußt außen vorgeblieben. Vielmehr drängt es <strong>de</strong>n Verfasser<br />

dazu, die eindimensionalen Re<strong>de</strong>weisen von »<strong>de</strong>r« Musik und »<strong>de</strong>r« Sprache aufzufächern<br />

in ein vielschichtiges Verständnis von Kommunikation. Sprache geht keineswegs<br />

voll in Musik auf wie Musik umgekehrt nicht vollends Sprache ist. Vielmehr erscheint in<br />

<strong>de</strong>r „Mitteilung innerer Zustän<strong>de</strong> zur Verhaltensabstimmung“ <strong>de</strong>r eigentliche Schnittpunkt<br />

bei<strong>de</strong>r Ausdrucksformen menschlichen Miteinan<strong>de</strong>rs.


LITERATURVERZEICHNIS:<br />

Die Angabe <strong>de</strong>r verwen<strong>de</strong>ten Literatur erfolgt in alphabetischer Folge nach <strong>de</strong>r CIP-Einheitsaufnahme.<br />

Adorno, Theodor W.:<br />

Fragment über Musik und Sprache. In: Quasi una Fantasia. – Frankfurt: Suhrkamp, 1963.<br />

(Schriften; Bd.16)<br />

Adorno, Theodor W.:<br />

Philosophie <strong>de</strong>r neuen Musik. – 8. Aufl. – Frankfurt: Suhrkamp, 1997.<br />

Die Berliner Aka<strong>de</strong>mien <strong>de</strong>r Wissenschaften im geteilten Deutschland 1945 – 1990 / Unter<br />

Mitarbeit von Peter Nötzoldt und Peter Th. Walther Berlin hrsg. von Jürgen Kocka. – Berlin:<br />

Aka<strong>de</strong>mie, 2002.<br />

(Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Berliner Aka<strong>de</strong>miegeschichte im 19. und 20.Jahrhun<strong>de</strong>rt,<br />

Forschungsberichte; Bd. 9)<br />

Berlin-Bran<strong>de</strong>nburgische Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften:<br />

Jahrbuch 1992 | 1993 / Berlin-Bran<strong>de</strong>nburgische Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften (vormals<br />

Preußische Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften). – Berlin: Aka<strong>de</strong>mie, 1994.<br />

Bierwisch, Manfred:<br />

Musik und Sprache: Überlegungen zu ihrer Struktur und Funktionsweise, in: Jahrbuch Peters<br />

/ begr. 1894 als Jahrbuch <strong>de</strong>r Musikbibliothek Peters, fortgeführt als Deutsches Jahrbuch<br />

<strong>de</strong>r Musikwissenschaft von Walter Vetter und Rudolf Eller – 1. Jahrgang 1978 – Leipzig:<br />

Peters, 1979.<br />

Bradter, Cornelius:<br />

Die Generative Theorie <strong>de</strong>r Tonalen Musik: Grundlagen und Entwicklungsimpulse durch F.<br />

Lerdahl und R. Jackendorff. – Münster: Lit, 1998.<br />

Brockhaus – die Enzyklopädie:<br />

in vierundzwanzig Bän<strong>de</strong>n. –Leipzig; Mannheim: Brockhaus, 2001.<br />

Brockhaus – Körper, Geist und Seele<br />

von A - Z. – 20., überarb. und aktualisierte Aufl. – Leipzig; Mannheim: Brockhaus, 2001.<br />

Brockhaus – Riemann - Musiklexikon /<br />

hrsg. von Carl Dahlhaus und Hans Heinrich Eggebrecht – Berlin: Directmedia Publ., 2000.<br />

Dahlhaus, Carl:<br />

Musik als Text. in: Dichtung und Musik: Kaleidoskop ihrer Beziehungen / hrsg. von Günter<br />

Schnitzler. – 1. Aufl. – Stuttgart: Klett-Cotta, 1979.


