märz 2012 - experimenta.de

Editorial
Liebe LeserInnen unserer eXperimenta,
kennen Sie Eisik? Er war dieser arme Schneider, der vor Zeiten in
Krakau lebte. Ihm träumte eines Nachts, er solle nach Prag
wandern und dort, an der Brücke über die Moldau, graben, dann
würde er seinen Schatz finden. Eisik packte sein Bündel und
machte sich auf den langen Weg. Nach seinem Schatz dort
suchend, fiel er einem Hauptmann auf und erzählte diesem
seinen wiederkehrenden Traum. „Wo kämen wir hin, wenn wir Träumen trauen würden?“,
meinte der Hauptmann lachend. Er träume seit Tagen, dass er nach Krakau wandern solle,
um einen Schatz unter dem Ofen eines armen Juden zu finden...-
Ab jetzt vollendet sich die Geschichte selbst.... Wie wahr doch! Nur wer bereit ist, sich
aufzumachen, Vertrautes, Bekanntes hinter sich zu lassen, wird auf diesem Weg ins Ferne,
ins Fremde genau das finden können, was er braucht, um zu sich selbst zurückzukehren und
um Heimatliches finden zu können, in seiner Umgebung und vor allem in sich selbst.
Wo wir hinsehen, ist die Kunst - Literatur, Malerei wie die Musik- durchdrungen von diesem
Motiv und dieser Erfahrung. In der Eschatologie ist der Status des Menschen sogar per
definitionem der des Pilgers, des noch Unvollendeten und noch nicht Angekommenen. Der
Weg eines jeden ist sehr persönlich, es gibt ihn nur einmal für einen Menschen, und er ist so
individuell, wie der Mensch selbst, der ihn geht und ihn mitbestimmt.
Seit alters her ist Heimatlosigkeit eine Form der Askese: im buddhistischen Mönchtum wie im
frühen Christentum. Das Fremdsein und sich Entfernen von den eigenen Wurzeln fordert dem
Menschen Verzicht ab und führt ihn gar in Versuchung, lässt ihn auf Hilfe und Toleranz
angewiesen werden und auf Begegnung und Akzeptanz.
„Weh dem, der keine Heimat hat“, mahnen Nietzsches Worte in „Vereinsamt“ (1887) und wie
ein Wegweiser reiht sich dazu Picassos Erfahrung: “ich suche nicht, ich finde...“ -
Ich wünsche Ihnen, liebe LeserInnen, dass Sie auf dem Weg durch diese Ausgabe nicht
suchen müssen, was Ihnen entspricht, sondern finden können, was zu Ihnen kommt.
Ihre
Luise Hepp
www.eXperimenta.de 3
März 2012