31.10.2012 Aufrufe

märz 2012 - experimenta.de

märz 2012 - experimenta.de

märz 2012 - experimenta.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Das unruhige Volk<br />

Fragment einer Erzählung von Leonid Finkel<br />

nach einer Übersetzung von Joachim Mols<br />

„…Am Anfang schuf Gott Himmel und Er<strong>de</strong>. Die Er<strong>de</strong> ward wüst und leer und Finsternis<br />

herrschte über <strong>de</strong>m Land. Und <strong>de</strong>r Geist Gottes schwebte über <strong>de</strong>m Wasser.<br />

Da sprach Gott: „Es wer<strong>de</strong> Licht.“ Aber es blieb finster und die Er<strong>de</strong> ward wüst und leer. Und es<br />

wur<strong>de</strong> Abend und es wur<strong>de</strong> Morgen. Das war <strong>de</strong>r erste Tag.<br />

Und Gott erhob sich am zweiten Tag und sprach: „Es wer<strong>de</strong> Licht.“ Aber es blieb finster und die<br />

Er<strong>de</strong> ward wüst und leer. Und es wur<strong>de</strong> Abend und es wur<strong>de</strong> Morgen. Das war <strong>de</strong>r zweite Tag.<br />

Und Gott erhob sich am dritten Tag und sprach“ „Zum dritten und zum letzten Mal, es wer<strong>de</strong><br />

Licht!“ Aber es blieb finster und die Er<strong>de</strong> ward wüst und leer. Es wur<strong>de</strong> Abend und es wur<strong>de</strong><br />

Morgen. Das war <strong>de</strong>r dritte Tag. Und Gott schwieg am vierten und auch am fünften Tag. Aber<br />

am sechsten Tag erhob sich Gott und brüllte mit lauter Stimme: „Bin ich Gott o<strong>de</strong>r nicht? Es<br />

wer<strong>de</strong> Licht zum Teufel nochmal!!“ Und da ging ein kleines Licht im Fenster eines <strong>de</strong>r Häuser<br />

an. Ein Mensch im Schlafanzug blickte heraus und fragte: „Wer schreit hier herum, dass er<br />

Gott sei und das mitten in <strong>de</strong>r Nacht?“<br />

Chanoch Levin (1943-1999)<br />

Kapitel 1<br />

Wir sitzen in einer größeren Gruppe am Fuß <strong>de</strong>s Klosters <strong>de</strong>r schweigen<strong>de</strong>n Mönche aus <strong>de</strong>m<br />

Or<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s heiligen Benedikts. Im Unabhängigkeitskrieg 1949 fan<strong>de</strong>n hier, auf <strong>de</strong>m zu<br />

Jordanien gehören<strong>de</strong>n Gebiet, blutige Kämpfe um einen Korridor nach Jerusalem statt.<br />

Die Mönche stehen um drei Uhr morgens auf und anschließend schweigen sie <strong>de</strong>n ganzen<br />

Tag. Sie schweigen bei <strong>de</strong>r Arbeit, sie schweigen beim Essen und sie schweigen in <strong>de</strong>r<br />

Bibliothek, wenn sie sich über die alten Folianten in lateinischer Sprache beugen. Sie wollen<br />

das Gelesene nicht mit an<strong>de</strong>ren teilen. Sie selbst gehören nur <strong>de</strong>m Buch…<br />

Den ganzen Tag, Jahr für Jahr schweigen sie. Die standhaftesten von ihnen schweigen schon<br />

vierzig Jahre. Worüber sollten sie auch re<strong>de</strong>n? Was ist schon Neues auf <strong>de</strong>r Welt passiert,<br />

www.eXperimenta.<strong>de</strong> 32<br />

März <strong>2012</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!