Eberlein, Roland; Fricke, Jobst Peter:<br />

Ka<strong>de</strong>nzwahrnehmung und Ka<strong>de</strong>nzgeschichte: ein Beitrag zu einer Grammatik <strong>de</strong>r Musik. –<br />

Frankfurt: Lang, 1992.<br />

Fricke, Jobst Peter (Hg.):<br />

Die Sprache <strong>de</strong>r Musik: Festschrift Klaus Wolfgang Niemöller zum 60. Geburtstag am 21.<br />

Juli 1989 / unter Mitarb. von Bram Gätjen ... hrsg. von Jobst Peter Fricke. – Regensburg:<br />

Bosse, 1989.<br />

Gembris, Heiner:<br />

Grundlagen <strong>de</strong>r musikalischen Begabung und Entwicklung. – Augsburg: Wißner, 1998.<br />

(Reihe Wißner-Lehrbuch; Bd. 1) (Forum Musikpädagogik; Bd. 20)<br />

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Musik und Sprache / das Wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r abendländischen Musik dargestellt an <strong>de</strong>r Vertonung<br />

<strong>de</strong>r Messe Verfasserangabe von Thr. Georgia<strong>de</strong>s. – Berlin [u.a.]: Springer, 1954.<br />

(Verständliche Wissenschaft ; Bd. 50)<br />

Gülke, Peter:<br />

Die Sprache <strong>de</strong>r Musik: Essays zur Musik von Bach bis Hollinger. – Stuttgart; Weimar:<br />

Metzler; Kassel: Bärenreiter, 2001.<br />

Harnoncourt, Nikolaus:<br />

Musik als Klangre<strong>de</strong>. – Kassel: Bärenreiter, 1982.<br />

Jenni, Ernst:<br />

Lehrbuch <strong>de</strong>r hebräischen Sprache <strong>de</strong>s Alten Testaments / Neubearb. <strong>de</strong>s „Hebräischen<br />

Schulbuchs“ von Hollenberg-Bud<strong>de</strong>. – Basel; Frankfurt: Helbing & Lichtenhahn, 1981.<br />

Ka<strong>de</strong>n, Christian:<br />

Musiksoziologie. – Berlin: Neue Musik, 1984.<br />

Klemm, Gerhard:<br />

Untersuchungen über <strong>de</strong>n Zusammenhang musikalischer und sprachlicher Wahrnehmungsfähigkeiten.<br />

– Frankfurt; Bern; New York; Paris: Lang, 1987.<br />

Knepler, Georg:<br />

Geschichte als Weg zum Musikverständnis: Zur Theorie, Metho<strong>de</strong> und Geschichte <strong>de</strong>r Musikgeschichtsschreibung.<br />

– Leipzig: Reclam, 1. Aufl. 1977; 2., überarb. Aufl. 1982.


Köhlmann, Michael:<br />

Rhythmische Segmentierung von Schallsignalen und ihrer Anwendung auf die Analyse von<br />

Sprache und Musik. – Vollständiger Abdruck <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Fakultät für Elektrotechnik <strong>de</strong>r<br />

Technischen Universität München zur Erlangung <strong>de</strong>s aka<strong>de</strong>mischen Gra<strong>de</strong>s eines Dr.-Ing.<br />

genehmigten Dissertation. – München: Frank, 1984.<br />

Laufer, Daniela:<br />

Untersuchungen zur Transferwirkung <strong>de</strong>r Musik auf die sprachlichen Leistungen von Menschen<br />

mit geistiger Behin<strong>de</strong>rung. – Köln-Rheinkassel: Dohr, 1995.<br />

