MUSIK UND SPRACHE - KH-Konrath.de
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Die Wirksamkeit <strong>de</strong>s gestaltpsychologischen »Gesetzes <strong>de</strong>r Nähe« wer<strong>de</strong> jedoch teilweise<br />
beim Hören durch Gedächtnisleistungen erklärt. Damit überhaupt Konstruktionen gemäß<br />
<strong>de</strong>r Nähe gebil<strong>de</strong>t wür<strong>de</strong>n, müsse die einströmen<strong>de</strong> Information länger aufbewahrt wer<strong>de</strong>n,<br />
als sie tatsächlich wirkt. „Die erste gedankliche Verarbeitung, die beim Musikhören<br />
stattfin<strong>de</strong>t, scheint ein grobes Durchmustern <strong>de</strong>r akustischen Reize zu sein, und zwar<br />
nach <strong>de</strong>n Gesichtspunkten, woher sie kommen, und ob sie untereinan<strong>de</strong>r Ähnlichkeiten<br />
aufweisen. Diese Analyse ergänzt dann eine Synthese, die zu Gruppierungen führt. Noch<br />
vor diesen analysieren<strong>de</strong>n und synthetisieren<strong>de</strong>n Denkprozessen muß ein schnell vorübergehen<strong>de</strong>s,<br />
noch weitgehend passives Gedächtnis angenommen wer<strong>de</strong>n. Neisser<br />
(1974) spricht von einem ikonischen Speicher im Auge und einem ekonischen beim Ohr, in<br />
älteren Untersuchungen fin<strong>de</strong>n sich dafür Termini wie »Reizspur« o<strong>de</strong>r »primäres Gedächtnis«.“<br />
75 Solcher Nachhall könne als »Präsenzzeit« alias »psychologisches Moment«<br />
bis zu zehn Sekun<strong>de</strong>n anhalten und ist für Gestalterkennung immens wichtig. Daher interessiert<br />
ein Blick auf die I<strong>de</strong>ntifizierungszeiten von akustischen Ereignissen: Bis ein Klang<br />
mit zwei Impulsen i<strong>de</strong>ntifiziert ist, vergehen 20 ms bzw. mit drei 50 ms. Um vier Impulse<br />
zu bestimmen, bedarf es 200 ms – <strong>de</strong>m Abstand von gut verständlichen Sprachsilben. Ab<br />
einer Distanz von 600 ms wer<strong>de</strong>n Klänge als Einzelreize vernommen. In<strong>de</strong>s spielt die Zeit<br />
auch betreffs <strong>de</strong>s Tonabstands eine Rolle. Kleine Terzen wer<strong>de</strong>n nach 50 ms, kleine Nonen<br />
hingegen erst nach 150 ms als kohärent wahrgenommen. Beson<strong>de</strong>rs problematisch ist das<br />
Phänomen <strong>de</strong>r Oktavgeneralisation, welche teils als Ähnlichkeit, teils gar nicht bemerkt<br />
wer<strong>de</strong>: „Der Sprung in die Oktave selbst ist aber ein wun<strong>de</strong>rsam emphatischer Kunstgriff.<br />
Derselbe Ton und doch nicht <strong>de</strong>r gleiche macht das Einfache zum Artifiziell-<br />
Komplizierten.“ 76 Daß das kurzzeitige Gedächtnis sich zu sinnvollen Bil<strong>de</strong>rn umformt, die<br />
aber noch weitgehend sensorische Qualitäten haben, hat Relevanz für Gestalterkennung.<br />
„Diesem primären Gedächtnis entnehmen wir bereits aktiv verarbeitete Informationen: die<br />
melodische Kontur, Töne, die wir aufgrund ihrer Nachbarschaft innerhalb <strong>de</strong>s Frequenzspektrums<br />
o<strong>de</strong>r auch aufgrund <strong>de</strong>r Ähnlichkeit <strong>de</strong>r Klangfarbe und ihrer zeitlichen Nähe<br />
zusammenfassen.“ 77 Ohne eine solche Imagination wäre eine Bewegung, ein Fortschreiten<br />
nicht auszumachen. Am Beispiel schneller Folgen zeige sich durch Akzentuierung in <strong>de</strong>r<br />
Wahrnehmung das »Takt«-Empfin<strong>de</strong>n, wobei Synkopen zu Entscheidungskrisen führten,<br />
welche <strong>de</strong>r Akzente strukturbil<strong>de</strong>nd seien. Das »perceptual streaming« von akzentuiertem<br />
Vor<strong>de</strong>rgrund und permanentem Hintergrund einer Tonfolge vollziehe sich gleichfalls bei<br />
multipler Metrik innerhalb eines Stückes entsprechend. »Kippbil<strong>de</strong>r« solcher Art fin<strong>de</strong>t la<br />
75 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 104f.<br />
76 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 110<br />
77 la Motte-Haber: Musikpsychologie, S. 111