märz 2012 - experimenta.de
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Isabell wollte, bestand darin, ihr die Energie zu geben, die Hausaufgaben überhaupt fertig<br />
zu bekommen. Nicht <strong>de</strong>r Inhalt machte ihr Mühe, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Sinn. Und so vergingen oft<br />
viele Stun<strong>de</strong>n damit. Isabell hätte lieber gelernt, was sie gera<strong>de</strong> begeisterte, und Max ging<br />
es ebenso.<br />
Anne und Florian, die bei<strong>de</strong> ein Hochschulstudium absolviert hatten – Anne war<br />
Übersetzerin und Florian Informatiker – konnten sich lange keinen an<strong>de</strong>ren Lernort als die<br />
Schule und Hausaufgaben als Selbstverständlichkeit vorstellen. Sie selbst waren<br />
erfolgreich durch die Schulzeit gegangen und machten sich keine Gedanken darüber,<br />
dass es ihren Kin<strong>de</strong>rn einmal an<strong>de</strong>rs ergehen könnte. Noch nicht.<br />
Isabell weint nicht mehr. Sie schmiegt sich an ihre Mutter, die Hand liegt in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s<br />
Bru<strong>de</strong>rs. Max sitzt mit nie<strong>de</strong>rgeschlagenen Augen daneben und schweigt. Anne streicht<br />
ihm über das krause Haar.<br />
„Es ist nicht <strong>de</strong>ine Schuld Max. Sie waren einfach in <strong>de</strong>r Überzahl.“ sagt sie sanft.<br />
Max blickt sie an, verzweifelt, fragend. Anne lächelt ihn an und dann endlich nickt er tapfer<br />
und schleicht sich aus <strong>de</strong>r Küche.<br />
Anne umfängt wie<strong>de</strong>r ihre Tochter und wiegt sie wie damals, als Isabell noch ein Kleinkind<br />
war und sich die Knie aufgeschürft hatte. Doch diesmal ist die Wun<strong>de</strong> viel schlimmer.<br />
Anne sieht aus aus <strong>de</strong>m Küchenfenster in <strong>de</strong>n Garten. Sie kann Isabells Holun<strong>de</strong>rbusch<br />
sehen.<br />
Anne fühlt sich Innen wund, hätte am liebsten auch losgeheult. Doch sie muß sich<br />
zusammenreißen. Isabell braucht sie jetzt als Stütze. Entsetzen schüttelt sie. Was war<br />
ihrem kleinen Mädchen angetan wor<strong>de</strong>n, ihrem Schatz! Und auch ihrem kleinen Jungen.<br />
Wie tapfer er gewesen war, hatte versucht, seiner Schwester gegen die Übermacht <strong>de</strong>r<br />
Gruppe auf <strong>de</strong>m Schulhof zu helfen. Kein Erwachsener war gekommen - und dann erst<br />
viel zu spät. Auch wenn <strong>de</strong>r Körper nicht verletzt war, die Seele war es sehr wohl. Sogar<br />
zwei.<br />
Anne streichelt Isabells Haar. Was können sie jetzt noch tun? Und was wird Florian<br />
sagen?<br />
Als Anne und Florian vor langer Zeit begriffen hatten, dass sie ihren Zwillingen we<strong>de</strong>r das<br />
Laufen noch das Essen beibringen mußten, begannen sie, ihre Kin<strong>de</strong>r zu beobachten.<br />
Bei<strong>de</strong> erkannten, dass Kin<strong>de</strong>r offensichtlich sehr genau wußten, wie und was sie lernen<br />
wollten. Je<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r hatte seine ganz eigene Zeit. Isabell lernte schnell laufen. Sie<br />
wollte sehen, was in ihrer Welt alles geschah und sich bewegen. Max hingegen<br />
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März <strong>2012</strong>