(Kölner Studien zur Musik in Erziehung und Therapie; Bd. 2)<br />

Luhmann, Niklas:<br />

Was ist Kommunikation? Vortrag auf <strong>de</strong>m Symposion „Leben<strong>de</strong> Systeme – Konstruktion<br />

und Verän<strong>de</strong>rung von Wirklichkeiten und ihrer Relevanz für die systematische Therapie“<br />

vom 28.2. – 2.3.1986 in Hei<strong>de</strong>lberg. in: Information Philosophie, 15. Jahrgang, Heft 1, 1987.<br />

Michels, Ulrich:<br />

dtv-Atlas zur Musik. – Original-Ausg. – München: Deutscher Taschenbuch Verlag.<br />

Bd. 1: Systematischer Teil. Musikgeschichte von <strong>de</strong>n Anfängen bis zur Renaissance. 17.<br />

Aufl. – 1997.<br />

Bd. 2: Historischer Teil. Musikgeschichte vom Barock bis zur Gegenwart. 10. Aufl. – 1997.<br />

Musik als Text: Bericht über <strong>de</strong>n internationalen Kongreß <strong>de</strong>r Gesellschaft für Musikforschung<br />

Freiburg im Breisgau 1993 / hrsg. von Hermann Danuser und Tobias Plebuch. –<br />

Kassel [u.a.]: Bärenreiter, 1998.<br />

Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Allgemeine Enzyklopädie <strong>de</strong>r Musik / unter Mitarbeit<br />

zahlreicher Musikforscher <strong>de</strong>s In- und Auslan<strong>de</strong>s hrsg. von Friedrich Blume. – Elektronische<br />

Ausgabe <strong>de</strong>r ersten Auflage (1949-1986). – Berlin: Directmedia Publ., 2001.<br />

(Digitale Bibliothek Band; 60)<br />

Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Allgemeine Enzyklopädie <strong>de</strong>r Musik; 21 Bän<strong>de</strong> in<br />

zwei Teilen / begr. Von Friedrich Blume. – 2., neubearb. Ausg. / hrsg. von Ludwig Finscher<br />

– Kassel; Basel; London; New York; Prag: Bärenreiter; Stuttgart; Weimar: Metzler.<br />

Musikpsychologie: Ein Handbuch. / hrsg. von Herbert Bruhn, Rolf Oerter und Helmut Rösing.<br />

– 4. Aufl. – Reinbeck: Rowohlt, 2002.<br />

(Rowohlts Enzyklopädie; Bd. 55526)


La Motte-Haber, Helga <strong>de</strong>:<br />

Handbuch <strong>de</strong>r Musikpsychologie. – Laaber: Laaber, 1985.<br />

La Motte-Haber, Helga <strong>de</strong>:<br />

Musikpsychologie: Eine Einführung. – Köln: Gerig, 1972.<br />

(Musik-Taschen-Bücher Theoretica; Bd. 14)<br />

Pfaltz, Carl Rudolf:<br />

Sprache und Musik – sinnesphysiologische Aspekte menschlicher Kommunikation: Rektoratsre<strong>de</strong><br />

gehalten an <strong>de</strong>r Jahresfeier <strong>de</strong>r Universität Basel am 25. November 1985. – Basel:<br />

Helbing und Lichtenhahn, 1988.<br />

(Baseler Universitätsre<strong>de</strong>n; Heft 82)<br />

Physiologie <strong>de</strong>r Haustiere /<br />

hrsg. von Wolfgang von Engelhardt und Gerhard Breves. – Stuttgart: Enke, 2000.<br />

Provo, Hermann:<br />

Die Musik als Sprache: Musikalische Betrachtungen von Hermann Provo. – Leipzig:<br />

Sphinx, 1906.<br />

Rousseau, Jean-Jacques:<br />

Musik und Sprache: ausgewählte Schriften / aus <strong>de</strong>m Französischen übertragen von Dorothea<br />

und Peter Gülke hrsg. von Peter Gülke. – 1. Aufl. – Leipzig: Reclam, 1989.<br />

Schnei<strong>de</strong>r, Reinhard:<br />

Semiotik <strong>de</strong>r Musik. - München: Fink, 1980.<br />

(Kritische Information; Bd. 90)<br />

Schulz von Thun, Frie<strong>de</strong>mann; Ruppel, Johannes; Stratmann, Roswitha:<br />

