märz 2012 - experimenta.de
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Einfach und komplex<br />
Spätestens seit 1957, als ihr dritter Lyrikband „Rufe an Yeti“ erschien, gehörte Wisława<br />
Szymborska zu <strong>de</strong>n bekanntesten und meist gelesenen Lyrikerinnen in Polen. Anfang <strong>de</strong>r<br />
1970er Jahre machte sie ihr Übersetzer Karl De<strong>de</strong>cius in Deutschland bekannt. In <strong>de</strong>n<br />
1980ern und 1990ern erfreute sie sich einer immer größeren Beliebtheit in Schwe<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n<br />
USA, Italien und Japan. Die in Krakau zurückgezogen leben<strong>de</strong> und beschei<strong>de</strong>ne Frau, von<br />
ihren Freun<strong>de</strong>n „Wisia“ o<strong>de</strong>r „Wisełka“ (Weichselchen) genannt, schrieb nämlich Gedichte<br />
über das Leben, also <strong>de</strong>n „Sturm vor <strong>de</strong>r Ruhe“, über die Erinnerung, in <strong>de</strong>r nur Bruchstücke<br />
<strong>de</strong>s Erlebten und Gesehenen bleiben, über die Schönheit und Flüchtigkeit <strong>de</strong>s Augenblicks:<br />
kleine philosophische Traktate und Dramen, von einer verblüffen<strong>de</strong>n Einfachheit und<br />
Komplexität, in <strong>de</strong>nen sie sich mit ihren Lesern unterhält, und auf ihre unaufdringliche und<br />
distanzierte, doch zugleich sehr nahe Weise Trost spen<strong>de</strong>t. Obwohl sie sehr ernste, ja<br />
existentielle Probleme aufgreift, tut sie das scheinbar beiläufig, mit Witz, sanfter Ironie und<br />
Selbstironie und überraschen<strong>de</strong>n Pointen: „Wenn ich<br />
schreibe, habe ich immer das Gefühl, jemand steht<br />
hinter mir und schnei<strong>de</strong>t Grimassen. Deshalb hüte ich<br />
mich, so gut ich kann, vor großen Worten.“<br />
Weil die Lyrikerin öffentliche Auftritte und lange Re<strong>de</strong>n<br />
mied, fiel ihr Vortrag, <strong>de</strong>n sie als Literaturpreisträgerin<br />
v e r p f l i c h t e t z u h a l t e n w a r , m i t v i e r<br />
Schreibmaschinenseiten <strong>de</strong>nkbar knapp aus. Wisława<br />
Szymborska, die erste Frau im Kreis <strong>de</strong>r vier polnischen<br />
und die neunte unter <strong>de</strong>n damaligen 97<br />
Literaturnobelpreisträgern, hielt am 10. Dezember 1996<br />
vor <strong>de</strong>r Königlichen Schwedischen Aka<strong>de</strong>mie in<br />
Stockholm ihre Re<strong>de</strong> „Der Dichter und die Welt”, die sie mit folgen<strong>de</strong>n Worten been<strong>de</strong>te: „In<br />
<strong>de</strong>r Sprache <strong>de</strong>r Dichtung, wo je<strong>de</strong>s Wort ins Gewicht fällt, ist jedoch nichts einfach und<br />
normal. Kein Stein und keine Wolke über ihm. Kein Tag und keine ihm folgen<strong>de</strong> Nacht. Und<br />
vor allem kein Sein von wem auch immer auf dieser Welt.“<br />
Foto:<br />
Quelle: Wikipedia.org<br />
Wisława Szymborska<br />
2010 in Prag<br />
Mehr Bil<strong>de</strong>r auf Wikipedia<br />
unter „Wisława Szymborska”<br />
www.eXperimenta.<strong>de</strong> 53<br />
März <strong>2012</strong>