märz 2012 - experimenta.de
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nachzumalen. Abends bei <strong>de</strong>r Gutenachtgeschichte wollte er, dass Mama und Papa ihm<br />
die Wörter im Buch zeigten. Anne konnte sich noch gut an ihre und Florians Begeisterung<br />
erinnern. Sie waren unheimlich stolz auf ihren Sohn. Fasziniert beobachteten sie, wie Max<br />
sich im Laufe <strong>de</strong>r Zeit Stück für Stück die Welt <strong>de</strong>s geschriebenen Wortes eroberte. Es<br />
dauerte nicht lange und er las sich die Gutenachtgeschichte selbst vor.<br />
Das war <strong>de</strong>r Zeitpunkt, an <strong>de</strong>m Anne und Florian begannen, Bücher über das Lernen, die<br />
neuesten Erkenntnisse <strong>de</strong>r Hirnforschung und die vielen pädagogischen Konzepte zu<br />
lesen, von <strong>de</strong>nen sie noch nie etwas gehört hatten. Immer mehr vertrauten die jungen<br />
Eltern <strong>de</strong>m ganz natürlichen Wissensdurst ihrer Kin<strong>de</strong>r.<br />
Anne und Florian wur<strong>de</strong> immer klarer, was sie für ihre Kin<strong>de</strong>r wirklich wollten: Isabell und<br />
Max sollten <strong>de</strong>n größtmöglichen Freiraum bekommen, um so lernen zu können. Damals<br />
hatten sie nicht ahnen können, welche Schwierigkeiten ihnen diese Erkenntnis bringen<br />
wür<strong>de</strong>. Für sie als Eltern war es nur eine folgerichtige Konsequenz aus all ihren<br />
Nachforschungen und Beobachtungen.<br />
Inzwischen ist es dunkel gewor<strong>de</strong>n. Anne liegt in ihrem Bett, eine kleine Nachtlampe<br />
verbreitet behagliches Licht. Isabell und Max kuscheln sich an sie. Tiefe Atemzüge<br />
begleiten ihren friedlichen Schlaf.<br />
'Vielleicht ist das ja schon wie<strong>de</strong>r eine zu enge Bindung zur Mutter, dass ich meine Kin<strong>de</strong>r<br />
nach so einem Tag bei mir schlafen lasse.' <strong>de</strong>nkt Anne bitter. Genau das hatten ihr Lehrer<br />
und Schulpsychologen immer wie<strong>de</strong>r vorgeworfen. Sie und Florian könnten ihre Kin<strong>de</strong>r<br />
nicht loslassen. 'Soll das etwa heißen, je<strong>de</strong>n Tag sein Kind dahin zwingen zu müssen, wo<br />
es stun<strong>de</strong>nlang unter verbaler und körperlicher Gewalt zu lei<strong>de</strong>n hat? Und sie dann je<strong>de</strong>n<br />
Abend wie<strong>de</strong>r aufbauen müssen, um sie dann nur wie<strong>de</strong>r am Morgen dorthin zu schicken?<br />
Wird das etwa unter „Loslassen“ verstan<strong>de</strong>n?' <strong>de</strong>nkt sie zum tausendsten Mal empört.<br />
Damals, nach einem <strong>de</strong>r vielen Gespräche im Schulamt, hatte sie es das erste Mal<br />
gedacht, aber nicht ausgesprochen. Damals hatte sie <strong>de</strong>r enttäuschen<strong>de</strong>n Erkenntnis nicht<br />
mehr ausweichen können, dass we<strong>de</strong>r die Schule noch die Behör<strong>de</strong> ein Interesse an einer<br />
gemeinsamen Lösung hatten. Annes und Florians Bemühungen waren gescheitert. Nur die<br />
Einschätzung <strong>de</strong>r Schule und <strong>de</strong>s Schulamtes hatte gezählt, nicht die Meinung <strong>de</strong>r Eltern.<br />
Gehört hatte man sie, selbstverständlich. Aber nicht ernst genommen. Die Lehrer waren<br />
nicht daran interessiert, die Bedürfnisse und Wünsche <strong>de</strong>r Familien zu berücksichtigen.<br />
Und Anne wußte auch warum. Die Lehrer waren hoffnungslos überfor<strong>de</strong>rt und allein<br />
gelassen mit ihren immer größer wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Klassen und <strong>de</strong>n steigen<strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen.<br />
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März <strong>2012</strong>