Miteinan<strong>de</strong>r re<strong>de</strong>n: Kommunikationspsychologie für Führungskräfte. – Reinbek: Rowohlt,<br />

2000.<br />

Schuster, Volker:<br />

Polygraphische Untersuchungen zur Hemisphärendominanz von Sprache und Musik bei<br />

Musikern und Nichtmusikern: Inaugural-Dissertation zur Erlangung <strong>de</strong>s Medizinischen<br />

Doktorgra<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Medizinischen Fakultät <strong>de</strong>r Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br. –<br />

o.O.: o.V., 1983.


Stoffer, Thomas H.:<br />

Mo<strong>de</strong>lle <strong>de</strong>r kognitiven Verarbeitung und Repräsentation musikalischer Strukturen. in:<br />

Perspektive <strong>de</strong>r Kognitionspsychologie / hrsg. von Odmar Neumann. – Berlin; Hei<strong>de</strong>lberg:<br />

Springer, 1985.<br />

(Lehr- und Forschungstexte Psychologie; Bd. 15)<br />

Stoffer, Thomas H.:<br />

Parallelen zwischen Ernst Kurths Konzeption <strong>de</strong>r Musikpsychologie und <strong>de</strong>r gegenwärtigen<br />

Entwicklung <strong>de</strong>r kognitiven Musikpsychologie. in: Musikpsychologie: empirische Forschungen,<br />

ästhetische Experimente; Jahrbuch <strong>de</strong>r Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie.<br />

– Wilhelmshaven: Heinrichshofen, 1984.<br />

Stoffer, Thomas H.:<br />

Wahrnehmung und Repräsentation musikalischer Strukturen: funktionale und strukturelle<br />

Aspekte eines kognitiven Mo<strong>de</strong>lls <strong>de</strong>s Musikhörens / Inaugural-Dissertation zur Erlangung<br />

<strong>de</strong>s Gra<strong>de</strong>s eines Doktors <strong>de</strong>r Philosophie in <strong>de</strong>r Abteilung für Philosophie, Pädagogik,<br />

Psychologie <strong>de</strong>r Ruhr-Universität vorgelegt von Thomas H. Stoffer. – Bochum: Ruhr-<br />

Universität, 1981.<br />

Tembrock, Günter:<br />

Bioakustik, Musik und Sprache / hrsg. im Auftrag <strong>de</strong>s Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften<br />

<strong>de</strong>r DDR. – Berlin: Aka<strong>de</strong>mie, 1978.<br />

(Sitzungsberichte <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften <strong>de</strong>r DDR, Mathematik – Naturwissenschaften<br />

– Technik; 1N/1978)<br />

Weiterhin wur<strong>de</strong>n Mitschriften verwen<strong>de</strong>t, die bei Seminaren bzw. Vorlesungen am musikwissenschaftlichen<br />

Institut und bei an<strong>de</strong>ren Veranstaltungen <strong>de</strong>r Universität Leipzig<br />

entstan<strong>de</strong>n sind, sowie das Tondokument »Sprache und Musik – Wort-Musik-Sendung Dr.<br />

Manfred Bierwisch * AUT: Boeck 25.05.1977« DRA-NR. 3MG 2839 A-B <strong>de</strong>s Deutschen<br />

Rundfunkarchives Frankfurt am Main – Berlin.<br />

SELBSTÄNDIGKEITSERKLÄRUNG<br />

Ich erkläre, daß ich diese Magisterarbeit selbständig erstellt und keine weiteren als die<br />

angeführten Quellen und Hilfsmittel verwen<strong>de</strong>t habe.<br />

Juni 2003<br />

Andreas <strong>Konrath</strong>

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